Schlüsselwörter
Demenz - Leichte Kognitive Störung - Fahrtauglichkeit - Fahreignung
Key words
dementia - mild cognitive impairmant - driving ability
Autofahren stellt je nach Situation sehr unterschiedliche kognitive Anforderungen:
niedrig in vertrautem Gelände, bei Helligkeit, bei geringem
Verkehr und mit einem Beifahrer, der die Richtung weist, hoch in unbekanntem Terrain,
bei Dunkelheit, Regen und dichtem Verkehr, in Umleitungen
und plötzlichen Gefahrensituationen. Eine turnusmäßige Überprüfung der Fahrtauglichkeit
(auch: Fahreignung) älterer Fahrer erfolgt in
Deutschland nicht, anders als in vielen anderen europäischen Ländern, zum Beispiel
Schweiz, Italien, Niederlande, Großbritannien und Dänemark.
Vom aktuellen Verkehrsminister und dem ADAC wird sie abgelehnt. Eine qualitativ hochwertige
Überprüfung, etwa ab 75 Jahren, wäre angesichts der
wachsenden Millionenzahl älterer Autofahrer mit hohem Aufwand verbunden.
Die Informationsverarbeitungskapazität des Gehirns („flüssige Intelligenz“) nimmt
im Alter und bei Erkrankungen ab. Dies wird umso relevanter, je
höher die geistigen Anforderungen in Bezug auf Tempo, Menge und Komplexität sind.
Autofahrer ab ca. 75 Jahren benötigen schon unter
Routinebedingungen mehr bewusste Aufmerksamkeit und Konzentration und ermüden schneller
[1]. Sie passen ihren
Fahrstil in der Regel an ihre reduzierte kognitive Leistungsfähigkeit an. Lebenslange
Fahrpraxis und ein defensiver Fahrstil helfen,
altersbedingte Defizite zu kompensieren. Dennoch verursachen sie pro gefahrene Kilometer
mehr Unfälle als jüngere Fahrer, und sind bei drei
Viertel der von ihnen erlittenen Unfälle selbst die Verursacher. Fahrfehler treten
vor allem in schwierigeren Verkehrssituationen auf. Ein mit
dem Alter deutlich zunehmender Fahrfehler ist die Missachtung der Vorfahrt.
Bei älteren Fahrern mit ZNS-Erkrankungen addieren sich alters- und krankheitsbedingte
kognitive Einschränkungen. Für Neurologen, Psychiater und
Hausärzte ist es eine wichtige Aufgabe und Verantwortung, die Fahrtauglichkeit betagter
oder kognitiv beeinträchtigter Patienten zu hinterfragen
und zu prüfen. Ärzte müssen über eine eingetretene Fahruntauglichkeit aufklären und
ein ärztliches Fahrverbot aussprechen. Sie müssen das Thema
mit Betroffenen und Angehörigen aktiv ansprechen und bei Nichtbefolgung eines Fahrverbotes
gegebenenfalls weitere Maßnahmen ergreifen.
Ein präventiver Entzug der Fahrerlaubnis durch Polizei und Führerscheinstelle erfolgt
in der Regel nicht, auch wenn sie von Angehörigen über eine
relevante Erkrankung eines Führerscheininhabers informiert werden. Polizei und Behörden
greifen ein, wenn ein Autofahrer auffällig wird, zum
Beispiel offenkundig unsicher fährt, wiederholte Verkehrsverstöße begeht, in nicht
nachvollziehbarer Weise verunfallt, bei Kontrollen verwirrt
wirkt oder sein Auto nicht findet und als gestohlen meldet. In der Regel wird dann
die zuständige Führerscheinstelle benachrichtigt, die ein
Verfahren zur Überprüfung der Fahrtauglichkeit in Gang setzt (meist verkehrsmedizinisches
Gutachten, ausnahmsweise Medizinisch-Psychologische
Untersuchung).
Im vorliegenden Beitrag wird auf die Fahrtauglichkeit für Fahrzeuge der Gruppe 1 gemäß
den Begutachtungsleitlinien für Kraftfahreignung [2] Bezug genommen, d. h. für PKW, Motorräder, Traktoren und Lieferfahrzeuge bis 3,5
Tonnen. Für die Gruppe 2
gelten besondere und wesentlich strengere Regeln, einschließlich der Pflicht zu einer
turnusmäßigen medizinischen Untersuchung (u. a. Lastwagen
ab 3,5 Tonnen, Personenbeförderung, Busse).
