Gesundheitswesen 2025; 87(S 01): S16
DOI: 10.1055/s-0045-1801920
Abstracts │ BVÖGD, BZÖG, DGÖG, LGL
01.04.2025
Infektionsmeldungen und genomische Surveillance
09:30 – 11:00

Datenvollständigkeit einer im Meldesystem eingebetteten zusätzlichen Datenerhebung: Intensivierte Diphtherie-Surveillance in Deutschland 2017-2022

L Schneider
1   Abteilung für Infektionsepidemiologie, Robert Koch-Institut, Berlin
2   Postgraduiertenausbildung für angewandte Epidemiologie, Abteilung für Infektionsepidemiologie, Robert Koch-Institut, Berlin
3   ECDC Fellowship Programme, Field Epidemiology path (EPIET), European Centre for Disease Prevention and Control (ECDC), Stockholm, Schweden
,
F Badenschier
1   Abteilung für Infektionsepidemiologie, Robert Koch-Institut, Berlin
2   Postgraduiertenausbildung für angewandte Epidemiologie, Abteilung für Infektionsepidemiologie, Robert Koch-Institut, Berlin
3   ECDC Fellowship Programme, Field Epidemiology path (EPIET), European Centre for Disease Prevention and Control (ECDC), Stockholm, Schweden
,
A Berger
4   Konsiliarlaboratorium für Diphtherie, Bayerisches Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit, Oberschleißheim
5   WHO-Kooperationszentrum für Diphtherie, Oberschleißheim
,
K Bengs
4   Konsiliarlaboratorium für Diphtherie, Bayerisches Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit, Oberschleißheim
5   WHO-Kooperationszentrum für Diphtherie, Oberschleißheim
,
A Sing
4   Konsiliarlaboratorium für Diphtherie, Bayerisches Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit, Oberschleißheim
5   WHO-Kooperationszentrum für Diphtherie, Oberschleißheim
,
S Böhm
6   Infektionsepidemiologie und Surveillance, Bayerisches Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit, München
,
W Külper-Schiek
1   Abteilung für Infektionsepidemiologie, Robert Koch-Institut, Berlin
,
O Wichmann
1   Abteilung für Infektionsepidemiologie, Robert Koch-Institut, Berlin
,
C Rau
1   Abteilung für Infektionsepidemiologie, Robert Koch-Institut, Berlin
,
D Perriat
1   Abteilung für Infektionsepidemiologie, Robert Koch-Institut, Berlin
› Author Affiliations
 
 

    Einleitung: Vor dem Hintergrund einer seit 2010 zunehmenden Anzahl an Diphtheriefällen implementierte das Robert Koch-Institut (RKI) 2019 eine intensivierte Diphtherie-Surveillance (IDS). Ziel war die Erhebung zusätzlicher Informationen sowie Vervollständigung der Meldedaten für ein besseres Verständnis der Diphtherie-Epidemiologie in Deutschland. Dieses Vorhaben gewann aufgrund des europaweiten Anstiegs von Diphtheriefällen unter neu ankommenden Asylsuchenden seit 2022 weiter an Relevanz. Die vorgestellte Untersuchung evaluiert die Datenvollständigkeit der IDS, um Rückschlüsse auf die Potenziale und Grenzen einer eingebetteten intensivierten Surveillance zu ermöglichen.

    Methoden: Für die IDS wurden zu allen Diphtheriefällen demographische, epidemiologische und mikrobiologische Informationen retrospektiv (01/2017 – 04/2019) und prospektiv (05/2019 – 12/2022) mithilfe eines standardisierten Fragebogens von Mitarbeitenden der Gesundheitsämter erhoben. Nur im IDS-Fragebogen erfasste Variablen umfassten u. a. mögliche Exposition und Behandlung Die Fragebögen wurden per Post, mittels einer Meldesoftware oder verschlüsselter E-Mail mit dem RKI geteilt. Wir beschreiben, inwieweit die Variablen der Routine-Surveillance durch die IDS ergänzt wurden und wie vollständig die nur im IDS-Fragebogen erfassten Variablen vorlagen.

    Ergebnisse: Zwischen 2017 und 2022 wurde dem RKI ein ausgefüllter IDS-Fragebogen für 115 der 283 Fälle (41%), die die Referenzdefinition erfüllten, übermittelt. Die Rücklaufquote war im Pandemiejahr 2020 sowie in den Jahren der retrospektiven Erhebung niedriger (2017: 3/10 (30%), 2018: 2/26 (8%), 2019: 7/15 (47%), 2020: 3/24 (13%), 2021: 11/22 (50%), 2022: 89/171 (52%)).

    Für bereits von der Routine-Surveillance abgedeckte Variablen konnte mithilfe der IDS jeweils bei 7% der Fälle (8/115) der Erkrankungsbeginn und Impfstatus vervollständigt werden. Jedoch war der Anteil der unvollständigen Angaben zum Impfstatus mit 65% (75/115) vs. 55% (157/283) in der intensivierten Surveillance höher als in der Routine-Surveillance. Auch vor dem Anstieg importierter Fälle in 2022 lagen in der Routine-Surveillance im Jahr 2021 bei 10 von 21 Fällen (48%) unvollständige Informationen vor.

    Die Vollständigkeit der IDS-Variablen zur Symptomatik und Behandlung war heterogen zwischen 8% und 42%. Bei 95% (91/96) der Hautdiphtherie-Fälle lagen mit Angaben zur Wundursache weitere Informationen zum klinischen Bild vor. Bei 94% (108/115) bzw. 90% (104/115) der Fälle wurden zusätzliche Informationen übermittelt, ob Antibiotika bzw. Diphtherie-Antitoxin gegeben wurden. Angaben zur Anpassung der Antibiotikatherapie lagen dagegen bei 42% (41/98) der Fälle vor.

    Schlussfolgerung: Durch die IDS konnten für fast die Hälfte aller Diphtheriefälle zwischen 2017 und 2022 bisher nicht verfügbare Informationen gewonnen werden. Angesichts der globalen Knappheit von Diphtherie-Antitoxin sind beispielsweise Informationen zur Behandlung besonders wertvoll. Dagegen verbesserte sich die Datenvollständigkeit von bereits durch die Routine-Surveillance erfassten Variablen nur geringfügig. Dies kann nur zum Teil dadurch erklärt werden, dass sich aufgrund des europaweiten Ausbruchs in 2022 unter IDS-Fällen viele Personen mit Fluchtgeschichte befanden, bei denen Informationen zum Impfstatus und anderen Variablen schwierig oder nicht zu ermitteln waren. Vielmehr zeigt sich, dass sich die Herausforderungen der Datenerhebung in der Routine-Surveillance sowie der intensivierten Surveillance ähneln. Ein Verständnis für die Gründe hinter unvollständig erhobenen Daten in der Routine-Surveillance ist daher essenziell, um Variablen einer intensivierten Surveillance zur Vervollständigung der Routine-Surveillance sinnvoll auszuwählen. Vor einer Entscheidung zur Integration neuer Variablen in die Routine-Surveillance sollten weitere Attribute wie Nützlichkeit, Akzeptanz oder Einfachheit untersucht werden.


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    Publication History

    Article published online:
    11 March 2025

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