kleintier konkret 2018; 21(02): 14-18
DOI: 10.1055/s-0043-122314
Hund
Physiotherapie
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Zervikaler Rückenmarksinfarkt beim Hund – Welche physiotherapeutischen Maßnahmen sind empfehlenswert?

Iris Challande-Kathmann
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Publication Date:
02 May 2018 (online)

 

Hunde mit einem zervikalen Rückenmarksinfarkt zeigen oft dramatische neurologische Ausfälle bis hin zum Verlust der Steh- und Gehfähigkeit. Frühzeitig eingesetzte physiotherapeutische Maßnahmen erhöhen die Chance, dass diese Patienten ihr Gehvermögen wiedererlangen.


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Einleitung

Beim Rückenmarksinfarkt gelangt auf noch ungeklärte Weise fibrokartilaginöses Material in den Blutkreislauf des Rückenmarks und erzeugt einen Gefäßverschluss. Dieser hat eine Ischämie und Blutungen im Rückenmark zur Folge. Je nach Lokalisation und Ausdehnung des Infarkts kommt es zu einer perakut auftretenden, meist asymmetrischen leicht- bis hochgradigen Gangstörung ([Tab. 1]).

Tab. 1 Neuroanatomische Lokalisation des Infarkts und entsprechende neurologische Ausfälle.

Lokalisation

neurologische Befunde

C1 – C5

  • Tetraparese und Koordinationsstörungen aller 4 Gliedmaßen

  • Propriozeption an allen 4 Gliedmaßen abnormal

  • spastische Lähmung an allen 4 Gliedmaßen

  • normale bis gesteigerte Reflexe

  • normaler bis gesteigerter Muskeltonus

C6 – Th2

  • Tetraparese und Koordinationsstörungen aller Gliedmaßen

  • Propriozeption an allen 4 Gliedmaßen abnormal

  • schlaffe Lähmung vorne und spastische Lähmung hinten

  • verminderte Reflexe und reduzierter Muskeltonus vorne

  • normale bis gesteigerte Reflexe hinten

  • normaler bis gesteigerter Muskeltonus hinten

  • vorne schnell Muskelatrophie


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Rehabilitation

Die Physiotherapie sollte sofort begonnen werden. Während der Rehabilitation steht initial die Prophylaxe von Sekundärschäden wie Zystitis ([Abb. 1]), Dekubitus ([Abb. 2]), Pneumonie, hochgradige Muskelatrophie und Kontrakturen im Vordergrund sowie natürlich das Wiedererlernen des Laufens.

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Abb. 1 Zystitisprophylaxe: Mehrmals täglich Blase kontrollieren und ausdrücken; hier im Liegen. Die Entleerung ist sobald wie möglich mit Unterstützung im Stand durchzuführen.(© Iris Challande-Kathmann)
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Abb. 2 Weiche, wechselnde Lagerung und Lagern in Sternallage mittels Kissen als Dekubitus- und Pneumonieprophylaxe.(© Iris Challande-Kathmann)

Stationäre Behandlung

Meist dauert es zwischen 2 – 7 Tagen, bis die Hunde wieder gehfähig sind und nach Hause können. Solange der Patient nicht steh- und gehfähig ist und die Blase noch manuell ausgedrückt werden muss, empfiehlt sich eine stationäre Behandlung mit mehrmals täglicher Massage und passiver Bewegungstherapie sowie tägliche aktive Therapie inklusive Hydrotherapie.

Massage

Die Massage löst Verspannungen und fördert die Durchblutung und Mobilität. Sie ist sehr wichtig bei immobilen Patienten. Es wird mit Streichungen begonnen und dann geknetet. Idealerweise wird mindestens 1-mal täglich eine Ganzkörpermassage (ca. 20 – 30 Minuten) durchgeführt und 2 weitere Male am Tag werden die Problemzonen (ca. 10 – 15 Minuten) bearbeitet. Die Gliedmaßen werden je nach Muskeltonus tonisierend (bei schlaffer Lähmung) oder detonisierend (bei spastischer Lähmung) massiert ([Abb. 3], [Tab. 1]).