Stellvertretend für Arzt/Ärztin, Patient/Patientin etc. werden im Folgenden die Begriffe
Arzt, Patient etc. verwendet.
Kognitive Anforderungen des Autofahrens
Kognitive Anforderungen des Autofahrens
Die für das Fahren notwendigen geistigen Fähigkeiten können in etwa wie folgt zusammengefasst
werden:
-
Exekutive Leistungen, d. h. die Fähigkeit, Sinneseindrücke und Verkehrssituationen
schnell und richtig zu verarbeiten, schnell und
richtig zu denken, zu entscheiden und zu handeln. Hierfür relevante Leistungen sind
ausdauernde Vigilanz und Aufmerksamkeit, Denk- und
Reaktionsgeschwindigkeit sowie Tempo und Präzision bei der motorischen Umsetzung von
Lenk- und Bremsentscheidungen
-
Visuell-räumliches Denken: Autofahrer müssen ihren Fahrweg bis ans Ende des Sichtfeldes
und darüber hinaus antizipieren. Besonders in
unvertrauter Umgebung, bei Dunkelheit, in Kreisverkehren, Baustellen, Einmündungen,
Umleitungen, Engpässen, Kreuzungen, beim Überholen,
beim Abbiegen und in allen unübersichtlichen Situationen ist die Fähigkeit gefordert,
den umgebenden Raum mental zu kartieren, Fahrwege
anderer Verkehrsteilnehmer abzuschätzen, Abstände nach vorne und zur Seite einzuschätzen,
Geschwindigkeiten und Bremswege zu
beurteilen
-
Urteilsvermögen und Verhaltenskontrolle: Sicheres Fahren erfordert komplexe geistige
Leistungen einschließlich der vorausschauenden
Analyse der Verkehrssituation (Straßenzustand, Verkehrszeichen, andere Verkehrsteilnehmer),
des Unterlassens riskanter Fahrweisen
(Ignorieren von Verkehrsregeln, schnelles Fahren, gefährliches Überholen) und der
richtigen Einschätzung der eigenen Fähigkeiten und der
Fahrzeugleistung beim Beschleunigen, Bremsen und Kurvenfahren
Notwendig sind weiterhin: gutes Sehvermögen, ausreichendes Hören, eine intakte Motorik
der Arme und Beine und Kopfwendung nach hinten. Das
Autofahren erfordert also cerebrale, kognitive und sensorische Leistungen, die fast
alle funktionellen Systeme des Gehirns involvieren:
Stirnhirn (Urteilsvermögen, Verhaltenskontrolle), frontal-subcortikale Netzwerke (exekutive
Leistungen), cortikale Werkzeugleistungen
(visuell-räumliches Denken), Wahrnehmung und Motorik. Autofahren kann nur, wer in
Bezug auf diese Fähigkeiten höchstens geringe Defizite
aufweist, die durch eine angepasste Fahrweise weitgehend kompensiert werden können.
Wenn Fahrtauglichkeit grundsätzlich besteht, weil keine signifikanten organischen
oder psychischen Erkrankungen vorliegen, kann ein Arzt dennoch
empfehlen, das Fahren auf Situationen ohne besondere Anforderungen beschränken, z.
B. bei guten Licht- und Witterungsverhältnissen oder im
Nahbereich. Dies gilt besonders für Hochbetagte, bei Einnahme von Medikamenten, die
benommen machen, sedieren oder anderweitig die Funktion des
Gehirns beeinträchtigen, und nach stattgehabten Fahrfehlern, die noch nicht über das
hinausgehen, was auch bei jüngeren Fahrern vorkommt.
