Rofo 2017; 189(11): 1106-1111
DOI: 10.1055/s-0043-120589
Radiologie und Recht
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Haftung für fehlerhafte Leitlinien, Stellungnahmen und Empfehlungen

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Publication Date:
26 October 2017 (online)

 

Einführung

Aus dem Behandlungsvertrag schuldet der behandelnde Arzt seinem Patienten gemäß § 630a Abs. 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) eine Behandlung nach dem allgemein anerkannten fachärztlichen Standard. Zur Bestimmung dieses Standards kann unter anderem auf Richtlinien sowie Leitlinien, Stellungnahmen und Empfehlungen wissenschaftlicher Fachgesellschaften zurückgegriffen werden.

Richtlinien zur Qualitätssicherung in der gesetzlichen Krankenversicherung, z. B. diejenigen des Gemeinsamen Bundesausschusses gemäß § 92 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V), werden aufgrund gesetzlicher Ermächtigung erlassen und besitzen normative Bindungswirkung[1]. Ein Abweichen von solchen Richtlinien bedeutet eine Pflichtverletzung des Arztes. Dies gilt gem. §§ 136b und c SGB V auch im Krankenhausbereich.

Leitlinien sind dagegen systematisch entwickelte Aussagen der ärztlichen Fachgesellschaften und Berufsverbände, mit denen durch Untersuchungs- und Behandlungsempfehlungen die Entscheidungsfindung von Ärzten und Patienten für eine angemessene Versorgung bei spezifischen Gesundheitsproblemen unterstützt werden soll[2]. Unterschieden wird zwischen drei Stufen von Leitlinien. Leitlinien der Stufe 1 entstehen aus einem informellen Konsens innerhalb einer repräsentativ zusammengesetzten Expertengruppe. Leitlinien der Stufe 2 setzen eine formale Konsensfindung in einem bewährten Konsensusverfahren (z. B. Delphikonferenz) voraus. Leitlinien der Stufe 3 entstehen schließlich aus der Erweiterung einer Leitlinie der Stufe 2 mit allen Elementen systematischer Entwicklung auf fünf weitere Komponenten (Logik, Konsensus, „Evidence-based medicine”, Entscheidungsanalyse, Outcome-Analyse)[3]. Leitlinien sollen generell den Stand der Erkenntnisse fixieren, also die standardgemäße Behandlung umschreiben[4]. Teilweise wird vertreten, dass Leitlinien der Stufe 3 medizinisch verbindlich sind, wenn sie dem Standard entsprechen und dass sie rechtlich verbindlich sind, weil sie dem Standard entsprechen[5]. In jedem Fall haben aber ärztliche Leitlinien in Abhängigkeit von ihrer methodischen Qualität mehr oder weniger stark ausgeprägte indizielle Bedeutung für den medizinischen Standard und damit für die Beurteilung der konkret erforderlichen Sorgfalt des Arztes[6]. Sie lassen dem Arzt einen Entscheidungsspielraum und Handlungskorridore, von denen in begründeten Einzelfällen abgewichen werden kann, ggf. abgewichen werden muss[7]. Sie unterscheiden sich insoweit von Richtlinien, weil ein Abweichen von Ihnen (außer ggf. bei Leitlinien der Stufe 3) nicht notwendigerweise eine Pflichtverletzung des Arztes bedeutet. Entscheidend für die Bestimmung des allgemein anerkannten fachärztlichen Standards sind daher stets auch die Umstände des Einzelfalls.

Noch weniger verbindlich als Leitlinien sind Stellungnahmen bzw. Empfehlungen von Fachgesellschaften. Nach Intention der Bundesärztekammer wird mit ihren Empfehlungen die Aufmerksamkeit der Ärzteschaft und der Öffentlichkeit auf bestimmte Themen oder Sachverhalte gelenkt, indem umfassende Informationen und Anregungen, Ratschläge oder Hinweise sowie konsentierte Lösungsstrategien zu ausgewählten Fragestellungen vermittelt werden. Ihre Stellungnahmen definiert sie als Ausführungen, in denen ein Standpunkt, mit Blick auf die Ärzteschaft sowie die Öffentlichkeit, nachvollziehbar, überzeugend und plausibel begründet, zu einem ausgewählten Thema oder zu einer Frage vermittelt wird[8]. Empfehlungen und Stellungnahmen sind wie Leitlinien als wissenschaftliche Veröffentlichungen zu behandeln, die sich an ein überdurchschnittlich informiertes Publikum wenden, das sie überprüfen und würdigen kann. Der informierte Arzt soll solche Empfehlungen und Stellungnahmen beachten. Ihnen kommt aber, anders als Leitlinien, keine indizielle Wirkung zu.

