Einleitung
Epidemiologie und Ätiologie
Zur Rekonstruktion großer knöcherner Defekte mit dem Ziel des Extremitätenerhalts
wurde erstmals 1975 in Australien durch G. I. Taylor eine freie vaskularisierte Fibula
(fvF) nach Trauma am kontralateralen Unterschenkel durchgeführt und publiziert [1]. 1981 veröffentlichte Allieu erstmals die Transplantation einer fvF beim Kind zur
Rekonstruktion einer kongenitalen Unterarmpseudarthrose [2]. Ebenfalls 1981 beschrieben Hurst u. Mitarb. den ersten klinischen Fall der erfolgreichen
Rekonstruktion der Ulna nach chronischem Infekt und weiteten somit die Indikationsstellung
bezüglich des Knochenersatzes auch auf die Osteomyelitis aus [3].
Im Jahr 1983 veröffentlichten Ueba u. Fujikawa [4] eine bereits 1973 in Japan durchgeführte freie, vaskularisierte Fibulatransplantation
zur Rekonstruktion von einem Drittel der Ulna aufgrund einer onkologisch bedingten
Resektion bei einem 11-jährigen Kind als Case Report mit einer 9 Jahre langen Beobachtungszeit
[5].
Im Jahr 1988 beschrieb Pho 3 Fälle einer proximalen, freien, vaskularisierten Fibulasegmenttransplantation
in die obere Extremität unter Mitnahme der Epiphyse und einer umgebenden Muskelmanschette,
welches laut den Autoren die ausreichende Blutversorgung der Epiphyse gewährleisten
sollte. Die Ergebnisse zeigten ein verlangsamtes Wachstum, wiesen aber auf ein Überleben
der Epiphyse hin [6]. Innocenti veröffentlichte im Jahr 2005 seine Erfahrungen mit der Technik der proximalen,
vaskularisierten Fibulasegmenttransplantation bei Kindern seit 1992 und favorisierte
für den funktionellen Erhalt der Epiphyse eine ausreichende Blutversorgung unter Mitnahme
der A. tibialis anterior als sehr anspruchsvolle Technik, zeigte damit aber auch ein
fortschreitendes Längenwachstum nach Transplantation [7].
Das sehr günstige biologische Verhalten eines vaskularisierten Knochentransplantats
und die zusätzlich sehr variable Transplantatlänge führten dazu, die Indikationen
sukzessive zu erweitern und in Fallserien nachzuuntersuchen, wobei sich die Methodik
sowohl im infektiösen und traumatischen als auch im kongenitalen und onkologischen
Anwendungsbereich etablierte.
Biologisches Verhalten
In die Überlegung vor einer Rekonstruktion gehen die am Empfängergebiet vorhandenen
lokalen Weichteilverhältnisse (Wirtslager) und die Funktion der Extremität mit ein.
Dabei müssen vorangegangene Operationen, die Motivation und Erwartungen des Patienten
sowie die Zeit der Heilung und Rehabilitation berücksichtigt werden [8].
Bayne u. Mitarb. beschrieben, dass die vaskularisierte Knochentransplantation eine
schnellere Konsolidierung, eine knöcherne Hypertrophie, weniger Ermüdungsbrüche und
geringere Resorptionsraten bewirkt als avaskuläre Knochentransplantationen [9]
[11].
Eisenschenk fasst für seine Untersuchungen von 1991–1994 zusammen, dass die freie
Fibula als vaskularisiertes Transplantat, also ein vitaler kortikaler Knochen mit
endostaler und periostaler Blutzirkulation, auf biologische Belastungen wie ein normaler
Knochen reagiert [12]
[14]. Dieser heilt dementsprechend nach den Gesetzen der Frakturheilung, reagiert als
Transplantat mit einer Dickenzunahme und einer normalen Infektresistenz. Eine Einheilung
auch im vorgeschädigten Knochenwirtslager, wie z. B. bei Narben, Kontaminations-,
Bestrahlungs- und/oder Chemotherapiefolgen, ist erschwert, aber bei ausreichend guter
Vaskularisation in der Regel möglich.