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Abb. 3 Sanfte Knetmassage der Halsmuskulatur.(© Iris Challande-Kathmann)

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Passive Bewegungstherapie

Die passive Bewegungstherapie kann in die Massageeinheiten integriert werden und sollte ebenfalls 3-mal am Tag durchgeführt werden. Sie erhält und fördert die Beweglichkeit und beinhaltet:

  • passive Bewegung der Gelenke in alle physiologischen Richtungen (10- bis 30-mal, je nach Problematik, [Abb. 4])

  • Dehnen (2- bis 3-mal, [Abb. 4])

  • reflexinduziertes Training (3- bis 5-mal Auslösen pro Trainingseinheit, [Abb. 5])

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Abb. 4 Passive Bewegungstherapie. a Mobilisation Schulterblatt, hier Retraktion und Dehnung der Halsmuskulatur. Das Schulterblatt wird dorsal und ventrokranial umfasst und so in alle Richtungen kreisend auf dem Thorax verschoben. b Mobilisation der Vordergliedmaße; hier Extension der Vordergliedmaße und beim Halten der Position (mind. 15 sec) sanftes Dehnen von Trizeps- und Schultergürtelmuskulatur. Davor werden alle Gelenke einzeln passiv durchbewegt. Eine Hand liegt dabei jeweils kranial und die andere distal des Gelenks. Das Gleiche gilt für die Nachhand. c Extension der Hintergliedmaße und Dehnen von Rückenmuskulatur, Hüfte und Oberschenkel. d Mobilisation aller Gelenke in physiologischer Richtung; hier Abduktion der Hüfte und bei weiterem Druckaufbau Dehnen der Adduktoren.(© Iris Challande-Kathmann)
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Abb. 5 Reflexinduziertes Training: Flexorreflex an der Vordergliedmaße. Die Pfote wird stimuliert und der Hund zieht das Bein an, so wird die Muskulatur auch bei kaum vorhandener spontaner Motorik stimuliert.(© Iris Challande-Kathmann)

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Aktive Bewegungstherapie

Mindestens 5-mal täglich ist eine aktive Bewegungstherapie in Form von Kraft-, Ausdauer- und Koordinationstraining mit oder ohne Unterstützung sowie Gleichgewichtsübungen ([Abb. 6]) zu empfehlen. Ebenso ist eine tägliche Hydrotherapie (1- bis 2-mal täglich Unterwasserlaufband ([Abb. 7]) oder Schwimmen) anzuraten. Zusätzlich kann z. B. eine Magnetfeldtherapie zur Anwendung kommen (1- bis 3-mal täglich, die Herstellerangaben befolgen).

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Abb. 6 Aktive Bewegungstherapie fördert die Kraft und Ausdauer sowie das Körpergefühl und damit die Koordination. Ideal sind häufige, kurze Trainingseinheiten. Zu Beginn sind es Einheiten von wenigen Minuten, die progressiv – der Kondition des Tieres entsprechend – verlängert werden. a Gleichgewichts- und Kräftigungsübung am Physioball. b Später Übung auf dem Trampolin. c Slalom- und Cavalettiarbeit ist ein gutes Kraft- und Ausdauertraining und fördert neben der Koordination gezielt die Mobilität.(© Iris Challande-Kathmann)
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Abb. 7 Bei der Hydrotherapie trägt das Tier wegen des Auftriebs weniger Gewicht und wird durch die Viskosität des Wassers stabilisiert. Dadurch können Patienten, die an Land noch nicht ohne Unterstützung steh- oder gehfähig sind, früher frei stehen und sich selbstständig fortbewegen, was sehr motivierend ist. Hier Training auf dem Unterwasserlaufband: a zu Beginn stehend, unterstützt, mit leichten Gleichgewichtsübungen (Gewichtsverlagerung von links nach rechts, schwebend), b später laufend ohne Unterstützung.(© Iris Challande-Kathmann)

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Ambulante Behandlung und Therapie zu Hause

Sobald die Hunde mit leichter Unterstützung steh- und gehfähig sind und selbstständig die Blase entleeren, können die Besitzer nach Instruktion zu Hause mit der Therapie weitermachen und zur regelmäßigen ambulanten Behandlung gehen.

Das Programm der Besitzer beinhaltet:

  • tägliche Massage und passive Bewegung

  • aktive Bewegung, vor allem:

    • Gangschulung: wichtig ist sehr langsames Laufen, damit das Tier Zeit hat, die Beine richtig zu benutzen und abzustellen

    • Gleichgewichtsübungen auf unterschiedlichem Untergrund

    • mit dem Tierarzt und Therapeuten zusammengestelltes progressiv gesteigertes Kraft- und Ausdauertraining an Land, z. B. immer längere und schnellere Trabeinheiten/joggen

Zu Beginn sollten die Besitzer idealerweise mindestens 1-mal die Woche zur Kontrolle und zur Therapie, insbesondere zur Hydrotherapie, kommen. Häufigere Kontrollen sind empfehlenswert, falls die Übungen zu Hause ein Problem sind. Je nach Fortschritt wird der Therapieplan angepasst und die Therapieabstände können meist nach 1 – 2 Monaten vergrößert werden.

