Schlüsselwörter
Becken - Azetabulum - SI-Gelenk - Bildgebung - intraoperative 3-D-Bildgebung
Key words
pelvis - acetabulum - SI-joint - imaging - intraoperative 3D imaging
Einleitung
Verletzungen des Beckens als dem zentralen Bindeglied zwischen der Wirbelsäule, dem
Körperstamm und den unteren Extremitäten sind mit einer Häufigkeit von ca. 5 – 8%
aller Frakturen insgesamt eine eher seltene Frakturform [1]. Die Häufigkeitsverteilung weist die für viele Frakturen typischen 2 Gipfel auf.
Vermehrt treten diese Frakturen bei jungen, tendenziell eher männlichen Patienten
im Rahmen von Hochrasanztraumata wie Verkehrsunfällen und Stürzen aus großer Höhe
auf, ebenso bei älteren, tendenziell eher weiblichen Patienten im Rahmen von Stürzen
aus dem Stand bei reduzierter Knochenqualität und multifaktorieller Sturzneigung.
Diese völlig unterschiedlichen Unfallmechanismen und die daraus resultierenden Verletzungen
gilt es, für die weitere Therapie zu beachten, insbesondere vor dem Hintergrund der
möglichen Begleitverletzungen.
Merke
Insbesondere beim jungen Verunfallten nach Begleitverletzungen suchen!
Unter dem Begriff der Beckenverletzungen summieren sich Frakturen des Azetabulums
mit oder ohne begleitende Instabilität des Hüftgelenkes, knöcherne oder weichteilige
Verletzungen des vorderen und hinteren Beckenringes mit Auswirkungen auf die Gesamtstabilität
des Beckens. Weiterhin fallen hierunter Frakturen des Sakrums, die entweder im Rahmen
von Beckenringverletzungen oder isoliert auftreten können.
Die Beurteilung des Verletzten und der Verletzungen erfordert demnach die Berücksichtigung
des Unfallmechanismus und der Begleitverletzungen, da lediglich ca. 20% der Verletzungen
als isolierte Beckenfrakturen auftreten. Dementsprechend ergibt sich die Dringlichkeit
und Operationstaktik (schnelle bzw. Notfallstabilisierung vs. semielektive Osteosynthese
des stabilisierten Patienten) eines operativen Eingriffs aus der Gesamtverletzungskonstellation
und der Begleitsymptomatik.
Zur Thematik der klinischen Untersuchung des Beckens, insbesondere bei Mehrfachverletzten
und Polytraumatisierungen, sind in den letzten Jahren Untersuchungen hinsichtlich
der Sensitivität und Spezifität der manuellen Stabilitätsprüfung durchgeführt worden.
Hier zeigte sich überwiegend eine schlechte Diagnostizierbarkeit instabiler Verletzungen
durch die Stabilitätsprüfung bei der gleichzeitigen Befürchtung, dass durch eine forcierte
Durchführung eine Blutung verstärkt werden könnte. Die Stabilitätsprüfung wird daher
nicht mehr routinemäßig empfohlen [2], [3].
Merke
Eine klinische Untersuchung des vorderen und hinteren Beckenringes ist insbesondere
im Hinblick auf Begleitverletzungen weiterhin obligat!
Präoperative Bildgebung und Klassifikation
Präoperative Bildgebung und Klassifikation
Nach wie vor stellt das klassische Röntgen die initiale Diagnostik bei Verdacht auf
Verletzungen des knöchernen Beckens dar. Je nach klinischer Präsentation muss man
sich hier bereits Gedanken über die am wahrscheinlichsten verletzte Struktur machen,
um die Bildgebung entsprechend vorzusehen.
Beckenring
Hier ist neben einer Beckenübersicht, die auch das komplette Os ilium mit einschließen
sollte, die Durchführung von Inlet- und Outlet-Aufnahmen indiziert. Diese stellen
um ca. 45° nach kaudal und krainal gekippte Projektionen mit Darstellung der Eingangsebene
ins kleine Becken (Outlet) bzw. orthograder Darstellung der Foramina obturatoria (Inlet)
dar (siehe [Abb. 1 a]–[c]).
