Aktuelle Dermatologie 2018; 44(03): 119-121
DOI: 10.1055/s-0044-101366
Tagungsbericht
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

„Erinnerungen wach halten“ – AGDV-Sitzung beim DDG-Kongress in Berlin 2017

“Keeping Memories Alive” – History of Dermatology Session at the DDG Meeting in Berlin 2017
M. Lorenz
1   Dermatologische Gemeinschaftspraxis am Stadtpark, Kaiserslautern
,
V. Wendt
2   Westerstede
,
C. Bendick
3   Department of Dermatology, Preah Kossamak-Hospital, Phnom Penh, Kambodscha
,
W. Wamser-Krasznai
4   Gießen
,
A. Mettenleiter
5   Institut für Geschichte der Medizin, Universität Würzburg
,
A. Ingber
6   Department of Dermatology, Hadassah University Hospital, Hebrew University, Jerusalem, Israel
› Author Affiliations
Further Information

Korrespondenzadresse

Dr. med. Martin Lorenz
Dermatologische Gemeinschaftspraxis am Stadtpark
Steinmetzstr. 3
67655 Kaiserslautern

Publication History

Publication Date:
12 March 2018 (online)

 

Gegen das Vergessen – Über die Bedeutung von Gedenktafeln in der Dermatologie

V. Wendt

Gedenktafeln stellen einen Sammelbegriff für Erinnerungstafeln, Gedenksteine und Inschriften dar. Die ersten Gedenktafeln im 11. Jahrhundert waren Epitaphien, die sich nicht zwangsläufig am Bestattungsort befanden. Heute sind Gedenktafeln Teil einer weltweiten Erinnerungskultur und bilden einen Teil des kollektiven Gedächtnisses einer Gesellschaft. Auch in der Dermatologie und Venerologie bieten Gedenktafeln die Möglichkeit, sich bedeutender Vertreter des Faches zu erinnern, die durch ihr Tun einen wesentlichen Beitrag zur Entwicklung der Dermatologie und Venerologie geleistet haben oder deren Lebensschicksal gleichzeitig eine Mahnung für die Nachwelt beinhaltet und somit auch gesellschaftspolitisch relevant wird.

Exemplarisch soll anhand verschiedener Gedenktafeln verdeutlicht werden, auf welch unterschiedliche Art und Weise das Gedenken an diese Menschen und ihre Lebensschicksale in eine für die Nachwelt nachvollziehbare Form gebracht wurde. Neben der offenkundigen Gestaltungsvielfalt verdeutlichen auch die Standorte der Gedenktafeln, dass in den meisten Fällen der Zugang für jedermann einen Beitrag zur Positionierung des Faches inmitten der Gesellschaft und nicht im „Elfenbeinturm der Wissenschaft“ darstellt. So werden Gedenktafeln zu Mosaiksteinen eines bunten Kaleidoskops, das die facettenreiche Geschichte der Dermatologie und Venerologie widerspiegelt und auch nach außen hin verkörpert.


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Gottfried Benn als Arzt

C. Bendick

Gottfried Benn (*2. Mai 1886 in Mansfeld, Brandenburg; 7. Juli 1956 in Berlin) war der wohl bedeutendste expressionistische Lyriker und Essayist deutscher Sprache. Sein praktisches Wirken als Arzt in den Jahren 1910 bis 1953 tritt demgegenüber weitgehend in den Hintergrund. Benn studiert von 1905 bis 1911 an der Kaiser-Wilhelms-Akademie für das militärärztliche Bildungswesen in Berlin, er promoviert 1912 mit der Untersuchung „Über die Häufigkeit von Diabetes mellitus im Heer“. Nach kurzer Tätigkeit an der Charité ist er ab Mitte 1912 Arzt beim Pionierbataillon in Spandau und ab Oktober 1912 Assistenz-Pathologe in der „Westend-Klinik am Spandauer Damm“. Ende 1913 wird er Leiter der Pathologie des Gynäkologischen Krankenhauses Charlottenburg. 1914 reist Benn als Schiffsarzt in die USA und vertritt danach für kurze Zeit den Chefarzt einer Lungenheilstätte im Fichtelgebirge. Zu Beginn des Ersten Weltkrieges arbeitet er an der Westfront in Feldlazaretten, später wird er im besetzten Belgien in der Etappe in einem Krankenhaus für Geschlechtskranke eingesetzt.

