Einleitung
Hundesport erfreut sich seit vielen Jahren großer Beliebtheit, was sich unter anderem
an der Zahl
der Teilnehmer an entsprechenden Sportveranstaltungen messen lässt. Nach der Internetplattform
„Statistica“ hat sich die Zahl der Teilnehmer an Agility-Veranstaltungen in Deutschland
zwischen
2006 und 2011 von ca. 80 000 auf ca. 160 000 verdoppelt [[5]].
Ähnliches gilt auch für andere Hundesportarten.
Die Auswahl der möglichen Sportarten, die mit Hunden durchgeführt werden, ist groß.
In ▶
Tab.
[
1
] findet sich ein Überblick über die
Hundesportarten, die in Deutschland praktiziert werden. Am bekanntesten ist sicherlich
Agility.
Tab. 1
Übersicht über einige Hundesportarten.
Sportart
|
Erklärung
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Agility
|
Der Hund muss auf einem 100–200 m langen Parcours unter Anweisungen des
Hundeführers ca. 20 Hindernisse überwinden:
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Canicross
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Hund und Halter machen einen Geländelauf und sind dabei durch eine flexible
Leine verbunden.
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Dog Dancing
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Hund und Halter tanzen gemeinsam zu Musik, wobei in den Tanz einige
Aufgaben eingefügt sind, die es für den Hund zu erledigen gilt.
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Hundebiathlon
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Hund und Halter müssen einen Geländelauf mit Hindernissen absolvieren.
Zusätzlich wird auf Scheiben geschossen.
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Flyball
|
Der Hund muss einige Hindernisse überwinden und gegen eine Wurfmaschine
springen, die einen Ball freigibt. Dieser muss gefangen und ins Ziel
gebracht werden.
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Mobility
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Ein Parcours ist zu absolvieren, dabei sind Hindernisse zu überwinden,
deren Überwindung eine gewisse Geschicklichkeit erfordert.
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Obedience
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Parcoursüberwindung verbunden mit Gehorsamkeitsübungen.
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Umfrage-basierte Studie
In einer Umfrage-basierten Studie haben Levy et al. 1600 Fragebögen ausgewertet, die
sie
zuvor an Hundebesitzer ausgegeben haben [[4]]. Ziel war es,
die Verletzungsarten und -risiken beim Agility zu untersuchen. In der Studie
wurde eine Verletzungshäufigkeit von 33 % beschrieben.
Die betroffenen Regionen waren mit sinkender Häufigkeit:
-
Schulter
-
Rücken
-
Karpus
-
Ellbogen
-
Hüfte
-
Pfote
Die Studie zeigt, dass die Schulter vergleichsweise häufig beim Agility verletzt werden
kann.
Dies steht im Gegensatz zur Häufigkeit von Schulterproblemen beim Hund im Allgemeinen
und
unterstreicht die Notwendigkeit für den Tierarzt, die Verletzungsrisiken bei den
unterschiedlichen Sportarten zu kennen.
Im Folgenden sollen einige Verletzungen beispielhaft vorgestellt werden, die beim
Hundesport
entstehen können.
Tendopathie des M. biceps brachii
Tendopathie des M. biceps brachii
Die Erkrankungen der Bizepssehne beziehen sich überwiegend auf die Ursprungssehne
des Muskels und
deren Sehnenscheide. Sie entwickeln sich als Trauma unmittelbar bei einer sportlichen
Aktivität
oder infolge chronischer Belastungen. Für den Bereich der Bizepssehne sind besonders
Slalomübungen belastend, bei denen die Bizepssehne während der Wendungen gedehnt oder
gezerrt werden kann. Die resultierenden histologischen Veränderungen im Bereich der
Bizepssehnen
sind von Gilley et al. näher untersucht worden [[2]]. Dabei
zeigten sich überwiegend plasmalymphozytäre Entzündungen verbunden mit fibrotischen
Veränderungen.
Diagnostik
Die Diagnose von Bizepssehnenerkrankungen kann kompliziert sein. Am einfachsten lässt
sich
die vollständige Bizepssehnenruptur diagnostizieren. Sie tritt jedoch
vergleichsweise selten infolge sportlicher Aktivitäten auf. Hier ist die klinische
Diagnostik häufig ausreichend. Bei einem vollständigen Riss der Bizepssehne lässt
sich die
Schulter maximal beugen und der Ellbogen dabei maximal strecken.
Im Falle einer Zerrung oder Dehnung mit anschließender Entzündung ist die
Diagnostik komplexer. Nach einer Untersuchung von Stobie et al. werden
Bizepssehnenerkrankungen meist erst ca. 6 Monate nach dem Ereignis vorgestellt [[6]].