Abb. 1 a A.–p. Projektion, b Inlet-Projektion und c Outlet-Projektion.
Damit ist i. d. R. eine suffiziente Beurteilung des vorderen Beckenringes sowie der
Gesamtsymmetrie des Beckens möglich. Ein sicherer Frakturausschluss des Sakrums bzw.
Stellungsbeurteilung der Sakroiliakalgelenke ist hiermit jedoch nicht möglich, sodass
bei entsprechendem Verdacht die Indikation zur CT-Bildgebung großzügig gestellt werden
sollte. Erfolgt nach Abwägung keine CT-Diagnostik bei Beschwerdeangabe im hinteren
Beckenring, sollte zumindest noch eine seitliche Aufnahme des Sakrums erfolgen und
engmaschige Röntgenkontrollen nach Mobilisierung durchgeführt werden.
Klassifikation
Beckenringfrakturen werden je nach durch die Verletzung entstandener Instabilität
nach AO in Typ A, Typ B oder Typ C eingeteilt. Bei Typ-A-Verletzungen ist die Stabilität
des vorderen und hinteren Beckenringes erhalten. Bei Typ-B-Verletzungen besteht eine
Instabilität in horizontaler Richtung, dieser Situation entspricht morphologisch eine
Stabilitätsunterbrechung von Anteilen des vorderen und eine partielle Instabilität
des hinteren Beckenringes zwingend. Bei Typ-C-Verletzungen sind vordere und hintere
Stabilisatoren komplett unterbrochen, sodass eine horizontale und vertikale Instabilität
entsteht.
Die Subklassifikation ergibt sich aus den betroffenen anatomischen Strukturen und
ist in [Abb. 2] dargestellt. Durch diese Klassifikation ist seitengetrennt eine vollständige codierte
Erfassung der möglichen Verletzungen zu erreichen.
Abb. 2 AO-Klassifikation der Beckenringverletzungen (aus: Wirbel R, Pohlemann T. Klassifikation
der Beckenringverletzungen; Praxis der Orthopädie und Unfallchirurgie. 3. Aufl. Stuttgart:
Thieme; 2013).
Eine Operationsindikation besteht je nach resultierender Instabilität. So ist bei
Typ-A-Frakturen i. d. R. eine konservative Therapie möglich, während bei Typ-B-Frakturen
– insbesondere mit Symphysenruptur und Dislokation in Außenrotation – eine operative
Stabilisierung indiziert ist. Typ-C-Verletzungen stellen hoch instabile Situationen
dar, die in aller Regel im Rahmen von Polytraumatisierungen auftreten und fast immer
einer Osteosynthese bedürfen.
Der Begriff der Komplexverletzung beschreibt im Hinblick auf das Becken eine zusätzlich
zur eigentlichen Beckenverletzung vorliegende Verletzung der intra- und parapelvinen
Organe (bspw. Urethrarisse, Rektumverletzungen, Verletzungen der genitalen Weichteile,
Blasenrupturen etc.). Diese Begrifflichkeit ist abzugrenzen von denen der Polytraumatisierung
oder der Mehrfachverletzung, da sie sich rein auf die pelvinen Begleitverletzungen
begrenzt.
Azetabulum
Auch hier sollte zunächst eine Beckenübersicht angefertigt werden (ggf. bereits mit
Referenzkugel zur Planung einer Hüfttotalendoprothese, falls eine Schenkelhalsfraktur
vorliegen sollte). Zusätzlich sind zur besseren Beurteilung Ala- und Obturatoraufnahmen
indiziert. Hierbei handelt es sich um Schrägaufnahmen, bei denen das Foramen obturatum
(Obturatoraufnahme) bzw. das Ala ossis ilii orthogonal eingestellt wird (siehe [Abb. 3]).
Abb. 3 a Alaprojektion, b Obturatorprojektion.
