Einleitung
Im Jahr 2010 wurden 405 Wirbelsäulenoperationen je 100 000 Einwohner in Deutschland
durchgeführt. Laut AOK-Krankenhausreport bedeutet dies eine Verdoppelung der operativen
Eingriffe seit 2005 [1]. In den Anfangszeiten der Wirbelsäulenchirurgie waren die Operateure mangels Alternativen
auf den Einsatz von prä- und intraoperativ gewonnenen fluoroskopischen Bildern und
eine fundierte Kenntnis der Anatomie angewiesen. Aufgrund der Zunahme an operativen
Eingriffen im Bereich der Wirbelsäule und einer gestiegenen Komplexität der durchgeführten
Prozeduren steht die Sicherheit und Notwendigkeit der Operation immer weiter im Fokus.
Mit dem Ziel einer höheren Genauigkeit der Schraubenplatzierung wurden daher intraoperative
vektorbasierte Navigationssysteme eingeführt und stetig weiterentwickelt [2].
Merke
Um die Genauigkeit der Schraubenplatzierung im Bereich der Wirbelsäule in immer komplexeren,
zunehmend minimalinvasiven Eingriffen zu erhöhren, wurden intraoperative vektorbasierte
Navigationssysteme eingeführt und stetig weiterentwickelt.
Die erste navigierte Verschraubung im Bereich der Wirbelsäule wurde 1995 von Nolte
et al. beschrieben. Die damals beschriebene CT-basierte Technik wurde schrittweise
immer weiterentwickelt. Shin et al. konnten in einem Review im Jahre 2012 aus allen
Abschnitten der Wirbelsäule 8539 implantierte Pedikelschrauben auswerten. In diesem
Vergleich von 4814 navigierten und 3725 konventionell eingebrachten Pedikelschrauben
zeigte sich eine signifikant niedrigere Fehllagerate von 6% bei den navigierten im
Vergleich zu 15% bei den konventionellen Schrauben [3]. Zusätzlich konnte in verschiedenen Studien gezeigt werden, dass navigiertes Einbringen
von Pedikelschrauben mit einer Verminderung der intraoperativen notwendigen Strahlung
einhergeht [4], [5].
Arten der Navigation
Mithilfe der Navigation lassen sich Instrumente, anatomische Details und Objekte in
einem Bilddatensatz darstellen. Dieser kann aus einzelnen Bildern (2-D) oder einem
CT-ähnlichen 3-D-Datensatz bestehen. Durch die fortwährende Weiterentwicklung stehen
mittlerweile unterschiedliche Navigationsverfahren, die sich vor allem in der Akquisition
des Bilddatensatzes unterscheiden, zur Verfügung. Prinzipiell wird ein prä- oder intraoperativ
erstellter Bilddatensatz generiert, der dann zur Referenzierung benutzt wird. Im Operationsbereich
wird nun eine Referenzsonde angebracht, die durch ein Kamerasystem erkannt wird und
mit dem Bilddatensatz referenziert wird ([Abb. 1]).
Merke
Ein generierter Bilddatensatz wird über die Navigationssoftware mit einer Referenz
am Operationssitus abgeglichen und ermöglicht im 2. Schritt eine Referenzierung von
Instrumenten und deren „Livedarstellung“ in verschiedenen Ebenen.
Dies ermöglicht im 2. Schritt eine Referenzierung von Instrumenten und deren „Livedarstellung“
im Bilddatensatz in Bezug zum zu navigierenden Objekt. Es lassen sich zusammenfassend
3 Arten der Navigation im Bereich der Wirbelsäule unterscheiden.
Abb. 1 Beispielhafte schematische Darstellung einer navigierten Operation (links), navigierter
Wirbelsäuleneingriff (rechts); 1. Monitor des Bildwandlers, 2. 3-D-C-Arm, 3. Kamerasystem
der Navigation, 4. Referenz am Patienten, 5. Steuerungsbildschirm der Navigation.
CT-basierte Navigation
Bei dieser ältesten klinisch eingesetzten Form der Navigation wird der Bilddatensatz
durch die präoperativ durchgeführte CT-Diagnostik gewonnen. Dieser Datensatz wird
an die Navigation übertragen und durch Bestimmung markanter anatomischer Landmarken
referenziert. Der Abgleich der in Rückenlage durchgeführten CT-Diagnostik mit dem
während der Operation in Bauchlage gelagerten Patienten muss manuell für jeden Wirbelkörper
durchgeführt werden.