Im Anschluss an die frühzeitige Demobilisierung 1917 ist Benn für einige Wochen unter Edmund Lesser an der Charité als Assistenzarzt für Dermatologie tätig, um bereits im November 1917 seine eigene Praxis für Haut- und Geschlechtskrankheiten in Berlin zu eröffnen. 1935 gibt er die hautärztliche Tätigkeit auf und lässt sich militärisch reaktivieren: die von ihm so bezeichnete „aristokratische Form der Emigration“, welche er im Wesentlichen als Oberstabsarzt in der Wehrersatz-Inspektion Hannover verbringt. Kurz nach Kriegsende kehrt Benn nach Berlin zurück und nimmt seine Praxis unter schwierigsten Bedingungen wieder auf. Mitte 1953 schließlich stellt er seine Tätigkeit als Hautarzt ein.

Benn hat mitunter angedeutet, dass sein Beruf ihn innerlich kaum beschäftigt habe. Während manche Zeitgenossen dies bestätigen, schildern andere ihn als mitfühlend, hilfsbereit und finanziell großzügig. Unstrittig ist jedoch, dass Benns naturwissenschaftliche Ausbildung und sein ärztliches Wirken bedeutende Konsequenzen für sein künstlerisches Weltbild und seine literarische Produktivität gehabt haben.


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Syphilis – Sepsis – Semmelweis: Wer rettet den „Retter der Mütter“?

W. Wamser-Krasznai

Semmelweis verstarb 1865 in Wien an einer Sepsis; doch die Grundkrankheit, an der er seit einiger Zeit gelitten und die eine Wesensveränderung hervorgerufen hatte, muss nach allem, was wir heute wissen, eine Lues gewesen sein. Darüber wurde aus falsch verstandener Diskretion mehr als 100 Jahre geschwiegen. Von größerer Bedeutung allerdings war Semmelweis’ Schweigen in eigener Sache. Er hatte, indem er bekanntlich vor der Untersuchung seiner Patientinnen die Hände mit Chlorkalk wusch, die Zahl der tödlichen Kindbettfieber-Infektionen von 18,2 % auf unter 1 % senken können. Leider publiziert er diese glänzenden Ergebnisse nicht bzw. viel zu spät, und er setzt sich den Anfeindungen der Fachkollegen aus. Erst zwei Jahrzehnte nach seinem Tod erscheinen die ersten sachlichen Darstellungen der epochemachenden Leistung. Ein Semmelweis-Kult beginnt. Man errichtet Standbilder, benennt Straßen nach ihm und gibt der Medizinischen Universität und dem Medizinhistorischen Museum in Budapest seinen Namen. Wer jedoch die monumentale Grabstätte besuchen will, stößt heute wieder auf Unkenntnis. Der Prophet gilt eben nichts im eigenen Land!


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Conrad Heinrich Fuchs (1803 – 1855): Zwischen traditionellen Denkmodellen und moderner Dermatologie

A. Mettenleiter

Der Schönlein-Schüler Conrad Heinrich Fuchs (1803 – 1855) ist bekannt als Leiter der Polikliniken in Würzburg und Göttingen sowie als Autor eines internistischen Lehrbuches. Doch interessierte sich der gebürtige Bamberger bereits früh auch für die Dermatolovenerologie: 1829/30 hospitierte er an den Kliniken Jean Louis d’Aliberts und Laurent Bietts in Paris, habilitierte sich 1831 in Würzburg über die „Lepra der Araber“ und bot seit dem gleichen Jahr Vorlesungen über Hautkrankheiten an. Auch als Direktor der Univ.-Polikliniken in Würzburg (ab 1833) und Göttingen (ab 1838) widmete Fuchs diesem Fachgebiet besonderes Augenmerk, wie Statistiken und Fallberichte zeigen. Sein 1840/41 gedrucktes, dreibändiges Lehrbuch der Hautkrankheiten wurde 1843 von seinem Schüler Franz W. Nolte durch einen großformatigen, farbig illustrierten Atlas ergänzt, der später zusätzlich in niederländischer und englischer Sprache erschien. Die von Fuchs vorgeschlagene „Nosologie“ (Krankheitslehre) versucht, „die Krankheiten der Haut und ihrer Anhänge“ in „Dermatonosen“ (primäre Hautkrankheiten), „Dermapostasen“ (sekundär aufgrund von Dyskrasien) und „Dermexanthesen“ (sekundär durch andere Ursache) einzuteilen. Gemäß der zeitgenössischen Systematik werden diese Klassen stammbaumartig weiter in Ordnungen, Familien, Sippschaften, Gattungen und Varietäten untergliedert. Dabei bezieht Fuchs jedoch pragmatisch Erfahrungswissen und damals noch weit verbreitete humoralpathologische Vorstellungen in Ätiologie und Therapie mit ein.