Damit ist jedoch lediglich umrissen, nach welchen Maßstäben sich die Haftung eines behandelnden Arztes beurteilt. Offen bleibt hingegen, ob und in welchem Umfang die Autoren, Herausgeber und Verleger von Leitlinien, Stellungnahmen und Empfehlungen haften. Der folgende Beitrag gibt daher eine Antwort auf die Frage, mit welchen Vorschriften die Beteiligten an der Veröffentlichung von Leitlinien, Stellungnahmen und Empfehlungen, welche sich an ein überdurchschnittlich informiertes Publikum wendet, das sie überprüfen und würdigen kann, in Konflikt geraten können.

Ähnliche Überlegungen wie die folgenden muss auch ein Arzt anstellen, der – etwa auf seiner Praxishomepage – Stellungnahmen oder Empfehlungen für seine Patienten oder Kollegen publiziert. Gleiches gilt, wenn er mit der Veröffentlichung ein wirtschaftliches Interesse verfolgt, indem er z. B. auf von ihm verwendete Produkte oder angebotene Dienstleistungen aufmerksam macht.


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Deliktsrecht

Wenn die Inhalte von Leitlinien, Stellungnahmen und Empfehlungen fehlerhaft sind und die Autoren, Herausgeber und Verleger ein Verschulden für die Fehlerhaftigkeit trifft, können sie für diese Inhalte – wie bei anderen wissenschaftlichen Veröffentlichungen auch – gem. § 823 Abs. 1 BGB haften. In Betracht kommt zum einen die Haftung gegenüber Patienten, die wegen eines Fehlers des Arztes, der auf die Richtigkeit einer fehlerhaften Veröffentlichung vertraut, einen Schaden erleiden. Zum anderen ist eine Haftung gegenüber einem Unternehmen, das aufgrund von Aussagen in der Veröffentlichung in seinem Unternehmerpersönlichkeitsrecht oder seinem Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb verletzt ist, zu erwägen. Zudem kommt eine Haftung gegenüber einem Unternehmen wegen einer Kreditgefährdung im Sinne von § 824 Abs. 1 BGB in Betracht. Eine Haftung gem. § 823 Abs. 1 BGB gegenüber dem behandelnden Arzt, der auf die Richtigkeit einer fehlerhaften Veröffentlichung vertraut, scheidet regelmäßig aus. Diesem entsteht durch eine Falschbehandlung allenfalls ein reiner Vermögensschaden, indem er seinem Patienten gegenüber schadenersatzpflichtig wird. Vor reinen Vermögensschäden schützt § 823 Abs. 1 BGB jedoch nicht.

Haftung gegenüber Patienten

In Betracht kommt eine Schadenersatzpflicht von Autoren, Herausgebern und Verlegern gem. § 823 Abs. 1 BGB gegenüber Patienten, die wegen eines Fehlers eines Arztes, der auf die Richtigkeit einer fehlerhaften Veröffentlichung vertraut hat, einen Schaden erleiden.

Denkbar ist z. B. ein Fall, wie ihn der Bundesgerichtshof (BGH) zu entscheiden hatte[9]. In einem medizinischen Lehrbuch wurde die Konzentration einer medizinischen Kochsalzlösung fälschlicherweise mit 25 % und nicht mit 2,5 % angegeben. Ein junger Assistenzarzt hielt sich an diese falsche Anweisung, sodass die Infusion der hochprozentigen Lösung beinahe zum Tod des Patienten führte. Der geschädigte Patient nahm anschließend den Verleger des Lehrbuches in Anspruch.

Hinsichtlich einer möglichen Fehlerhaftigkeit der Inhalte einer Veröffentlichung ist zunächst zwischen den darin enthaltenen Tatsachenbehauptungen und Meinungsäußerungen zu unterscheiden. Während Meinungsäußerungen grundgesetzlichen Schutz nach Art. 5 Abs. 1 Grundgesetz (GG) genießen, kann die vorsätzliche oder fahrlässige Behauptung falscher Tatsachen eine deliktische Haftung begründen.

Tatsachenbehauptungen sind solche Äußerungen, die einer Überprüfung auf ihre Richtigkeit mit Mitteln des Beweises zugänglich sind. Meinungen sind im Unterschied dazu durch das Element der Stellungnahme geprägt. Sofern eine Abgrenzung von Tatsachenbehauptung und Meinungsäußerung schwierig ist, weil sie miteinander verbunden werden, ist der Begriff der Meinung im Interesse eines wirksamen Grundrechtsschutzes weit zu verstehen. Vermengen sich in einer Äußerung Tatsachenbehauptungen und Meinungsäußerungen, wird sie vom Grundrecht der Meinungsfreiheit geschützt, sofern die Elemente der Stellungnahme, des Dafürhaltens oder Meinens prägend sind[10].