Muramatsu fasste seine Beobachtungen im Jahr 2014 mit vergleichbaren Ergebnissen zusammen
und beschrieb eine schneller stattfindende Knochenheilung im Vergleich zum avaskulären
Transplantat und eine höhere Toleranz gegenüber Infektionen. Die Knochenheilung, welche
im vorbestrahlten Umfeld möglich ist, bewirkt nämlich eine Neovaskularisation im anliegenden
nekrotischen Knochen. Weiterhin konnte nachgewiesen werden, dass die zu Beginn ersichtliche
Hypertrophie aus den transplantierten Zellen resultiert, während die später einsetzende
Hypertrophie aus den Empfängerzellen herrührt. Dabei ist die früh auftretende Hypertrophie
eine Folge der lokalen Knochenreaktion als Kompensation zur lokal entstehenden Nekrose
(innerhalb der ersten 6 Wochen postoperativ) und die späte Hypertrophie mit systemischen
Faktoren als Antwort und Adaptation auf die neue Umgebung zu verstehen [5].
Nachgewiesen wurde im Tiermodell, dass in avaskulären Transplantaten nur 5 – 10 %
der oberflächlichen Osteozyten überleben. Der übrige Knochen stirbt innerhalb 1 Woche
ab und wird durch eine diffuse Knochenmarkfibrose ersetzt. Die suffiziente Heilung
erfolgt dann aufgrund langsam einwachsender neuer Zellen, der sog. „creeping substitution“.
In transplantierten vaskularisierten Knochen fand man hingegen bis zu 52,4 % lebende
Zellen, sodass die Notwendigkeit einer schleichenden Durchbauung in deutlich geringerem
Maß ausfallen konnte [15]
[16].
Anatomische Besonderheiten
Größe und Durchmesser des Transplantats und Auswahl der Entnahmeseite
Die physiologischen Dimensionen der Fibula mit einem Durchmesser von ca. 1,5 cm und
einer Entnahmelänge von bis zu 25 – 30 cm erweisen sich besonders günstig für die
direkte Rekonstruktion der Ulna und des Radius. Ferner passt die Fibula quasi ideal
in den medullären Raum von Humerus, Femur und Tibia. Der zusätzlich hohe Anteil an
kortikalem Knochen gewährleistet eine gute Stabilität gegenüber Rotationsstress [17].
Die Entnahme der Fibula erfolgt in der Regel im mittleren Anteil, wobei ein ca. 8 cm
langes Fibulasegment proximal zum Schutz des N. peronaeus, des proximalen fibulotibialen
Gelenks, des Ansatzes des M. biceps femoris und des lateralen Kollateralbands des
Kniegelenks sowie ca. 6 cm distal zur Gewährleistung der Stabilität des Sprunggelenks
belassen werden sollten [9]
[18].
Blutversorgung
Wie andere lange Röhrenknochen wird die Fibula von einem endostalen und periostalen
Gefäßbaum versorgt.
Die A. fibularis entspringt i. d. R. ca. 3 cm distal des Abgangs der A. tibialis anterior
und durchbricht die Soleusmuskulatur. Dabei ist sie adhärent an dem lateralen intermuskulären
Septum und verläuft dorsal der Membrana interossea. Sie verläuft dann parallel entlang
der Fibula nach distal geschützt zwischen dem M. tibialis posterior und dem M. flexor
hallucis longus ([Abb. 1]). Die A. fibularis misst zwischen 1,5 und 3 mm und hat i. d. R. 2 Begleitvenen.
Der Pedikel der A. fibularis kann in einer Länge von 6 – 8 cm gehoben werden [9].
Abb. 1 3-D-Längsansicht. Die Membrana interossea trennt anatomisch die Kompartimente. Die
A. tibialis anterior verläuft ventral der Membrana interossea nach distal, die A.
tibialis posterior und A. fibularis dorsalseitig.
