Z Gastroenterol 2017; 55(09): 947-948
DOI: 10.1055/s-0043-117755
Mitteilungen der DGVS
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Nachruf - In Memoriam Harald Goebell (6.2.1933–24.5.2017)

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Publication Date:
12 September 2017 (online)

Am 24. Mai 2017 ist Professor (em.) Dr. med. Harald Goebell im Alter von 84 Jahren nach kurzer schwerer Krankheit verstorben. Die deutsche Innere Medizin und die deutsche Gastroenterologie im Besonderen verlieren mit ihm eine eindrucksvolle Arztpersönlichkeit, einen leidenschaftlichen akademischen und klinischen Lehrer sowie einen herausragenden Wissenschaftler mit hoher nationaler und internationaler Reputation.

Harald Goebell wurde am 6. Februar 1933 in Korbach (Hessen) geboren. Er besuchte das Humanistische Domgymnasium in Fulda und studierte nach dem Abitur von 1953 – 1958 Medizin in Marburg, Hamburg und München. Von 1961 – 1963 promovierte er als DFG-Stipendiat mit einer experimentellen Arbeit bei Theodor Bücher im Marburger Institut für Biochemie.

Seine Weiterbildung zum Internisten erhielt er in der Medizinischen Klinik der Philipps-Universität Marburg bei Gustav Adolf Martini. Dort wurde er 1970 habilitiert. Gemeinsam mit Christian Bode erhielt er 1970 den Heinrich-Wieland-Preis („Die Umstellung des Lebermetabolismus durch Äthanol“) sowie 1971 den Homburg-Preis („Physiologie und Pathophysiologie der Calciumsekretion im Pankreas“).

1971 folgte Harald Goebell einem Ruf an die Universität Ulm als C3-Professor für Innere Medizin und Leiter der Sektion Gastroenterologie, die er bis 1975 innehatte. Dort initiierte und leitete er ein erfolgreiches Team, welches insbesondere die physiologischen und klinischen Veränderungen der Calciumsekretion des Pankreas erforschte.

1975 wurde Harald Goebell als C4-Professor auf den Lehrstuhl für Innere Medizin und Gastroenterologie der Universität Essen, verbunden mit der Direktion der Abteilung für Gastroenterologie, berufen. Beide Positionen hatte er bis zu seiner Emeritierung im Jahre 1998 inne. Neben seinen zahlreichen Engagements in Fakultät und Senat war er von 1985 – 1987 Dekan der Medizinischen Fakultät.

Es gelang ihm in Essen innerhalb kurzer Zeit – trotz baulicher Einschränkungen – eine moderne universitäre Abteilung für Gastroenterologie aufzubauen, die schon bald überregionales Renommée erlangte. Es gelang ihm schnell, ein Team klinisch und wissenschaftlich engagierter Ärzte zu gewinnen und eine dynamische Arbeitsgruppe junger Wissenschaftler aufzubauen.

Seine Abteilung führte Harald Goebell zielstrebig und strukturiert, dabei unverkrampft und mit leichter Hand. Sein flexibler Ideenreichtum, seine liberale, diskussionsfreudige Offenheit, sein konstruktiver Optimismus und nicht zuletzt seine großzügige, verlässliche Loyalität ermutigten seine Mitarbeiter zur Selbstständigkeit und stimulierten sie zu eigenständigen, von ihm dann tatkräftig unterstützten Ideen und Projekten. Er legte großen Wert auf die Kooperation mit den anderen Abteilungen des Zentrums für Innere Medizin und den anderen Fachkliniken. Die von ihm initiierten regelmäßigen Fallbesprechungen mit den chirurgischen Partnern waren ihrer Zeit weit voraus und nahmen das Konzept der „Viszeralmedizin“ für Jahrzehnte vorweg.

Die physiologischen, pathophysiologischen und klinischen Untersuchungen an Pankreas und Magen der Goebell’schen Arbeitsgruppe wurden international stark beachtet und mit mehreren Forschungspreisen ausgezeichnet. Das kreative und stimulierende Forschungsklima ebenso wie das umfassende wissenschaftliche Interesse Goebells führten schon bald zu Erweiterung und Diversifizierung der Fragestellungen, die in einem bemerkenswerten Spektrum an weiteren anspruchsvollen Projekten resultierten. Zu den Beispielen zählen systematische Studien zu den gastrointestinalen Auswirkungen einer gestörten Kalzium-Homöostase oder von Alkohol, der neurohormonalen Regulation des Gastrointestinaltraktes, zu Physiologie, Pathophysiologie und Integrationsmechanismen der gastrointestinalen Sekretions- und Motilitätsfunktionen; insbesondere aber auch eingehende Untersuchungen an wichtigen Fragestellungen auf dem Gebiet der chronisch-entzündlichen Darmkrankheiten Kolitis ulzerosa und Morbus Crohn. Die Arbeiten Harald Goebells und seines Teams fanden nationale und internationale Anerkennung, was sich in zahlreichen Vorträgen auf Kongressen und mehr als 370 Originalarbeiten in renommierten Zeitschriften zeigte.