Klinisch zeigen die Hunde folgende Symptomatik:
Im akuten Fall einer Bizepssehnenerkrankung empfiehlt sich die Ultraschalluntersuchung
als weiterführende Untersuchung.
Zerrungen im Sehnenbereich lassen sich dabei durch einen Kontinuitätsverlust der kollagenen
Strukturen darstellen. Die assoziierte Entzündung bzw. Einblutung führt zu fokalen,
hypoechogenen Arealen im Sehnenbereich.
Kramer et al. empfehlen für die sonografische Untersuchung der Bizepssehne die Verwendung
eines 7,5–10 MHz Schallkopfs [[3]]. Die Darstellung der
Sehne gelingt am besten bei maximaler Abduktion.
Die maximale Abduktion der Vordergliedmaße für die Sonografie kann sehr schmerzhaft
sein, sodass eine Sedation empfohlen wird.
Chronische Bizepssehnenerkrankungen lassen sich durch röntgenologisch nachweisbare
Verschattungen im Bereich der Bizepssehnenrinne und sekundäre osteoarthritische
Veränderungen nachweisen (▶
Abb.
[
1
]).
Abb. 1 Verschattungen im Bereich des Sulcus intertuberculares sind
hinweisend auf eine chronische Bizepssehnenerkrankung. (© Prof. Dr. Stephan Neumann)
Therapie
Die Behandlung der Bizepssehnenerkrankungen kann medikamentell, physiotherapeutisch
und
chirurgisch oder in Kombination durchgeführt werden.
Chirurgie
Bei chronischen und therapieresistenten Fällen ist die Chirurgie häufig die letzte
Möglichkeit zur Intervention. Eine Durchtrennung der Bizepssehne nahe ihres
Ursprungs ist eine häufig praktizierte Operationstechnik. Der Zugang erfolgt im
kraniomedialen Bereich des Humeruskopfs mit der Darstellung der Bizepssehnenscheide.
Nach
proximal wird die Bizepssehne verfolgt und soweit wie möglich am Proc. supraglenoidale
abgesetzt. In der Folge vernarbt die Bizepssehne distal im Bereich der Sehnenscheide.
Die
operierten Hunde sind nicht mehr schmerzhaft in der Schulter, laufen aber mit einer
leichten Durchtrittigkeit in der Schulter. Die ergänzende physiotherapeutische
Behandlung kann etwa 10 Tage nach der Operation beginnen.
Konservative Therapie
Akute Fälle oder Fälle, die nicht für die Chirurgie geeignet sind, können medikamentell
behandelt werden. Hierbei stehen die Schmerzlinderung und die
Entzündungshemmung im Vordergrund.
Es sollte beachtet werden, dass eine vollständige Schmerzhemmung in jedem Fall eine
gleichzeitige strikte Bewegungseinschränkung impliziert.
Andernfalls belasten die Hunde den erkrankten Bereich zu stark, was die „Restitutio
ad
integrum“ verhindert und chronische Veränderungen verursacht. Auch die Entzündungshemmung
muss mit Bedacht durchgeführt werden, da die Entzündung Voraussetzung für den Heilverlauf
ist. Bei der Wahl der Medikamente sollte dies Berücksichtigung finden.
Nach einer Ruhephase von ca. 2 Wochen können physiotherapeutische Behandlungen
beginnen, um die Funktionalität wiederherzustellen.
Kontraktur des M. infraspinatus
Kontraktur des M. infraspinatus
Als ein Beuger des Schultergelenks liegt der M. infraspinatus kaudal der Spina scapulae
und setzt
proximal am Humerus an. Infolge von jagdlicher oder sportlicher Aktivität kommt es
meist zu
einer plasmalymphozytären Entzündung des Muskels mit finaler Fibrosierung, die den
Muskel
weitgehend umbaut. Starke Dehnungen beim Überspringen von Hürden oder auch
Wendungen beim Slalom können beim Hundesport verursachend sein.
Muskelkontraktur
Das Phänomen der Muskelkontraktur ist auch beim M. gracilis, M. quadriceps sowie in
seltenen
Fällen beim M. supraspinatus beschrieben. Die genaue Kausalität ist nicht vollständig
geklärt. Derzeit wird ein Kompartmentsyndrom aufgrund von Mikrotraumen diskutiert
[[1]].
