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DOI: 10.1055/s-0045-1801963
Ausbruch von Myokarditis bei Kindern in Deutschland, 2024: Seltene Komplikation von Parvovirus B19 oder etwas Neues?
Einleitung: Nach niedrigen Inzidenzen des Parvovirus B19 (B19V) 2020–2022 gab es seit Ende 2023 europaweit eine starke B19V-Infektionswelle. Eine B19V-Infektion kann als seltene Komplikation eine Myokarditis verursachen. Im Juli 2024 wurden 4 Kinder mit fulminanter Myokarditis (Alter: 7–20 Monate) in ein Hamburger Krankenhaus aufgenommen. Drei der Kinder verstarben innerhalb von 3 Tagen. Bei allen 4 Kindern wurde B19V in unterschiedlichen Probenmaterialien nachgewiesen. Erste Ermittlungen der zuständigen Gesundheitsbehörden zeigten keine Anzeichen für nosokomiale Übertragung oder gemeinsame Expositionen. Wir intensivierten die gemeinsame Ausbruchsuntersuchung mit dem Ziel, das Ausmaß des Ausbruchs abschätzen zu können und B19V oder andere Faktoren als Ursache der Myokarditiden zu identifizieren. Ein weiteres Ziel war, zu analysieren, in wie weit die B19V-Infektionswelle diesen Myokarditis-Ausbruch erklären könnte, oder ob möglicherweise eine erhöhte Erregervirulenz eine Rolle spielen könnte.
Methoden: Wir definierten Fälle als Kinder <18 Jahre in Deutschland mit akuter Myokarditis und PCR-bestätigtem B19V-Nachweis im Myokard oder Blut mit Krankheitsbeginn seit 01.01.2024. Es erfolgte eine deskriptive Auswertung (Alter, Geschlecht, Zeitverlauf; Datenstand: 26.08.2024) der Falldaten aus dem Register für Kinder und Jugendliche mit Myokarditis („MYKKE“), mit Myokard-Biopsiebefundung durch die Kardio- und Infektionspathologie des Universitätsklinikums Tübingen. Als Proxy für B19V-Infektionen werteten wir die B19V-Meldedaten aus Sachsen aus, wo B19V-Infektionen meldepflichtig sind. Wir verglichen die B19V-Meldefallinzidenz mit den Fallzahlen des MYKKE-Registers pro Quartal. Mittels Hochdurchsatzsequenzierung von klinischen Proben (n = 9) wurden Metagenomanalysen und die Rekonstruktion von B19V Genomen durchgeführt.
Ergebnisse: Im MYKKE-Register wurde mit 27 B19V-Myokarditis-Fällen für das Jahr 2024 ein deutlicher Anstieg im Vergleich zu den Vorjahren verzeichnet (Median 2013–2023: 11 Fälle/Jahr). Metagenomanalysen und routinemäßig durchgeführte PCR-Untersuchungen erbrachten nur sporadische bzw. keine Nachweise anderer kardiotroper Erreger als B19V. Myokarditiden mit anderen/ohne Erregernachweisen nahmen nicht zu. Die Fälle von B19V-Myokarditis wurden bundesweit registriert. Von den Fällen mit vorliegenden Daten machten Kinder ≤ 2 Jahren 65% aus (17/26 Fälle), 58% (15/26 Fälle) waren weiblich, bei 85% (23/27) wurde die Myokarditis histologisch bestätigt und 81% (21/26) traten im Zeitraum April–Juli 2024 auf. Die Inzidenz der B19V-Meldefälle war 2024 bislang 4,5 Mal höher als die mediane jährliche Inzidenz der Jahre 2016–2023. Die B19V-Meldefallinzidenz war im April 2024 am höchsten und ist seitdem rückläufig. Die Fallzahlen im MYKKE-Register zeigten seit August 2024 einen abnehmenden Trend. Durch die Sequenzierung der klinischen Proben konnten keine Vollgenome rekonstruiert werden; genomische Teilabschnitte zeigten eine hohe Übereinstimmung zu B19V Referenzen.
Schlussfolgerungen: Im Rahmen der Ausbruchsuntersuchung wurde ein deutschlandweiter Anstieg akuter B19V-Myokarditiden festgestellt, der hauptsächlich Kinder unter 2 Jahren betraf. Bisherige genomische Analysen zeigen geringe Unterschiede zu bekannten B19V Sequenzen, was gegen erhöhte Virulenz als Ursache für die Myokarditis-Häufung spricht. Die starke postpandemische B19V-Saison könnte den zeitversetzt beobachteten Myokarditis-Anstieg erklären. Auch die zeitversetzt rücklaufenden Zahlen sprechen für einen Zusammenhang.
Da die B19V-Infektiosität prä- und asymptomatisch besteht, erscheint eine Verhinderung von B19V-Transmissionen durch Infektionsschutz-Maßnahmen nur begrenzt möglich. Daher wurden die am MYKKE-Register teilnehmenden kardiologischen Zentren sowie 3 pädiatrische Fachgesellschaften informiert, um für eine schnellere Erkennung und Überweisung der Erkrankten zu sensibilisieren, eine Harmonisierung der Behandlungsoptionen zu erzielen, und zu einer optimalen Versorgung beizutragen.
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Publication History
Article published online:
11 March 2025
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