Dadurch lassen sich Frakturen von vorderer und hinterer Wand besser gegen die Frakturen
des vorderen oder hinteren Pfeilers abgrenzen bzw. überhaupt erst erkennen. Grundsätzlich
lassen diese Projektionseinstellungen auch eine Beurteilung der Gelenkfläche hinsichtlich
einer Stufen- oder Spaltbildung zu.
Aufgrund der Komplexität des Gelenkes, den vielen überlagernden Strukturen und der
Notwendigkeit einer differenzierten Darstellung der Frakturmorphologie für die Operationsplanung
ist es mittlerweile als Standard anzusehen, bei Azetabulumfrakturen eine CT-Diagnostik
durchzuführen.
Klassifikation
Die bis heute gängige Klassifikation der Frakturen des Azetabulums wurde bereits 1964
durch Letournel und Judet beschrieben [4]. Grundlage dieser Klassifikation ist die biomechanische Unterscheidung eines vorderen
von einem hinteren Pfeiler des Gelenkes. Über die Einheit dieser beiden Pfeiler erfolgt
die Kraftübertragung von der unteren Extremität auf den hinteren Beckenring. Nicht
lasttragende Anteile werden als vordere bzw. hintere Wand erfasst.
Die Klassifikation nach Judet unterscheidet 5 Grundtypen: vordere und hintere Wand
oder Pfeiler und Querfrakturen. Zudem sind 5 sog. assoziierte Frakturen definiert,
bei denen Frakturkombinationen oder schräge Frakturverläufe vorliegen. Eine Übersicht
über die Frakturtypen gibt [Abb. 4]. Die Durchführung der Klassifikation ist aufgrund der komplizierten Anatomie und
der komplexen Frakturtypen anspruchsvoll und mit einer erheblichen Interobserver-Variabilität
behaftet [5]. Ein Vorschlag für eine strukturierte Klassifikation der Frakturen zur Standardisierung
der Befundung anhand von definierten CT-Schnitten wurde 2013 veröffentlicht [6].
In Verwendung ist auch eine AO-Klassifikation, die im Wesentlichen die Einteilung
nach Letournel und Judet übernimmt und in das bekannte Schema systematisiert.
Abb. 4 Klassifikation der Azetabulumfrakturen nach Letournel (aus: Stannard JP, Schmidt
AH. Surgical Treatment of Orthopaedic Trauma. Stuttgart: Thieme; 2007).
Computertomografie
In der CT lässt sich die knöcherne Anatomie sowie der Frakturverlauf exakt darstellen
und damit zum einen ein sicherer Frakturnachweis führen und zum anderen eine korrekte
Klassifizierung durchführen. Ebenso ist eine Beurteilung der Stellung der Sakroiliakalgelenke
(SI-Gelenke) im Seitenvergleich möglich, genauso wie eine Analyse und Messung des
Symphysenspaltes.
Insuffizienzfrakturen im frühen Stadium lassen sich projektionsradiografisch nicht
suffizient beurteilen bzw. erkennen. Bei persistierendem Frakturverdacht trotz unauffälligen
Röntgens sollte hier frühzeitig eine CT- oder (besser) MRT-Diagnostik erfolgen. Die
MRT hat gegenüber der CT den Vorteil des Nachweises des intraossären Hämatoms als
Zeichen der pathologischen Fraktur. Gegebenenfalls kann nämlich auch mit der CT ein
Frakturnachweis nicht gelingen, wenn die Gefügestörung des Knochens noch nicht zu
einer Dislokation des Knochens geführt haben sollte. Eine zusätzliche und im Vergleich
zur MRT besser verfügbare Option könnte in Zukunft die Dual-Energy-CT darstellen,
in der analog zur MRT das Frakturödem im Bereich des Sakrums visualisiert wird [7].
Bei hämodynamisch instabilen Patienten im Rahmen einer Polytraumatisierung steht selbstverständlich
die Notfalldiagnostik mit kontrastmittelverstärkter Ganzkörper-CT im Vordergrund.
