Hamostaseologie 2023; 43(01): 008
DOI: 10.1055/s-0043-1764061
Forum

COVID-19: Kinetikmessung der thrombozytären ATP-Freisetzung prognostisch hilfreich

Garishah FM. et al.
Hyperresponsive Platelets and a Reduced Platelet Granule Release Capacity Are Associated with Severity and Mortality in COVID-19 Patients.

Thromb Haemost 2022;
DOI: 10.1055/s-0042-1757163.
 

    Bekannt ist, dass es im Rahmen von COVID-19-Erkrankungen zwar zu einer Thrombozytopenie, gleichzeitig aber auch zu einer Thrombozyten-Aktivierung kommen kann. Klinisch besteht ein erhöhtes Risiko für thrombembolische Komplikationen. In einer aktuellen Studie konnte die thrombozytäre Hyperreaktivität bei Patienten mit COVID19 anhand von Kinetik-Messungen der ATP-Freisetzung nachgewiesen werden.


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    In die prospektive Studie aus Indonesien wurden zwischen März und Juni 2021 insgesamt 88 erwachsene Patientinnen und Patienten eingeschlossen, die sich aufgrund einer COVID-19-Erkrankung in stationärer Behandlung befanden und von denen 41 kritisch krank waren. Letztere wurden auf einer Intensivstation mechanisch beatmet bzw. erhielten Sauerstoff über ein Highflow-System. Zum Vergleich dienten 30 gesunde Kontrollpersonen. Patienten mit hämatologischen Erkrankungen oder Gerinnungsanomalien bzw. der Einnahme antithrombozytärer Substanzen waren von der Studienteilnahme ausgeschlossen. Insgesamt 68% der kritisch kranken Patienten verstarben im Verlauf.

    Mithilfe des Protease-aktivierten Rezeptor-1 (PAR-1) -Agonisten TRAP-6 (Thrombinrezeptor-Aktivator-Peptid-6) triggerten die Autoren die thrombozytäre ATP-Sekretion. ATP wird neben anderen Substanzen aus den dichten Granula der Thrombozyten freigesetzt und fördert deren Aggregation. Es erfolgte dann die Bestimmung der PRT (Platelet Response Time) und der GRC (Platelet Granule Release Capacity) mittels Lumineszenzmessungen. Die PRT war definiert als das Zeitintervall zwischen dem Beginn der Messung und dem Erreichen von 10% des maximalen Signals und die GRC bezeichnete das maximale Signal im Verhältnis zur Thrombozytenzahl.

    Im Vergleich zu den Kontrollpersonen wiesen Patienten mit COVID-19 eine thrombozytäre Hyperreaktivität auf, setzten dabei aber geringere ATP-Mengen frei. Dies drückte sich in einer kürzeren PRT und einer niedrigeren GRC aus. Die Autoren führten die geringere ATP-Freisetzung bei Patienten mit COVID-19 am ehesten auf eine chronische Thrombozyten-Aktivierung im Rahmen der Erkrankung zurück. Darüber hinaus waren eine kurze PRT und eine niedrige GRC (unteres 5%-Stratum der Kontrollkohorte) mit einem deutlich erhöhten Risiko assoziiert, einen kritischen Erkrankungsverlauf zu entwickeln (OR 26,0; 95%-KI 8,4-101,5 bzw. OR 2,8; 95%-KI 1,2-7,2). Es zeigte sich weiterhin eine negative Assoziation zwischen PRT bzw. GRC und klassischen Parametern der Thrombinflammation (CRP, D-Dimer, Neutrophilen/ Lymphozyten-Verhältnis). In den univariaten Analysen ergab sich außerdem für Patienten mit einer PRT bzw. GRC unterhalb der genannten Schwelle ein signifikant erhöhtes Mortalitätsrisiko (OR 18,8; 95%-KI 6,5-62,8 bzw. 4,0; 95%-KI 1,6-10,4). Patienten, die im Verlauf verstarben, wiesen im Median eine um 73% kürzere PRT auf als Patienten, die überlebten. Eine ROC-Analyse ergab, dass sowohl die PRT als auch die GRC das Überleben bei Patienten mit COVID-19 voraussagte (AUC 0,87; 95%-KI 0,81-0,95 bzw. AUC 0,69; 95%-KI 0,57-0,81). Das Prädiktionsmodell wies eine mit dem D-Dimer-Wert vergleichbare Stärke auf (AUC 0,76; 95%-KI 0,65-0,87).

    Fazit

    Bei Patienten mit COVID-19 zeigten sich Veränderung der thrombozytären Reaktionskinetik, am ehesten auf dem Boden einer chronischen Thrombozytenaktivierung. Am stärksten waren hiervon Patienten mit einem kritischen Erkrankungsverlauf betroffen. In der klinischen Praxis könnten durch die Messung der thrombozytären ATP-Freisetzungskinetik prognostische Einschätzungen erfolgen und Patienten identifiziert werden, die möglicherweise von antithrombozytären Therapien profitieren, so die Autoren.

    Dr. Katharina Franke, Darmstadt


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    Die Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.


    Publikationsverlauf

    Artikel online veröffentlicht:
    20. Februar 2023

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