Merke
Bei der CT-Navigation wird ein präoperativ erzeugter Bilddatensatz für die Navigation
genutzt, der eines intraoperativen genauen Abgleichs bedarf.
Dieser Vorgang zeigt zu Beginn eine flache Lernkurve und kann dadurch mit einer verlängerten
OP-Zeit einhergehen [6]. Zur Verringerung der mit dieser Umlagerung einhergehenden Ungenauigkeit wird die
präoperative CT teilweise in Bauchlage auf derselben Kissenlagerung wie im OP durchgeführt.
Dennoch kann in dieser Technik kein „Livebild“ für die Navigation genutzt werden,
was die etwas höheren Fehllageraten im Vergleich zur Navigation mit einem intraoperativ
durch einen 3-D-C-Bogen generierten Bilddatensatz erklären könnte [7], [8].
2-D-Navigation
Bei dieser Weiterentwicklung der Stereotaxie wird der Bilddatensatz intraoperativ
generiert [9]. Dafür werden Röntgenbilder in 2 Ebenen aufgenommen, während eine Referenz von einem
Kamerasystem erfasst wird. Zusätzlich ist eine Referenz am C-Arm angebracht, wodurch
Positionsbestimmungen für beide Referenzen im Raum durch das Navigationssystem möglich
sind. Mit referenzierten OP-Instrumenten kann nun im 2-D-Bilddatensatz ein computerassistiertes
Einbringen einer Pedikelahle oder eines Kirschner-Drahtes erfolgen ([Abb. 2]). Diese Technik zeigte gegenüber der Freihandtechnik reduzierte Fehllageraten [8], [10]. Durch den schnellen technischen Fortschritt im Bereich der intraoperativen Bildgebung
und Etablierung von 3-D-C-Bögen wurde diese Art der Navigation im Laufe der Jahre
um 3-D-Bilder erweitert.
Abb. 2 Zunächst erfolgt die Planung der Schraube in beiden Ebenen (links), bevor eine navigierte
Bohrhülse oder Pedikelahle zur Platzierung des Drahtes genutzt wird (rechts). Sichtbare
Referenz am Dornfortsatz.
3-D-Navigation
Bei der 3-D-Navigation wird der Bilddatensatz unmittelbar präoperativ nach der Lagerung
des Patienten und ggf. Reposition der Fraktur durch einen 3-D-C-Bogen generiert und
anschließend automatisch an das Navigationssystem übertragen. Die verwendeten 3-D-C-Bögen
ermöglichen neben fluoroskopischen Bildern durch ihre Motorisierung eine Orbitalbewegung
zur Erfassung isozentrischer Bilder, die zur Rekonstruktion eines CT-artigen 3-D-Datensatzes
genutzt werden können. Nach automatischer Referenzierung kann dadurch im Vergleich
zur CT-basierten Navigation eine Aktualität der Bilder garantiert werden. Wie bei
der 2-D-Navigation erfasst eine Kamera einen Markerring am 3-D-C-Bogen und eine Referenz,
die am Situs befestigt wurde ([Abb. 1]). Der 3-D-C-Bogen kann nun aus dem Operationsgebiet entfernt werden.
Merke
Die 3-D-Navigation zeigt im Vergleich mit den anderen Verfahren die niedrigsten Fehllageraten
bei der Schraubenplatzierung.
In mehreren Metaanalysen konnte ein deutlicher Vorteil für die navigierte Pedikelschraubenplatzierung
gezeigt werden [3], [7]. Eine 2017 durchgeführte Metaanalyse von Du et al. zeigte dabei die höchste Präzision
für die 3-D-Navigation im Vergleich zu 2-D- und CT-basierter Navigation [8].
Eine Weiterentwicklung der 3-D-Navigation stellt die Nutzung eines Hybrid-Operationssaals
(Hybrid-OP) dar. In dieser innovativen Form der intraoperativen Bildgebung ist ein
roboterassistierter 3-D-Flachbild-C-Arm (Artis Zeego, Siemens; Deutschland) digital
mit dem OP-Tisch und dem Navigationssystem verbunden ([Abb. 3]). Der generierte Bilddatensatz zeigt eine erhöhte Qualität im Vergleich zu mobilen
3-D-C-Bögen und wird direkt an die Navigation übertragen. Der roboterassistierte C-Arm
wird direkt vom Operateur über ein steriles Bedienfeld gesteuert ([Abb. 4]).