Eine Haftung von Autoren, Herausgebern und Verlegern für falsche Tatsachenbehauptungen kann jedoch nur in dem Umfang bestehen, in dem ihnen eine Pflichtverletzung vorgeworfen werden kann. Der Autor einer Veröffentlichung kann regelmäßig für deren Inhalt zur Verantwortung gezogen werden. Der Herausgeber periodischer oder nicht periodischer Druckwerke haftet je nach dem Einfluss, der ihm rechtlich und tatsächlich eröffnet ist. Kann ein Verleger Einfluss auf Inhalt und Verbreitung einer Veröffentlichung nehmen – was regelmäßig der Fall ist – so ist er dafür auch verantwortlich[11]. Je größer die Möglichkeiten der Beteiligten sind, auf die Inhalte und die Verbreitung einer Veröffentlichung Einfluss zu nehmen, desto umfangreicher sind auch ihre Verpflichtungen in Bezug auf die Rechtskonformität derselben. Pflichtwidriges Handeln setzt wenigstens Fahrlässigkeit voraus. Fahrlässig handelt derjenige, der die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht lässt, § 276 Abs. 2 BGB. Dies bemisst sich an den typischen Kenntnissen und Fähigkeiten, die einschlägige Verkehrsteilnehmer oder Berufsangehörige haben. Im Fall der Veröffentlichung von Leitlinien, Stellungnahmen und Empfehlungen von wissenschaftlichen Fachgesellschaften orientiert er sich hinsichtlich deren Inhalts deshalb am anerkannten wissenschaftlichen Standard zum Zeitpunkt der Veröffentlichung. Zu differenzieren ist hinsichtlich des Sorgfaltsmaßstabes auch nach der Aussagekraft der verschiedenen Arten der Publikationen. Je größer die Verbindlichkeit der Inhalte einer solchen Veröffentlichung ist, desto strenger wird auch die Beurteilung, ob der für diese Art der Publikation anerkannte wissenschaftliche Standard eingehalten worden ist, erfolgen. Jedenfalls die ärztliche Leitlinie muss dem medizinischen Standard entsprechen, um ein Haftungsrisiko auszuschließen[12].

Dementsprechend ist der Verleger zudem auch verpflichtet, für die Vermeidung orthografischer Fehler zu sorgen[13]. Wird der jeweilige Standard eingehalten, kann die Bekanntgabe der Behauptungen grundsätzlich keine Haftung auslösen[14]. In Fällen einer Nichteinhaltung des anerkannten wissenschaftlichen Standards genießen über die verfassungsrechtlich garantierte Wissenschaftsfreiheit (Art. 5 Abs. 3 GG) jedoch auch falsche wissenschaftliche Tatsachenbehauptungen einen begrenzten Schutz. Werden Dritte aufgrund einer leicht fahrlässigen wissenschaftlichen Fehlinformation geschädigt, ist dies nach Art. 5 Abs. 3 GG nicht rechtswidrig und begründet deshalb auch keine deliktische Haftung[15]. Demgemäß ist der BGH in dem eingangs dargestellten Sachverhalt zu dem Schluss gekommen, dass der Verlag für die leichte Fahrlässigkeit, einen Druckfehler übersehen zu haben, nicht haften müsse, zumal eine Häufung von Druckfehlern in dem Lehrbuch nicht behauptet war[16].

Um einen Anspruch des Geschädigten zu begründen, muss außerdem zwischen dem pflichtwidrigen Verhalten und der Schädigung ein Zurechnungszusammenhang bestehen. Für den Fall, dass sich ein Arzt auf die Richtigkeit einer Veröffentlichung verlässt, wird dieser nicht von vornherein auszuschließen sein. Je höher die Verbindlichkeit der Veröffentlichung für die Bestimmung des fachärztlichen Standards und je größer die Expertise der Autoren, desto größer wird auch das Vertrauen des Rezipienten in deren Richtigkeit sein und desto enger ist die Verknüpfung zwischen dem pflichtwidrigen Verhalten der an der Veröffentlichung Beteiligten und der Schädigung.

Gegenüber Patienten, die wegen eines Fehlers eines Arztes, der auf die Richtigkeit einer fehlerhaften Veröffentlichung vertraut, einen Schaden erleiden, können die Autoren, Herausgeber und Verleger von Leitlinien, Stellungnahmen und Empfehlungen deshalb zum Schadenersatz verpflichtet sein, soweit falsche Tatsachen behauptet werden und soweit ihnen wenigsten leichte Fahrlässigkeit vorgeworfen werden kann.