Die endostale Blutversorgung erreicht die Fibula über das nutritive Gefäß der A. fibularis ca.
6 – 14 cm nach deren Abgang von der Bifurkation. Selten findet sich ein direkter Abgang
der A. fibularis aus der A. tibialis posterior. Die A. nutritiva gelangt etwa im mittleren
Drittel der Diaphyse in die Fibula und spaltet sich in einen auf- und einen absteigenden
Ast, wodurch die Fibula versorgt wird [19].
Der Blutfluss verläuft zentrifugal von innen (Spongiosa) nach außen zur Kortikalis.
Die periostale Blutversorgung erreicht die Fibula ebenfalls im mittleren Drittel aus mehreren Ästen
der A. fibularis und der A. tibialis anterior [9]
[20]. Zusätzlich findet sich proximal eine Gefäßarkade von den lateralen inferioren Gefäßen
des Kniegelenks und ein Ast der A. tibialis anterior für die Versorgung der proximalen
Epiphyse der Fibula [7].
Aufgrund der Blutversorgung sowohl endostal als auch periosteal sind knöcherne Anpassungen
durch Osteotomie in Längsrichtung als auch „Closed-Wedge-Osteotomien“ zur Rekonstruktion
von komplexen anatomischen Verhältnisse wie zum Beispiel im Bereich der Mund-, Kiefer-
und Gesichtschirurgie unter Erhalt der Durchblutung möglich.
Perforansgefäße
Mehrere fasziokutane und myokutane Perforansgefäße, auch Perforatoren genannt, welche
von der A. fibularis ausgehen, ermöglichen es, eine zusätzliche Hautinsel mit einer
Größe von maximal 10 × 20 cm zu heben [21]. Grundsätzlich können diese Perforatoren auch vorab mit einer Doppler-Untersuchung
lokalisiert werden.
Die Perforatoren treten im mittleren Drittel der Fibula durch das dorsale Drittel
des M. peronaeus longus, während sie sich im distalen Drittel eher zwischen dem M.
soleus und M. peronaeus longus befinden können.
Insbesondere beim Durchtritt der Perforatoren durch den M. peronaeus longus ist beim
Heben einer zusätzlichen Hautinsel darauf zu achten und die Perforatoren sind zu schonen,
wenn der Zugang zur Fibula zwischen dem M. peronaeus longus und M. soleus gewählt
wird.
Die übliche Technik wird dabei insofern modifiziert, dass die Perforatoren anterior
und posterior dargestellt werden und diese mit einer begleitenden Muskelmanschette
des M. flexor hallucis und des M. peronaeus longus im proximalen bis mittleren Drittel
sowie im distalen Drittel mit einer Muskelmanschette des M. flexor hallucis und des
M. soleus gehoben werden [9]. Der M. soleus kann auch als zusätzliche Muskellappenplastik am gleichen Gefäßbaum
entnommen werden, um beispielsweise weitere Defekte zu verschließen und Totraum zu
obliterieren.
Entnahme der proximalen Epiphyse
Des Weiteren ist auch die Mitnahme der proximalen Epiphyse bei Kindern für ein weiteres
Längenwachstum möglich. Dabei sind 2 technische Besonderheiten zu erwähnen, die Hankiss
wie folgt beschrieb [7]
[8]:
-
Die zusätzliche Entnahme der A. tibialis anterior beim Kind, da eine alleinige Versorgung
der Epiphyse durch die A. fibularis zum vorzeitigen Epiphysenschluss führen würde.
Es ist daher notwendig, bei Mitnahme der Epiphyse eine zusätzliche Anastomose mit
der A. tibialis anterior durchzuführen.
-
Nach Entnahme des Caput fibulae Refixierung des Lig. collaterale laterale an der Tibia
zur Stabilisierung des Kniegelenks.