Abb. 3 Hybrid-OP mit Artis Zeego im Anfahren auf eine Position für den sagittalen Strahlengang.
Abb. 4 Bedienfeld für Artis Zeego und OP-Tisch (links) und mit steriler Abdeckung (rechts).
Eine mobile Form der Cone-Beam-CT stellen die O-Arm-Bildwandler dar. Sie lassen sich
ähnlich eines normalen C-Bogens einfach bewegen und umschließen den Patienten erst
komplett, nachdem die zu untersuchende Region eingestellt wurde. Anschließend wird
ähnlich zu einem roboterassistierten 3-D-Flachbild-C-Arm ein 3-D-Scan durchgeführt
und an die Navigation übertragen. Im Vergleich zu den intraoperativen CTs sind neben
den 3-D-Scans auch fluoroskopische Kontrollen möglich.
Merke
Eine Weiterentwicklung der klassischen 3-D-Navigation und Bildgebung mittels 3-D-Bildwandler
stellen der Einsatz eines Hybrid-OP mit roboterassistiertem 3-D-Flachbild-C-Arm und
die mobilen O-Arm-Bildwandler da.
Intraoperative mobile CT-Navigation
Die intraoperative mobile CT-Navigation vereint die Vorteile der CT-basierten Technik
mit der 3-D-Navigation. Mittels eines elektrischen Antriebes kann der mobile CT-Scanner
mit einem gekoppelten OP-Tisch in jedem bestehenden OP-Saal genutzt werden. Der intraoperativ
nach Lagerung und Reposition generierte Datensatz wird dann an die Navigation übertragen
([Abb. 5]). Das Personal kann während des CT-Scans den Operationssaal verlassen, um eine erhöhte
Strahlenbelastung für das Personal zu vermeiden. Zur Durchführung des CT-Scans wird
jedoch ein radiologisch-technischer Assistent benötigt [11].
Merke
Die intraoperative CT-Navigation verwendet im Vergleich zur Nutzung eines präoperativen
CT-Datensatzes aktuelles Bildmaterial nach Lagerung und Reposition im OP. Zusätzlich
ist keine langwierige Referenzierung des Datensatzes notwendig.
Zusätzlich müssen intraoperativ gewünschte fluoroskopische Kontrollen mit einem zusätzlichen
Bildwandler durchgeführt werden. Die Autoren dieser Technik nutzen allerdings ausschließlich
CT-Scans zur Kontrolle der Schraubenlage [11]. In einer vergleichenden Studie zeigten die intraoperative CT-Navigation und 3-D-Navigation
vergleichbare Fehllageraten. Mit dem intraoperativen CT-Scan konnte jedoch eine verbesserte
Darstellung der eingebrachten Schrauben erreicht werden [11], [12].
Ausblick
Im Bereich der Halswirbelsäule werden seit mehreren Jahren individualisierte Bohrhülsen
verwendet, die nach CT-Scan exakt der Anatomie des Patienten und der geplanten Schraubentrajektorie
angepasst werden. Da auch der Wirbelkörper anhand der CT-Daten exakt modelliert werden
kann, ist ein Test des Bohr-Templates präoperativ möglich. Nach anschließender Sterilisierung
und Freilegung des Wirbelkörpers wird das Template genutzt, um die Schrauben exakt
entlang der geplanten Trajektorie einzubringen. In der Literatur werden niedrige Fehllageraten
von 2,1% [13] für die obere Halswirbelsäule und 2,5% [14] für die untere HWS berichtet. Dieses Verfahren erhält durch die Möglichkeit des
schnellen 3-D-Drucks der Wirbelsäulenmodelle und Templates erneuten Aufschwung. Trotz
der geringen Strahlenbelastung und der niedrigen Fehlraten bleibt der Aufwand der
Planung der Schrauben und die Produktion der Templates ein stark limitierender Faktor
dieser Methode.
Ein weiteres neues Verfahren stellt die roboterassistierte Navigation dar. Dafür wird
ein durch 3-D-Scan akquirierter Bilddatensatz an ein Navigationssystem übertragen.
