Schlüsselwörter Gynäkologie - Inanspruchnahme - Mädchen - KiGGS - Gesundheitssurvey - Deutschland
Einleitung
Das Jugendalter stellt eine Lebensphase dar, in der vielfältige körperliche und mentale
Veränderungen stattfinden. Die damit verbundenen Herausforderungen können als Entwicklungsaufgaben
verstanden werden, die sich den Heranwachsenden beim Übergang vom Kindes- in das Erwachsenenalter
stellen [1 ]. Eine dieser Aufgaben besteht darin, die körperlichen Veränderungen im Zuge der
Persönlichkeitsentwicklung in das eigene Selbstbild zu integrieren, um auf diesem
Weg die Basis für eine gesunde Sexualität und eine selbstbewusste und informierte
Ausgestaltung sexueller Beziehungen zu schaffen [2 ].
Weil das Jugendalter spezifische gesundheitsbezogene Bedürfnisse mit sich bringt,
fordert die Weltgesundheitsorganisation (WHO) einen universellen Zugang zu Gesundheits-
und Beratungsleistungen für Heranwachsende, die speziell auf deren Bedürfnisse ausgerichtet
sind [3 ]. Im Bereich der reproduktiven bzw. sexuellen Gesundheit (Definitionen siehe Infobox)
wird daher von der WHO im Rahmen der Beratungen für einen zukünftigen Aktionsplan
zur sexuellen und reproduktiven Gesundheit eine Ausweitung der Beratungs- und Vorsorgeangebote
gefordert [4 ]. Jugendliche sollen rechtzeitig über körperliche und mentale Veränderungen aufgeklärt
werden, u. a. um unerwünschten Ereignissen wie ungewollten Schwangerschaften oder
sexuell übertragbaren Erkrankungen vorzubeugen [5 ], [6 ], [7 ].
Infobox: Definitionen
Sexuelle und reproduktive Gesundheit (WHO Regionalbüro für Europa 2011) [50 ]
Sexuelle Gesundheit ist untrennbar mit Gesundheit insgesamt, mit Wohlbefinden und
Lebensqualität verbunden.
Sie ist ein Zustand des körperlichen, emotionalen, mentalen und sozialen Wohlbefindens
in Bezug auf die Sexualität und nicht nur das Fehlen von Krankheit, Funktionsstörungen
oder Gebrechen.
Sexuelle Gesundheit setzt eine positive und respektvolle Haltung zu Sexualität und
sexuellen Beziehungen voraus sowie die Möglichkeit, angenehme und sichere sexuelle
Erfahrungen zu machen, und zwar frei von Zwang, Diskriminierung und Gewalt. Sexuelle
Gesundheit lässt sich nur erlangen und erhalten, wenn die sexuellen Rechte aller Menschen
geachtet, geschützt und erfüllt werden.
Reproduktive Gesundheit und reproduktive Rechte (Weltbevölkerungskonferenz 1994) [51 ]*
Reproduktive Gesundheit ist der Zustand vollständigen körperlichen, geistigen und
sozialen Wohlbefindens und nicht nur des Freiseins von Krankheit und Gebrechen bei
allen Aspekten, die mit den Fortpflanzungsorganen und ihren Funktionen und Prozessen
verbunden sind. Reproduktive Gesundheit bedeutet deshalb, dass Menschen ein befriedigendes
und ungefährliches Sexualleben haben können und dass sie die Fähigkeit zur Fortpflanzung
und die freie Entscheidung darüber haben, ob, wann und wie oft sie davon Gebrauch
machen. In diese letzte Bedingung eingeschlossen sind das Recht von Männern und Frauen,
informiert zu werden und Zugang zu sicheren, wirksamen, erschwinglichen und akzeptablen
Familienplanungsmethoden ihrer Wahl sowie zu anderen Methoden ihrer Wahl zur Regulierung
der Fruchtbarkeit zu haben, die nicht gegen die rechtlichen Bestimmungen verstoßen,
und das Recht auf Zugang zu angemessenen Gesundheitsdiensten, die es Frauen ermöglichen,
eine Schwangerschaft und Entbindung sicher zu überstehen, und die für Paare die bestmöglichen
Voraussetzungen schaffen, dass sie ein gesundes Kind bekommen.
* Deutsche Übersetzung: [52 ]
Innerhalb des medizinischen Systems sind in Deutschland Gesundheits- und Beratungsleistungen
im Bereich der reproduktiven Gesundheit über den universellen Zugang zu ärztlichen
Leistungen grundsätzlich gewährleistet. Von Bedeutung ist daher vor allem die Frage,
ob die vorhandenen Angebote in ausreichendem Umfang wahrgenommen werden. In der Literatur
werden die negativen Folgen von Unterversorgung thematisiert [2 ], es wird aber auch darauf hingewiesen, dass Überversorgung – verstanden als Medikalisierung
physiologischer Prozesse – ebenfalls negative Folgen haben kann [8 ]. Empfehlungen dazu, wann erstmals eine frauenärztliche Praxis aufgesucht werden
bzw. in welchen zeitlichen Abständen eine Inanspruchnahme gynäkologischer Beratungsleistungen
stattfinden sollte, gibt es in Deutschland vor allem von Fachgesellschaften und Berufsverbänden
[9 ], [10 ]. Danach ist der Besuch einer frauenärztlichen Praxis für Mädchen u. a. dann angezeigt,
wenn ein Beratungsbedarf besteht oder abgeklärt werden muss, ob Krankheiten oder Störungen
vorliegen (z. B. bei Ausbleiben der Regelblutung) [9 ], [10 ]. Darüber hinaus sollte aus medizinischen Gründen bei Einnahme der Anti-Baby-Pille
neben der Untersuchung und ausführlichen Aufklärung vor der erstmaligen Verordnung
eine halbjährliche Kontrolle in einer gynäkologischen Praxis erfolgen [11 ].
In den USA gehen die Empfehlungen deutlich darüber hinaus und legen eine frühe und
wiederholte Inanspruchnahme von Leistungen im Bereich der sexuellen Gesundheit nahe.
Das American College of Obstetricians and Gynecologists (ACOG) empfiehlt einen ersten
Besuch bei einer Frauenärztin oder einem Frauenarzt im Alter von 13 bis 15 Jahren,
also dann, wenn ein Teil der Mädchen erste sexuelle Erfahrungen machen [12 ]. Mit dem Verweis auf sich ändernde Bedürfnisse im Zuge des Jugendalters wird zudem
die Notwendigkeit regelmäßiger Beratungen und Untersuchungen gesehen [6 ], [7 ], [13 ]. Entsprechend befürwortet auch die National Academy of Medicine (früher: Institute
of Medicine, IOM) eine jährliche Beratung sexuell aktiver Frauen aller Altersgruppen
zu sexuell übertragbaren Erkrankungen [14 ].