Eine klinische Nachuntersuchung von Kindern mit Low- und High-Grade-Osteosarkomen
des proximalen Humerus mit kompletter Resektion des proximalen Humerus und Transplantation
der proximalen Fibula inklusive der Epiphyse wurde von Shammas u. Mitarb. durchgeführt.
Bei allen Patienten fand sich ein Nachweis von Längenwachstum mit einer Wachstumsrate
von 0,54 cm ± 0,18 cm/Jahr [22].
Therapeutisches Vorgehen
Begonnen wird mit der Beurteilung der Komplexität des zu rekonstruierenden Areals
bezüglich Lokalisation, Länge, begleitendem Weichteilschaden und Infektionsgeschehen.
Im Rahmen vorher durchgeführter Débridements ist es entsprechend der Grundlage aller
Infektsanierungen notwendig, eine radikale Resektion des avitalen Knochen- und Weichteilgewebes
durchzuführen [23]. Dabei besteht die Notwendigkeit mehrerer Abstriche, der Abklärung der mikrobiellen
Besiedlung und ggf. Sanierung, insbesondere auch im Hinblick auf Pilzinfektionen,
wobei hier eine schnellere und genauere Diagnostik über die Einsendung histologisch
zu untersuchender Gewebeproben zu empfehlen ist. Die zwischenzeitliche Defektdeckung
kann mittels Vakuumversiegelung oder anderer Verfahren der temporären Weichteildeckung
erfolgen. Erst nach abgeschlossener knöcherner Stabilisierung, Infektsanierung und
Nekrosektomie sollte eine Abklärung der Gefäßanatomie mit der Frage von mikrovaskulären
Anschlussmöglichkeiten für vaskularisierte Transplantate durch eine Angiografie und/oder
Doppler-Sonografie erfolgen.
Präoperative Angiografie
Eine präoperative Angiografie erachten wir als essenziell für das zukünftige Empfängergebiet, da sowohl durch den Unfall als auch bereits vorbestehende Veränderungen (Atherosklerose,
Gefäßanomalien, Infektionen) Einschränkungen und Veränderungen der Gefäßanatomie vorliegen
können.
Die Notwendigkeit einer präoperativen Angiografie der geplanten Entnahmeregion ist immer wieder Gegenstand von Diskussionen. Lutz u. Mitarb. untersuchten 1998 in
einer prospektiven Studie 120 Patienten mit präoperativer Evaluation mittels gefühltem
Pulsstatus und Angiografie. Dabei fanden sich bei 114 Patienten normal palpable Pulse
und 6 Patienten, bei denen nur ein Gefäß palpabel war. Von diesen 6 konnten bei 5
Patienten dopplersonografisch die Gefäße dargestellt werden.
In den durchgeführten Angiografien fanden sich in 3 % Abnormalitäten:
-
4-mal eine Hypoplasie einer der 2 Hauptgefäße,
-
eine A. fibularis magna,
-
ein Fehlen der A. fibularis und Hypoplasie A. tibialis posterior,
-
ein Hämangiom der A. fibularis.
Zusammenfassend empfehlen die genannten Autoren die Palpation und Dokumentation der
Gefäße des geplanten Spenderbeins, möglichst mehrfach im Rahmen der Vorbesprechung,
Aufnahme und präoperativ. Eine Angiografie wird dementsprechend nur bei abnormem Pulsstatus
und vorangegangenen Traumata an dem geplanten Entnahmebein empfohlen [24].
Oxford u. Mitarb. empfahlen 2005 als Screening eine MR-Angiografie und bei Nachweis
einer 2-Gefäß-Versorgung eine anschließende konventionelle Angiografie [25].
Wir empfehlen im Rahmen der durchzuführenden Angiografie des Empfängergebiets begleitend
die angiografische Darstellung des bzw. der möglichen Spenderregion(en), am besten
beider Beine, da dadurch eine bestmögliche Aussage auch der Gefährdung des Spenderbeins
und versorgungsverzögernde Komplikationen weitgehend abgeschätzt und dementsprechend
vermieden werden. Alternativ kann eine Doppler-Sonografie aus entsprechend erfahrener
Hand die Angiografie des Spenderbeins ersetzen. Bei bekannten Gefäßvorerkrankungen
sowie bei Z. n. Unfällen am Spenderbein halten wir die Angiografie jedoch für unerlässlich.