Bei diesen Patienten, die über den Schockraum aufgenommen werden und bei denen eine
externe Beckenkompression (Beckengurt) angelegt wurde, stellt sich die Frage nach
dem korrekten Vorgehen hinsichtlich der Diagnostik. Hintergrund ist die Möglichkeit,
dass eine Open-Book-Verletzung ohne knöcherne Verletzung durch einen korrekt angelegten
Beckengurt reponiert wird und damit im CT mit angelegtem Gurt nicht dargestellt werden
kann. Entsprechende algorithmische Herangehensweisen wurden beschrieben [8]. Im hauseigenen Vorgehen hat sich daher die in [Abb. 5] skizzierte Vorgehensweise etabliert. Hiermit soll sowohl sichergestellt werden,
dass eine instabile Beckenverletzung möglichst frühzeitig und effizient komprimiert
wird, als auch, dass eine vollständige Diagnostik durchgeführt werden kann.
Abb. 5 Algorithmus zur radiologischen Diagnostik bei anliegendem Beckengurt.
Intraoperative Bildgebung
Intraoperative Bildgebung
Beckenring
Um bei der operativen Versorgung von Beckenringfrakturen die Möglichkeit einer suffizienten
Projektion mit Durchführung der Inlet- und Outlet-Aufnahmen zu ermöglichen, ist es
notwendig, den Patienten so weit wie möglich an das fußseitige Ende des Tisches zu
lagern. Hierzu sind spezielle – idealerweise mit Carbonliegefläche – Tische notwendig,
die nach distal verlängert werden können. Vor dem Abdecken sollte sichergestellt werden,
dass der verwendete C-Bogen weit genug eingeschwenkt werden kann, um diese Projektionen
einzustellen. Je nach individueller Anatomie ist das notwendige Ausmaß des Einschwenkens
unterschiedlich, beträgt aber i. d. R. zwischen 35 und 45° nach kranial und kaudal
(siehe [Abb. 6 a]–[c], [7 a, b] und [8 a, b]).
Abb. 6 a–c Intraoperative a.–p. Projektion mit der entsprechenden Einstellung des C-Bogens.
Abb. 7 a,b Intraoperative Inlet-Projektion mit der entsprechenden Einstellung des C-Bogens.
Abb. 8 a,b Intraoperative Outlet-Projektion mit der entsprechenden Einstellung des C-Bogens.
Merke
Qualitätskriterien für diese Einstellungen sind für die Outlet-Projektion die orthograde
Darstellung der Beckeneingangsebene mit Überlagerung der kranialen und kaudalen Anteile
des vorderen Beckenringes und senkrechter Darstellung der Vorderkante S I. In der
Inlet-Projektion stellen sich die Foramina obturatoria beidseitig maximal in kraniokaudaler
Ausdehnung dar, die Symphyse ist senkrecht getroffen.
Bei Osteosynthesen des vorderen Beckenringes – häufig die Osteosynthese der Symphyse
oder des Schambeines – ist i. d. R. die intraoperative Röntgenkontrolle unkompliziert
und mit Inlet- und Outlet-Aufnahmen problemlos abzubilden. Hiermit ist eine suffiziente
und vollständige Beurteilung der Reposition und Implantatlage möglich.
Komplexer ist die Situation am hinteren Beckenring, insbesondere bei der perkutanen
Positionierung von Schrauben durch das SI-Gelenk. Hier ist die exakte seitliche sowie
axiale Einstellung des Sakrums notwendig, um eine intraspinale bzw. intraforaminale
Lage der Schrauben auszuschließen (siehe [Abb. 9]).
Abb. 9 Seitliche Einstellung des Os sacrum mit einliegenden SI-Schrauben beidseitig.