Rechtliche Grundlagen
Die bestehenden Gesetze und Vorschriften zur Fahreignung bei Demenz sind vage und
eher liberal formuliert, Testverfahren und Mindestleistungen
sind nicht vorgegeben, die Auslegung obliegt daher dem Arzt oder Gutachter. Die deutsche
Fahrerlaubnisverordnung (Anlage 4) schließt Personen
mit „schwerer Altersdemenz und schwerer Persönlichkeitsveränderungen durch pathologische
Alterungsprozesse“ von der Fahreignung aus, nicht
jedoch Personen mit „Intelligenzstörungen“ und „chronischen hirnorganischen Psychosyndromen“,
wenn diese „leichtgradig“ sind und wenn keine
„Persönlichkeitsstörung“ vorliegt. In den „Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung“
der Bundesanstalt für Straßenwesen [2] heißt es im Abschnitt 3.12.3 zu „Altersdemenz und Persönlichkeitsveränderungen durch
pathologische
Alterungsprozesse“, dass Personen mit „ausgeprägter seniler oder präseniler Demenz
oder schwerer altersbedingter Persönlichkeitsveränderung“
nicht fahrtauglich sind. Gefahren ergäben sich „aus mangelnden sensorischen Leistungen
oder erheblichen Reaktionsleistungsschwächen, so dass es
zu Situationsverkennungen und Fehlreaktionen kommen kann. Verbinden sich mit solchen
Schwächen Persönlichkeitsveränderungen, wie erheblicher
Mangel an Einsicht und Kritik, dann entsteht die besonders gefahrenträchtige Kombination
von Leistungsschwächen und falscher Einschätzung des
eigenen Leistungsvermögens.“ Weiter heißt es: „…gewisse Leistungsminderungen sind
bei allen Menschen im höheren Lebensalter zu erwarten. Es
müssen also ausgeprägte Leistungsmängel und schwere Persönlichkeitsveränderungen im
Einzelfall nachgewiesen werden.“
Leichte Kognitive Störung (Mild Cognitive Impairment, MCI)
Leichte Kognitive Störung (Mild Cognitive Impairment, MCI)
Jede degenerative Demenzerkrankung durchläuft ein MCI-Stadium, aber nicht jede leichte
kognitive Störung im Alter ist das Vorstadium einer
Demenz. Auch stabile kognitive Einschränkungen bei verschiedensten Erkrankungen können
formal korrekt als „Leichte Kognitive Störung“ bezeichnet
werden, zum Beispiel bei cerebrovaskulären Läsionen, kompensiertem Normaldruckhydrocephalus
oder Tumoren. In Bezug auf die Fahrtauglichkeit
stellen sich generell drei Fragen:
-
Welche Erkrankung liegt vor, insbesondere: ist das Vorstadium einer degenerativen
Demenzerkrankung zu vermuten?
-
Welche kognitiven Defizite liegen aktuell vor?
-
Welche Auswirkungen haben sie auf die Fahrtauglichkeit?
Faktoren, die das Autofahren zusätzlich beeinträchtigen können, müssen in Betracht
gezogen werden: Störungen der Kopf- und Körperdrehung, der
Motorik von Armen und Beinen, psychische oder internistische Vorerkrankungen, Medikamente,
Sehen und Hören.
Fahrtauglichkeit bei „Amnestischer“ Leichter Kognitiver Störung Diese häufigste und markanteste Form einer MCI ist das Vorstadium der
Alzheimer-Demenz. Im Vordergrund steht eine sehr deutliche Störung des Neugedächtnisses
(„amnestisches MCI“, aMCI). Oft liegen auch schon
Einschränkungen „instrumenteller“, d. h. anspruchsvoller Alltagsaktivitäten vor, zum
Beispiel für schriftliche und finanzielle Angelegenheiten
und für den Umgang mit elektronischen Geräten. In Bezug auf das Autofahren führt die
Neugedächtnisstörung dazu, dass neue Fahrwege schwer
erlernt werden können oder ein geparktes Auto nur mit Mühe wieder gefunden wird. Altes
Wissen, überlernte Fähigkeiten und einfache
Informationsverarbeitung sind aber im Wesentlichen erhalten. Bei aMCI ist die Fahrtauglichkeit
daher nicht unmittelbar aufgehoben. Wenn
nachweislich keine zusätzlichen neurologischen, neuropsychologischen und psychiatrischen
Symptome bestehen und keine Verkehrsverstöße
vorgekommen sind, kann die Fahrtauglichkeit zunächst noch bejaht werden.