Auch wenn in Deutschland keine derartigen Empfehlungen bestehen, werden durch die
Kodifizierung neuer Leistungsansprüche im Fünften Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) und
in den anschließenden Empfehlungen des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) neue Anlässe
zur Beratung und Vorsorge im Bereich der sexuellen Gesundheit geschaffen. So sind
Pubertät und Sexualverhalten thematischer Bestandteil der J1-Untersuchung (Jugendgesundheitsuntersuchung)
für 12- bis 14-Jährige seit ihrer Einführung im Jahr 1998 [15 ], [16 ]. Sexuell aktive Frauen haben seit 2008 Anspruch auf einen jährlichen Chlamydien-Test
bis zum 25. Lebensjahr [17 ]. Des Weiteren empfiehlt die Ständige Impfkommission (STIKO) am Robert Koch-Institut
die Durchführung einer Immunisierung gegen Humane Papillomviren (HPV) vor dem ersten
Geschlechtsverkehr; in einer ersten Phase seit 2007 für 12- bis 17-jährige Mädchen,
seit 2014 im Alter von 9 bis 14 Jahren [18 ]. Darüber hinaus bieten Kinder- und Jugendärztinnen und -ärzte die J2-Untersuchung
für Jugendliche im Alter von 16 bis 17 Jahren an, deren Kosten aber nicht von allen
Krankenkassen erstattet werden [19 ]. Im Fokus dieser letzten Jugendgesundheitsuntersuchung stehen die Themen Sexualität,
Sozialisationsverhalten und Berufswahl [19 ].
Die Nutzung der genannten Leistungen setzt den mehr oder weniger regelmäßigen Kontakt
von Mädchen im Kindes- und Jugendalter zu Ärztinnen oder Ärzten voraus, die diese
Leistungen anbieten. Neben Kinderärztinnen und Kinderärzten kommt den niedergelassenen
Frauenärztinnen und Frauenärzten dabei eine Schlüsselrolle zu, da zu ihnen häufig
ein Vertrauensverhältnis besteht und sie aus Sicht der heranwachsenden Mädchen eine
zentrale Informationsquelle in Fragen der sexuellen Gesundheit sind [20 ], [21 ].
Der Hauptanlass für den Erstbesuch in einer gynäkologischen Praxis waren laut den
Studienergebnissen zur Jugendsexualität der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung
(BZgA) Fragen zum Thema Verhütung und das Verschreiben von Verhütungsmitteln [21 ]. Fast die Hälfte der 14- bis 25-Jährigen verhütet beim ersten Geschlechtsverkehr
mit der Pille. Daneben stellen Menstruationsbeschwerden und die Impfung gegen HPV
weitere Anlässe für einen Besuch in einer gynäkologischen Praxis dar [21 ]. Nach Ergebnissen aus dem Gesundheitsmonitoring des Robert Koch-Instituts sind 52,6%
der 14- bis 17-jährigen Mädchen mindestens 1-mal gegen HPV geimpft, 39,5% haben die
vollständige Impfserie mit 3 Impfdosen erhalten. Mädchen, die schon einmal eine gynäkologische
Praxis besucht haben, haben dabei eine doppelt so hohe Chance, gegen HPV geimpft zu
sein [22 ].
Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, zu klären, in welchem Alter Mädchen in Deutschland
zum ersten Mal gynäkologische Leistungen in Anspruch nehmen und wie häufig sie dies
im Mittel tun. Dabei gilt es zu berücksichtigen, dass die Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen
nicht nur vom medizinischen Bedarf, sondern auch von einer Reihe sozialer und personaler
Faktoren abhängig ist [23 ], [24 ].
Die Inanspruchnahme gynäkologischer Leistungen bei Mädchen wird auf Basis der „Studie
zur Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Deutschland“ (KiGGS) analysiert. Im
Folgenden werden zunächst die Lebenszeitprävalenz der Inanspruchnahme von niedergelassenen
Ärztinnen und Ärzten für Frauenheilkunde sowie das Alter beim ersten Besuch einer
Frauenarztpraxis dargestellt. Diese Angaben werden ergänzt durch die Inanspruchnahme
in den letzten 12 Monaten und die Kontakthäufigkeit. Ein weiterer Abschnitt befasst
sich mit den sozialen, verhaltensbezogenen und versorgungsspezifischen Einflussfaktoren
der Inanspruchnahme gynäkologischer Leistungen. Ein zeitlicher Vergleich zwischen
der KiGGS-Basiserhebung (2003 – 2006) und der ersten Folgebefragung KiGGS Welle 1
(2009 – 2012) runden die Ergebnisdarstellung ab.
Methode
Daten
Um die Inanspruchnahme von niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten für Frauenheilkunde
durch Mädchen in Deutschland zu beschreiben, wird auf die Ergebnisse der vom Robert
Koch-Institut durchgeführten bevölkerungsweiten KiGGS-Studie zurückgegriffen.
Die KiGGS-Studie ist Bestandteil des Gesundheitsmonitorings des Robert Koch-Instituts
und wird als kombinierte bundesweite Querschnitt- und Längsschnittstudie realisiert.
Die KiGGS-Basiserhebung (2003 – 2006) umfasste Befragungen, Untersuchungen und Laboranalysen
[25 ], in der 1. Folgebefragung KiGGS Welle 1 (2009 – 2012) wurden ausschließlich Befragungen
in Form von Telefoninterviews durchgeführt [26 ]. An der KiGGS-Basiserhebung nahmen insgesamt 17 641 Kinder und Jugendliche (8656
Mädchen, 8985 Jungen) im Alter von 0 bis 17 Jahren teil, die Response lag bei 66,6%.
Die Einzuladenden wurden in einer geschichteten Zufallsstichprobe von 167 Orten Deutschlands
zufällig aus den Einwohnermelderegistern gezogen [25 ]. Die Stichprobe von KiGGS Welle 1 bestand zum einen aus einer neuen Querschnittstichprobe
0- bis 6-Jähriger, die wiederum zufällig aus den Melderegistern der ursprünglichen
167 Studienorte gezogen wurden. Zum anderen wurden die ehemaligen Teilnehmenden der
KiGGS-Basiserhebung, die inzwischen 6 bis 24 Jahre alt waren und als geschlossene
Kohorte weitergeführt werden, zur Befragung eingeladen. An KiGGS Welle 1 nahmen 12 368
Kinder und Jugendliche (6093 Mädchen, 6275 Jungen) in dem für den Querschnitt relevanten
Altersbereich von 0 bis 17 Jahren teil, darunter 4455 Ersteingeladene (Response 38,8%)
und 7913 Wiedereingeladene (Response 72,9%) [26 ].
