Einleitung
Die Vorgehensweise ist bei Heimtieren grundsätzlich analog zu der bei Hund und Katze.
Durch Infiltration oder Leitungsblock wird die Schmerzübermittlung an höhere Zentren
unterbrochen, wodurch die zentrale Schmerzrezeption und das Schmerzgedächtnis verhindert
werden. Einschränkungen erfährt die Verwendung der Lokalanästhesie bei kleinen Heimtieren
durch technische Probleme bei der Applikation und durch die bei geringen Körpergewichten
relativ geringe therapeutische Dosis.
Merke
Zur Vermeidung von Nebenwirkungen muss die intravasale Injektion sicher ausgeschlossen
werden und die toxische Dosis (2 mg/kg KGW bei Bupivacain und 5 mg/kg KGW bei Lidocain)
darf nicht erreicht werden.
Fehlende Treffergenauigkeit bei der Applikation kann bei kleinen Heimtieren leider
nicht wie beim Großtier durch Verwendung großer Injektionsvolumina ausgeglichen werden.
Das Risiko der intravasalen Injektion besteht bei jeder Leitungsanästhesie, weil periphere Nerven, zumal in Knochenkanälen
des Schädels, stets von Gefäßen begleitet werden.
Die Anforderung an die Injektionstechnik ist also die Verwendung einer möglichst dünnen (atraumatischen) Nadel, Begrenzung
des Injektionsvolumens und möglichst Aspiration nach Platzierung der Nadel.
Arzneimittelrechtlich ist kein Lokalanästhetikum für kleine Heimtiere (minor species)
zugelassen. Es muss deshalb stets eine Umwidmung von Veterinärpräparaten (3. Stufe der Kaskade) oder Humanpräparaten (4. Stufe) vorgenommen
werden. Von der Verwendung von Präparaten mit Sperrkörper (Adrenalin) wird abgeraten.
Diese haben zwar den Vorteil einer verlängerten Wirkdauer und reduzierter Gewebsblutung,
bei irrtümlicher intravasaler Verschleppung sind jedoch kardiale Nebenwirkungen (Arrhythmien)
zu befürchten. Das am häufigsten verwendete Lokalanästhetikum ist Lidocain (Wirkungsdauer 60 – 120 Min.). Es eignet sich zur Infiltration und Nervenblockade.
Gleichfalls geeignet ist Bupivacain aus der Humanmedizin (Wirkungsdauer 180 – 360 Min.).
Lidocain
Kalkulation der maximal anwendbaren Dosis zur Vermeidung toxischer Effekte:
Zum Vergleich:
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LD50 Kaninchen i. v.: 26 – 40 mg/kg
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LD50 Kaninchen s. c.: 200 – 460 mg/kg
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LD100 Kaninchen i. v.: 59,3 mg/kg (aus diverser Literatur)
Injektionstechnik
Die Verwendung klassischer Injektionskanülen und Einmalspritzen erweist sich wegen
des großen Totraums und des unkontrollierbaren Injektionsdrucks bei kleinen Heimtieren
als problematisch. Die Applikation erfolgt entweder sehr vorsichtig mit einer Tuberkulinspritze und dünner Kanüle ([Abb. 1]), z. B. 23 G 0,6 × 16 mm, in der man nicht mehr als die maximal geplante Injektionsmenge
aufzieht. Besonders wichtig sind der feste Sitz der Kanüle auf dem Konus und das vorherige Ausdrücken von Luftbläschen.
Abb. 1 Unten im Bild eine Tuberkulinspritze mit Spardorn und blauer Kanüle (Durchmesser
0,6 mm). Darüber eine zahnärztliche Repetierspritze mit aufgesetzter Dentalnadel (Durchmesser
0,3 mm). Daneben eine Wechselampulle mit Lokalanästhetikum und eine lange Dentalnadel.
Beachte die Doppelnadel der Dentalkanüle, die sich beim Einschrauben durch die Gummimembran
der Ampulle sticht.(© Stefan Gabriel)
Merke
Vor der mit nur leichtem Druck auszuführenden Injektion prüfe man immer durch Aspiration,
ob die Kanüle nicht irrtümlich intravasal liegt.
Eine praktische Alternative sind spezielle Zahnarztspritzen (zahnärztliche Zylinderampullen-Spritze) oder eine spezielle automatische Dosierspritze (z. B. Paroject® oder Nachbauten mit speziellen extrem dünnen Dentalnadeln). Diese geben als Repetierspritze
([Abb. 1]) bei jedem Klick des Hebelmechanismus eine definierte Menge Lokalanästhetikum unter
hohem Druck, aber mit sehr kleinem Volumen (0,06 ml) ab. Die Nadeln sind so dünn (30 Gauge, 0,3 mm Durchmesser), dass sie in den Parodontalspalt eingeführt
werden können (sog. intraligamentäre Injektion) oder auch den Knochen und die feste
Gingiva penetrieren können zur lokalen Infiltration.
Zahnärztliche Repetierspritzen sind sehr handlich und zur parodontalen Infiltration
wie zur Nervenblockade hervorragend geeignet. Der Autor benutzt sie in seiner Praxis
ausschließlich auch zur Leitungsanästhesie am Kopf. Die unbeabsichtigte Applikation einer zu großen Dosis ist damit praktisch
unmöglich. Angebrochene Zylinderampullen können weiter verwendet und die Einmalnadeln
jederzeit ausgewechselt werden.