Bei aMCI kommt es jedoch in der Regel zu einer zunehmenden, zuweilen raschen Verschlechterung
des Zustands im Zeitraum von einigen Monaten bis
etwa zwei Jahren. Eine Aussage über eine noch erhaltene Fahrtauglichkeit kann daher
nur mit engem zeitlichem Horizont gemacht werden. Angehörige
und Patient sollten schon im MCI-Stadium darauf hingewiesen werden, dass die Fahrtauglichkeit
wahrscheinlich in absehbarer Zeit aufgehoben sein
wird. Eine Verlaufsuntersuchung und erneute Beurteilung von Diagnose, kognitivem Status
und Fahrtauglichkeit muss daher, je nach Situation, in
drei bis höchstens sechs Monaten folgen.
Ausnahmsweise kann im Vorstadium der Alzheimer-Demenz nicht die Neugedächtnisstörung,
sondern eine Störung des visuell-räumlichen Denkens oder
der Sprache im Vordergrund stehen. Die „Posteriore Cortikale Atrophie“ (PCA) ist eine
biologische Variante der AD, die meist vor dem 60.
Lebensjahr einsetzt und mit früher Atrophie des parieto-occipitalen Cortex einhergeht.
Hier sind visuell-räumliche Denkstörungen führend,
deshalb ist die Fahrtauglichkeit schon früh, also in ihrem MCI-Stadium, aufgehoben.
Fahrtauglichkeit bei vermuteter Frontotemporaler Demenz Das Vorstadium der Frontotemporalen Demenz (FTD) ist, ebenso wie die FTD selbst,
klinisch sehr variabel und schwieriger zu diagnostizieren als ein aMCI. Je nach Verlaufstyp
können im Vordergrund stehen: Wesensänderung,
Antriebsstörung und Verhaltensauffälligkeiten (frontaler Typ der Erkrankung), Sprachstörung
(Primär Progressive Aphasie bei führender
links-temporaler Degeneration) und Verlust von allgemeinem Wissen, einschließlich
Benennstörung (Semantische Demenz bei führender bitemporaler
Degeneration). Bei einer frontalen Atrophie, die bereits in der Bildgebung erkennbar
ist, und/oder bei Vorliegen einer Stirnhirnsymptomatik, ist
die Fahrtauglichkeit sofort und dauerhaft aufgehoben, weil davon auszugehen ist, dass
die Verhaltenskontrolle beeinträchtigt ist – auch wenn
andere kognitive Leistungen und Testbefunde anscheinend noch normal sind [1]. Hinweisende klinische Symptome
sind wesensfremde und impulsive Handlungen und Äußerungen, Veränderungen des emotionalen
Erlebens und sozialen Verhaltens, Störung des Denk-,
Einsichts- und Urteilsvermögens, und Antriebs- und Sprachantriebsstörung. Nur bei
alleiniger Störung der Sprache kann die Fahrtauglichkeit
vorübergehend noch bejaht werden.
Fahrtauglichkeit bei hypokinetisch-rigiden Syndromen: Die Kombination aus Bewegungsstörung
und kognitiven Einschränkungen besteht vor allem bei
diesen degenerativen Erkrankungen: Lewy-Körperchen-Demenz (LBD), Progressive Supranukleäre
Parese (PSP) und Cortiko-Basale Degeneration (CBD).
Schon im Vorstadium können kognitive und motorische Störungen bestehen, die die Fahrtauglichkeit
kritisch mindern: Störung des
visuell-räumlichen Denkens (LBD und CBD), Gliedapraxie und zentral-sensorische Störung
(CBD), Hypokinese und Reduktion exekutiver Leistungen wie
Aufmerksamkeitskapazität, Denk- und Reaktionsgeschwindigkeit (alle).
Idiopathische Parkinson-Krankheit (PD): Lt. Fahreignungsverordnung dürfen Patienten
(nur) „bei leichter Erkrankung und erfolgreicher Therapie“
noch fahren. Die Fahrtauglichkeit ist zunächst durch die Hypokinese infrage gestellt,
vor allem soweit das rechte Bein betroffen ist. Bei der PD
kommt es jedoch auch zu einer Minderung exekutiver Leistungen, so dass die Fähigkeit
zum schnellen Denken und Reagieren zurückgeht
(„Bradyphrenie“). Im frühen Stadium wirken die Patienten meist wenig beeinträchtigt
und können noch ein annähernd normales Berufs- und
Alltagsleben führen. Eine deutlichere exekutive Dysfunktion und Hypokinese wird im
Krankheitsverlauf evident; spätestens dann ist die
Fahrtauglichkeit infrage gestellt. Nur in einer Minderzahl der Fälle entwickelt sich
nach langjährigem Verlauf der PD das Vollbild einer Demenz
(Parkinson-Demenz).