Anschließend fährt ein mobiler Roboterarm eine Bohrhülse exakt in die geplante Schraubentrajektorie.
Anschließend wird analog zur 3-D-Navigation ein Kirschner-Draht exakt entlang der
geplanten Schraubenlage eingebracht und anschließend fluoroskopisch oder mittels 3-D-Scan
überprüft. Dieses Verfahren steckt jedoch noch in seiner Anfangsphase und bedarf weiterer
Entwicklung und Testung. Erste Fallberichte zeigten jedoch vielversprechende Ergebnisse
[15], [16].
Strahlenbelastung
Mit der zunehmenden Anwendung von fortschrittlichen bildgebenden Verfahren im OP steigt
auch die Sorge um die Strahlenbelastung für das OP-Personal. In mehreren Studien konnte
jedoch nachgewiesen werden, dass navigierte im Vergleich zu konventionellen Operationen
im Bereich der Wirbelsäule mit einer niedrigeren Strahlenbelastung einhergehen [4], [5], [17].
Merke
Die Nutzung der Navigation kann die Strahlenbelastung während Eingriffen an der Wirbelsäule
für den Patienten und das OP-Personal verringern.
Die Hauptstrahlenbelastung bei 3-D-navigierten Eingriffen wird durch den 3-D-Scan
erzeugt. Stammt der Bilddatensatz aus einem präoperativen CT, wird das OP-Personal
keinerlei zusätzlicher Strahlung ausgesetzt. Bei intraoperativen 3-D-Scans sollte
das OP-Personal den OP-Saal verlassen, um die Strahlenbelastung gering zu halten.
Material und Methoden
Wir führten eine umfassende Analyse aktueller Studien aus der PubMed-Datenbank durch.
Die verwendeten Schlüsselwörter waren „cervical“, „navigation“, „screw placements“
und „complications“. Bei allen identifizierten deutschen und englischen Artikeln wurden
die Referenzen nach weiteren themenrelevanten Artikeln durchsucht. Insgesamt wurden
11 aktuelle repräsentative Studien für die obere Halswirbelsäule ausgewählt. Bei der
unteren Halswirbelsäule erfolgte eine Beschränkung auf 7 Artikel mit großen Fallzahlen.
Teil 1 – obere Halswirbelsäule
Der obere Teil der Halswirbelsäule setzt sich aus knöchernen, ligamentären und neurovaskulären
Strukturen zusammen. Diese erstrecken sich von der Schädelbasis bis zum Halswirbelkörper
II (C II) und beinhalten die kraniozervikale Verbindung sowie die Gelenke zwischen
Atlas und Axis. Aufgrund der eng benachbarten neurovaskulären Strukturen besteht bei
Verletzungen der oberen Halswirbelsäule z. B. bei kraniozervikalen Luxationen eine
hohe Mortalität. Die Verletzungsanfälligkeit entsteht durch den großen Hebelarm und
die Trägheit der Schädelmassen im Vergleich zur relativen Bewegungsfreiheit der unteren
Halswirbelsäule. Die Funktionseinheit von C I und C II wird eher durch ligamentäre
Strukturen als durch knöcherne Stabilität aufrechterhalten und ist dadurch besonders
verletzungsanfällig. Typische Verletzungen der oberen Halswirbelsäule umfassen okzipitale
Kondylenfrakturen, kraniozervikale Dissoziationen, C I/C II-Instabilitäten, Dens-
und Atlasfrakturen.
Bei konventioneller Versorgung und posteriorem Zugang kommt es zu großen Weichteilschäden
durch die großflächige Ablösung der Muskulatur. Postoperativ kann es daher zu persistierenden
Nackenschmerzen und Verspannungen kommen. Durch die komplexe Anatomie und die nahe
liegenden neurovaskulären Strukturen bergen der minimalinvasive (MIS) und posteriore
Zugang das Risiko der iatrogenen Verletzung dieser Strukturen. Geringerer Blutverlust,
weniger postoperative Schmerzen, kürzere postoperative Behandlungsdauer und geringere
emotionale Belastung konnten für die MIS nachgewiesen werden [18], [19]. Gleichzeitig fehlen dem Chirurgen bei MIS typische Landmarken an der Halswirbelsäule
zur Orientierung, was eine genaue Schraubenplatzierung erschweren kann. Die Fehllageraten
bei konventioneller Schraubenplatzierung an der Halswirbelsäule werden in der Literatur
zwischen 5 und 40% angegeben [7], [20], [21], [22].