Seine herausragende wissenschaftliche und klinische Reputation war auch die Grundlage für die Herausgabe von grundlegenden Lehrbüchern für Innere Medizin (Walter de Gruyter Verlag 1992) und für Gastroenterologie (Urban Verlag 1992) sowie seine führende Mitarbeit bei zahlreichen deutschen und internationalen Zeitschriften.

Harald Goebells breite Anerkennung als Arzt und Wissenschaftler begründete seine Wahl zum Präsidenten großer medizinischer Fachgesellschaften. So war er 1981 Präsident des European Pancreatic Club und von 1995 – 1998 Präsident der International Organisation for Inflammatory Bowel Diseases (IOIBD). Hierzu kamen mehrere bedeutende Auszeichnungen, so zum Beispiel 1985 die Ernennung zum Ehrenmitglied der Französischen Gesellschaft für Gastroenterologie sowie 1991 die Zuerkennung der Ernst von Bergmann Plakette der Deutschen Ärzteschaft. Von 1983 – 1992 war er Vorsitzender des Fachausschusses Praktische Medizin der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Eine besondere Ehre war für ihn die Berufung in den Wissenschaftsrat der Bundesrepublik Deutschland (1995 – 1998).

Besondere Bedeutung erlangte 1990 seine Präsidentschaft der Deutschen Gesellschaft für Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS) im Jahr der Wiedervereinigung. Die gesamte Kongressvorbereitung musste parallel zu den dramatischen, zunächst unabsehbaren Ereignissen zwischen Mauerfall und dem 3. Oktober (der auch der Tag der Kongresseröffnung in Essen war) geschehen, und diesen immer wieder angepasst werden. In diesen Monaten bewies Harald Goebell bewundernswerte Kreativität, reaktionsschnelle Flexibilität, politisches Geschick und diplomatisches Taktgefühl. Vor allem auch durch sein feinfühliges Augenmaß, seine pragmatische Großzügigkeit, aber auch seine entscheidungsfrohe Entschlossenheit wurde dieser – noch immer unvergessene – „Vereinigungskongress“ zu einem beispiellosen, über das hohe wissenschaftliche Niveau hinaus auch bewegenden emotionalen Erfolg und erlangte so seinen historischen Stellenwert. Neben diesem großartigen Jahreskongress hat Harald Goebell auch zahlreiche wissenschaftliche Tagungen im Inland und Ausland organisiert, die zahlreiche Wissenschaftler und Ärzte zu einem wissenschaftlichen Austausch zusammengebracht haben und langjährige wissenschaftliche und private Freundschaften ermöglicht haben.

Harald Goebell war eine außergewöhnliche Persönlichkeit mit vielfältigen Begabungen und einer breiten, humanistisch wurzelnden Bildung. Er war ein einfühlsamer Arzt mit großer klinischer Kompetenz und hohem ethischen Anspruch. Stets sah er den Patienten im Mittelpunkt seiner Arbeit. Gleichzeitig war er ein leidenschaftlicher, ideenreicher Wissenschaftler und ein begeisterter Hochschullehrer, dem die Förderung der Forschungsarbeit ebenso am Herzen lag wie die ärztliche Fort- und Weiterbildung in der Klinik und in der Region.

Dabei waren seine mitreißenden Vorlesungen ebenso wie seine wissenschaftlichen Vorträge bekannt und außerordentlich beliebt, denn sie waren stets gekennzeichnet durch Klarheit, Eleganz und glänzende Didaktik. Im Hörsaal bevorzugte er – gegen den Trend der Zeit – Tafel und Kreide unter sparsamstem, sehr gezielten Einsatz technischer Hilfsmittel. Auch hier hat er uns geprägt und war uns Vorbild.

Für Harald Goebell gab es nicht nur die Medizin und die Wissenschaft. Er war auch ein begeisterter und sachkundiger Kunstliebhaber und -sammler, er verfügte über große literarische, historische und musische Interessen und Kenntnisse. Diese ästhetische „arkadische“ Seite seiner Persönlichkeit konnte er besonders nach seiner Emeritierung entfalten.

Harald Goebell konnte auf ein außerordentlich erfolgreiches, vielfältiges und rundes Leben als Mensch, Arzt und Wissenschaftler zurückblicken. Die deutsche Innere Medizin und Gastroenterologie und wir als seine früheren Schüler und Wegbegleiter verdanken ihm viel.

Wir trauern mit seiner Familie und werden ihm ein ehrenvolles Gedenken bewahren.

Peter Layer – Axel Dignass – Manfred V. Singer

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Dr. med. Harald Goebell