Wahl der Entnahmeregion
Stellt sich nach der o. g. Diagnostik die Wahl, welche Spenderregion favorisiert werden
sollte, sind die folgenden Punkte zu beachten:
-
Bei Ersatz des Femurs empfiehlt sich die Verwendung der ipsilateralen Seite, da grundsätzlich
das Risiko oder Möglichkeit der Amputation bei Versagen bestehen kann [19].
-
Zum Ersatz der oberen Extremität sollte die Seite entsprechend der Richtung des Gefäßpedikels
ausgewählt werden [19].
-
Bei der Rekonstruktion am Unterarm aus lagerungstechnischen Gründen Wahl des Spenderbeins
kontralateral, um ein Kippen des Beckens zu ermöglichen, ohne Beeinträchtigung der
Präparation am kontralateralen Unterarm.
Indikationen/Kontraindikationen
In engem Kontakt mit dem Patienten sollte nach entsprechenden Wünschen und Erwartungen
die Begleiterkrankungen und auch die Möglichkeit einer Amputation diskutiert werden.
Dabei ist auf die lange Behandlungsdauer von bis zu 1 Jahr und insbesondere begleitende
Nervenschäden (Verlust der Sensibilität der Fußsohle bei Rekonstruktionen an der unteren
Extremität) sowie mögliche Vorteile bei einer Prothesenversorgung einzugehen.
Allgemeinzustand des Patienten und Begleiterkrankungen
Hierner fasste 2009 zusammen, dass allgemein für die freie, vaskularisierte Knochentransplantation
als Kontraindikation gelten [26]:
-
ausgeprägte Gefäßveränderungen im Spender- und Empfängergebiet, vor allem keine Entnahme
des Transplantats bei 50 %iger Stenose eines der versorgenden US-Gefäße [25],
-
systemische Gefäßerkrankungen,
-
fehlende Operabilität des Patienten bei schweren Allgemeinerkrankungen und hohem anästhesiologischen
Risiko.
Möglichkeit des Gefäßanschlusses
Neben der Voraussetzung der Beherrschung des lokalen Infektgeschehens steht die Beurteilung
der gefäßabhängigen Anschlussmöglichkeiten. Je nach Gefäßangebot sollten die Überlegungen
bezüglich einer End-zu-End-, einer End-zu-Seit-Anastomose sowie auch die Möglichkeit
eines zusätzlichen Venenloops mit einer Anschlussmöglichkeit weiter proximal evaluiert
werden.
Das Anastomosengebiet sollte im Gesunden geplant werden, da aus den vorangegangenen
häufigen Débridements erhebliche Vernarbungen und ein Verlust der Elastizität der
Gefäße resultieren können [27].
Knöcherne Defektlänge
In der Literatur werden Mindestdefektlängen von 5 – 6 cm definiert. Die meisten Autoren
gehen dabei von einer Länge von mindestens 6 cm aus, insbesondere dann, wenn begleitende
Umstände wie Vernarbungen, Infekte, Bestrahlung oder Chemotherapie dazukommen und
eine sichere Vaskularisation angestrebt werden muss [14]
[28].
Die maximale Defektlänge wird i. d. R. mit bis zu 25 cm angegeben, kann jedoch auch
länger (bis zu 30 cm) ausfallen [9]
[14].
Inzwischen werden in der Literatur auch kürzere gefäßgestielte Fibulatransplantate
beschrieben und wir konnten ebenfalls im eigenen Patientengut auch kürzere Defektstrecken
von nur 4 cm am Unterarm mit ausreichend guter Vaskularisation und erhaltenem Periostmantel
erfolgreich mit einem Fibulatransplantat überbrücken, bei welchen zuvor durch Anlagerung
von avaskulären Transplantaten keine knöcherne Konsolidierung erreicht werden konnte
[29].