Diagnostik
Die klinische Symptomatik hängt vom Grad und der Dauer der Kontraktur ab. Zunächst
liegt eine
Entzündung vor, die noch nicht als Kontraktur zu bezeichnen ist. Betroffene Hunde
sind
schmerzhaft in der Schulterstreckung. Der betroffene Muskel ist etwas geschwollen
und
druckschmerzhaft. Da die Symptomatik in dieser Phase dezent sein kann und leicht übersehen
wird, werden viele Hunde erst im fortgeschrittenen Verlauf vorgestellt.
Histologisch liegt im fortgeschrittenen Stadium schon eine Fibrose vor und es kann
von einer
Kontraktur gesprochen werden. Bereits am Gangbild lässt sich die Erkrankung erkennen.
Die
Hunde zeigen eine Hangbeinlahmheit und eine Abduktion in der Pfote bei gleichzeitiger
Adduktion im Ellbogen (▶
Abb.
[
2
]).
Klinisch zeigt sich der betroffene Muskel atrophisch und druckempfindlich. Die
Schulterstreckung ist schmerzhaft.
Abb. 2 Die Adduktion im Ellbogen bei gleichzeitiger Pfotenabduktion ist
eine typische Stellung bei einer Kontraktur des M. infraspinatus. (© Prof. Dr. Stephan
Neumann)
Die klinische Symptomatik ist in diesem Krankheitsstadium bereits so eindeutig, dass
meist
keine weitere Diagnostik notwendig ist. Sollte diese dennoch erfolgen, bietet sich
eine
EMG-Untersuchung an, bei der eine pathologische Aktivität im Muskel gemessen werden
kann.
Abschließend kann eine Muskelbiopsie den entzündlich-fibrotischen Umbau beweisen.
Therapie
Die Behandlung der Kontraktur kann im akuten Fall durch den Einsatz von
entzündungshemmenden Präparaten sowie physiotherapeutischen Übungen
erfolgen. Die Erfahrung zeigt allerdings, dass viele Hunde nicht gut auf die Therapie
ansprechen und trotzdem operiert werden müssen.
Die chirurgische Versorgung einer Kontraktur des M. infraspinatus besteht in der
Durchtrennung der Ansatzsehne des Muskels am Humerus. Der Zugang wird von lateral
gewählt.
Orientierend an der Spina scapulae werden die Ansätze von M. supraspinatus, M.
infraspinatus und M. teres minor dargestellt. Die Sehne des M. infraspinatus liegt
in der
Mitte der 3 Sehnen (▶
Abb.
[
3
]),
diese wird durchtrennt und ein Teil der Sehne reseziert. Postoperativ sollte der Hund
ca.
2 Wochen an der Leine geführt werden. Das klinische Endergebnis ist meist sehr
zufriedenstellend. Viele Hunde laufen nach ca. 6 Monaten lahmfrei.
Abb. 3 Schematische Darstellung des Operationssitus zur Tenotomie der
Sehne des M. infraspinatus. Kranial liegt die Ansatzsehne des
M. supraspinatus, es folgt die Sehne des M. infraspinatus und kaudal die Sehne
des M. teres minor. (© Prof. Dr. Stephan Neumann)
Hyperextension des Karpalgelenks
Hyperextension des Karpalgelenks
Neben Sprüngen sind besonders sportliche Aktivitäten wie Flyball prädisponierend für
Verletzungen im Bereich des Karpalgelenks. Dabei kann es zu einer Hyperextension im
Karpalgelenk
kommen.
Folgende Strukturen können betroffen sein:
Diagnostik
Je nach Ausmaß zeigen die Hunde bereits im Stand eine deutliche Hyperextension im
Gelenk
(▶
Abb.
[
4
]). Bei weniger
schwerwiegenden Verletzungen lässt sich das Karpalgelenk unter Stress übermäßig strecken.
Viele Hunde zeigen auch eine Schwellung am Ansatz des M. flexor carpi ulnaris. Wenngleich
die Funktionsstörung offensichtlich ist, hält sich die Schmerzhaftigkeit der Verletzung
in
Grenzen.
Abb. 4 Eine Hyperextension des Karpalgelenks ist häufig schon im Stand
sichtbar. (© Prof. Dr. Stephan Neumann)
Um das Ausmaß der Verletzung besser darzustellen, empfiehlt sich neben der klinischen
Diagnose eine Stressröntgenuntersuchung. Hierzu wird der betroffene Bereich stark
gestreckt. Dies erweitert die Gelenkspalten im rupturierten Bereich.