Merke
Bei konventioneller Schraubenplatzierung an der Halswirbelsäule werden Fehllageraten
von 5 – 40% berichtet.
Die Verletzungsrate der A. vertebralis bei dorsalen Fusionen von C I und C II wird
in der Literatur mit 3,4% beschrieben [23]. Um die Sicherheit während der Schraubenplatzierung an der oberen Halswirbelsäule
zu verbessern, rücken navigierte Verfahren immer weiter in den Mittelpunkt.
In den analysierten Studien wurden ausschließlich die CT-basierte Navigation und die
3-D-Navigation, wie sie auch von den Autoren durchgeführt wird, angewendet. Die CT-basierte
Navigation erfordert dabei gerade an der Halswirbelsäule einen schwierigen und langwierigen
Referenzierungsprozess an anatomischen Landmarken. Die möglichen navigierten Eingriffe
umfassen die Schraubenosteosynthese des Dens axis, Massa-lateralis-Schrauben am Atlas,
transpedikuläre Schrauben nach Judet und Verschraubungen nach Magerl oder Harms. Die
navigierte Platzierung dieser Schrauben kann, je nach Verletzungsmuster, sowohl ventral
als auch dorsal erfolgen.
Navigierte transartikuläre Verschraubung nach Magerl
Bei diesen transartikulären Verschraubungen, die vor allem bei atlantodentalen Lockerungen
und Denskorpusfrakturen durchgeführt werden ([Abb. 6]), kann mithilfe der Navigation eine geringe Schraubenfehllagerate erreicht werden.
In der CT-basierten Technik kann über anatomische Landmarken wie den Dornfortsatz
C II und die lateralen Ränder der Gelenke referenziert werden. Für die 3-D-Navigation
und die CT-basierte Technik kann die Referenz am Dornfortsatz des C II oder an der
Mayfield-Zange befestigt werden. Nun kann über die Navigation der optimale Punkt für
den MIS-Zugang bestimmt werden und die Schraubentrajektorie geplant werden ([Abb. 6]). Nach Hautschnitt und Präparation auf den Knochen wird mithilfe einer referenzierten
Bohrhülse ein Kirschner-Draht mittels der Navigation in die gewünschte Position eingebracht
([Abb. 7]). Nach fluoroskopischer oder mittels 3-D-Scan durchgeführter Lagekontrolle können
nun die Schrauben sicher platziert werden. Ein postoperatives CT zur Lagekontrolle
der Schrauben kann durchgeführt werden ([Abb. 8]), ist aber durch den intraoperativen 3-D-Scan der Drähte nicht obligat. In der aktuellen
Literatur werden für die navigierte Verschraubung nach Magerl Fehllageraten von 6 – 8%
angegeben [24], [25].
Abb. 5 C II-Fraktur mit Dislokation (links und mittig) und nach Reposition im 3-D-Scan intraoperativ
(rechts).
Abb. 6 Planung der Schraubentrajektorie beidseits nach durchgeführten 3-D-Scan für transartikuläre
Schrauben C I/C II nach Magerl.
Abb. 7 Nach navigiertem Einbringen der Kirschner-Drähte erfolgt mittels 3-D-Scan deren Lagekontrolle
in 3 Ebenen.
Abb. 8 Postoperativ sind durch den intraoperativen 3-D-Scan ausschließlich konventionelle
Bilder notwendig.
Navigierte Verschraubung der Wirbelkörper C I und C II nach Harms und Melcher
Bei dieser Technik zur Fixierung von atlantodentaler Instabilität werden Schrauben
in der Massa lateralis des C I mit Pedikelschrauben des C II über ein Stabsystem verbunden.
Sowohl die Schrauben im C I und C II können dabei navigationsgestützt eingebracht
werden. Analog zur Verschraubung nach Magerl kann die benötigte Referenz dabei an
der Mayfield-Zange oder am Dornfortsatz des C II befestigt werden. Anschließend werden
Kirschner-Drähte über referenzierte Bohrhülsen eingebracht und nach fluoroskopischer
oder mittels 3-D-Scan durchgeführter Lagekontrolle die Schrauben befestigt. In einer
aktuellen Studie mit 48 navigiert eingebrachten Schrauben zeigte sich eine niedrige
Fehllagerate von 2,1% [26].