In der durch ihn eingerichteten Pathologischen Schausammlung in Göttingen finden sich von Beginn an zahlreiche dermatologische Präparate. Als Vertreter der naturhistorischen Schule beschäftigte sich Fuchs zudem eingehend mit der Geschichte dermato-venerologischer Krankheiten, v. a. der Syphilis.


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Karl Zieler – Dermatologe auf Seiten der Nationalsozialisten

M. Lorenz

Karl Zieler (1874 – 1945) war einer der einflussreichsten Dermatologen zu Zeiten des Nationalsozialismus. Nach dem Studium in Marburg, Berlin und Halle sowie seiner Ausbildung in Bonn und Breslau leitete Zieler von 1909 bis 1939 die Hautklinik in Würzburg. Er war aktiv in der Lehre, hatte bedeutende Lehrbücher verfasst und in aktuellen Themen der Dermatologie Forschung betrieben [1]. Seine Schwerpunkte lagen auf dem Gebiet der Tuberkulose, der Syphilis und der Gonorrhoe.

Zieler war zunächst bis 1936 Mitglied in der Deutschnationalen Volkspartei, bevor er in die NSDAP eintrat. Er wurde 1933 zum Vorsitzenden der DDG gewählt. Dieses Amt behielt er bis zum Kriegsende bei. In seiner Tätigkeit zeigte er offen seine nationalkonservative und antisemitische Grundhaltung, er beeinflusste wesentliche Personalentscheidungen und Kongressteilnahmen mit. Zieler war damit wesentlich am Niedergang der Dermatologie in der Zeit des Nationalsozialismus beteiligt [2].

Karl Zieler beging im März 1945 gemeinsam mit seiner Lebensgefährtin Selbstmord.

Literatur

1 Scholz A, Holubar K, Burg G, Hrsg. Geschichte der deutschsprachigen Dermatologie. Freiburg: Wiley-VCH; 2009: 96 – 137

2 Elsner P, Zwiener U, Hrsg. Medizin im Nationalsozialismus am Beispiel der Dermatologie. Erlangen: Collegium Europaeum Jenense, Palm & Enke; 2002: 53 – 66


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The Immigration of Physicians from Germany to Palestine (Israel) During the Period 1933 – 1935: A Dramatic Effect on The Medical Level in Israel

A. Ingber

Introduction

At the end of 1932 although Jews accounted for only 0.8 percent of the residents in Germany, at least 16 % of German physicians were Jewish.

On 30. January 1933 Hitler became Chancellor. In the first days of Hitler’s dictatorship even before any anti-Jewish legislations had been announced, the SA (“Storm Troopers”) went into hospitals and arrested Jewish physicians at work. They enjoyed to humiliate respected citizens, especially intellectuals, Jewish or communists. As a part of this action they removed physicians from their positions. Even leading persons of the medical community in Germany were removed brutally from their positions. Some of the arrested physicians were tortured and some of them were beaten to death. As the result of these events Jewish physicians started to emigrate from Germany. Most of them emigrated to USA and a part of them to Palestine (Israel). Between the years 1933 – 1935 about 31.000 Jews left Germany, among them many physicians. 895 physicians have immigrated to Israel. The addition of many doctors in Israel has led to a dramatic increase in the number of doctors in Israel (at the end of 1932 the ratio of physicians/inhabitants was 1:382 and at the end of 1935 the ratio of physicians/inhabitants increased to 1:174). Among the immigrants were prominent medical figures, chairmen of leading departments in Germany. This had a dramatic impact on the quality of medicine in Israel. In three specialities the appearance of these physicians caused a revolution: In surgery, radiology and psychiatry.


