Gesundheitswesen 2023; 85(S 01): S69
DOI: 10.1055/s-0043-1762793
Abstracts | BVÖGD/BZÖG
28.04.2023
Fachausschuss Infektionsschutz – Block 3 – Infektionsschutz
15:15 – 16:45 ‖ Fachtagungsraum 0.226

Hautdiphtherie in einer Erstaufnahmeeinrichtung für minderjährige Ausländer in Frankfurt am Main

C. Kleine
1   Gesundheitsamt Frankfurt am Main, Abteilung Infektiologie, Frankfurt am Main
,
B. Böddinghaus
1   Gesundheitsamt Frankfurt am Main, Abteilung Infektiologie, Frankfurt am Main
,
R. Ellwanger Berry
1   Gesundheitsamt Frankfurt am Main, Abteilung Infektiologie, Frankfurt am Main
,
D. Schmidt
1   Gesundheitsamt Frankfurt am Main, Abteilung Infektiologie, Frankfurt am Main
,
G. Heinze
1   Gesundheitsamt Frankfurt am Main, Abteilung Infektiologie, Frankfurt am Main
,
M. Acker
1   Gesundheitsamt Frankfurt am Main, Abteilung Infektiologie, Frankfurt am Main
,
M. Hogarth
2   Universitätsklinik Frankfurt am Main, Institut für Med. Mikrobiologie und Krankenhaushygiene, Frankfurt am Main
,
P. Tinnemann
1   Gesundheitsamt Frankfurt am Main, Abteilung Infektiologie, Frankfurt am Main
,
U. Götsch
1   Gesundheitsamt Frankfurt am Main, Abteilung Infektiologie, Frankfurt am Main
› Author Affiliations
 

Hintergrund Seit September 2022 werden europaweit vermehrt Fälle von Diphtherie in Erstaufnahmeeinrichtungen von Asylsuchenden berichtet. Zumeist handelt es sich dabei um Hautdiphtherie bei unbegleiteten minderjährigen Ausländern (UMA) aus Afghanistan und Syrien, Fälle von Rachendiphtherie sind ebenfalls aufgetreten. Bemerkenswert dabei ist, dass es sich um Toxingen-positive Stämme handelt, bei Hautdiphtherie oft auf dem Boden einer Mischinfektion mit Streptokokken und Staphylokokken.

Fallbeschreibung Anfang November 2022 wurde in einer Erstaufnahmeeinrichtung für UMA in Frankfurt am Main bei einem Jugendlichen aus Afghanistan im Wundabstrich eines Panaritiums des rechten Daumens eine Mischinfektion von Toxingen-positivem Corynebacterium diphtheriae, Streptococcus pyogenes und Methicillin-resistentem PVL-positivem Staphylococcus aureus (MRSA) nachgewiesen. Der UMA war Tags zuvor in die Erstaufnahmeeinrichtung für insgesamt 30 Geflüchtete gekommen, die überwiegend aus Afghanistan und Syrien stammen. Das Gesundheitsamt Frankfurt am Main führte daher umgehend eine Umgebungsuntersuchung in der Einrichtung durch. In der Exploration des Patienten zeigten sich betont an den unteren Extremitäten weitere Ulcera im Sinne einer Pyodermie – auch hier gelang der Nachweis obiger Mischinfektion. Sämtliche Bewohner erhielten einen Rachenabstrich auf C. diphtheriae sowie eine gründliche Exploration der Haut. Bei ca. 25% aller Bewohner fanden sich beinbetonte abgeheilte Ulcera, in einem noch floriden Ulcus eines weiteren Bewohners S. pyogenes, drei Personen waren im Rachenabstrich positiv auf ebenfalls Toxingen-positive C. diphtheriae, jedoch allesamt asymptomatisch. Der C. diphtheria-Stamm erwies sich als sensibel gegenüber Erythromycin. Aufgrund anzunehmender Complianceprobleme wurde jedoch Azithromycin verordnet und unter Aufsicht eingenommen. Die Impfung gegen Tdap-IPV war bei 26 der 30 Bewohner der Einrichtung schon beim Aufnahmescreening erfolgt. Aufgrund des Nachweises von C. diphtheriae bei vier Geflüchteten wurde die Einrichtungs¬leitung auf die Notwendigkeit hingewiesen, die übrigen 4 Bewohner so schnell wie möglich nachzuimpfen und bei allen diese Impfung bei unbekanntem Impfstatus nach einem bzw. sechs Monaten im Sinne einer Grundimmunisierung unbedingt zu wiederholen. Die Betreuenden in der Einrichtung waren im Rachenabstrich negativ auf C. diphtheriae. Ihnen wurde eine Auffrischung mit Tdap-IPV empfohlen, wenn diese länger als 5 Jahre zurücklag.

Diskussion Fälle von Diphtherie sind in Deutschland relativ selten. Dem RKI wurden bis zur 44. KW 2022 insgesamt 85 Fälle gemeldet (Vorjahreszeitrum nur 16 Fälle). Die Zunahme ist dem aktuellen europaweiten Ausbruch von Diphtherie vor allem der Haut bei Asylsuchenden aus Afghanistan und Syrien geschuldet. Die Erkrankung wird vermutlich ausgehend von Bagatellverletzungen an den Extremitäten während der langen Fluchtroute (Balkanroute) erworben. Die von uns befragten UMA lassen als Expositionsort Türkei und/oder Bulgarien vermuten. Es besteht aufgrund der engen Wohnverhältnisse die Gefahr einer Übertragung innerhalb der Einrichtung auf nicht immunisierte Bewohner. Bemerkenswert bei unserer Screeninguntersuchung ist der Nachweis von 3 weiteren asymptomatischen Rachenbesiedelungen mit Toxingen-positiven Corynebakterien. Ähnliche Untersuchung in der Schweiz haben ergeben, dass zunächst asymptomatische Nachweise (Besiedelungen) später in das klinische Bild einer mit Diphtherie-Antitoxin (DAT) behandlungs-bedürftigen Rachendiphtherie umschlagen können. Zur frühzeitigen Entdeckung von Besiedelungen und Krankheitsfällen sowie Folgeinfektionen schlagen wir daher bei UMA aus den derzeitigen Risikoländern Afghanistan und Syrien bzw. Asylsuchenden, die über die Balkanroute nach D gekommen sind, eine gründliche Exploration der Haut mit der Entnahme von Wundabstrichen auch aus kleinsten Hautwunden, ggf. in Kombination mit einem Rachenabstrich vor.



Publication History

Article published online:
08 March 2023

© 2023. Thieme. All rights reserved.

Georg Thieme Verlag
Rüdigerstraße 14, 70469 Stuttgart, Germany