Die axiale Einstellung entspricht i. d. R. der Outlet-Projektion, kann jedoch, je
nach individueller Anatomie, auch von dieser abweichen. Hier ist besonders die Angulation
der Deckplatte von S I von Bedeutung. Hier kann es vorkommen, dass eine axiale Einstellung
nicht möglich ist, da der C-Bogen zuvor am Torso anstößt. Überlagerungen durch Darmgase,
schlechte Knochenqualität und Dysmorphien des Sakrums mit Irregularitäten der SI-Gelenke
sind weitere Faktoren, welche die intraoperative Darstellungsqualität einschränken
können. Auch eine Adipositas mit entsprechender Weichteilüberlagerung kann die Beurteilung
sehr stark beeinträchtigen. Qualitätskriterien für diese Einstellung sind, dass sowohl
die Alae auf beiden Seiten des Sakrums als auch die Hüftköpfe aufeinander projiziert
werden. Zudem sollte sowohl die Deckplatte S I orthograd getroffen als auch die kraniale
Begrenzung der Alae eindeutig sichtbar sein. Dies muss beim Einbringen der Schrauben
oder von deren Führungsdrähten unbedingt beachtet werden, da hier die Nervenwurzeln
L IV und L V direkt dem Knochen anliegend verlaufen und durch die Implantate verletzt
werden können (siehe [Abb. 10]).
Abb. 10 a,b Intraoperative Alaprojektion mit entsprechender Einstellung des C-Bogens.
Merke
Für die konventionelle Positionierung von SI-Schrauben muss die seitliche Ebene exakt
eingestellt werden können!
Eine entsprechende präoperative Analyse der Bildgebung mit entsprechender Planung
und Vorbereitung des Patienten ist essenziell, um die Positionierung erfolgreich durchführen
zu können.
Azetabulum
Die Lagerung von Patienten, die einen operativen Eingriff am Azetabulum erhalten,
ist ebenfalls vorher zu planen. Zu bedenken ist der vorgesehene operative Zugang in
Abhängigkeit von der durch die Operation zu adressierenden Struktur, vor allem, ob
der vordere oder hintere Pfeiler operiert werden soll. Der vordere Pfeiler wird i. d. R. über
einen Zugang in Rückenlage erreicht (z. B. Stoppa-Zugang), der hintere Pfeiler über
einen dorsalen Zugang (z. B. nach Kocher-Langenbeck) in Seitenlage.
Auch hier hat sich die Verwendung eines Carbontisches bewährt, bei dem es möglich
ist, die betreffende Seite in Ala- und Obturatoreinstellung zu durchleuchten. Andernfalls
sollte ebenfalls vor dem Abdecken überprüft werden, dass keine röntgendichten Anbauteile
des Tisches im Strahlengang der geplanten Projektionen liegen. Für die Projektionen
sind i. d. R. Orbitaleinstellungen von ± 35 – 45° notwendig (siehe [Abb. 10] und [11]). Bei Seitenlagerung ist für die korrekte Einstellung der Projektionen eine atypische
Positionierung des C-Bogens notwendig, diese sollte auf jeden Fall erreicht werden
können.
Abb. 11 a,b Intraoperative Obturatorprojektion mit entsprechender Einstellung des C-Bogens.
Merke
Qualitätskriterien der Schrägeinstellungen sind die maximale Ausdehnung des Iliums
in der Alaprojektion mit Überlagerung der lateralen und medialen Anteile des Foramen
obturatum. Für die Obturatoreinstellung ist das Foramen obturatum maximal ausgedehnt,
während das Os ilium tangential getroffen wird.
Eine atypische Einstellung stellt die sog. Punktprojektion dar. Bei Schraubenverläufen
nahe am Gelenkspalt kann es in den Standardprojektionen manchmal schwierig sein, einen
intraartikulären Schraubenverlauf auszuschließen. In der Regel ist es aber möglich,
die Schraube möglichst senkrecht einzustellen, sodass sich diese nur noch als Punkt
projiziert (siehe [Abb. 12]). Damit kann der extraartikuläre Verlauf sichergestellt werden.
Abb. 12 Atypische Einstellung des Azetabulums. Der Zentralstrahl verläuft parallel zur Schraube.
Merke
Die Lage einzelner Schrauben kann durch atypische Projektionen verifiziert werden,
wenn eine entsprechende Einstellung möglich ist!