Navigierte Verschraubung der Wirbelkörper C II und C III bei „Hangmans Fracture“
Bei dieser Technik werden i. d. R. für die Stabilisierung Pedikelschrauben C II und
Massa-lateralis-Schrauben C III genutzt. Für alle Schrauben ist ein navigiertes Vorgehen
in analoger Weise zu den Verschraubungen nach Magerl und Harms möglich. Auch hier
wird in der Literatur von geringen Fehllageraten von 5% berichtet [27].
Merke
Alle klassischen Techniken der Schraubenplatzierung an der oberen Halswirbelsäule
lassen sich auch navigiert durchführen. Dabei zeigen sich in verschiedenen Studien
niedrigere Fehllageraten als in der konventionellen Technik.
Navigierte Verschraubung von Densfrakturen
Die Verschraubung von Densfrakturen wird in Rückenlage durch einen ventralen Zugang
durchgeführt. Die Referenz der Navigation kann dabei an der Mayfield-Zange oder über
einen kleinen Pin im Bereich der medialen Klavikula befestigt werden. Bei dislozierten
Frakturen sollte zunächst unter fluoroskopischer Kontrolle die Reposition der Fraktur
erfolgen. Der anschließend nach Anbringen der Referenz an den Situs durchgeführte
3-D-Scan liefert dann einen aktuellen Datensatz an die Navigation. Fehllageraten bei
navigiertem Vorgehen werden in der Literatur zwischen 0 und 5% [28], [29] beschrieben. Die Autoren führen die Verschraubung von Densfrakturen jedoch weiterhin
in konventioneller Technik ohne die Hilfe der Navigation durch. Die hohe Bildqualität
des Artis Zeego ermöglicht auch ohne Navigation eine sichere Schraubenplatzierung.
Merke
Durch die hohe Auflösung neuerer bildgebender Verfahren im OP (wie z. B. Artis Zeego)
lassen sich Densverschraubungen auch ohne die Anwendung eines Navigationssystems sicher
durchführen.
Die Position des Artis Zeego für die a.–p. und sagittale Projektion können gespeichert
werden und durch ein steriles Bedienfeld durch den Operateur angefahren werden. Dieser
Wechsel dauert nur wenige Sekunden und erspart im Vergleich zur traditionellen konventionellen
Technik einen 2. Bildwandler ([Abb. 9]).
Abb. 9 Traditionelles Setting in den oberen beiden Bildern mit 2 C-Bögen. Die unteren Bilder
zeigen den Artis Zeego in vorgespeicherten Positionen mit anterior–posteriorem und
sagittalem Strahlengang.
Teil 2 – untere Halswirbelsäule
Die Wirbelkörper C III – C VII ähneln einer Wirbelkörpergrundform aus ventralem Wirbelkörper,
verbindendem Wirbelbogen und dorsalem Dornfortsatz. Die Processus transversi enden
im Rippenrudiment, dem Tuberculum anterior, und einem Tuberculum posterior, welches
den eigentlichen Processus transversus darstellt. Zwischen beiden liegt der Sulcus
nervi spinalis, durch den die Spinalnerven austreten. Hinter den Spinalnerven verläuft
die A. vertebralis, die durch die Foramina transversaria von C I bis C VI verläuft.
Durch ihre Nähe zu den Wirbelkörpern ist die A. vertebralis sowohl durch Frakturen,
aber auch durch osteosynthetische Versorgung gefährdet. Typische Verletzungen der
unteren Halswirbelsäule umfassen Berstungsfrakturen, Facettengelenksdislokationen
und Massa-lateralis-Frakturen. Nach routinemäßigem Einsatz von Pedikelschrauben an
Lenden- und Brustwirbelsäule wurde Ende der 90er-Jahre der Einsatz von Pedikelschrauben
auch für die HWS als sinnvoll beschrieben [30]. Anatomische Studien konnten zeigen, dass der durchschnittliche Pedikel an C III
und C IV nur eine Dicke von 4,5 mm aufweist, was die dorsale Schraubenplatzierung
weiter erschwert [31]. Die Verletzungsrate der A. vertebralis wird in der Literatur mit 0,34% angegeben
[32]. Um die dorsale Schraubenplatzierung zu erleichtern und MIS-Zugänge zu ermöglichen
([Abb. 10]), findet die Navigation auch an der unteren Halswirbelsäule zunehmend Anwendung.