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Haftung gegenüber Unternehmen

Neben Schadenersatzansprüchen gem. §§ 823 Abs. 1, 824 Abs. 1 BGB kommt für ein von einer Veröffentlichung betroffenes Unternehmen zusätzlich ein Unterlassungsanspruch gegen den jeweiligen Autor, Herausgeber und Verleger in Betracht (§ 1004 Abs. 1 BGB analog).

Sämtliche Anspruchsgrundlagen setzen voraus, dass das Unternehmen durch die Veröffentlichung individuell betroffen ist. Nach einem Urteil des Oberlandesgerichts (OLG) Köln setzt die individuelle Betroffenheit eines Unternehmens voraus, dass sich die Äußerung, so wie sie vom Verkehr verstanden wird, mit dem Unternehmen befasst oder in enger Beziehung zu seinen Verhältnissen, seiner Betätigung oder gewerblichen Leistung steht. Nicht erforderlich ist eine namentliche Nennung; vielmehr reicht die Erkennbarkeit des Unternehmens aus. Damit ein Unternehmen zum Beispiel durch die Veröffentlichung einer Äußerung über ein lediglich der Gattung nach bezeichnetes Erzeugnis betroffen ist, soll dieses Unternehmen auf dem Markt eine Position einnehmen müssen, die bewirkt, dass die Äußerung zwangsläufig auf seine Produkte bezogen wird[17].

Der Tatbestand des § 824 Abs. 1 BGB setzt sodann voraus, dass unwahre Tatsachen mitgeteilt werden. § 824 BGB schützt hingegen nicht vor abwertenden Meinungsäußerungen und Werturteilen. Hinsichtlich der Pflichtwidrigkeit einer solchen falschen Tatsachenbehauptung ist der gleiche Maßstab anzulegen wie hinsichtlich einer Schadenersatzpflicht gegenüber Patienten.

Sofern ein Unternehmen Ansprüche gem. § 823 Abs. 1 BGB wegen einer Verletzung seines unternehmerischen Persönlichkeitsrechts oder eines Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb geltend machen sollte, könnte es sich zudem auch auf Meinungsäußerungen beziehen. Diese wären jedoch in diesem Fall ebenfalls durch das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung gem. Art. 5 Abs. 1 GG geschützt. Dieses stünde allerdings mit der Berufsfreiheit des Unternehmens aus Art. 12 Abs. 1 GG in Konflikt. In Bezug auf Meinungsäußerungen in medizinischen Leitlinien hat das OLG Köln in der bezeichneten Entscheidung ausgeführt, dass in einem solchen Fall die vom BGH in ständiger Rechtsprechung angewandten Anforderungen an zulässige, die gewerblichen Leistungen eines Unternehmens kritisierenden, wertende Beurteilungen durch Warentests angewendet werden können[18]. Diese verlangen, dass die Untersuchung neutral und objektiv vorgenommen wird, wobei nicht die objektive Richtigkeit eines Ergebnisses im Vordergrund steht, sondern das Bemühen um diese Richtigkeit. Weitere Voraussetzung ist nach den Anforderungen des BGH, dass die Untersuchung sachkundig durchgeführt wird. Soweit diese Voraussetzungen erfüllt sind, soll ein erheblicher Spielraum in Bezug auf die Angemessenheit der Prüfungsmethoden, die Auswahl der Testobjekte sowie die Darstellung der Untersuchungsergebnisse zuzulassen sein[19].

Es lässt sich zusammenfassen, dass jedes Unternehmen, das erfolgreich Ansprüche gegen die Beteiligten an einer Veröffentlichung geltend machen möchte, von den Aussagen in der Veröffentlichung betroffen, d. h. individuell erkennbar sein muss. Hinsichtlich der Tatsachenbehauptungen in einer Veröffentlichung gilt auch gegenüber einem Unternehmen, dass Autoren, Herausgeber und Verleger dafür Sorge tragen müssen, nicht fahrlässig falsche Tatsachen zu behaupten. Es ist deshalb besonderer Wert auf die fachliche Sorgfalt bei den Tatsachenbehauptungen zu legen. Meinungsäußerungen in einer Veröffentlichung sind auch gegenüber Unternehmen durch die Meinungsfreiheit geschützt. Die vom BGH in ständiger Rechtsprechung angewandten Anforderungen an Beurteilungen durch Warentests sind in jedem Fall einzuhalten.


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Produkthaftungsgesetz

Nach dem Produkthaftungsgesetz (ProdHaftG) ist der Hersteller eines Produkts dem Geschädigten schadenersatzpflichtig, wenn durch den Fehler des Produkts jemand getötet, sein Körper oder seine Gesundheit verletzt oder eine Sache beschädigt wird, § 1 Abs. 1 ProdHaftG. Auf ein Verschulden des Herstellers kommt es nicht an. Hersteller im Sinne des ProdHaftG ist gem. § 4 Abs. 1 ProdHaftG derjenige, der das Endprodukt, einen Grundstoff oder ein Teilprodukt hergestellt hat.