Variablen
Die Auswertungen zur Inanspruchnahme gynäkologischer Leistungen wurden für 11- bis
17-jährige Mädchen nach Lebensalter und Altersgruppen vorgenommen. Die beiden verwendeten
Altersgruppen – 11 bis 13 Jahre und 14 bis 17 Jahre – spiegeln kindliche Entwicklungsphasen
wider, insofern die 1. Phase etwa dem Übergang von Kindheit zu Jugend (Transeszenz)
und die 2. Phase dem Jugendalter (Adoleszenz) entspricht [27 ].
Mädchen im Alter von 14 bis 17 Jahren wurden in KiGGS Welle 1 selbst befragt: „Warst
du schon mal bei einem Frauenarzt bzw. Gynäkologen?“, „Und wie oft warst du in den
letzten 12 Monaten bei einem Frauenarzt bzw. Gynäkologen?“. Zusätzlich wurde ihnen
die Frage gestellt „Wie alt warst du, als du das erste Mal bei einem Frauenarzt bzw.
Gynäkologen warst?“. Im Elterninterview der 7- bis 13-jährigen Mädchen wurde gefragt:
„War Ihr Kind in den letzten 12 Monaten bei einem Frauenarzt bzw. Gynäkologen?“, „Und
wie oft war Ihr Kind in den letzten 12 Monaten beim Frauenarzt bzw. Gynäkologen?“.
Zur Messung des medizinischen Bedarfs wurde der subjektiv eingeschätzte allgemeine
Gesundheitszustand bei den 11- bis 17-Jährigen mit einer Frage aus dem Minimal European
Health Module (MEHM) erfasst „Wie würdest du deinen Gesundheitszustand im Allgemeinen
beschreiben?“. Die Antwortvorgaben wurden zu den Kategorien „sehr gut/gut“ und „mittelmäßig/schlecht/sehr
schlecht“ zusammengefasst [28 ]. Als spezifischer medizinischer Indikator für die Inanspruchnahme gynäkologischer
Leistungen wurde das Vorliegen wiederholt auftretender Regelschmerzen in den letzten
3 Monaten bei den 11- bis 17-Jährigen mit der Frage erhoben „Hattest du folgende Schmerzen
in den letzten 3 Monaten?“ [29 ]. Als Schmerzlokalisation konnten Mädchen u. a. Regelschmerzen wählen. Die Antwortskala
war 3-stufig und wurde für die Auswertungen dichotomisiert in „ja, wiederholt“ vs.
„ja, einmalig/nein“.
Neben dem medizinischen Bedarf wurden in früheren Studien vor allem soziodemografische
und familiale Faktoren als Einflussgrößen für die Inanspruchnahme medizinischer Leistungen
in Kindheit und Jugend identifiziert [24 ], [30 ], [31 ]. Als soziodemografische Faktoren wurden neben dem Alter auch der sozioökonomische
Status (SES) und der Migrationshintergrund der Mädchen berücksichtigt. In KiGGS Welle
1 wurde der SES auf Basis elterlicher Angaben zu ihrer schulischen und beruflichen
Ausbildung, ihrer beruflichen Stellung und ihrem Haushaltsnettoeinkommen (bedarfsgewichtet)
gebildet und in eine niedrige, mittlere und hohe sozioökonomische Statusgruppe eingeteilt.
Den Kindern und Jugendlichen wurde der SES des Haushalts zugewiesen, in dem sie leben
[28 ]. Als Kinder und Jugendliche mit beidseitigem Migrationshintergrund wurden diejenigen
Befragten definiert, die selbst aus einem anderen Land zugewandert sind und von denen
mindestens ein Elternteil nicht in Deutschland geboren ist oder von denen beide Eltern
zugewandert oder nicht deutscher Staatsangehörigkeit sind [32 ].
Als familialer Faktor wurde berücksichtigt, ob weitere Geschwister im Haushalt leben.
Den Eltern der Teilnehmenden aller Altersjahre wurde hierzu folgende Frage gestellt:
„Hat Ihr Kind leibliche Geschwister? Gemeint sind hier auch Halbgeschwister.“ (Antwortvorgaben
„ja“, „nein“ und „weiß nicht“). Darüber hinaus wurde die Familienform auf Basis der
Angaben der Eltern zum Hauptaufenthaltsort einbezogen. Unterschieden wurde hierbei
zwischen Einelternfamilien, in denen Kinder in Haushalten mit nur einem Elternteil
aufwachsen (im Folgenden Alleinerziehende) sowie Kern- und Stieffamilien, in denen
2 leibliche oder soziale Elternteile zusammenleben [31 ]. Außerdem wurde das familiäre Miteinander bei Jugendlichen ab 11 Jahren über das
Item „Wir kommen wirklich alle gut miteinander aus“ aus der Familienklima-Skala von
Schneewind et al. selbst erfasst [33 ]. Die Antwortmöglichkeiten wurden zu den 3 Ausprägungen „stimmt genau“, „stimmt eher“
und „stimmt kaum oder nicht“ zusammengefasst [34 ].
Darüber hinaus wird geprüft, inwieweit die Inanspruchnahme gynäkologischer Leistungen
mit verhaltensbezogenen Faktoren assoziiert ist. Herangezogen werden Indikatoren,
die laut verfügbarer Literatur einen Einfluss auf die Inanspruchnahme haben [35 ]. Zur Abschätzung eines riskanten Alkoholkonsums wurde das aus 3 Fragen bestehende,
international etablierte AUDIT-C-Instrument (Alcohol Use Disorders Identification
Test) eingesetzt [36 ]. Ursprünglich für das Screening in der Erwachsenenbevölkerung konzipiert, hat sich
das AUDIT-C-Instrument auch für den Einsatz bei Jugendlichen als hilfreich erwiesen
[37 ]. Das Rauchverhalten wurde in KiGGS Welle 1 über mehrere Fragen erhoben [37 ]. Zur Abgrenzung einer Gruppe mit vergleichsweise hohem Tabakkonsum wurden tägliche
Raucherinnen abgegrenzt von Nichtraucherinnen und Mädchen, die seltener als täglich
rauchen.
