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DOI: 10.1055/s-0044-1781872
Rechts- und Handlungssicherheit im behördlichen Infektionsschutz: Ergebnisse einer qualitativen Studie mit Infektionsschutzexpert*innen aus Gesundheitsämtern
Hintergrund: Die Umsetzung des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) mit dem Zweck der frühzeitigen Erkennung, Verhütung und Bekämpfung von übertragbaren Krankheiten ist im Wesentlichen Aufgabe der Gesundheitsämter. Rechts- und Handlungssicherheit im Rahmen dieser Tätigkeit sind für die persönliche Absicherung der handelnden Mitarbeitenden essentiell. Das Handeln von Infektionsschutzbehörden war während der Pandemie zentrales Thema der öffentlichen Diskussion und der Rechtsprechung. Vielfach mussten sich Gesundheitsbehörden gerichtlichen Verfahren als Zeugen oder Angeklagte stellen, was zu erheblicher Verunsicherung bei den Mitarbeitenden führte. Inhaltliche oder strukturelle Voraussetzungen der Arbeit im Infektionsschutz, die die Rechts- und Handlungssicherheit im Infektionsschutz beeinflussen, wurden bislang weder analysiert noch diskutiert.
Ziele: Ziel des vorliegenden Teilprojektes der IfSG-CHECK-Studie ist es, Erfahrungen und Meinungen von Infektionsschutzexpert*innen aus Gesundheitsämtern zu den bestehenden Voraussetzungen für Rechts- und Handlungssicherheit zu erheben und zu diskutieren.
Methoden: Es wurden eine leitfadengeführte Fokusgruppendiskussion mit vier Infektionsschutzexpert*innen und drei qualitative Einzelinterviews zu individuellen Kritikpunkten zur These „Das IfSG bietet für Gesundheitsämter keine ausreichende Rechts- und Handlungssicherheit“ sowie mit Rechts- und Handlungssicherheit im Zusammenhang stehender Ko-Faktoren geführt und mittels qualitativer Inhaltsanalyse angelehnt an Kuckartz ausgewertet. Die Auswahl von IfSG-Expert*innen erfolgte anhand einschlägiger Publikationstätigkeit, Gremienarbeit oder Facharztqualifikation.
Ergebnisse: Die These „Das IfSG bietet für Gesundheitsämter keine ausreichende Rechts- und Handlungssicherheit“ erhielt vier zustimmende, eine ablehnende und zwei ambivalente Rückmeldungen. Es wurde angemerkt, dass die verwaltungsrechtlichen Anforderungen an die Gesundheitsämter zu hoch seien. Als Gründe hierfür wurden nicht ausreichend verwaltungsrechtliche Qualifikation des überwiegend medizinischen Personals und große Verunsicherungen auch von Jurist*innen aufgrund mangelnder Eindeutigkeit der gesetzlichen Vorgaben angegeben. Dies habe in der Folge in der Pandemie zu Verunsicherung und Angst beim Personal geführt. Als Ko-Faktoren für Defizite in Bezug auf Rechts- und Handlungssicherheit wurden mangelnde Verständlichkeit und zu großer Umfang des IfSG, Mangel an Bundeseinheitlichkeit der gesetzlichen Vorgaben, konkurrierende gesetzliche Pflichten bei beschränkten Ressourcen sowie Mangel an Datenschutzregelungen und an digitaler Reife im IfSG genannt.
Fazit: Die Aussagen der Infektionsschutzexpert*innen lassen den Schluss zu, dass mangelnde Rechts- und Handlungssicherheit für Gesundheitsämter im behördlichen Infektionsschutz nicht nur vereinzelt, sondern hinsichtlich verschiedener Aspekte strukturell bedingt ist. Wenn behördlicher Infektionsschutz, der sich wirkungsorientiert an den Zwecken des IfSG gemäß §1 Abs.(1) ausrichtet, für Gesundheitsämter umsetzbar sein soll, dann sind Rechts- und Handlungssicherheit hierfür Grundvoraussetzung. Ein erster Schritt hierzu könnte ein Dialog zu diesem Thema zwischen der Legislative zum Infektionsschutz beim Bund und den exekutiven Gesundheitsbehörden darstellen, um auf beiden Seiten ein Problembewusstsein zu erreichen.
Publikationsverlauf
Artikel online veröffentlicht:
10. April 2024
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Georg Thieme Verlag
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