Nach allgemeiner Meinung kommt eine Haftung nach dem ProdHaftG für nicht verkörperte, z. B. mündliche Informationen nicht in Betracht[20]. In der Literatur umstritten und von der Rechtsprechung bisher nicht entschieden ist, ob die (falsche) Information selbst, die auf einem Datenträger fixiert ist (z. B. in Büchern, auf Computerfestplatten oder sonstigen Speichermedien), aus dem Anwendungsbereich des ProdHaftG ausgenommen ist. Einerseits wird darauf abgestellt, dass Informationen, die auf Datenträgern verbreitet werden, einen wesentlich größeren Adressatenkreis erreichen als mündlich verbreitete Informationen und wegen ihres deshalb größeren Schädigungspotenzials in den Anwendungsbereich des ProdHaftG fallen sollen. Andererseits ist es sehr fraglich, auch angesichts der Online-Verfügbarkeit vormaliger Druckwerke, die Anwendung des ProdHaftG davon abhängig zu machen, ob die Information in einem Datenträger – einer beweglichen Sache – verkörpert ist oder nicht[21]. Zudem wird eine Anwendbarkeit des ProdHaftG auf verkörperte geistige Leistungen mit der Begründung verneint, dass das Gesetz allein vor den physischen Gefahren eines Erzeugnisses schützen will[22].

Dass der Verleger einer Veröffentlichung als Hersteller des Endprodukts und die Herausgeber und Autoren als Hersteller eines Grundprodukts oder Teilstoffs für fehlerhafte Informationen haften müssen, kann also nicht vollständig ausgeschlossen werden. Da auch das ProdHaftG nicht vor reinen Vermögensschäden schützt, wird eine Schadenersatzpflicht nach seinen Regelungen gegenüber falsch behandelnden Ärzten nicht in Betracht kommen. Zudem können sich gewerbliche Nutzer nicht auf das ProdHaftG berufen[23].


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Wettbewerbsrecht

Nach §§ 8, 9 des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) kann derjenige, der eine nach § 3 UWG unzulässige geschäftliche Handlung vornimmt, auf Unterlassung und Schadenersatz in Anspruch genommen werden. Auch ein Anspruchsteller nach dem UWG muss von der unzulässigen geschäftlichen Handlung betroffen sein (vgl. oben zur Haftung gegenüber einem Unternehmen nach § 823 Abs. 1, 824 Abs. 1 BGB).

Eine Haftung nach dem UWG setzt zunächst das Vorliegen einer geschäftlichen Handlung voraus. Was eine geschäftliche Handlung ist, regelt das UWG in § 2 Abs. 1 Nr. 1. Danach ist eine geschäftliche Handlung jedes Verhalten einer Person zugunsten des eigenen oder eines fremden Unternehmens, bei oder nach einem Geschäftsabschluss, das mit der Förderung des Absatzes oder des Bezugs von Waren oder Dienstleistungen oder mit dem Abschluss oder der Durchführung eines Vertrags über Waren oder Dienstleistungen objektiv zusammenhängt. Die geschäftliche Handlung muss bei objektiver Betrachtung darauf gerichtet sein, durch Beeinflussung der geschäftlichen Entscheidungen der Verbraucher (oder sonstigen Marktteilnehmer) den Absatz oder Bezug zu fördern[24]. § 2 Abs. 1 Nr. 1 UWG setzt zudem einen objektiven Zusammenhang zwischen Handlung und Beeinflussung einer geschäftlichen Entscheidung voraus. Dieser fehlt, wenn sich die Handlung zwar auf eine solche Entscheidung auswirken kann, aber vorrangig anderen Zielen als der Förderung des Absatzes oder Bezuges dient. Das ist insbesondere bei Handlungen anzunehmen, welche der redaktionellen Unterrichtung der Öffentlichkeit oder wissenschaftlichen Zielen dienen[25]. Das wird bei Leitlinien, Stellungnahmen und Empfehlungen regelmäßig der Fall sein, da sie üblicherweise redaktionell erstellt werden. Zudem sind sie zur Unterrichtung der Fachöffentlichkeit gedacht. Es ist aber nicht auszuschließen, dass sich eine Aussage in einer Veröffentlichung derart für die Bevorzugung eines bestimmten Produkts oder eines bestimmten Unternehmens ausspricht, dass der Eindruck entsteht, sie diene nicht vorrangig anderen Zielen als der Förderung des Absatzes oder Bezuges. Zu einer solchen Einschätzung könnte man auch gelangen, wenn die Autoren, Herausgeber oder Verleger Zuwendungen von solchen Unternehmen erhalten, mit denen oder deren Produkten sich die Veröffentlichung befasst[26].