Planung mit zugehörigem Weichteil-/Hautmantel und/oder zusätzlicher Spalthauttransplantation
Begleitende Weichteildefekte stellen keine Kontraindikation zur Transplantation einer
vaskularisierten Fibula dar [30].
In derartigen Fällen ist es erforderlich, die Empfängerregion bezüglich der Knochen-,
Weichteil- und Gefäßanatomie für die zusätzliche Rekonstruktion der Weichteile zu
kennen. Neben der Möglichkeit einer weiteren freien Lappenplastik besteht die Möglichkeit
der Entnahme einer Muskel-/Hautmanschette im Sinne eines freien, vaskularisierten,
osteokutanen Fibulatransplantats, wobei die Hautinsel bis zu ca. 20 cm Länge und 10 cm
Breite messen kann [21].
Dabei ist ein primärer Hautverschluss nach Entnahme am Unterschenkel in Abhängigkeit
von den lokalen Verhältnissen meist nur bis zu einer Breite von 5 – 6 cm möglich [21]. Größere Entnahmeregionen können aber direkt mit einem Spalthauttransplantat erfolgreich
gedeckt werden.
Aufklärung
Allgemein sollte über eine primär lange Operationsdauer aufgeklärt werden mit ggf.,
in Abhängigkeit der Begleiterkrankungen, einem Aufenthalt auf der Wach- bzw. Intensivstation
für 1 – 2 Tage. Weiterhin zu besprechen sind eine anschließende Bettruhe von mind.
5 – 7 Tagen und die Antikoagulation mit niedermolekularem Heparin mit gewichtsadaptierter
Dosierung während des stationären Aufenthalts.
Weiterhin sollte über eine zusätzlichen Spalthaut- oder Vollhautentnahme von bislang
nicht unmittelbar betroffenen Körperregionen mit dem Risiko unschöner Hebedefekte
und vermehrte Narbenbildung aufgeklärt werden. Darüber hinaus ist immer über eine
zusätzliche Venenentnahme bei intraoperativ unzureichend vorhandenem Gefäßstiel zu
informieren.
Für das Spendergebiet ist auf die Möglichkeit einer Schwellung und Nachblutung und
das seltene Risiko der Instabilität im oberen Sprunggelenk sowie der Schädigung des
N. peronaeus profundus bei Fibulaentnahme hinzuweisen.
Bei Entnahme einer zusätzlichen Muskelmanschette oder des M. soleus besteht zudem
das Risiko einer Kraftminderung und Beugeschwäche der Großzehe.
Die früher oft durchgeführte Ruhigstellung der Spenderextremität wird nicht mehr durchgeführt.
Eine Mobilisation des Spenderbeins ist postoperativ schmerzadaptiert, aber uneingeschränkt
nach Aufheben der Bettruhe möglich.
Für das Empfängergebiet ist insbesondere auf den Verlust des(r) Transplantate(s) und
die Rückzugsmöglichkeiten mit Erwähnung weiterer Spenderknochen, wie zum Beispiel
die Entnahme am anderen Bein, ggf. die Entnahme eines vaskularisierten Beckenkamm-
oder Skapulatransplantats hinzuweisen. Des Weiteren ist über eine verzögerte Frakturheilung
und das Risiko einer Ermüdungsfraktur vor allem der unteren Extremität sowie die Option
zusätzlicher Implantate inklusive des Fixateur externe aufzuklären.
Operative Verfahren
Planung in Abhängigkeit von den notwendigen operativen Verfahren wie zusätzlicher
Venenentnahme, Hauttransplantationen usw. mit einer Operationszeit von ca. 6 – 10
Stunden, möglichst mit 2 Operationsteams:
Perioperativ erfolgt das gemeinsame Planen der knöchernen Fibulalänge anhand der anatomischen
Gegebenheiten und der Länge des Gefäßstiels.