Fahrtauglichkeit bei MCI nicht-degenerativer Ätiologie Eine kognitive Einschränkung im Alter kann auch durch nicht-degenerative
Schädigungen des Gehirns entstehen, zum Beispiel Traumen, Schlaganfall oder neurochirurgische
Eingriffe. Nach abgeschlossener Therapie, bei
einmaliger Schädigung und fehlender Progression besteht grundsätzlich ein Erholungspotential
und ggf. die Möglichkeit, die Fahrtauglichkeit
zurück zu gewinnen. Eine genauere Testuntersuchung ist in der Regel notwendig, ggf.
ergänzt durch eine Fahrprobe. Bei Stirnhirnprozessen mit
Verhaltensauffälligkeit wie Aggressivität oder Impulsivität besteht keine Fahrtauglichkeit
mehr. Bei progredienten nicht-degenerativen
Hirnerkrankungen, wie zum Beispiel Normaldruckhydrocephalus oder CADASIL, gilt grundsätzlich
das Gleiche wie bei Vorstadien degenerativer
Erkrankungen, d. h. es sind Testuntersuchung, klinische Beurteilung und Nachuntersuchung
notwendig. Bei hypertensiver cerebraler
Mikroangiopathie besteht eine wesentlich geringe Progressionsneigung als bei aMCI.
Ausgeprägte Werkzeugstörungen des Gedächtnisses und des
visuell-räumlichen Denkens liegen hier meist nicht vor. Entsprechend kann die Fahrtauglichkeit,
je nach Anamnese, Gesamteindruck und
Testergebnissen, positiver beurteilt werden.
Fahrtauglichkeit bei manifester Demenz
Fahrtauglichkeit bei manifester Demenz
Die definitorischen Merkmale einer beginnenden Demenz sind (1) neu auftretende Defizite
von Alltagskompetenzen, zum Beispiel berufliche
Tätigkeiten, selbständige Aktivitäten außer Haus, Bedienung von Geräten, (2) eine
dadurch bedingte wesentliche Einschränkung der
Selbständigkeit, und (3) kognitive Werkzeugstörungen, die über eine reine Gedächtnisstörungen
hinausgehen, insbesondere:
-
M. Alzheimer: Störung des visuell-räumlichen Denkens
-
Frontotemporale Demenz, frontaler Typ: Störung von Urteilsvermögen, Verhaltenskontrolle
und exekutiven Leistungen
-
Primär Progressive Aphasie: Störung der Sprache
-
Lewy-Körperchen-Demenz: Störung der exekutiven Leistungen und des visuell-räumlichen
Denkens
-
Progressive Supranukleäre Parese: Störung der exekutiven Leistungen
-
Cortikobasale Degeneration: Störung der Stereognosis, der manuellen Praxis und der
exekutiven Leistungen
Die genannten kognitiven Störungen führen zur Fahruntauglichkeit, wenn sie mehr als
geringfügig ausgeprägt sind. Einzige Ausnahme ist die anfangs
ggf. noch isolierte Sprachstörung bei Primär Progressiver Aphasie.