Als versorgungsbezogene Einflussfaktoren werden die Inanspruchnahme von Ärztinnen
und Ärzten für Allgemeinmedizin sowie für Kinderheilkunde in den letzten 12 Monaten
untersucht, da diese im Rahmen der Grundversorgung eine gynäkologische Beratung oder
Behandlung empfehlen oder veranlassen können [38 ], [39 ]. Im Elterninterview der 7- bis 13-Jährigen wurde u. a. gefragt: „War Ihr Kind in
den letzten 12 Monaten bei einem Allgemeinmediziner oder praktischen Arzt bzw. Kinderarzt?“,
14-bis 17-Jährige wurden selbst befragt: „Warst du schon mal bei einem Allgemeinmediziner
oder praktischen Arzt bzw. Kinderarzt?“.
Statistische Analysen
Der Schwerpunkt der KiGGS-Welle-1-Auswertungen liegt im Altersbereich von 14 bis 17
Jahren, da die Inanspruchnahme in den jüngeren Altersgruppen sehr gering ist. Wenn
für jüngere Mädchen Daten vorliegen, werden diese im Text erwähnt.
Berichtet wird der Anteil der 14- bis 17-jährigen Mädchen, die jemals eine frauenärztliche
Sprechstunde aufgesucht haben. Für 17-jährige Mädchen wird dargestellt, in welchem
Alter sie erstmals in gynäkologischer Behandlung waren. Anschließend wird der Anteil
der Mädchen im Alter von 11 bis 17 Jahren ausgewiesen, der in den letzten 12 Monaten
gynäkologische Leistungen in Anspruch genommen hat, und es wird das arithmetische
Mittel der Kontaktfrequenz in den letzten 12 Monaten berichtet. Es folgen Zusammenhangsanalysen
für 14- bis 17-jährige Mädchen zwischen der 12-Monats-Prävalenz der Inanspruchnahme
gynäkologischer Leistungen und potenziellen Einflussfaktoren. Abschließend erfolgen
Trendvergleiche der 12-Monats-Prävalenz und Kontakthäufigkeit durch Querschnittanalysen
der Stichproben der beiden Erhebungszeitpunkte KiGGS-Basiserhebung (2003 – 2006) und
KiGGS Welle 1 (2009 – 2012) für 14- bis 17-jährige Mädchen.
Prävalenzen und Mittelwerte werden gewichtet in Prozent mit 95%-Konfidenzintervallen
(95%-KI) und bezogen auf die Gesamtheit aller Mädchen mit gültigen Antworten angegeben.
Zusammenhänge zwischen der 12-Monats-Prävalenz der Inanspruchnahme gynäkologischer
Leistungen und den ausgewählten Einflussfaktoren wurden mit multivariaten logistischen
Regressionsmodellen berechnet, als deren Ergebnis Odds Ratios ausgewiesen werden.
Unterschiede in der 12-Monats-Prävalenz der Inanspruchnahme gynäkologischer Leistungen
sowie in der Kontakthäufigkeit zwischen den Studienpopulationen von KiGGS-Basiserhebung
(2003 – 2006) und KiGGS Welle 1 (2009 – 2012) wurden mit dem nach Rao-Scott über die
F-Verteilung korrigierten Chi-Quadrat-Test auf statistische Signifikanz geprüft. Unterschiede
wurden in dieser Arbeit bei p-Werten < 0,05 als statistisch signifikant gewertet.
Die Analysen wurden mit Verfahren für komplexe Stichproben unter Verwendung des Softwareprodukts
StataSE 14 durchgeführt. Alle Analysen wurden mit einem Gewichtungsfaktor berechnet,
der Abweichungen der Stichprobe von der Bevölkerungsstruktur (Stand 31.12.2010) hinsichtlich
Alter, Geschlecht, Region, Staatsangehörigkeit, Gemeindetyp und Bildungsstand des
Haushaltsvorstandes (Mikrozensus 2009) korrigiert. Für die ehemaligen Teilnehmenden
der KiGGS-Basiserhebung wurde die unterschiedliche Wiederteilnahmebereitschaft mittels
Gewichtung nach relevanten Merkmalen aus der Basiserhebung ausgeglichen. Für die Berechnung
der Trendanalysen wurden die Daten der Basiserhebung bezüglich der oben genannten
Merkmale neu gewichtet und auf den Bevölkerungsstand zum 31.12.2010 altersstandardisiert.
Ergebnisse
Stichprobenzusammensetzung
Die statistischen Analysen beruhen auf den Daten von 2575 Mädchen im Alter von 11
bis 17 Jahren in Deutschland. Einige zentrale Charakteristika der verwendeten KiGGS-Welle-1-Stichprobe
finden sich in [Tab. 1 ].
Tab. 1 Stichprobenbeschreibung von KiGGS Welle 1 in Bezug auf in Deutschland lebende Mädchen
zwischen 11 und 17 Jahren; Anzahl und Stichprobenanteil (%) (n = 2575).
Anzahl
Anteil (%)
ungewichtet
gewichtet
95%-KI
Altersgruppen
1097
42,7
40,6 – 44,8
1478
57,3
55,2 – 59,4
sozioökonomischer Status
297
21,2
18,4 – 24,3
1650
61,6
58,6 – 64,5
594
17,1
15,2 – 19,3
34
–
–
Migrationshintergrund
262
18,1
15,3 – 21,3
2313
81,9
78,7 – 84,7
0
–
–
Geschwister
2235
89,1
87,4 – 90,6
304
10,9
9,4 – 12,6
36
–
–
Erstmalige Inanspruchnahme gynäkologischer Leistungen
53,9% (95%-KI 50,3 – 57,4) der 14- bis 17-jährigen Mädchen in Deutschland haben schon
einmal Leistungen einer Frauenärztin oder eines Frauenarztes in Anspruch genommen.
Der Anteil der Mädchen, die jemals bei einer Frauenärztin oder einem Frauenarzt waren
(Lebenszeitprävalenz), nimmt mit jedem Lebensjahr der Mädchen zwischen 14 und 17 Jahren
deutlich zu ([Abb. 1 ]). Haben von den 14-jährigen Mädchen etwa ein Viertel (24,8%; 95%-KI 19,2 – 31,3)
eine frauenärztliche Sprechstunde aufgesucht, sind dies bei den 15-Jährigen beinahe
die Hälfte (45,9%; 95%-KI 38,5 – 53,6) und bei den 16-Jährigen knapp zwei Drittel
(61,9%; 95%-KI 54,2 – 69,1). Während die überwiegende Mehrheit der 17-jährigen Mädchen
bereits gynäkologische Leistungen in Anspruch genommen hat, haben 17,9% (95%-KI 13,7 – 23,1)
den 1. Besuch in einer frauenärztlichen Praxis noch vor sich.