Intraoperative 3-D-Bildgebung und Navigation
Die intraoperative 3-D-Bildgebung ist bei Rekonstruktionen komplexer Gelenkfrakturen
ein zusätzliches und wertvolles Hilfsmittel, um die Reposition und Implantatlage überprüfen
zu können [9], [10]. Die anatomische Rekonstruktion von Gelenkflächen und die sicher extraartikuläre
Lage von Implantaten sind die relevanten Kriterien, um den Erfolg einer Osteosynthese
zu sichern. In Abhängigkeit von der anatomischen Region und Situation können diese
Parameter nicht immer vollständig in den 2-D-Projektionen beurteilt werden. Traditionell
werden in Situationen, die intraoperativ nicht sicher zu beurteilen sind, postoperative
CT-Kontrollen durchgeführt. Bei signifikanten Implantatfehllagen oder verbliebenen
Gelenkstufen oder -spalten ist dann ein Revisionseingriff mit erneuter Narkose notwendig.
Die intraoperative 3-D-Kontrolle ermöglicht die umgehende Sicherung der Reposition
und Implantatlage, sodass ggf. umgehend eine Revision erfolgen kann.
Im eigenen Vorgehen erfolgt bei allen Osteosynthesen am Azetabulum eine intraoperative
3-D-Kontrolle, wenn der Operateur in den 2-D-Projektionen die Reposition und Implantatlage
als suffizient bewertet. In der Langzeitbeobachtung am eigenen Patientengut erfolgten
hierdurch am Azetabulum in über 15% der Fälle umgehende Verbesserungen der Reposition
oder der Implantatlage, wodurch Revisionsoperationen vermieden werden konnten [11].
Merke
Mit der intraoperativen 3-D-Bildgebung können Revisionsoperationen vermieden werden!
Bei operativen Maßnahmen am hinteren Beckenring, insbesondere bei der perkutanen Schraubenpositionierung
in den SI-Gelenken, kann die intraoperative 3-D-Bildgebung ebenfalls hilfreiche Zusatzinformationen
liefern. Damit ist der extraforaminale Verlauf der Schrauben ebenso sicherzustellen,
wie die extraspinale Lage [12].
Zusätzlich kann ein intraoperativ gewonnener 3-D-Datensatz als Basis für die strahlungsfreie
Navigation verwendet werden (siehe [Abb. 13]). Hierfür wird nach Lagerung des Patienten eine Referenzbasis in der Crista iliaca
über eine Schanz-Schraube befestigt und ein 3-D-Scan des betreffenden anatomischen
Bereiches durchgeführt. Durch am C-Bogen befestigte Referenzmarker wird durch eine
Stereoinfrarotkamera eine Referenzierung durchgeführt, sodass im Anschluss mit entsprechenden
Instrumenten eine Livenavigation im Bilddatensatz erfolgen kann. Solange sich die
Anatomie nicht ändert, ist über diese Lösung eine konstante Anzeige von Instrumenten-
und Implantatposition im Datensatz möglich. Dadurch lässt sich die Positionierung
der Implantate insbesondere bei komplexer Anatomie (z. B. bei Sakrumdysmorphie) erheblich
vereinfachen.
Abb. 13 Operationssitus mit befestigter Referenz für die Navigation sowie Ansicht der Navigation
in einem intraoperativ gewonnenen 3-D-Datensatz.
Ist die Verwendung eines 3-D-C-Bogens geplant, sollte ebenfalls entsprechend vor dem
Abdecken geprüft werden, ob die Orbitalbewegung problemlos erfolgen kann. Auch bei
der Verwendung der intraoperativen 3-D-Bildgebung mit einem mobilen C-Bogen sollte
man sich über mögliche Einschränkungen bewusst sein. So ist durch die begrenzte Größe
des abbildbaren Volumens, das i. d. R. einem Würfel mit einer Kantenlänge von 12 – 14 cm
entspricht, nur die Abbildung eines SI-Gelenkes oder Azetabulums möglich. Zudem wird
die Beurteilbarkeit der Aufnahmen durch das Vorhandensein von Artefakten bei Implantaten
im Strahlengang die Bildqualität erheblich eingeschränkt.
