Hamostaseologie 2023; 43(01): 012-013
DOI: 10.1055/s-0043-1764064
Forum

Blutungsneigung bei Morbus Waldenström: Mögliche Ursachen und Diagnosemöglichkeiten

Brysland SA. et al.
Bleeding Propensity in Waldenström Macroglobulinemia: Potential Causes and Evaluation.

Thromb Haemost 2022;
122: 1843-1857
 

Morbus Waldenström (WM) ist eine seltene maligne Lymphomerkrankung. Durch die Überproduktion von IgM und der daraus resultierenden Hyperviskosität kann es zu erhöhter Blutungsneigung kommen. Die Ursachen des Blutungsphänotyps bei WM sind komplex und beruhen auf mehreren sich überlagernden Mechanismen. In einem aktuellen Review beleuchten australische Ärzte die verschiedenen Faktoren, die zum Phänotyp der Blutungen beitragen, sowie aktuelle und neue Diagnoseinstrumente, die die Bewertung und Behandlung von Blutungen bei diesen Patienten erleichtern.


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Das Verständnis der pathophysiologischen Mechanismen, die zu Blutungen führen, ist wichtig, da gängige WM-Therapien, einschließlich Chemo-Immuntherapie und Bruton-Tyrosinkinase-Inhibitoren, mit Blutungsrisiken verbunden sind. Außerdem sind die Patienten, bei denen ein WM diagnostiziert wird, aufgrund der relativ indolenten Natur dieses Lymphoms oft älter und haben eine oder mehrere Begleiterkrankungen, die eine Behandlung mit gerinnungshemmenden Medikamenten oder Plättchenhemmern erforderlich machen. Es ist also wichtig, den Ursprung des WM-Blutungsphänotyps zu verstehen, um die Patienten besser nach ihrem Blutungsrisiko stratifizieren zu können.

WM-Patienten können einen Blutungsphänotyp aufweisen

Während Blutungen häufig ein Symptom bei der Erstvorstellung von WM sind, klingen diese in der Regel nach einer therapeutischen Intervention ab, was darauf hindeutet, dass die Ätiologie von WM die Thrombozytenproduktion und -funktion nicht direkt beeinflusst. In vier Studien wurde die Häufigkeit von Blutungen bei Patienten mit WM vor dem therapeutischen Eingriff untersucht. Insgesamt traten bei etwa 17% der Patienten Blutungssymptome auf. Interessanterweise gibt es aufgrund eines Mangels an großen Studien zu diesem Thema keine evidenzbasierten Leitlinien und Standardmethoden für die Behandlung von Blutungen bei diesen Patienten gibt. Daher sind die veröffentlichten Behandlungsansätze variabel und die wichtigsten diagnostischen Angaben sind uneinheitlich. Auch eine standardisierte Berichterstattung über Laborbefunde und -ergebnisse bei WM fehlt:

  • ▪ Es treten Anomalien in Laboruntersuchungen auf, die mit Blutungen assoziiert sind, z. B. eine verminderte Thrombozytenadhäsion, -aktivierung oder -aggregation.

  • Thrombozytopenie tritt häufig auf, oft gleichzeitig mit Anämie. Isoliert betrachtet erklärt die Thrombozytopenie nur selten die beobachteten Blutungen und das Ausmaß der Blutung steht oft nicht im Verhältnis zur Thrombozytenzahl.

  • ▪ Das erworbene von-Willebrand-Syndrom tritt bei 6% der WM-Patienten auf, wobei die Inzidenz stark mit erhöhten IgM-Werten (30-60 g/L) korreliert ist. Zu den Symptomen gehören Schleimhaut- und Magen Darm-Blutungen, die nach Therapie meist abklingen.

  • ▪ Zu den Symptomen der Hyperviskosität gehören Blutungen, Sehstörungen und neurologische Symptome, die bei 13 % der WM-Patienten auftreten.

  • Hämostase-hemmende Paraproteine: Zirkulierende Paraproteine können in vivo eine VWF- und FVIII-hemmende Wirkung haben, die durch IgM- oder IgG-Antikörper verursacht wird.

  • ▪ Eine Kryoglobulinämie, bei der temperaturempfindliche Immunglobuline konzentrationsabhängige unlösliche Aggregate bilden, die unter 37°C ausfallen, kann bei WM auftreten.

  • IgM-Amyloidose tritt bei 7,5% der WM-Patienten auf und ist mit einer drastischen Verkürzung der Gesamtüberlebenszeit verbunden, von 12,1 auf 2,5 Jahre.


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Standardtherapien können den Blutungsphänotyp verstärken

WM ist eine unheilbare Krankheit, bei der die Behandlungen darauf abzielen, die Symptome zu lindern und eine lang anhaltende Remission zu erzielen. Bei asymptomatischen Patienten wird routinemäßig nach dem Prinzip „abwarten und beobachten“ vorgegangen. Zu den Behandlungsoptionen für symptomatische WM-Patienten gehören alkylierende Chemotherapeutika (Bendamustin, Cyclophosphamid), Proteasom-Inhibitoren (Bortezomib, Carfilzomib, Ixazomib) oder der BTK-Inhibitor der ersten Generation, Ibrutinib, allein oder in Kombination mit Rituximab. Zu den neueren therapeutischen Optionen gehören neue, irreversible und selektivere BTK-Inhibitoren (Acalabrutinib, Zanubrutinib), die als Monotherapie verabreicht werden, sowie neue Optionen wie BCL2-Antagonisten (Venetoclax). Viele dieser Behandlungen sind mit einem Blutungsrisiko einhergehend, das bei WM-Patienten noch verstärkt werden kann.


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Bewertung des Blutungsphänotyps im Labor

Zu den aktuellen Ansätzen für WM-Patienten mit Blutungen gehören Gerinnungstests, die Messung der Plasmaviskosität und spezielle Blut- und Thrombozytentests. Weitere Thrombozytenqualitäts- und -funktionstests sind im Entstehen. Diese Tests sind jedoch mit mehreren Probleme verbunden. Erstens kann keiner der standardisierten Thrombozytenfunktionstests die Thrombozyten bei thrombozytopenischen WM-Patienten ermitteln. Zweitens wird die Bewertung der Thrombozytenrezeptorwerte, die die Thrombozytenfunktion steuern und bei hämatologischen Malignomen häufig vermindert sind, nicht routinemäßig mittels Durchflusszytometrie ausgewertet. Und schließlich untersucht keiner dieser Tests die Thrombozytenfunktion unter Bedingungen, die den Scherkräften des einströmenden Blutes entsprechen.

Fazit

Mit dem Einsatz von BTK-Inhibitoren als routinemäßige Therapie bei WM ist es wichtig, dass die Patienten auf ihre Blutungsneigung untersucht und überwacht werden. Durch die Anwendung neuer Ansätze, die durch forschungsbasierte Techniken (Durchflusszytometrie, Thrombin-Generierungstests, Thrombozytenausbreitungstests) ergänzt werden, in Kombination mit Megakaryozytenspezifischen genetischen Ansätzen zur Bewertung häufiger WM-Mutationen, könnte es möglich werden, WM-Patienten auf Grundlage der Thrombozytenfunktionalität auf ihr Blutungsrisiko hin zu stratifizieren. Eine oder mehrere dieser Techniken könnten in die Routineuntersuchung bei der Diagnose und dann während der Behandlung integriert werden, insbesondere bei Patienten, die ein erhöhtes Blutungsrisiko aufweisen.

Dr. Michaela Bitzer, Tübingen


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Die Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.


Publikationsverlauf

Artikel online veröffentlicht:
20. Februar 2023

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