Abb. 1 Lebenszeitprävalenz der Inanspruchnahme von Frauenärztinnen und Frauenärzten bei
14- bis 17-jährigen Mädchen nach Alter; Anteil in % (n = 1395). Datenquelle: KiGGS
Welle 1 (2009 – 2012).
Von den 82,1% (95%-KI 76,9 – 86,3) der 17-jährigen Mädchen, die zum Befragungszeitpunkt
bereits gynäkologische Leistungen in Anspruch genommen haben, waren 11,7% schon im
Alter von 13 Jahren oder jünger erstmals bei einer Ärztin oder einem Arzt für Frauenheilkunde.
64,2% dieser Mädchen waren mit 15 Jahren und 93,6% mit 16 Jahren mindestens ein 1. Mal
in einer frauenärztlichen Sprechstunde ([Abb. 2 ], kumulierte Anteile). Am häufigsten fand der erste Kontakt mit 15 oder 16 Jahren
statt. Jeweils knapp 30% der 17-Jährigen, die bereits in einer gynäkologischen Praxis
waren, haben sich in diesem Alter erstmals in gynäkologische Behandlung oder Beratung
begeben ([Abb. 2 ], Anteil/Altersjahr).
Abb. 2 Alter der erstmaligen Inanspruchnahme von Frauenärztinnen und Frauenärzten bei 17-jährigen
Mädchen; Anteil und kumulierter Anteil in % (n = 276). Datenquelle: KiGGS Welle 1
(2009 – 2012).
12-Monats-Prävalenz der Inanspruchnahme und Kontakthäufigkeit
Rund die Hälfte (45,8%; 95%-KI 42,2 – 49,4) der 14- bis 17-jährigen Mädchen hat in
den letzten 12 Monaten eine Ärztin oder einen Arzt für Frauenheilkunde aufgesucht
(Ergebnisse nicht gezeigt). Bei den 11- bis 13-Jährigen trifft dies auf 7,1% (95%-KI
4,7 – 10,4) zu, bei Mädchen zwischen 7 und 10 Jahren auf 1,0% (95%-KI 0,5 – 2,2).
Die 12-Monats-Prävalenz der Inanspruchnahme, also der Anteil der Mädchen, die in den
letzten 12 Monaten eine frauenärztliche Sprechstunde in Anspruch genommen haben, nimmt
mit jedem Lebensjahr deutlich zu. Während sie bei 12-jährigen Mädchen 4,7% (95%-KI
2,3 – 9,4) beträgt, steigt sie bei 14-jährigen Mädchen auf 20,0% (95%-KI 15,1 – 26,1)
und bei 15-jährigen auf 38,7% (95%-KI 31,8 – 46,2) an. Im Alter von 16 Jahren waren
52,9% (95%-KI 45,8 – 59,9) der Mädchen in den letzten 12 Monaten in einer gynäkologischen
Praxis und mit 17 Jahren trifft dies auf beinahe drei Viertel (71,1%; 95%-KI 64,4 – 77,0)
der befragten Mädchen zu.
Analog zur 12-Monats-Prävalenz nimmt auch die Häufigkeit der Praxisbesuche binnen
eines Jahres mit dem Alter zu. Im Mittel waren Mädchen im Alter von 11 bis 13 Jahren
in den letzten 12 Monaten 1,7-mal (95%-KI 1,3 – 2,1) und 14- bis 17-jährige Mädchen
2,3-mal (95%-KI 2,1 – 2,6) bei einer Frauenärztin oder einem Frauenarzt (Ergebnisse
nicht gezeigt). Die höchste Kontaktfrequenz geben 16-jährige Mädchen mit 2,6 (95%-KI
2,1 – 3,2) Besuchen in den letzten 12 Monaten an.
Soziale, verhaltensbezogene und versorgungsspezifische Einflussfaktoren
Als soziale Einflussfaktoren auf die 12-Monats-Prävalenz der Inanspruchnahme gynäkologischer
Leistungen wurden der sozioökonomische Status (SES), der Migrationshintergrund, die
Familienform, das Aufwachsen mit Geschwistern und das familiäre Miteinander untersucht
([Tab. 2 ]). Die Ergebnisse zeigen, dass 14- bis 17-jährige Mädchen aus Familien mit mittlerem
SES im Vergleich zu Gleichaltrigen mit hohem SES signifikant häufiger eine gynäkologische
Beratung wahrnehmen. Mädchen, die Geschwister haben, gehen signifikant seltener zu
einer Frauenärztin oder einem Frauenarzt. Detailliertere Auswertungen der vorliegenden
Daten ergeben, dass die geringere Inanspruchnahme unabhängig vom Alter und Geschlecht
der Geschwister im Haushalt besteht (Ergebnisse nicht gezeigt). Unter den verhaltensbezogenen
Einflüssen gehen ein riskanter Alkoholkonsum und das tägliche Rauchen mit einer signifikant
häufigeren Inanspruchnahme von Frauenärztinnen und Frauenärzten einher. Mädchen, die
täglich rauchen, haben eine fast 4-fach erhöhte Chance, eine Frauenarztpraxis zu besuchen
verglichen mit Mädchen, die nicht täglich rauchen. In Bezug auf versorgungsspezifische
Faktoren zeigen die Ergebnisse, dass die 12-Monats-Prävalenz der Inanspruchnahme gynäkologischer
Leistungen signifikant mit der Nutzung allgemeinmedizinischer Leistungen in den letzten
12 Monaten assoziiert ist. Zur Nutzung kinderärztlicher Leistungen in den letzten
12 Monaten besteht hingegen kein Zusammenhang (Ergebnisse nicht gezeigt).
Tab. 2 Determinanten der 12-Monats-Prävalenz der Inanspruchnahme von Frauenärztinnen und
Frauenärzten bei 14- bis 17-jährigen Mädchen; Prävalenzen (%) und Ergebnisse multivariater
binär-logistischer Regressionen (Odds Ratios) (n = 1389). Datenbasis: KiGGS Welle
1 (2009 – 2012).
% (95%-KI)
OR (95%-KI)
p
OR: Odds Ratio; OR kontrolliert für Alter, subjektive Gesundheit und Regelschmerzen.
sozioökonomischer Status
42,3 (32,7 – 52,4)
1,50 (0,85 – 2,64)
0,160
50,8 (46,0 – 55,5)
1,88 (1,23 – 2,89)
0,004
35,2 (29,2 – 41,7)
Ref.
