Laryngorhinootologie 2018; 97(07): 490-492
DOI: 10.1055/s-0044-100517
Der interessante Fall
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Hörsturz mit Surditas, Schwindel und Tinnitus - eine 12-jährige Odyssee

Sudden hearing loss, vertigo and Tinnitus – a patient’s 12-year odyssey
Stefan K Plontke
,
Torsten Rahne
,
Sabrina Kösling
Further Information

Publication History

Publication Date:
07 February 2018 (online)

Eine 35-jährige Patientin wurde im Jahr 2015 mit der Überweisungsdiagnose „menièriformer Symptomkomplex und Taubheit“ und der Frage nach Möglichkeit einer Cochlea-Implantat-(CI)-Versorgung rechts in unserem universitären „Tertiärzentrum“ vorgestellt. Sie klagte über rezidivierende, starke Schwindelattacken mit „sausenden, fiependen“ Ohrgeräuschen während des Anfalls und einen einseitigen, vollständigen Hörverlust rechts. Anamnestisch erlitt die Patientin im Jahr 2004 zum ersten Mal eine akute Hörminderung auf diesem Ohr mit einem pantonalen Hörverlust von circa 60 dB und wurde wegen der Diagnose „Hörsturz“ nach erfolgloser, ambulanter Betahistin-Therapie mit einer intravenösen, rheologischen Therapie stationär am damaligen Heimatort behandelt. Der Befund der 2004 durchgeführten Magnetresonanztomographie (MRT) mit kontrastgestützter T1-gewichteter Dünnschichtung (2 mm) des Schläfenbeins mit der Überweisungsdiagnose „Hörsturz rechts, Ausschluss Akustikusneurinom, Ischämie“ lautete u. a.: „kein Tumoranhalt“. Nach Ausbleiben der Hörverbesserung wurde eine Empfehlung zur Hörgeräteversorgung ausgesprochen.

Seit dem Jahr 2010 litt die Patientin unter einem subjektiv vollständigen Hörverlust auf dem rechten Ohr und unter rezidivierenden Schwindelanfällen. Bei V. a. Morbus Menière wurde der Patientin alieno loco Betahistin (3 × 12 mg/d) verordnet. Für die mit der Überweisungsdiagnose „neu aufgetretener Schwindel“ durchgeführte native MRT des Schädels mit 6 mm Schichtdicke lautete der Befund u. a.: „Eine vordergründige Beschwerdeursache haben wir nicht belegt.“. Die Einnahme von Betahistin führte zu einer Verbesserung der Schwindelbeschwerden und zu einer Reduktion der Anfallshäufigkeit. Therapieauslassversuche und Dosisreduktion führten zur Zunahme der Schwindelbeschwerden. Ab 2012 war die Patientin aufgrund eines „schweren Morbus Menière“ regelmäßig arbeitsunfähig. Die mit der Überweisungsdiagnose „Schwindel unklarer Genese“ erneut durchgeführte kontrastgestützte MRT des Schädels (6 mm Schichten) ergab im schriftlichen Befund: „Normalbefund, ohne entzündliche, neoplastische Veränderungen“. Ab 2015 litt die Patientin zunehmend unter den Kommunikationsproblemen durch die einseitige Surditas und wünschte eine Cochlea-Implantat-Versorgung.

Die im Rahmen der CI-Voruntersuchung durchgeführte Ton- und Sprachaudiometrie zeigten eine Anakusis (nicht messbare Hörschwelle). Die Vestibularisdiagnostik (Video-Kopfimpulstest, Kalorische Prüfung und Vestibulär evozierte myogene Potentiale) zeigte einen vollständigen Ausfall des rechten Vestibularorgans. Die ebenfalls im Rahmen der CI-Voruntersuchung durchgeführte MRT des Schläfenbeines (T1-gewichtete Sequenzen mit 2 mm Schichtdicke) zeigte eine Kontrastmittel aufnehmende Raumforderung, welche die gesamte Cochlea, das gesamte Vestibulum und die Bogengangsampullen ausfüllte ([ Abb. 1a ]). Die Sichtung der angeforderten MRT-Voraufnahmen aus den Jahren 2004, 2010 und 2012 zeigte die Raumforderung bereits in der ersten Voruntersuchung ([ Abb. 1b ]–[ Abb. 1c‘ ]). Bei fehlender i. v. Kontrastmittelapplikation konnte sie in der MRT von 2010 nicht beurteilt werden. Krankengeschichte und MRT-Befunde (aktuell und retrospektiv) waren vereinbar mit einem intralabyrinthären Schwannom, beginnend in der Cochlea und sukzessiven Vorwachsen in das Gleichgewichtsorgan.