Für spezialisierte Zentren ist aktuell als technisch fortschrittlichste Variante der
intraoperativen Schnittbildgebung die Verwendung eines intraoperativen CTs zur Navigation
und Kontrolle von Reposition und Implantatlage möglich. Hierbei handelt es sich i. d. R.
um speziell für den intraoperativen Einsatz konzipierte Geräte, die sich gut in das
Setting integrieren lassen (z. B. das Gerät „Airo Mobile intraoperative CT“ der Firma
Brainlab; siehe [Abb. 14] und [15]).
Abb. 14 Mobiles intraoperatives CT „Brainlab Airo“.
Abb. 15 Intraoperative CT-Kontrolle der Implantatlage bei Sakrumdysmorphie.
Postoperative Bildgebung
Das Ausmaß der notwendigen postoperativen Bildgebung hängt zum einen von der durchgeführten
operativen Maßnahme, zum anderen von der intraoperativ erfolgten Diagnostik ab. Zusammenfassend
lässt sich sagen, dass mit der postoperativen Kontrolle eine Sicherstellung des Operationsergebnisses
erfolgen sollte. Üblicherweise wird dies nach Mobilisierung mit dem erlaubten Belastungs-
und Bewegungsumfang durchgeführt und damit neben der Reposition und Implantatlage
die Stabilität des Konstruktes geprüft.
Im hauseigenen Vorgehen erfolgt die Röntgenkontrolle nach Drainagenzug und – sofern
möglich – Mobilisierung.
Bei Azetabulumfrakturen erfolgt analog der präoperativen Diagnostik die Kontrolle
in a.–p. Projektion sowie in Ala- und Obturatoraufnahme. Wurde intraoperativ kein
3-D-Scan in guter Qualität durchgeführt, erfolgt postoperativ eine CT-Aufnahme zur
sicheren Kontrolle der Reposition.
Bei Beckenringfrakturen erfolgen neben a.–p. Projektion Inlet- und Outlet-Aufnahmen.
Wurde bei SI-Schraubenpositionierung kein 3-D-Scan durchgeführt, erfolgt auch hier
die postoperative CT-Kontrolle.
Eine besondere Möglichkeit der Röntgendiagnostik sind die sog. Belastungsaufnahmen
bei Verdacht auf Instabilität einer Symphyenverletzung. Hier werden a.–p. Aufnahmen
in Einbeinstand links und rechts durchgeführt (siehe [Abb. 16]). Dies eröffnet eine diagnostische Facette, die mit CT-Aufnahmen durch die notwendige
Rückenlage nicht möglich ist.
Abb. 16 a,b Nachweis einer Symphyseninstabilität durch Röntgenaufnahmen im Einbeinstand.
Zur Verlaufskontrolle erfolgen i. d. R. 6 Wochen, 3 und 6 Monate postoperativ Röntgenaufnahmen
in den beschriebenen Projektionen. Zeigen sich hier Auffälligkeiten oder gibt der
Patient persistierende oder neu aufgetretene Beschwerden an, erfolgt eine CT-Diagnostik.
Fazit
In der präoperativen Diagnostik stehen neben der a.–p. „Standardbeckenübersicht“ verschiedene
Schrägaufnahmen zur gezielten Abbildung der relevanten Strukturen zur Verfügung. Die
Indikation zur CT sollte insbesondere bei Azetabulumfrakturen großzügig gestellt werden.
Für die intraoperative Bildgebung sollte auf die korrekte Lagerung auf einem geeigneten
OP-Tisch geachtet werden. Bei Osteosynthesen des Azetabulums sollte eine intraoperative
3-D-Bildgebung oder eine postoperative CT erfolgen. Zur Instrumentierung von SI-Schrauben
ist, insbesondere bei anatomischen Varianten, die 3-D-gestützte Navigation ein gutes
Hilfsmittel, um die Positionierung zu vereinfachen. Die radiologischen Verlaufskontrollen
sollten sich bei unproblematischem Verlauf auf Röntgenaufnahmen in den jeweiligen
Standardebenen beschränken. Bei Auffälligkeiten ist jedoch frühzeitig an die Durchführung
einer CT zu denken.