Abb. 10 Minimalinvasiver Zugang zur Wirbelsäule für eine dorsale Stabilisierung, zusätzlicher
mittiger Schnitt für die Referenz am Dornfortsatz (links).
Dorsale Stabilisierung mittels Pedikelschrauben
Die dorsale Stabilisierung von Verletzungen von C III – C VII findet in Bauchlage
statt. Bei Verletzungen von C III – C V wird die Referenz am Dornfortsatz des C II,
bei Verletzungen unterhalb von C V am Dornfortsatz von C VII befestigt. Nachdem der
Bilddatensatz vom präoperativen CT oder vom intraoperativen 3-D-Scan an die Navigation
übertragen wurde, werden mithilfe der Navigation schrittweise die Lokalisationen für
die Inzisionen festgelegt. Anschließend werden mithilfe von referenzierten Bohrhülsen
Kirschner-Drähte durch die Pedikel in den Wirbelkörper eingebracht und fluoroskopisch
oder per 3-D-Scan überprüft. Bei korrekter Lage der Kirschner-Drähte werden nun die
Pedikelschrauben eingebracht und über das Stabsystem verbunden. Im Unterschied zur
oberen Halswirbelsäule wurden mehrere Untersuchungen und Metaanalysen mit großen Fallzahlen
zur Genauigkeit der Schraubenlage an der unteren HWS durchgeführt. In der konventionellen
Technik zeigte sich bei 1065 eingebrachten Pedikelschrauben eine Fehllagerate von
14,6% [33]. Im Vergleich dazu werden für die navigierte Technik Fehllageraten von 0,8% bei
114 [7] und 5% bei 762 [34] eingebrachten Pedikelschrauben berichtet.
Merke
An der unteren Halswirbelsäule kann durch die Navigation eine minimalinvasive Schraubenplatzierung
sicher durchgeführt werden. Studien zeigen dabei eine niedrigere Fehllagerate im Vergleich
zur konventionellen Technik.
Schlussfolgerung
Aufgrund der komplexen Anatomie, der Nähe der neurovaskulären Strukturen und der hohen
Fehllagerate in konventioneller Technik [33] gewinnt die Navigation an der oberen und unteren Halswirbelsäule zunehmend an Bedeutung.
Alle gängigen konventionellen Versorgungsformen können auch navigiert durchgeführt
werden. Für die dorsale Stabilisierung konnte eine niedrigere Fehllagerate als in
konventioneller Technik nachgewiesen werden [34]. Für die obere Halswirbelsäule existieren ausschließlich retrospektive Studien mit
geringen Fallzahlen. Dennoch lässt sich auch dort eine sichere Versorgung mit niedrigen
Fehllageraten mittels navigierter Schraubenplatzierung im Vergleich zur konventionellen
Technik erreichen.
Das eigene Vorgehen der Autoren besteht in der intraoperativen 3-D-C-Bogen-Navigation
in einem Hybrid-Operationssaal ([Abb. 3]). Dabei hat sich das navigierte Einbringen von Kirschner-Drähten mit anschließender
Kontrolle durch einen 3-D-Scan und ggf. sofortiger Revision bewährt. Darin sehen wir
auch den größten Vorteil im Vergleich zur CT-basierten Navigation, bei der intraoperativ
ausschließlich fluoroskopische Kontrollen möglich sind. Mit modernen intraoperativen
bildgebenden Verfahren wie dem von uns verwendeten Artis Zeego lassen sich Metallartefakte
reduzieren und damit auch bei adipösen oder osteoporotischen Patienten sehr gute Bildqualitäten
erreichen. Durch die Integration von Navigation und 3-D-Bildgebung im Hybrid-Operationssaal
konnten Arbeitsläufe optimiert und der Zeitverlust durch die 3-D-Scans und die Navigation
minimiert werden. Damit steht für sämtliche Versorgungen im Bereich der Halswirbelsäule
eine zuverlässige und sichere Methode zur Verfügung.