Soweit sich eine Veröffentlichung an Verbraucher richtet, ist stets auch die unwahre Angabe, eine Ware oder Dienstleistung könne Krankheiten, Funktionsstörungen oder Missbildungen heilen, unzulässig (§ 3 Abs. 3 UWG, Nr. 18 Anh. zu § 3 Abs. 3 UWG). Erforderlich ist insoweit eine ausdrückliche Behauptung, die objektiv unwahr ist[27].

Auch unlautere geschäftliche Handlungen sind unzulässig, § 3 Abs. 1 UWG. Sie können nicht nur gegenüber Verbrauchern, sondern auch gegenüber sonstigen Marktteilnehmern vorgenommen werden und damit gegenüber allen Personen, die als Anbieter oder Nachfrager von Waren oder Dienstleistungen tätig sind, § 2 Abs. 1 Nr. 2 UWG. Unlauter im Sinne des UWG handelt bspw., wer irreführende geschäftliche Handlungen vornimmt, § 5 Abs. 1 S. 1 UWG. Eine besondere Ausprägung des Irreführungsverbots des § 5 mit Bezug auf Aussagen in einer Veröffentlichung findet sich z. B. in den sondergesetzlichen Regelungen des Heilmittelwerbegesetzes (HWG). Über § 3a UWG können die Verbote des HWG mit den Mitteln des Wettbewerbsrechts zivilrechtlich durchgesetzt werden. Nach dieser Vorschrift handelt unlauter, wer einer gesetzlichen Vorschrift zuwiderhandelt, die auch dazu bestimmt ist, im Interesse der Marktteilnehmer das Marktverhalten zu regeln, und der Verstoß geeignet ist, die Interessen von Verbrauchern, sonstigen Marktteilnehmern oder Mitbewerbern spürbar zu beeinträchtigen. Werbebeschränkungen und -verbote, die sich auf bestimmte Waren oder Dienstleistungen beziehen, dienen typischerweise dem Schutz der Verbraucher und stellen daher Marktverhaltensregelungen im Sinne des § 3a UWG dar[28]. Das HWG dient in erster Linie dem Schutz der Gesundheitsinteressen des Einzelnen und der Allgemeinheit vor den Gefahren einer unsachgemäßen Selbstmedikation mit Arzneimitteln und des Fehlgebrauchs anderer Mittel zur Linderung von Krankheiten[29]. Es stellt somit eine gesetzliche Vorschrift im Sinne des § 3a UWG dar. § 17 HWG erklärt ausdrücklich, dass das UWG unberührt bleibt. Verstöße gegen das HWG können mithin über die §§ 8 ff. UWG zivilrechtlich verfolgt werden[30]. Anwendung findet das HWG gem. § 1 Abs. 1 auf die Werbung für Arzneimittel im Sinne des § 2 des Arzneimittelgesetzes, Medizinprodukte im Sinne des § 3 des Medizinproduktegesetzes, andere Mittel, Verfahren, Behandlungen und Gegenstände, soweit sich die Werbeaussage auf die Erkennung, Beseitigung oder Linderung von Krankheiten, Leiden, Körperschäden oder krankhaften Beschwerden bei Mensch oder Tier bezieht, sowie operative plastisch-chirurgische Eingriffe, soweit sich die Werbeaussage auf die Veränderung des menschlichen Körpers ohne medizinische Notwendigkeit bezieht. Werbung im Sinne des HWG sind alle informationsvermittelnden und meinungsbildenden Aussagen, die darauf abzielen, die Aufmerksamkeit der Adressaten zu wecken und deren Entschlüsse mit dem Ziel der Förderung des Absatzes von Waren oder Leistungen im Sinne des § 1 HWG zu beeinflussen[31]. Dabei findet das HWG nur Anwendung auf Produktwerbung für bestimmte Waren oder Dienstleistungen, nicht hingegen auf allgemeine Unternehmenswerbung (Imagewerbung)[32]. Sofern sich also eine Aussage in Leitlinien, Stellungnahmen und Empfehlungen auf eine bestimmte Ware oder Dienstleistung bezieht und zudem deren Absatz befürwortet, müssen die an der Veröffentlichung Beteiligten besonderes Augenmerk darauf legen, dass möglicherweise der Anwendungsbereich des HWG eröffnet ist und Verstöße gegen das HWG Schadenersatz und Unterlassungsansprüche begründen können.