Klinische und neuropsychologische Untersuchung
Klinische und neuropsychologische Untersuchung
Die Beurteilung der Fahrtauglichkeit setzt die richtige Diagnose und die Kenntnis
des aktuellen geistigen Leistungsvermögens voraus. Eine
Fremdanamnese zur geistigen Leistungsfähigkeit und zum Autofahren ist notwendig. Dabei
sollten folgende Fragen gestellt werden:
-
Hinweise für Störungen des visuell-räumlichen Denkens: Probleme beim Ablesen von Uhren,
Ausfüllen von Formularen, handwerklichen
Tätigkeiten, Orientierung außer Haus, Kopfrechnen
-
Hinweise für „exekutive“ Störungen der Informationsverarbeitung: Verlangsamung im
Denken, Handeln und Sprechen, Auffassungsstörung
-
Hinweise für Störungen von Verhaltenskontrolle und Urteilsvermögen: wesensfremde Verhaltensweisen,
Antriebs- und Sprachantriebsminderung,
mentale Einengung und Rigidität, falsche Selbsteinschätzung
-
Konkrete Hinweise für geminderte Fahrtauglichkeit: zögerliches, unsicheres und stark
eingeschränktes Fahren, Desorientierung, Unfälle,
Verkehrsverstöße, Blechschäden beim Parken und Rangieren, zu geringer Abstand zu Radfahrern
etc.
Wichtig für die Diagnosestellung und die Fahrtauglichkeit ist weiterhin die klinische
und neuropsychologische Untersuchung:
-
Körperlich-neurologische Untersuchung, mit besonderem Augenmerk auf Motorik und Koordination
sowie die fingerperimetrische
Gesichtsfeldprüfung
-
Psychischer Befund in Bezug auf Wachheit, Auffassung, Tempo, Einsicht und Flüssigkeit
im Gespräch und bei der Testuntersuchung
-
Neuropsychologische Testuntersuchung, zumindest von visuell-räumlichem Denken und
Tempo-abhängigen exekutiven Leistungen
In der neurologischen oder psychiatrischen Praxis kommen in der Regel Screening-Tests
zur Entdeckung einer Demenz zur Anwendung (DemTect, Mini
Mental-Test, Uhrenzeichnen). Sie können eine MCI oder Demenz nahelegen und Hinweise
für Störungen von kognitiven Werkzeugleistungen geben, vor
allem in Bezug auf visuell-räumliches Denken (Figurenzeichnen im Mini Mental-Test,
Uhrenzeichnen) und verbales Gedächtnis (Spätabruf von
Wörtern). Tempoabhängige Leistungen werden in den genannten Screening-Tests nur durch
die Wortflüssigkeitsaufgabe des DemTect evaluiert. Für
eine angemessene MCI- und Demenzdiagnostik in der Arztpraxis oder Gedächtnissprechstunde
ist jedoch stets eine weitergehende Testuntersuchung
mit standardisierten Tests erforderlich, die die relevanten kognitiven Werkzeugleistungen
einzeln prüfen, zum Beispiel mit der CERAD-Testserie
[3]. Speziell mit Blick auf die Fahrtauglichkeit sind in der neurologisch-psychiatrischen
Praxis folgende
einfache Tests praktikabel:
Visuell-räumliches Denken: Figurenzeichnen aus dem CERAD, Figurenlegen und Mosaiktest
aus dem Wechsler Intelligenztest für Erwachsene, Uhrenlesen
[4]
Tempo-abhängige exekutive Leistungen: PC-basierte Tests der Wahlreaktionsgeschwindigkeit,
Papier- und Bleistift-Tests wie der
Zahlenverbindungstest in der „geriatrischen“ Version (ZVT-G aus dem Nürnberger Altersinventar
[5])
Von einer subnormalen Leistung kann, bei standardisierten Tests, unterhalb minus einer
Standardabweichung gesprochen werden (kleiner als
Prozentrang 16), von einer pathologischen Leistung unterhalb minus zwei Standardabweichungen
(kleiner als Prozentrang 3).
Externe Prüfung der Fahrtauglichkeit
Externe Prüfung der Fahrtauglichkeit
Ein Arzt kann zunächst Angehörige auffordern, probeweise mit dem Betroffenen zu fahren,
soweit sie kein persönliches Interesse an dessen
Fahrtauglichkeit haben. Eine weitergehende Prüfung kann sinnvoll sein, wenn zum Beispiel
ein stabiles MCI nach einmaliger cerebraler Schädigung
vorliegt oder ein älterer Fahrer auffällig geworden ist. Infrage kommen eine inoffizielle,
aber standardisierte Fahrprobe in einer Fahrschule
oder eine formelle Probe z. B. beim TÜV. Bei vermuteten Vorstadien einer Demenzerkrankung
ist eine solche Maßnahme jedoch fragwürdig, weil sich
der aktuelle Status durch die Progression der Erkrankung bald verschlechtern wird.