Begleitend erfolgt eine perioperative Antibiotikaprophylaxe entsprechend den hausinternen
Richtlinien bzw. dem evtl. bekannten Keimspektrum des Patienten mit einer Wiederholungsgabe
nach 6 – 8 Stunden.
Entnahme der Fibula
Taylor beschrieb die Entnahme bzw. Hebung über einen dorsalen Zugang als muskuloossäres
Transplantat, wobei inzwischen deutlich häufiger der laterale Zugang von Gilbert 1979
genutzt wird ([Abb. 2]) [17]
[19]. Zur Anwendung kommt auch die modifizierte Version von Wood mit einem Zugang zwischen
dem M. peronaeus longus und M. soleus [9].
Abb. 2 Querschnitt durch den Unterschenkel im proximalen Drittel mit Lagebeziehungen der
versorgenden Gefäße und Nerven in Bezug auf die Kompartimente. Der Zugangsweg ist
mit einem Pfeil markiert.
Entsprechend dem Foramen nutricium, welches zu 90 % im mittleren Drittel der Fibula
liegt und zur Sicherung sowohl der medullären als auch periostalen Blutversorgung
dient, wird die Entnahmeregion im mittleren Drittel geplant [31].
Operatives Beispiel der Hebung einer vaskularisierten Fibula zur Rekonstruktion einer
Pseudarthrose am Radius
Die Entscheidung zur Rekonstruktion mit einer vaskularisierten Fibula wurde in diesem
Fall nach
mehrfachen frustranen Versuchen nach vorangegangener Anlagerung von Beckenkammspongiosa
und nachfolgendem Plattenbruch gefällt ([Abb. 3 – 23]).
Abb. 3 Pseudarthrose am Radius am Übergang vom mittleren zum distalen Drittel mit Plattenbruch
nach mehrfachen Osteosynthesen mit Spongiosaplastik vom Beckenkamm. a Röntgenaufnahme seitlich. b Röntgenaufnahme a. – p. und Computertomografie.
Abb. 4 Lagerung des Entnahmebeins mit steriler Blutsperre, um eine mögliche Spalthautentnahme
vom Oberschenkel zu gewährleisten. Angekipptes Becken. Fußrolle zur Stabilisierung
und Lagerung in gebeugter Stellung des Kniegelenks. Abmessen der Fibulalänge und Unterteilung
in Fünftel. Markierung des Verlaufs des N. fibularis superficialis et profundus am
Fibulakopf. Hebung in diesem Beispiel ohne Blutsperre, falls erforderlich Anlegen
mit 300 mmHg.
Abb. 5 Inzision der Haut und des Subkutangewebes bis zur oberflächlichen Muskelfaszie. Deutlich
sichtbar sind die Mm. fibularis brevis et longus und die (Peroneal-)Sehnen sowie die
durch die Faszie erkennbare darunterliegende Abgrenzung zum M. soleus mit einer Fettschicht.
Proximal-dorsal spannt sich zwischen Faszie und der Subkutis ein kaliberstarker Perforator
für eine etwaige Hautinsel auf.
Abb. 6 Schematische Darstellung des Zugangswegs von lateral.
Abb. 7 a Eingehen in der Schicht zwischen M. fibularis und M. soleus. Sichtbare unterschiedliche
Zeichnung der Muskulatur und in der Tiefe tastbare und sichtbare laterale Fibulakante.
b Freigelegte laterale Fibulakante.
Abb. 8 Freigelegte laterale Fibulakante mit verbliebenem schmalen Muskelrasen. Inzision
der Faszie (Septum intermusculare anterius) zum M. extensor digitorum longus und M.
extensor hallucis longus.
Abb. 9 Schematische Darstellung des Zugangswegs (Pfeil) durch die Septen bzw. Kompartimente
des Unterschenkels im Querschnitt.