Daneben kommt bezüglich der hier in Rede stehenden Veröffentlichungen insbesondere in Betracht, dass sie im Sinne des § 5 UWG irreführende Aussagen enthalten, die nicht von dem Katalog des HWG erfasst sind.

Sobald Leitlinien, Stellungnahmen und Empfehlungen klar erkennbar Bezug auf ein Unternehmen oder dessen Produkte oder Dienstleistungen nehmen, kommt eine Haftung auch nach dem UWG in Betracht. Dabei werden die Aussagen in einer solchen Veröffentlichung zwar regelmäßig nicht als geschäftliche Handlungen zu qualifizieren sein, sind sie es aber einmal doch, gelten strenge Anforderungen an ihre Richtigkeit, Eindeutigkeit und Klarheit, soweit auf die Gesundheit Bezug genommen wird[33].


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Urheberrecht

Auch nach den Vorschriften des Urheberrechtsgesetzes (UrhG) können sich die Beteiligten an einer Veröffentlichung Unterlassens- und Schadenersatzansprüchen ausgesetzt sehen, § 97 UrhG. Urheberrechtliche Ansprüche nach dieser Norm richten sich gegen denjenigen, der ein fremdes Urheberrecht oder ein verwandtes Schutzrecht verletzt. Für den Vertrieb eines fremde Urheberrechte verletzenden Textes haftet nicht allein derjenige, der das betreffende Werk verfasst hat, sondern daneben ggf. auch der Verleger oder der Drucker[34]. Dabei verlangen nur die Schadenersatzansprüche ein Verschulden des Verletzers, § 97 Abs. 2 UrhG. Unterlassungsansprüche können hingegen verschuldensunabhängig entstehen.

Geschützte Werke an denen ein Urheberrecht bestehen kann, sind gem. § 2 Abs. 1 UrhG insbesondere auch Schriftwerke, Lichtbildwerke und Darstellungen wissenschaftlicher oder technischer Art. Das bedeutet, dass der Verwendung von z. B. fremden Textpassagen, Fotos oder auch Dosierungstabellen das Potenzial eignet, die Rechte der Urheber dieser Werke zu verletzen. Das Urheberrecht findet jedoch seine Schranken in den Bestimmungen der §§ 44a–63a UrhG. Von besonderer Relevanz für die hier in Rede stehenden Veröffentlichungen ist die Schranke des § 51 UrhG. Nach dieser Vorschrift ist die Vervielfältigung, Verbreitung und öffentliche Wiedergabe eines veröffentlichten Werkes zum Zweck des Zitats zulässig, sofern die Nutzung in ihrem Umfang durch den besonderen Zweck gerechtfertigt ist. Diese Privilegierung dient dem Allgemeininteresse an freier geistiger Auseinandersetzung, an Dialog, Kritik und kultureller Entwicklung[35]. Als Beispiel für einen rechtfertigenden Zweck führt § 51 S. 2 Nr. 1 UrhG an, dass einzelne Werke nach der Veröffentlichung in ein selbstständiges wissenschaftliches Werk zur Erläuterung des Inhalts aufgenommen werden. Das zitierte Werk muss zur Erläuterung des Inhalts des aufnehmenden Werkes aufgenommen worden sein und darf nicht im Rahmen des aufnehmenden Werkes für sich selbst sprechen oder gar die Hauptsache des aufnehmenden Werks darstellen[36]. Das zulässige Zitat ersetzt nach § 51 das Zustimmungsrecht des Urhebers und führt gleichsam zu einem „Nutzungsrecht“ des Nutzers. Das Zitat unterliegt jedoch dem Änderungsverbot des § 62 UrhG sowie dem Gebot der Quellenangabe nach § 63 Abs. 1, 2 UrhG[37].

Sofern in einer Veröffentlichung fremde Inhalte verwendet werden, ist besondere Vorsicht geboten. Bestehen an diesen Inhalten fremde Urheberrechte, ist ihre Verwendung nur zulässig, soweit sie durch eine Schrankenregelung des UrhG erfasst ist.


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Zusammenfassung und Fazit

Die Wahrscheinlichkeit, nach den §§ 823 Abs. 1, 824 Abs. 1 BGB für Leitlinien, Stellungnahmen und Empfehlungen haften zu müssen, ist eher gering. Sie kann zudem durch eine gewissenhafte und sorgfältige Kontrolle der Richtigkeit der behaupteten Tatsachen auf ein Minimum reduziert werden. Gänzlich auszuschließen ist eine Haftung nach diesen Vorschriften jedoch nicht. Entsprechendes gilt für die Haftung gegenüber geschädigten Patienten nach dem ProdHaftG, wenn der falsch behandelnde Arzt auf eine falsche Angabe in einer Veröffentlichung vertraut hat.