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The Surgery Revolution under the Leadership of Prof. Max Markus

He was born in 1892 in Rees am Niederrhein and died in Tel-Aviv in 1983. On 1932 he was appointed as the Director of Department of Surgery in Moabit Hospital in Berlin. At that time he was the youngest department director in Berlin. Professor Ferdinand Sauerbruch, the leading surgeon of the time said that Professor Max Markus is the: “Hoffnung der deutschen Chirurgie! ”

In 1933 he was removed from his position and in 1934 he immigrated to Israel. Shortly after he was appointed as the Director of the department of Surgery at Hadassah Hospital in Jerusalem.

1920 – 1933 there were only minor surgeries in Israel, since sophisticated equipment and surgical skill was not available. Those patients who needed a more complex surgery were forced to go to one of the European medical centers which resulted in a loss of time and large financial expenditures.

After overcoming the lack of instruments (he and his colleagues bought some of the instruments from their own pockets) German surgeon immigrants began to make major surgery in European standard. Within a few years Israel has become the largest and best surgery center in the Middle East!


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The Radiology Revolution under the Leadership of Prof. Ludwig Halberstädter

He was born in 1876 in Beuthen and died in1949 in New York.

In 1932 he was appointed as the Director of the Radiation Department at the Institut für Krebsforschung (Institute for Cancer Research), Berlin-Dahlem.

In the years 1920 – 1933, Berlin was the center of radiological, medical and scientific research and treatment of malignant diseases and patients from all over Germany and Europe came to Berlin for radiation therapy.

1933: He immigrated from Nazi Germany to Israel, shortly after he became Director of Radiation Therapy at Hadassah Hospital in Jerusalem.

German Jewish radiologists brought down both the professional expertise and the equipment and instrumentation required for X-ray diagnosis and treatment. Within 4 years (1933 – 1936): 4 new X-ray modern centers opened.

In 1933: Prof. Ludwig Halberstädter opened the first Radium Therapy Clinic for cancer in Hadassah, which quickly became the leading cancer clinic in the Middle East.


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The Psychiatry Revolution under the Leadership of Prof. Max Eitingon

He was born in 1881 at Belarus. He died in 1943 in Jerusalem.

In 1920 to 1933 he was Cofounder and President of the Berlin Psychoanalytic Polyclinic, and President of the International Psychoanalytic Association.

In 1934 he immigrated to Israel and founded the “Palestine Psychoanalytic Association” in Jerusalem. Up to 1933 people with mental illnesses were hospitalized in philanthropic institutes and the purpose of the admission was for their isolation from society and not therapy. The opening of a neuropsychiatric clinic at Hadassah Hospital in Jerusalem in 1933 – 1934 and a psychiatric clinic in Tel Aviv caused revolution in mental illness therapy in Israel. This was the first time that mentally ill patients got real therapy.

Finally, in the years 1933 – 1935 about 13 % of German dermatologists immigrated to Israel. Why the immigration of German dermatologists to Israel didn’t have an impact on dermatology in Israel?

The answer is that in contrast to other specialties, the level of dermatology in Israel was already high. The reason for that was the immigration of prominent dermatologists from Russian Empire to Israel in the 20th of the last century. They immigrated following the riots in Russian Empire after the revolution and the crisis in Europe’s economy. The Jews were target for attacks of the mob and many were killed and many others lost their homes. Most of these dermatologists, who are the founding fathers of dermatology in Israel, were trained in German speaking universities and departments of dermatology.

References

1 Weyers W. Death of Medicine in Nazi Germany: Dermatology and Dermatopathology under the Swastika. New York: Madison Books; 1998

2 Niederlande D. Migration patterns of Jews from Germany 1933 – 1938 (in Hebrew). Katedra (Journal of the History of the Land of Israel) No. 30, December 1983, pp. 111 – 160


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Korrespondenzadresse

Dr. med. Martin Lorenz
Dermatologische Gemeinschaftspraxis am Stadtpark
Steinmetzstr. 3
67655 Kaiserslautern