Bei uneinsichtigen Patienten können Fehler bei der Fahrprobe
unter Umständen dazu beitragen, ein Fahrverbot zu akzeptieren. Eine weitere Option
ist die Testuntersuchung an einem Fahrsimulator.
Entscheidung über ein ärztliches Fahrverbot
Entscheidung über ein ärztliches Fahrverbot
Ein ärztliches Fahrverbot hat keine unmittelbare rechtliche Wirksamkeit, es ist formal
als Warnung aufzufassen. Es ist jedoch insofern juristisch
relevant, als sich die rechtliche Situation nach Aussprache und Dokumentation des
ärztlichen Fahrverbotes für den Betroffenen ändert: Handelt er
zuwider, wird dies als grobe Fahrlässigkeit oder sogar Vorsatz eingestuft.
Wesentlich für die Entscheidung sind die Fremdanamnese in Bezug auf das Autofahren,
die medizinische Diagnose, der klinische Befund und die
neuropsychologische Testleistung. Bei manifester Demenz ist das Unfallrisiko mehrfach
erhöht. Die Fahrtauglichkeit ist aufgehoben, wenn eine der
drei oben genannten kognitiven Domänen relevant beeinträchtigt ist, auch wenn keine
Demenz vorliegt. Bei manifester Demenz, gleich welcher
Genese und welchen Stadiums, ist eine klare Entscheidung kontra Fahrtauglichkeit immer
gerechtfertigt. Die Schwelle von der Leichten Kognitiven
Störung zur Demenz wird überschritten, wenn infolge einer progredienten und irreversiblen
kognitiven Störung die Selbständigkeit im Alltagsleben
wesentlich eingeschränkt ist. Maßstab ist dabei das Niveau, das für die betreffende
Person und ihr Lebensalter normal ist. Im Zweifelsfall muss
ein Fahrverbot schon bei eben beginnender manifester Demenz erteilt werden. Diese
„strenge“ Regel hat die Vorteile der Klarheit und der
Sicherheit, zumal sich der Zustand des Patienten aller Voraussicht nach in Kürze soweit
verschlechtern wird, dass letzte Zweifel an der
Fahruntauglichkeit verschwinden werden. De facto ist es bisher so, dass ein hoher
Prozentsatz der Demenzkranken, v. a. ältere Männer, noch Auto
fährt.
Gesetze und Verordnungen kennen keine „eingeschränkte“, sondern nur eine gänzlich
aufgehobene Fahrtauglichkeit. Bei Fahrverbot können also keine
Ausnahmen für Autofahren im Nahbereich etc. gemacht werden. Der Betroffene darf das
Auto keinen Meter mehr bewegen.
Bei Leichter Kognitiver Störung und bei Patienten, die eben an der Grenze zu einer
beginnenden Demenz stehen, ist die Situation weniger klar und
erfordert eine individuelle Beurteilung der geistigen, motorischen und Sinnesleistungen,
die das Autofahren erfordert, unter Einbezug der
wahrscheinlichen Grunderkrankung und der für sie typischen kognitiven Defizite (siehe
oben). Pathologische Ergebnisse in Tests exekutiver und
visuell-räumlicher Leistungen sprechen gegen die Fahrtauglichkeit.