Abb. 10 Nach Abmessen des Defekts Osteotomie der Fibula mit der oszillierenden Säge und Fassen
mit scharfen Knochenklemmen.
Abb. 11 Darstellung der Rotation der Fibula nach lateral nach Absetzen des Transplantats
mit der oszillierenden Säge.
Abb. 12 Rotieren der Fibula nach außen, wobei sich die dahinterliegende Muskulatur des M.
extensor digitorum longus und M. extensor hallucis longus anspannt. Freipräparation
der Fibula von der Muskulatur unter Belassen eines schmalen Muskelrasens.
Abb. 13 Nach weiterem Rotieren der Fibula zeigt sich nun die Membrana interossea, die 2 – 3 mm
vor der Fibulakante inzidiert wird. Oberhalb in der Muskulatur sichtbare A. tibialis
anterior und Begleitvenen sowie der N. fibularis profundus.
Abb. 14 Zu Demonstration der durchaus sehr variablen Anatomie möchten wir hier in einem vergleichbaren
Fall einen engen Gefäßverlauf der A. tibialis posterior mit dem N. tibialis unmittelbar
angrenzend an die A. fibularis zeigen. Die intraoperative Präparation sollte dementsprechend
sauber erfolgen und vor Absetzen des Gefäßstiels die Strukturen sicher identifiziert
und mit Loops angeschlungen werden.
Abb. 15 Darstellung der bereits distal vom Gefäßstiel der A. fibularis gelösten Fibulatransplantats
im mittleren Drittel des Unterschenkels.
Abb. 16 Herausgelöstes Fibulatransplantat proximal am Gefäßstiel der A. fibularis hängend.
Unterhalb des Gefäßstiels sichtbare Muskulatur des M. flexor hallucis sowie der darüberliegende
M. tibialis posterior.
Abb. 17 Sichtbare gute endostale Durchblutung des Transplantats.
Abb. 18 Vorbereitung und Zuschneiden des Transplantats und der notwendigen Stiellänge. a Ursprüngliches Präparat. b Nach Zuschneiden der notwendigen Stiellänge.
Abb. 19 Resektion der Pseudarthrose am Unterarm.
Abb. 20 Darstellung der A. radialis für eine mikrovaskuläre End-zu-Seit-Anastomose am Unterarm.
Abb. 21 Einpassen und Fixieren mit stabiler Plattenosteosynthese, anschließend Öffnen der
Blutsperre und Durchführen der Gefäßanastomose.
Abb. 22 Postoperative Röntgenbilder nach Einpassen der Fibula. a Dorsopalmare Aufnahme. b Seitliche Aufnahme.
Abb. 23 Hautverschluss unter Einlage einer Redon-Drainage am Unterschenkel.
Fehler/Gefahren
-
Fertigstellung der Osteosynthese vor den mikrovaskulären Gefäßanastomosen, da sonst das Risiko besteht, keine spannungsfreien
Anastomosenverhältnisse zu erhalten [32].
-
Vor dem Absetzen des Transplantats sollte eine mindestens 30-minütige Perfusion erfolgen.
Andersfalls besteht ein vermehrtes Risiko von Muskelnekrosen und/oder eines avaskulären
Transplantats [32].
-
Unzureichende Planung, welche die OP-Zeiten verlängert, wie z. B. durch zusätzliche
Venenentnahme oder kurzfristige Wechsel des Implantats oder eine zusätzliche Beckenkamminterposition
bei unzureichender Länge der Fibula. Durch lange OP-Zeiten kann eine Gefährdung der
Durchblutung der Extremität resultieren. Gleiches gilt für die akzidentelle Verletzung
der Gefäße mit zusätzlicher Gefäßnaht.
-
Die begleitende Hautinsel kann abscheren (Torsion des Gefäßstiels) oder durch zu stark
komprimierende Verbände eine Durchblutungsstörung aufweisen, ohne dass eine Insuffizienz
der Durchblutung des Knochentransplantats besteht.