Migrationshintergrund
30,5 (22,0 – 40,6)
0,62 (0,34 – 1,15)
0,128
49,1 (45,3 – 52,9)
Ref.
alleinerziehend
51,1 (42,2 – 60,6)
0,99 (0,62 – 1,57)
0,963
45,3 (41,4 – 49,3)
Ref.
Geschwister im Haushalt
44,7 (41,0 – 48,4)
0,52 (0,31 – 0,86)
0,011
59,9 (49,0 – 69,9)
Ref.
gutes familiäres Miteinander
55,9 (43,1 – 67,9)
1,37 (0,68 – 2,78)
0,378
47,5 (42,1 – 53,1)
1,18 (0,83 – 1,68)
0,353
42,2 (37,5 – 47,4)
Ref.
riskanter Alkoholkonsum
67,6 (60,6 – 73,9)
1,58 (1,04 – 2,41)
0,034
37,6 (33,6 – 41,7)
Ref.
tägliches Rauchen
83,1 (72,5 – 90,2)
3,67 (1,79 – 7,50)
0,000
42,2 (38,8 – 45,8)
Ref.
Besuch einer allgemeinmedizinischen Praxis in den letzten 12 Monaten
56,0 (51,1 – 60,7)
2,11 (1,51 – 2,96)
0,000
31,6 (26,2 – 37,5)
Ref.
Inanspruchnahme im Zeitvergleich
Zwischen den Erhebungszeitpunkten der KiGGS-Basiserhebung (2003 – 2006) und von KiGGS
Welle 1 (2009 – 2012) hat die Inanspruchnahme gynäkologischer Leistungen in den letzten
12 Monaten bei 14- bis 17-jährigen Mädchen signifikant zugenommen ([Tab. 3 ]). Stratifiziert man die Analysen nach SES zeigt sich, dass diese Zunahme nur für
Mädchen aus Familien der niedrigen und mittleren Statusgruppe festzustellen ist. Neben
der Inanspruchnahme hat auch die Kontakthäufigkeit zu Frauenärztinnen und Frauenärzten
in den letzten 12 Monaten bei 14- bis 17-jährigen Mädchen in dem betrachteten Zeitraum
von etwa 6 Jahren signifikant zugenommen. Bei Differenzierung nach SES zeigt sich
diese Zunahme vor allem für Mädchen mit mittlerem SES.
Tab. 3 Trends in der Inanspruchnahme von Frauenärztinnen und Frauenärzten in den letzten
12 Monaten bei 14- bis 17-jährigen Mädchen. Prävalenzen (%) und Kontakthäufigkeit
(arithmetisches Mittel). Datenquellen: KiGGS-Basiserhebung (2003 – 2006), KiGGS Welle
1 (2009 – 2012).
Indikator
KiGGS-Basiserhebung1
KiGGS Welle 1
1 Altersadjustiert auf den Bevölkerungsstand zum 31.12.2010.
2 Der Signifikanztest bezieht sich auf den Vergleich der altersadjustierten Prävalenzen
von KiGGS-Basiserhebung und KiGGS Welle 1.
3 Chi-Quadrat-Test 2. Ordnung nach Rao-Scott.
4 allgemeines lineares Modell
SES: sozioökonomischer Status; AM: arithmetisches Mittel
% (95%-KI)
% (95%-KI)
p2,3
n
1808
1389
Prävalenz
gesamt
37,2 (34,6 – 39,9)
45,8 (42,2 – 49,4)
0,000
niedriger SES
28,6 (22,2 – 35,9)
42,3 (32,7 – 52,4)
0,019
mittlerer SES
39,8 (36,4 – 43,3)
50,8 (46,0 – 55,5)
0,000
hoher SES
37,8 (32,4 – 43,6)
35,2 (29,2 – 41,7)
0,540
AM (95%-KI)
AM (95%-KI)
p4
Kontakthäufigkeit
gesamt
2,0 (1,8 – 2,1)
2,3 (2,1 – 2,6)
0,006
niedriger SES
2,4 (1,8 – 3,0)
2,7 (2,1 – 3,4)
0,492
mittlerer SES
1,9 (1,8 – 2,1)
2,2 (2,0 – 2,5)
0,021
hoher SES
1,8 (1,6 – 2,0)
2,1 (1,6 – 2,6)
0,241
Diskussion
Von den 14- bis 17-jährigen Mädchen in Deutschland haben zum Befragungszeitpunkt von
KiGGS Welle 1 rund 54% mindestens 1-mal frauenärztliche Leistungen in Anspruch genommen.
Dieser Anteil nimmt mit jedem Lebensjahr deutlich zu. Etwa jedes 5. 17-jährige Mädchen
war noch nicht bei einer Frauenärztin oder einem Frauenarzt. Bei fast zwei Dritteln
der Mädchen, die mit 17 Jahren bereits in einer gynäkologischen Sprechstunde waren,
fand der erste Kontakt mit 15 oder 16 Jahren statt. Eine regelmäßigere Konsultation
stellt sich aber erst im späteren Jugendalter ein: Gut die Hälfte der 16-jährigen
Mädchen und fast drei Viertel der 17-jährigen, die bereits frauenärztliche Leistungen
in Anspruch genommen haben, geben an, im letzten Jahr eine gynäkologische Praxis aufgesucht
zu haben. Bei der Betrachtung sozialer Faktoren zeigt sich, dass das Aufwachsen mit
Geschwistern mit einer deutlich geringeren 12-Monats-Prävalenz der Inanspruchnahme
von Frauenärztinnen und Frauenärzten assoziiert ist. Bezüglich verhaltensbezogener
Einflüsse gehen ein riskanter Alkoholkonsum und das tägliche Rauchen mit einer stärkeren
Nutzung frauenärztlicher Leistungen einher. Zudem ist die 12-Monats-Prävalenz der
Inanspruchnahme gynäkologischer Leistungen signifikant mit der Nutzung allgemeinmedizinischer
Leistungen assoziiert. Im Vergleich mit der KiGGS-Basiserhebung (2003 – 2006) hat
die Inanspruchnahme frauenärztlicher Leistungen in KiGGS Welle 1 (2009 – 2012) deutlich
zugenommen. Dies zeigt sich insbesondere für Mädchen aus Familien der niedrigen und
mittleren sozioökonomischen Statusgruppe.