Sobald ein Unternehmen oder einzelne Produkte oder Dienstleistungen in einer Veröffentlichung erwähnt oder sogar empfohlen werden oder von ihnen abgeraten wird, besteht ein erhöhtes Haftungsrisiko. Sofern auch nur einzelne Aussagen als geschäftliche Handlungen zu betrachten sind, können sie eine Haftung nach dem UWG auslösen. Werden gegenüber Verbrauchern falsche Tatsachen hinsichtlich medizinischen Waren oder Dienstleistungen behauptet, ist dies stets eine unzulässige geschäftliche Handlung und kann Schadenersatz- sowie Unterlassungsansprüche begründen. Sofern fremde Inhalte verwendet werden, kommt zudem eine Haftung nach dem UrhG in Betracht.

Angesichts der Vielzahl haftungsrechtlicher Vorschriften mit denen Autoren, Herausgeber und Verleger von Leitlinien, Stellungnahmen und Empfehlungen in Konflikt geraten können – auch an die Verletzung von Markenrechten kann z. B. gedacht werden –, sollten vor deren Veröffentlichung daher stets die Faktenlage und mögliche Rechtsverstöße gewissenhaft geprüft werden.

mm?>Prof. Dr. Peter Wigge
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Medizinrecht

Jonas Kaufhold
Rechtsanwalt

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1 Axer, in Schnapp/Wigge, Vertragsarztrecht, 3. Aufl. 2017, § 10 Rn. 24 f.


2 Axer, a. a. O., Rn. 26.


3 Seewald, a. a. O., § 19 Rn. 62.


4 Spickhoff/Spickhoff, Medizinrecht, 2. Aufl. 2014, BGB § 630a Rn. 38.


5 Hart in Rieger/Dahm/Katzenmeier/Steinhilper/Stellpflug (Hrsg), HK-AMK, 07/2017, Ärztliche Leitlinien Nr. 530, Rn. 21.


6 Spickhoff/Spickhoff, Medizinrecht, 2. Aufl. 2014, BGB § 630a Rn. 40.


7 BeckOK BGB/Katzenmeier, BGB § 630a Rn. 157, beck-online.


8 http://www.bundesaerztekammer.de/richtlinien.


9 BGH, Urteil vom 7.7.1970, Az.: VI ZR 223/68.


10 BVerfG, Urteil vom 22.6.1982, Az.: 1 BvR 1376/79.


11 MüKoBGB/Rixecker, BGB § 12 Anh. Rn. 263 f.


12 Hart in Rieger/Dahm/Katzenmeier/Steinhilper/Stellpflug (Hrsg), HK-AMK, 07/2017, Ärztliche 13 Leitlinien Nr. 530, Rn. 19.


13 Vgl. die abdingbare Regelung des § 20 Abs. 1 S. 1 des Gesetzes über das Verlagsrecht..


14 Heldrich, Ordnung der Wissenschaft 2015, 155 (158).


15 Heldrich, a. a. O., 155 (162).


16 BGH, Urteil vom 7.7.1970, Az.: VI ZR 223/68.


17 OLG Köln, Urteil vom 6.11.2012, Az.: 15 U 221/11.


18 Ebd.


19 BGH, Urteil vom 9.12.1975, Az.: VI ZR 157/73.


20 MüKoBGB/Wagner, ProdHaftG § 2 Rn. 13 f.


21 Wagner, a. a. O. Rn. 15.


22 Martin, DS 2008, 176.


23 Ebd.


24 Köhler/Bornkamm/Köhler, UWG, 34. Aufl. 2016, § 2 UWG Rn. 48.


25 Köhler, a. a. O., Rn. 51.


26 Vgl. Köhler, a. a. O., Rn. 67.


27 Bornkamm, a. a. O., Anh. zu § 3 Abs. 3 UWG Rn. 18.3.


28 Köhler, a. a. O., § 3a Rn. 1.217.


29 Spickhoff/Fritzsche, Medizinrecht, 2. Aufl. 2014, HWG Vorbemerkung Rn. 1.


30 Vgl. Spickhoff/Fritzsche, a. a. O., § 17 Rn. 1.


31 Spickhoff/Fritzsche, a. a. O., § 1 Rn. 5.


32 Spickhoff/Fritzsche, a. a. O., § 1 Rn. 6.


33 Köhler/Bornkamm/Bornkamm, UWG, 34. Aufl. 2016, § 5 UWG Rn. 4.181.


34 Dreier/Schulze/Dreier/Specht, Urheberrechtsgesetz, 5. Aufl. 2015, § 97 UrhG Rn. 23.


35 Dreier, a. a. O., § 51 UrhG Rn. 1.


36 Dreier, a. a. O., Rn. 3.


37 Dreier, a. a. O., Rn. 2.