Merke

Das Rehabilitationsprogramm (Methoden und Intensität) ist regelmäßig den sehr unterschiedlichen Fortschritten der Patienten anzupassen.


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Prognose

Die Prognose hängt von der Lokalisation und vor allem vom Ausmaß des Rückenmarkschadens ab. Ist der Infarkt im Bereich C1–5 lokalisiert, ist die Prognose besser als bei einer Lokalisation zwischen C6 – Th2. Viele Hunde haben initial hochgradige Ausfälle, die sich schnell stark verbessern. Hochgradige neurologische Ausfälle, die sich in den ersten Tagen nicht verbessern, haben eine sehr vorsichtige Prognose.


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Fazit

Trotz der initial zum Teil dramatischen neurologischen Ausfälle stehen die Chancen mittels adäquater Physiotherapie, die Gehfähigkeit wiederzuerlangen, meist relativ gut. Dies gilt insbesondere bei sich in den ersten Tagen schnell verbessernden Symptomen und ist auf jeden Fall einen Versuch wert.


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Iris Challande-Kathmann
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Abb. 1 Zystitisprophylaxe: Mehrmals täglich Blase kontrollieren und ausdrücken; hier im Liegen. Die Entleerung ist sobald wie möglich mit Unterstützung im Stand durchzuführen.(© Iris Challande-Kathmann)
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Abb. 2 Weiche, wechselnde Lagerung und Lagern in Sternallage mittels Kissen als Dekubitus- und Pneumonieprophylaxe.(© Iris Challande-Kathmann)
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Abb. 3 Sanfte Knetmassage der Halsmuskulatur.(© Iris Challande-Kathmann)
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Abb. 4 Passive Bewegungstherapie. a Mobilisation Schulterblatt, hier Retraktion und Dehnung der Halsmuskulatur. Das Schulterblatt wird dorsal und ventrokranial umfasst und so in alle Richtungen kreisend auf dem Thorax verschoben. b Mobilisation der Vordergliedmaße; hier Extension der Vordergliedmaße und beim Halten der Position (mind. 15 sec) sanftes Dehnen von Trizeps- und Schultergürtelmuskulatur. Davor werden alle Gelenke einzeln passiv durchbewegt. Eine Hand liegt dabei jeweils kranial und die andere distal des Gelenks. Das Gleiche gilt für die Nachhand. c Extension der Hintergliedmaße und Dehnen von Rückenmuskulatur, Hüfte und Oberschenkel. d Mobilisation aller Gelenke in physiologischer Richtung; hier Abduktion der Hüfte und bei weiterem Druckaufbau Dehnen der Adduktoren.(© Iris Challande-Kathmann)
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Abb. 5 Reflexinduziertes Training: Flexorreflex an der Vordergliedmaße. Die Pfote wird stimuliert und der Hund zieht das Bein an, so wird die Muskulatur auch bei kaum vorhandener spontaner Motorik stimuliert.(© Iris Challande-Kathmann)
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Abb. 6 Aktive Bewegungstherapie fördert die Kraft und Ausdauer sowie das Körpergefühl und damit die Koordination. Ideal sind häufige, kurze Trainingseinheiten. Zu Beginn sind es Einheiten von wenigen Minuten, die progressiv – der Kondition des Tieres entsprechend – verlängert werden. a Gleichgewichts- und Kräftigungsübung am Physioball. b Später Übung auf dem Trampolin. c Slalom- und Cavalettiarbeit ist ein gutes Kraft- und Ausdauertraining und fördert neben der Koordination gezielt die Mobilität.(© Iris Challande-Kathmann)
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Abb. 7 Bei der Hydrotherapie trägt das Tier wegen des Auftriebs weniger Gewicht und wird durch die Viskosität des Wassers stabilisiert. Dadurch können Patienten, die an Land noch nicht ohne Unterstützung steh- oder gehfähig sind, früher frei stehen und sich selbstständig fortbewegen, was sehr motivierend ist. Hier Training auf dem Unterwasserlaufband: a zu Beginn stehend, unterstützt, mit leichten Gleichgewichtsübungen (Gewichtsverlagerung von links nach rechts, schwebend), b später laufend ohne Unterstützung.(© Iris Challande-Kathmann)