Kommunikation mit Patienten und Angehörigen
Kommunikation mit Patienten und Angehörigen
Für den niedergelassenen und den Klinik-Arzt bestehen bei Fahruntauglichkeit infolge
von Demenz folgende Pflichten:
-
Er muss dem Patienten unmissverständlich erklären, dass keine Alterserscheinung, sondern
eine Erkrankung des Gehirns besteht, dass
pathologische Testergebnisse geistiger Leistungen bestehen, und dass deshalb ab sofort
und lebenslang ein totales Fahrverbot besteht,
auch für „kurze Strecken“, „im Ort“ etc. Bei MCI und eben noch bestehender Fahrtauglichkeit
sollte er die bevorstehende
Fahruntauglichkeit ankündigen und eine Nachuntersuchung planen
-
Er muss das Fahrverbot mit den Angehörigen besprechen und sie in die Verantwortung
dafür nehmen, dass es eingehalten wird, und dass sie
andernfalls das Fahrzeug unbrauchbar machen oder entziehen
-
Er muss das Fahrverbot und die Aufklärung darüber in der Akte und im Arztbrief dokumentieren,
verbunden mit einem Appell an den Hausarzt,
dies auch von seiner Seite gegenüber dem Patienten und den Angehörigen zu vertreten
und die Befolgung aktiv zu überprüfen. Eine
unzureichende Information oder Dokumentation der Fahruntauglichkeit ist ein gravierender
Aufklärungsfehler. Wenn ein Arzt ignoriert,
dass sein Patient offensichtlich gegen ein Fahrverbot verstößt, sind zivil- und strafrechtliche
Konsequenzen möglich
-
Es besteht keine Meldepflicht, d. h. Pflicht, ohne besonderen Anlass eine Mitteilung
an die Führerscheinstelle zu machen. Bei Autofahren
trotz Fahruntauglichkeit und Fahrverbot ist jedoch „Gefahr im Verzug“. Bei rechtfertigendem
Notstand nach § 34 des Strafgesetzbuchs muss
der Arzt die Rechtsgüter des Schutzes der Öffentlichkeit und der Schweigepflicht abwägen
und ggf. eine Meldung an die Führerscheinstelle
machen (mit Informierung des Patienten). Eine Strafverfolgung wegen Bruchs der Schweigepflicht
droht in dieser Situation nicht. Die
Behörde veranlasst ein fachärztliches Gutachten bei einem verkehrsmedizinisch fortgebildeten
Arzt.
Manche Betroffene weisen trotz aller Argumente ein ärztliches Fahrverbot zurück, weil
sie uneinsichtig sind oder meinen, auf das Fahren nicht
verzichten zu können. Tatsächlich können viele Demenzkranke ein Fahrzeug mechanisch
noch beherrschen und unter einfachen Bedingungen fahren.
Angehörige zeigen sich zum Teil unwillig oder außer Stande, ein Fahrverbot durchzusetzen.
Ggf. unterstützen sie den Betroffenen als Beifahrer,
indem sie den Verkehr beobachten und Hinweise geben. Sie müssen jedoch verstehen,
dass Fahren bei Fahruntauglichkeit ein schwerwiegendes
Fehlverhalten darstellt, dessen Risiko dem Fahren unter Alkoholeinfluss vergleichbar
ist. Im Gespräch kann es sinnvoll sein, die Frage zu
stellen, ob die Angehörigen ihre Kinder oder Enkel noch mit dem Betroffenen fahren
lassen würden. Wenn hier Zweifel geäußert werden, wird die
Notwendigkeit eines Fahrverbots anschaulicher. Ein weiteres Argument bezieht sich
auf die Haftpflichtversicherung. Sie kann nach einem Unfall
unter Umständen Kenntnis davon erlangen, dass die Fahrtauglichkeit in Zweifel stand.
Dann kann ggf. grobe Fahrlässigkeit oder Vorsatz
unterstellt und ein Regressanspruch gegenüber dem Unfallverursacher erhoben werden,
denn jeder Autofahrer hat die gesetzliche Pflicht zu prüfen,
ob er fahrtauglich ist.
Wenn keine andere Möglichkeit besteht, ein notwendiges Fahrverbot durchzusetzen, muss
durch die Angehörigen das Fahrzeug entfernt oder
unbrauchbar gemacht werden oder es müssen die Schlüssel entzogen werden, notfalls
nach Einrichtung einer gesetzlichen Betreuung im Eilverfahren
und unter Hinzuziehung der Polizei.
Ärzten fällt es nicht leicht, Verbote auszusprechen oder die Schweigepflicht zu brechen,
weil es ihr Verhältnis zum Patienten belastet. Sie
müssen in dieser Sache jedoch ihre Vertrauensstellung und Autorität konsequent einsetzen
und das Thema schon bei betagten Patienten und
heraufziehenden Erkrankungen frühzeitig anzusprechen, um bei den Betroffenen und Angehörigen
den „Ablösungsprozess“ in Gang zu setzen.
Angehörige und auch Patienten wünschen sich vielfach, dass das Thema angesprochen
wird (6). In den meisten Fällen lässt sich ein Fahrverbot ohne
größeres Zerwürfnis durchsetzen.