Bei der Interpretation der Ergebnisse sind einige Limitationen zu beachten. So muss
bedacht werden, dass es bei Selbst- bzw. Elternangaben zu einer gewissen Erinnerungsverzerrung
(Recall Bias) kommen kann. Dies wurde u. a. dadurch vermindert, dass die 14- bis 17-jährigen
Mädchen selbst zu ihrem Inanspruchnahmeverhalten befragt wurden. Denn es konnte gezeigt
werden, dass Eltern die Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen bei Jugendlichen
vor allem dann unterschätzen, wenn es um vertrauliche Beratungsleistungen geht [40 ]. Darüber hinaus ist ein Recall Bias vor allem dann zu erwarten, wenn ein längerer
Zeitraum als die letzten 12 Monate erfasst wird [41 ]. Bei der Lebenszeitprävalenz der Inanspruchnahme von Frauenärztinnen und Frauenärzten
kann hingegen davon ausgegangen werden, dass keine Erinnerungslücken vorliegen, weil
kein konkreter Zeitraum und keine Kontaktzahlen erfragt werden. Bei den Trendauswertungen
ist zu berücksichtigen, dass von der KiGGS-Basiserhebung (2003 – 2006) zu KiGGS Welle
1 (2009 – 2012) ein Wechsel von einer schriftlichen zu einer telefonischen Befragung
stattgefunden hat. Bei der Untersuchung unterschiedlicher Erhebungsmodi in Gesundheitssurveys
konnten aber für Indikatoren der Inanspruchnahme keine Mode-Effekte gefunden werden
[42 ]. Dafür spricht auch, dass die Inanspruchnahme zwischen den ersten beiden KiGGS-Erhebungen
nicht bei allen Arztgruppen angestiegen ist [31 ]. Grundsätzlich ist es im Rahmen von Zusammenhangsanalysen auf Basis von Querschnittdaten
schwierig, zwischen Ursache und Wirkung klar zu unterscheiden, da alle Informationen
zu einem Zeitpunkt erhoben werden. Allerdings können Wechselwirkungen insofern ausgeschlossen
werden, als Effekte der Inanspruchnahme von Frauenärztinnen und Frauenärzten auf die
einbezogenen Determinanten, bspw. den SES, implausibel sind. Einzige Ausnahme sind
Wechselwirkungen zwischen der Inanspruchnahme von Ärztinnen und Ärzten für Allgemeinmedizin
und für Frauenheilkunde. Es liegt daher nahe, dass die übrigen ausgewählten Determinanten
einen signifikanten Effekt auf die Nutzung gynäkologischer Leistungen haben. Anhand
der Daten aus KiGGS Welle 2 bietet sich die Möglichkeit, diese Befunde künftig auch
anhand von Längsschnittauswertungen zu prüfen.
Insgesamt fügen sich die vorliegenden Befunde gut in den bestehenden Wissensstand
ein. So weisen die Ergebnisse der Studien zur Jugendsexualität der BZgA ähnliche Lebenszeitprävalenzen
für die Inanspruchnahme von Frauenärztinnen und Frauenärzten bei 14- bis 17-jährigen
Mädchen aus und bestätigen, dass der Erstbesuch einer gynäkologischen Sprechstunde
überwiegend im Altersbereich von 14 bis 17 Jahren stattfindet [20 ], [21 ]. Die im Vergleich zu KiGGS Welle 1 in den BZgA-Studien höheren Anteile der Lebenszeitprävalenz
bei unter 17-Jährigen können u. a. dadurch erklärt werden, dass für die Auswertungen
der KiGGS-Studie nur die Angaben von Mädchen bis 17 Jahren herangezogen wurden. Dadurch
werden 17-Jährige mit einem Erstbesuch nach der Befragung, aber vor Vollendung des
18. Lebensjahrs, nicht berücksichtigt.
Die Inanspruchnahme gynäkologischer Leistungen wird den vorliegenden Ergebnissen zufolge
durch verschiedene Faktoren wie den SES beeinflusst. So hat zum Befragungszeitpunkt
die mittlere sozioökonomische Statusgruppe am häufigsten gynäkologische Leistungen
in den letzten 12 Monaten in Anspruch genommen. Nach den Auswertungen von KiGGS Welle
1 gilt dies auch für die Inanspruchnahme allgemeinmedizinischer Praxen, während für
die 12-Monats-Prävalenz der Inanspruchnahme niedergelassener Kinder- und Jugendärztinnen
und -ärzte keine Unterschiede nach SES gefunden wurden [31 ]. Studien liefern insgesamt ein inkonsistentes Bild, ob der SES einen Einfluss auf
die Inanspruchnahme ärztlicher Leistungen in Kindheit und Jugend hat [30 ], [31 ], [43 ].
Ein weiterer Einflussfaktor für die Inanspruchnahme gynäkologischer Leistungen ist
das Aufwachsen mit Geschwistern im Haushalt. Hier könnte insbesondere das Aufwachsen
mit Schwestern relevant sein: Die Daten der BZgA zeigen, dass sich 14- bis 17-jährige
Mädchen bei der Aufklärung stark an Personen des gleichen Geschlechts wie der Schwester
orientieren [21 ]. Die KiGGS-Daten zeigen jedoch, dass die geringere Inanspruchnahme unabhängig vom
Alter und Geschlecht der Geschwister besteht, was auf einen Effekt der Familienkonstellation
insgesamt hindeutet: Geschwister könnten potenzielle Ansprechpartner sein, bevor das
medizinische System konsultiert wird. Dies stünde im Einklang mit dem Befund der BZgA,
dass Jugendliche heutzutage im Familienkreis offen über sexuelle Themen sprechen können
[21 ]. Eine weitere Erklärung für die geringere Inanspruchnahme beim Aufwachsen mit Geschwistern
beruht darauf, dass Eltern die Inanspruchnahme ärztlicher Leistungen durch ihre Kinder
wesentlich mitbestimmen. So nehmen Kinder in kleineren Familien häufiger kinderärztliche
Leistungen in Anspruch [24 ]. Begründet wird dies damit, dass Eltern in kleineren Familien den Gesundheitsproblemen
ihrer Kinder mehr Aufmerksamkeit widmen und mehr Zeit haben, eine Praxis aufzusuchen.
Umgekehrt haben Eltern in größeren Familien mehr Erfahrung, mit gesundheitlichen Beschwerden
ihrer Kinder umzugehen, ohne das medizinische Versorgungssystem zu kontaktieren [24 ]. Diese elterlichen Verhaltensweisen lassen sich vermutlich – vor allem für jüngere
Mädchen – auf die gynäkologische Inanspruchnahme übertragen.