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Abb. 1 MRT-Untersuchungen (jeweils kontrastgestützte T1-gewichtete Sequenz; a, b, c, c′ axial; b′ koronar) im Rahmen der CI-Vorbereitung 2016 und retrospektiv von 2012 und 2004. 2016 und 2012 zeigte sich eine Kontrastmittel (KM) anreichernde Läsion in der Cochlea (Pfeile) und im Vestibulum (gepunktete Pfeile). Im Jahr des ersten „Hörsturzes“ ohne Schwindel (2004) waren die basale und Anteile der mittleren Schneckenwindung (Pfeile) betroffen. (Die MRT-Bilder von 2010 sind nicht gezeigt, da die Raumforderung mit dieser Technik (6 mm, nativ) weder nachweisbar noch ausschließbar war.)

Diagnose: intralabyrinthäres Schwannom mit Lokalisation in Cochlea, Vestibulum und partiell in den Bogengängen

Nach Erörterung der therapeutischen Optionen („Wait-and-test-and-scan“, Strahlentherapie und Operation mit oder ohne Cochlea-Implantation) entschied sich die Patientin für die chirurgische Tumorentfernung und die Cochlea-Implantation. Der Tumor wurde komplikationslos über eine transmastoidale Labyrinthektomie, kombiniert mit einer transmeatalen, subtotalen Cochleoektomie operationsmikroskopisch vollständig entfernt ([ Abb. 2a ]–[ Abb. 2d ]). Vom Modiolus mit den für die Hörrehabilitation mittels CI notwendigen Spiralganglienzellen konnte nur ein Stumpf erhalten werden ([ Abb. 2d ]). Nach Einlage eines präformierten (perimodiolaren) CI-Elektrodenträgers (Nucleus CI512, Cochlear Ltd., Sydney, Australien), ([ Abb. 2e ]), erfolgte die Defektrekonstruktion der Cochlea mit einem Knorpel-Perichondrium-Compound-Transplantat und Knochenmehl. Die Abdichtung des Labyrinthektomiedefektes erfolgte mit Knochenmehl und TachoSil® ([ Abb. 2f ]). Bemerkenswert war eine Arrosion der lateralen Cochleawand durch den Tumor. Die histologische Untersuchung bestätigte die Diagnose eines Schwannoms (benigne) mit einer proliferativen Aktivität (Ki-67) von bis zu 5 %. Histomorphologisch wurde die intraoperativ beobachtete Knochenarrosion als Druckarrosion bei Gewebeexpansion mit regressiven Gewebsveränderungen, wie sie bei einem langen Wachstumsintervall gesehen werden können, und nicht als Zeichen der Malignität oder der malignen Transformation gewertet.

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Abb. 2 Chirurgische Tumorentfernung über eine transmastoidale Labyrinthektomie kombiniert mit einer transmeatalen, subtotalen Cochleoektomie, Cochlea-Implantation und cochleärer Defektrekonstruktion. a Transmastoidaler Blick auf den Tumor (*) im eröffneten Vestibulum des rechten Ohres. b Transmeataler endoskopischer Blick in die Paukenhöhle. Der Tumor wächst aus dem Innenohr durch das runde Fenster in die Paukenhöhle (Pfeil). c Cochlea mit Tumor (*) nach Abtragen der mittleren und apikalen Schneckenwindung. d Cochlea-Rudiment nach operationsmikroskopisch vollständiger Tumorentfernung über eine subtotale Cochleoektomie. e Einlage des CI-Elektrodenträgers. f Abdichtung des cochleären Resektionsdefektes mit Knorpel-Perichondrium und Knochenmehl (Dreieck).
VII: Nervus fazialis; CP: Prozessus cochleariformis; ET: Tuba auditiva Eustachii; I: Incus; LPI: langer Ambossfortsatz, M: Modiolus-Stumpf; MH: Hammergriff; PCW: hintere Gehörgangswand; RW: (ehemaliges) rundes Fenster; TT: Musculus tensor tympani. b-d: Otoskop 3 mm, 0 Grad.

Seit der Operation leidet die Patientin nicht mehr unter Schwindelanfällen. Bereits sechs Wochen nach der Operation erreichte die Patientin trotz subtotaler Cochleoektomie ein Sprachverstehen von 80 % Zahlwörter und 10 % Einsilber (Freiburger Sprachtest in Ruhe bei 65 dB SPL mit Maskierung des Gegenohres). Drei Monate nach der CI-Programmierung betrug das Sprachverstehen mit CI 100 % (Zahlen) bzw. 55 % (Einsilber). Das Sprachverstehen im Störschall verbesserte sich mit dem CI von 2,4 auf 1,3 dB (Oldenburger Satztest, 50 %-SVS).

Intralabyrinthäre Schwannome sind langsam wachsende, gutartige Tumore des Innenohres und können in der Cochlea, im Vestibularorgan oder kombiniert auftreten. Sie können in das Mittelohr und/oder transmodiolär oder transmakulär in den inneren Gehörgang und weiter in den Kleinhirnbrückenwinkel vorwachsen. Sie äußeren sich initial nahezu immer mit einem Hörverlust unterschiedlichen Ausmaßes und unterschiedlicher Charakteristik oder mit einem „gemischten Schwindel-Bild“. Daher werden Sie häufig als „Hörsturz“, „Morbus Menière“ oder als „Schwindel unklarer Genese“ fehlgedeutet [1], [2], [3]. Aufgrund ungeeigneter MRT-Untersuchungen („MRT Schädel“ mit dicken Schichten, fehlende i. v. Kontrastierung) und fehlender Aufmerksamkeit gegenüber intralabyrinthären Läsionen werden sie häufig übersehen.

