Gesundheitswesen 2025; 87(S 01): S6
DOI: 10.1055/s-0045-1801898
Abstracts │ BVÖGD, BZÖG, DGÖG, LGL
01.04.2025
Neues aus der GBE des Bundes
09:30 – 11:00

Strukturen der Ungleichheit im vermeidbaren Verlust von Lebenszeit – Eine Sekundärauswertung der nationalen Krankheitslaststudie, Deutschland 2017

L Böff
1   Abteilung für Infektionsepidemiologie, Robert Koch-Institut, Berlin
2   Postgraduiertenausbildung für angewandte Epidemiologie, Abteilung für Infektionsepidemiologie, Robert Koch-Institut, Berlin
3   ECDC Fellowship Program, Field Epidemiology Pfad (EPIET), European Centre for Disease Prevention and Control (ECDC), Stockholm, Schweden
,
A Rommel
4   Abteilung für Epidemiologie und Gesundheitsmonitoring, Robert Koch-Institut, Berlin
,
A Wengler
4   Abteilung für Epidemiologie und Gesundheitsmonitoring, Robert Koch-Institut, Berlin
› Institutsangaben
 
 

    Einleitung: Der Indikator vermeidbare Sterblichkeit, unterteilt in präventable (preventable) (z.B. Lungenkrebs) und behandelbare (treatable) Todesursachen (z.B. akute Pankreatitis), ermöglicht die Identifizierung von Todesfällen, die durch präventive Strategien und verbesserte Gesundheitsversorgung reduziert werden könnten. Durch die Verknüpfung mit dem Konzept der verlorenen Lebensjahre (Years of Life Lost, YLL) kann der vermeidbare Anteil der Krankheitslast präzise bestimmt und die Auswirkungen vermeidbarer Todesfälle verdeutlicht werden. Die Untersuchung des vermeidbaren Lebenszeitverlusts über demographische, geografische und soziale Dimensionen sollte Zielgruppen für spezifische Präventions- und Gesundheitsmaßnahmen identifizieren.

    Methoden: In der Todesursachenstatistik 2017 wurden auf Basis der OECD/Eurostat-Referenzliste (1) präventable und behandelbare Todesursachen identifiziert. Aufbauend auf zuvor im Rahmen der nationalen Krankheitslaststudie berechneten Daten wurden die Anteile vermeidbarer Todesfallzahlen und YLL landesweit, sowie nach Geschlecht, Altersgruppen und Raumordungsregionen (ROR) analysiert. Durch Hinzunahme des German Index of Socioeconomic Deprivation (GISD) (2) zur Erfassung regionaler sozioökonomischer Deprivation auf ROR-Ebene, wurde die räumliche Verteilung der vermeidbaren YLL in unterschiedlich deprivierten Gebieten untersucht. Dazu wurden ROR in gleich große Gruppen von 20% (Quintile) unterteilt, um zwischen ROR mit geringer (unterstes Quintil) bis zu hoher (oberstes Quintil) sozialer Deprivation zu unterscheiden.

    Ergebnisse: Vorläufige Ergebnisse zeigen, dass im Jahr 2017 in Deutschland 22% der 932 Tsd. Todesfälle und 46% der 11,6 Millionen YLL vermeidbar waren. Vermeidbare YLL entfielen zu 68% auf präventable Todesursachen und zu 32% auf behandelbare Todesursachen. Männer wiesen einen höheren Anteil präventabler YLL im Vergleich zu behandelbarem YLL auf als Frauen (73 vs 58%) (Chi2-Test, p<0,01). Insbesondere präventable Todesursachen zeigten altersabhängige Unterschiede hinsichtlich ihres Beitrags zu den YLL. In der Gruppe der 25-49-Jährigen waren 74% der vermeidbaren YLL präventabel, bei den über 70-Jährigen lag der Anteil präventabler YLL bei 65% (Chi2-Test, p<0,01). In der jüngeren Altersgruppe wurde über die Hälfte (55%) durch vorsätzliche Selbstschädigung, alkoholbedingte Todesfälle und Verkehrsunfälle verursacht. In der älteren Gruppe trugen Lungenkrebs, ischämische Herzkrankheit und chronische Erkrankungen der unteren Atemwege zu mehr als der Hälfte (56%) der präventablen YLL bei. Die Anteile präventabler YLL an allen YLL in der jeweiligen ROR lagen zwischen 28% (Osthessen) und 35% (Westmecklenburg), behandelbare YLL reichten von 13% (Bayerischer Untermain) bis 16% (Ost-Friesland). Der vermeidbare Anteil der YLL im ROR-Quintil mit dem höchsten Grad sozialer Deprivation lag höher als im Quintil mit der geringsten Deprivation (51 vs 49%), auch wenn dieses Ergebnis statistisch nicht signifikant war (Chi2-Test, p>0,07).

    Diskussion: Die Untersuchung verlorener Lebenszeit ergab unterschiedliche Muster für vermeidbare Todesursachen in demografischen, geographischen und sozialen Gruppen. Unter Männern war der Lebenszeitverlust durch präventable Todesursachen höher als bei Frauen. Gebiete höherer sozialen Deprivation wiesen ebenso einen höheren Anteil präventabler Todesursachen auf. Unterschiede vermeidbarer Todesursachen in sozialen Einheiten sollten in gezielte Präventionsstrategien einfließen und so zur Reduktion gesundheitlicher Ungleichheit beitragen. Präventive Maßnahmen können sich bei jüngeren Gruppen auf Unfälle und verhaltensbedingte Todesursachen konzentrieren, während bei älteren Bevölkerungsgruppen kardiorespiratorische und onkologische Krankheiten adressiert werden sollten.


    Publikationsverlauf

    Artikel online veröffentlicht:
    11. März 2025

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