Auch das tägliche Rauchen und ein riskanter Alkoholkonsum sind relevante Einflussfaktoren
und gehen mit einer stärkeren Inanspruchnahme gynäkologischer Leistungen einher (siehe
auch [35 ]). Zur Erklärung können Studien herangezogen werden, die auf einen Zusammenhang zwischen
sexueller Aktivität und Substanzkonsum hinweisen: Jugendliche im fortgeschrittenen
Reifungsprozess machen eher sexuelle Erfahrungen und sind auch im Hinblick auf (regelmäßigen)
Tabak- und Alkoholkonsum Gleichaltrigen voraus [44 ], [45 ], [46 ]. Auch ist ein regelmäßiger bzw. riskanter Substanzkonsum mit einem riskanten Sexualverhalten
assoziiert [47 ]. Nach den Daten der BZgA gehen Mädchen gerade dann zu einer Frauenärztin oder einem
Frauenarzt, wenn sie sexuell aktiv werden und Beratungsdarf besteht [21 ].
Eine im Zeitverlauf steigende Inanspruchnahme konnte auf Basis der KiGGS-Untersuchungen
auch für kinderärztliche, nicht jedoch für allgemeinmedizinische Leistungen gezeigt
werden. Dies wird auf eine Ausweitung des Leistungsangebots im Bereich der Früherkennungsuntersuchungen
für Kinder und Jugendliche (U1-U9, J1, J2) sowie auf die Einführung neuer Impfungen
zurückgeführt [31 ]. Auch für die steigende Inanspruchnahme gynäkologischer Leistungen können solche
Faktoren eine Rolle spielen. So fällt die Einführung der HPV-Impfung wie auch des
Chlamydien-Screenings in den Zeitraum zwischen den beiden ersten KiGGS-Erhebungen.
Die HPV-Impfung war zunächst für 12- bis 17-jährige Mädchen empfohlen und stellt nach
Informationen der BZgA-Studien durchaus einen relevanten Anlass für den Besuch gynäkologischer
Praxen dar [21 ]. In der KiGGS-Studie wurden die Mädchen zwar nicht nach dem Anlass für den Praxisbesuch
gefragt; Auswertungen zeigen allerdings, dass die HPV-Impfquoten bei Mädchen, die
bereits mindestens einmal eine Frauenarztpraxis besucht haben, signifikant höher sind
als bei Mädchen, die noch nie bei einer Frauenärztin oder einem Frauenarzt waren [22 ]. Insgesamt kommt es zudem zu einer Diversifizierung der Inanspruchnahme auf ein
breiteres Spektrum an fachärztlichen Praxen [31 ]. Auch die Verlagerung von Leistungen aus dem pädiatrischen und allgemeinmedizinischen
Bereich in andere Fachrichtungen könnte somit zu einer steigenden Inanspruchnahme
von Gynäkologinnen und Gynäkologen beitragen.
Außerdem zeigen Langzeittrends eine Verschiebung der Menarche in frühere Altersgruppen
[21 ]. Da Menstruationsprobleme einen häufigen Beratungsanlass darstellen [21 ], ist es naheliegend, dass eine frühere Menarche frühere Erstkontakte zu frauenärztlichen
Praxen und häufigere Folgekontakte und somit eine insgesamt steigende Inanspruchnahme
mit sich bringen. Mit der Verschiebung der Menarche ins jüngere Alter geht auch ein
jüngeres Alter beim ersten Geschlechtsverkehr einher [21 ]. Daraus ergibt sich auch ein Bedarf an Verhütungsberatung bzw. der Wunsch nach Verschreibung
eines Verhütungsmittels in einem früheren Alter [21 ].
Generell besteht bei Jugendlichen ein im Altersgang wachsender Informationsbedarf
zu Fragen der sexuellen und reproduktiven Gesundheit. Hinzu kommt, dass zu Maßnahmen
wie der HPV-Impfung oder dem Chlamydien-Screening, die neu in den Leistungskatalog
der gesetzlichen Krankenkassen aufgenommen wurden, ebenfalls Informationsbedarf besteht.
Um eine selbstbestimmte Sexualität ausbilden zu können, sollten diese Informationsbedarfe
adäquat und im Rahmen eines abgestimmten Vorgehens gedeckt werden. Frauenärztinnen
und Frauenärzte sind dabei wichtige, aber nicht die alleinigen Anlaufstellen [21 ], [48 ]. Das Elternhaus, Geschwister, aber auch Freundinnen, die Schule und andere Einrichtungen
werden von den Mädchen häufig um Rat gefragt, bevor Leistungen des medizinischen Systems
in Anspruch genommen werden. Insofern ist es schwierig zu bemessen, inwieweit sich
die Inanspruchnahme von Frauenärztinnen und Frauenärzten bei Mädchen in Deutschland
auf einem angemessenen Niveau bewegt. Dass den Ärztinnen und Ärzten für Frauenheilkunde
in diesem Zusammenhang eine wachsende Bedeutung zukommt, zeigt die steigende Inanspruchnahme
in den vergangenen Jahren. Wichtiger scheint aber, dass die relevanten Informationen
evidenzbasiert und zielgruppengerecht dort verfügbar sind, wo sie von den Mädchen
nachgefragt werden. Im Sinne des „WHO Action Plan for Sexual and Reproductive Health“
[4 ], der sich derzeit noch in der Abstimmung befindet, ist daher ein konzertiertes Vorgehen
gefordert. Die WHO empfiehlt u. a., die bestehenden Konzepte der Informationsvermittlung
im Bereich der sexuellen und reproduktiven Gesundheit zu prüfen und ggf. zu überarbeiten.
Auf diese Weise soll ein abgestimmtes Vorgehen zur Information von Eltern und Kindern
gefördert werden, bei dem wichtige Akteure wie Schulen und Gesundheitsberufe eng kooperieren,
um eine zielgruppengerechte Ansprache zu finden, mit der auch schwer erreichbare Gruppen
besser integriert werden können. Sinnvoll wäre in jedem Fall die Kooperation wichtiger
nationaler Akteure wie der BZgA, des G-BA, von Krankenkassen, Ärzteverbänden und Fachgesellschaften.
Vor dem Hintergrund der regionalen Ausrichtung der aktuellen Präventionsgesetzgebung
würde es sich anbieten, Konzepte in Kooperation mit Akteuren wie Schulen, Gesundheitsämtern
und anderen Einrichtungen vor Ort unter Berücksichtigung der regionalen Gegebenheiten
zu entwickeln bzw. an bereits bestehende, erfolgreich arbeitende Projekte (z. B. das
Projekt „Ärztinnensprechstunde“ [49 ]) anzuknüpfen.