Bei der chirurgischen Entfernung müssen kritische Strukturen in unmittelbarer Nähe, wie der Nervus facialis und die Arteria carotis interna berücksichtigt werden. Bei subtiler Mikrodissektion von rein intracochleären Tumoren ist es prinzipiell auch möglich, die Bogengangsfunktion zu erhalten [4]. Je nach Patientenwunsch kann auch die Implantation eines Dummy-CI-Elektrodenträgers durchgeführt werden, um nach wiederholten MRT-Kontrollen eine zweizeitige Cochlea-Implantatation durchzuführen. Eine zweizeitige Operation scheint bezüglich der Hörrehabilitation prognostisch ungünstig [5]. Bei transmodiolären, Tumorlokalisationen bzw. fortschreitendem, insbesondere transmodiolärem Tumorwachstum in den inneren Gehörgang sind der Erhalt des Nervus cochlearis bei (vollständiger) Tumorresektion und damit eine Hörrehabilitation mittels CI nicht mehr möglich. In unserer Klinik wurden in den letzten Jahren von 25 diagnostizierten ILS bisher bei 17 Patienten der Tumor reseziert. In 13 Fällen erfolgte eine einzeitige CI-Versorgung.

Das bisherige Management von intralabyrinthären Schwannomen fokussierte sich auf ein beobachtendes Verhalten („Wait-and-test-and-scan“). Dies erscheint jedoch wegen der mit einem fortschreitenden Wachstum mit Ausbreitung in der gesamten Cochlea und transmodiolärem Wachstum in den inneren Gehörgang verbundenen Nachteile nur in bestimmten Fällen sinnvoll. Zur Strahlentherapie gibt es nach Kenntnis der Autoren keine publizierten Erfahrungen. Sie wird von den Autoren nur in Einzelfällen als sinnvoll erachtet (z. B. bei progredientem Wachstum in den inneren Gehörgang und Kleinhirnbrückenwinkel bei Patienten höheren Alters ohne Schwindelbeschwerden). Aufgrund der bisherigen, wenn auch begrenzten Erfahrungen mit guten audiologischen Ergebnissen nach einer Cochlea-Implantation im Rahmen der chirurgischen Resektion, hat sich damit eine viel versprechende Therapie-Alternative zur „Wait-and-test-and-scan“-Strategie herausgebildet [3], [5].

FAZIT

Für die Untersuchung unilateraler cochleo-vestibulärer Störungen mittels Schläfenbein-MRT sind dünne Schichten durch Kleinhirnbrückenwinkel und Innenohr sowie die Gabe von Kontrastmittel erforderlich. Die Gabe von Kontrastmittel verbessert die Diagnosestellung.

Bei der Sichtung der MRT-Aufnahmen sollte das Innenohr besonders beachtet und auch in der Anforderung an den (Neuro-)Radiologen durch den HNO-Arzt explizit abgefragt werden.

Mit der chirurgischen Resektion von intralabyrinthären Schwannomen und der Hörrehabilitation mittels CI hat sich eine viel versprechende Therapie-Alternative zur „Wait-and-test-and-scan“-Strategie herausgebildet.

Erratum

Der Name des Autors Stefan K. Plontke wurde falsch angegeben, der Artikel daher gemäß Erratum vom 04.05.2018 korrigiert.

 
  • Literatur

  • 1 Dubernard X, Somers T, Veros K. et al. Clinical presentation of intralabyrinthine schwannomas: a multicenter study of 110 cases. Otol Neurotol 2014; 35 (09) 1641-9
  • 2 Jerin C, Krause E, Ertl-Wagner B. et al. Klinische Eigenschaften von Delayed Endolymphatic Hydrops und intralabyrinthärem Schwannom - eine bildgebungsbasierte komparative Fallserie. HNO 2016; 64 (12) 911-916
  • 3 Plontke SK, Rahne T, Pfister M. et al. Intralabyrinthäre Schwannome Chirurgisches Management und Hörrehabilitation mit Cochleaimplantaten. HNO 2017; 65 (05) 419-433
  • 4 Plontke SK, Kösling S, Pazaitis N. et al. Intracochleäres Schwannom. Tumorentfernung über subtotale Cochleoektomie und partielle Rekonstruktion der cochleären Kapsel unter Erhalt der Bogengangsfunktion. HNO 2017; 65 (07) 610-616
  • 5 Aschendorff A, Arndt S, Laszig R. et al. Therapie und Hörrehabilitation intralabyrinthärer Schwannome mittels Cochlear Implant. HNO 2017; 65 (04) 321-327