Therapie
Wird eine akute Verletzung mittelgradiger Ausprägung vorgestellt, ist ein konservativer
Therapieversuch möglich. Ziel ist es, mithilfe eines stabilisierenden Verbands
innerhalb von 3–4 Wochen eine Abheilung zu erreichen. Häufig schlägt diese Maßnahme
allerdings fehl, sodass eine Arthrodese des Karpalgelenks durchgeführt werden muss.
Verschiedene Techniken mit unterschiedlichen Implantaten sind beschrieben. Gute
Erfahrungen konnte der Autor mittels der „Castless Pancarpal Arthrodesis
Plate®“ von orthomed machen. Vorteil dieser Platte ist eine breite
Kraftübertragung im Bereich der Metacarpalia, die Stressfrakturen in diesem Bereich
verhindern hilft. Nach der Operation sollte die Gliedmaße zusätzlich für 4–6 Wochen
durch
einen Cast stabilisiert werden. Ist die Arthrodese gelungen, laufen die Hunde damit
recht gut. Von Vorteil ist, dass der überwiegende Teil der Bewegung der Vordergliedmaße
aus anderen Gelenken und nicht aus dem Karpalgelenk kommt.
Reizung des M. iliopsoas
Eine Sportverletzung der Hintergliedmaße kann in der Zerrung des M. iliopsoas bestehen.
Der M.
iliopsoas setzt sich aus dem M. psoas major und dem M. iliacus zusammen. Der M. psoas
major
entspringt ventral an den 4. – 7. lumbalen Wirbelkörpern und vereinigt sich mit dem
M. iliacus,
der am Darmbein entspringt. Der nun gebildete M. iliopsoas zieht zum Trochanter minor
und setzt
dort an (▶
Abb.
[
5
]). Durch die
Muskelfasern zieht der N. femoralis. Dehnungen des Muskels, zum Beispiel beim Springen,
können zu einer Zerrung der Muskelfasern führen.
Abb. 5 Lage des M. iliopsoas. (© Prof. Dr. Stephan Neumann)
Eine Reizung des M. iliopsoas sollte auch in Erwägung gezogen werden, wenn Hunde eine
schmerzhafte Hüftstreckung unbekannter Genese zeigen und röntgenologisch keine Hinweise
auf Veränderungen im Bereich der Hüfte und der Lendenwirbelsäule bestehen.
Diagnostik
Klinisch zeigt sich bei den betroffenen Hunden eine verkürzte Hangbeinphase sowie
eine
schmerzhafte Hüftstreckung.
Die direkte Palpation des Muskels ist nur an dessen Ansatz möglich, was die Diagnostik
erschwert. Im chronischen Fall können Verkalkungen im Muskelgewebe durch bildgebende
Verfahren dargestellt werden. Hierfür sind CT und MRT besonders geeignet, da sie den
Muskel von Ursprung bis Ansatz darstellen können.
Therapie
Therapeutisch geht es, wie bereits bei der Bizepssehnenerkrankung dargestellt, vor
allem um
eine Schmerzreduktion und Entzündungshemmung. Liegt eine Monoparese vor,
sollte die Entzündungshemmung im Vordergrund stehen, in anderen Fällen die
Schmerzreduktion. Nach einer entsprechenden Ruhephase mit Leinenzwang von ca. 2 Wochen
können physiotherapeutische Übungen begonnen werden.
Prophylaxe
Wie bereits durch die beispielhaft dargestellten Krankheiten deutlich wird, betreffen
Sportverletzungen häufig die anatomischen Strukturen Muskel, Sehne und Periost. Um
die
dargestellten und auch andere Sportverletzungen zu verhindern, sollten Aufwärm- und
Abkühlphasen
die sportlichen Aktivitäten des Hundes begleiten.
Die Aufwärmphase sollte ca. 30 Minuten vor dem Start bei einem Wettbewerb beginnen und
wenigstens 15 Minuten andauern. Die Hunde sollten abseits des Veranstaltungsorts,
damit sie
nicht abgelenkt werden, zunächst etwas an der Leine laufen, damit sich die Muskulatur
aufwärmt.
Begonnen werden die Aufwärmübungen mit ca. 10 Minuten Trab an der Leine. Dann folgen
Dehnübungen
aller Gelenke, dabei darf die Wirbelsäule nicht vergessen werden. Bei diesen Übungen
werden die
Gelenke gebeugt und gestreckt, wobei eine maximale Beugung und Streckung verhindert
werden
sollte, solange die Gelenke noch nicht warm sind.
Nach dem Wettkampf sollte sich eine ca. 30-minütige Abkühlphase anschließen. Hierbei wird
der Hund ca. 15 Minuten an der Leine geführt, gefolgt von einer 15-minütigen Massage
der
beanspruchten Muskulatur.