Lokalanästhesien am Kopf:
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Lokalanästhesie
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Oberflächenanästhesie, z. B. Kornea, Konjunktiva, Kehlkopf
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lokale Infiltration
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intraligamentäre Infiltration
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Leitungsanästhesie
Die sensiblen Nerven des Kopfes sind Äste des N. trigeminus, die im Oberkiefer als
N. maxillaris/N. infraorbitalis und im Unterkiefer als N. mandibularis/N. mentalis in ihrem Verlauf hoch oder tief geblockt werden können ([Abb. 2]). Der Verlauf der Kopfnerven ist grundsätzlich tierartübergreifend ähnlich, allerdings
bestehen durch die engen räumlichen Verhältnisse und die unterschiedliche Lage der
Zahnwurzeln erhebliche speziesspezifische Besonderheiten, die dargestellt werden. Durch eine hohe Blockade, sog. kaudaler Block, können ganze
Kieferquadranten ausgeschaltet werden. In der Praxis spielen jedoch lediglich die
distalen Blockaden, nämlich der rostrale Mandibularblock und der Block des N. infraorbitalis eine Rolle. Der kaudale Mandibularblock durch Ausschalten des N. mandibularis vor
seinem Eintritt in den Mandibularkanal medial am Foramen mandibulare ist grundsätzlich
auch möglich. Er ist allerdings technisch schwierig zu setzen und hat den Nachteil,
dass eine stundenlange Zungenlähmung eintreten kann, unter der sich die Patienten
fatale Verletzungen der Zunge zuziehen oder sich verschlucken können.
Abb. 2 Schematischer Verlauf der relevanten Kopfnerven am Kaninchenschädel mit den Austrittsöffnungen.
Das punktiert gezeichnete Foramen mandibulare liegt medial im Unterkiefer, die gestrichelten
Bahnen verlaufen im Kieferkanal.(© Stefan Gabriel)
Oberkiefer
Der N. infraorbitalis kann direkt an seinem Austritt am Foramen infraorbitale blockiert werden. Beim Kaninchen
([Abb. 3]) ist das Foramen gut palpierbar und liegt auf der Maxilla rostral des Arcus zygomaticus.
Wenn man es horizontal über den seitlichen Nasenrücken ansticht, muss man darauf achten,
tangential der Maxilla zu bleiben und nicht irrtümlich durch den trabekulären Knochen in die Nasenhöhle
zu gelangen. Der N. infraorbitalis innerviert die Prämolaren, die Inzisiven, die Oberlippe und den vorderen Gaumen.
Abb. 3 Rostraler Block des N. infraorbitalis am Austritt aus dem Foramen infraorbitale.
Demonstration der Injektionsrichtung am Kaninchenschädel: Subkutanes Vorschieben der
Nadel tangential zur seitlichen Nasenwand.(© Stefan Gabriel)
Bei den Caviomorphen (Meerschweinchen, [Abb. 4], Chinchilla) ist das große Foramen infraorbitale durch die infraorbitale Portion
des mächtigen M. masseter bedeckt. Der Nervenverlauf in einer Rinne auf dem Boden
der weiten Fossa infraorbitalis kann nur blind durch eine von rostral auf dem Periost
tangential vorgeschobene Kanüle aufgesucht werden. Durch weiteres Vorschieben der
Nadel können auch der Prämolar und der erste Molar anästhesiert werden.
Abb. 4 Rostraler Block des N. infraorbitalis in der infraorbitalen Rinne beim Meerschwein.
a Die weite Öffnung des Foramen infraorbitale beim Meerschwein ist von der rostralen
Portion des M. masseter bedeckt. Der N. infraorbitalis verläuft in einer Rinne am
Boden des Kanals. b 3D-Rekonstruktion, hochauflösendes Mikro-CT eines Meerschweinchenschädels. Beachte
den Verlauf der infraorbitalen Rinne ventral der Wurzelregion des Prämolaren im Oberkiefer.(©
Stefan Gabriel)
Unterkiefer
Der rostrale Mandibularblock durch Blockade des N. mentalis am Foramen mentale ist technisch einfach zu applizieren
([Abb. 5] und [6]). Er wird zur Schmerzausschaltung an den Unterlippen und den Inzisiven verwendet. Dazu wird das Foramen mentale aufgesucht und die austretenden Nn. mentales
mit einem periostnahen Depot blockiert. Es kann mit einer dünnen Nadel auch direkt
angestochen werden. Damit ist eine teilweise retrograde Injektion in den Mandibularkanal
zur Anästhesie der Prämolaren und Inzisivenwurzeln möglich. Die Invisivenwurzel liegt
bei Nagern allerdings so weit distal auf Höhe der Molaren, dass eine reine Leitungsanästhesie
am Foramen mentale nicht den gesamten Inzisivus blocken kann. Hier ist die intraligamentäre Technik vermutlich effektiver ([Abb. 7]).
Abb. 5 Der rostrale Mandibularblock durch Blockade der Nn. mentales am Foramen mentale beim
Kaninchen.(© Stefan Gabriel)
Abb. 6 Der rostrale Mandibularblock durch Blockade des N. mentalis am Foramen mentale beim
Meerschwein. Beachte, dass die Innervation der Inzisivi nicht erreicht werden kann,
weil die Inzisivenwurzeln auf Höhe der 2. Molaren liegen (Pfeil).(© Stefan Gabriel)
Abb. 7 Intraligamentäre Injektion in den Alveolarspalt des großen Inzisivus beim Kaninchen.
Beachte, dass sich die dünne Dentalkanüle bis in die knöcherne Alveole vorschieben
lässt. Die Nn. mentales sind von dieser Position aus durch subkutanes Vorschieben
nach lateral erreichbar.(© Stefan Gabriel)