Die Elektrokrampftherapie (EKT) ist weltweit ein anerkanntes Therapieverfahren, welches
in den westlichen Industrieländern im Wesentlichen bei depressiven Patienten eingesetzt
wird. Insgesamt ist die Domäne der EKT die Behandlung von therapieresistenten Depressionen
[1]. Die EKT ist dabei das wirkstärkste antidepressive Behandlungsverfahren.
Die EKT hat in den letzten 10 – 20 Jahren wieder eine zunehmende Bedeutung im klinischen
Alltag gefunden und auch in Deutschland hat die Anzahl der mit EKT behandelten Patienten
zugenommen. Die Anzahl der in Deutschland mit EKT behandelten Patienten wird aktuell
auf etwa 5000 Patienten pro Jahr geschätzt. Die Elektrokrampftherapie hat nach ihrer
Einführung im Jahre 1938 (erste Behandlung in der römischen Universitätsklinik) Phasen
von hoher Akzeptanz und auch von deutlicher Ablehnung erlebt. Insbesondere nach dem
Zweiten Weltkrieg – vor Einführung der Antidepressiva – war EKT lange Zeit der Goldstandard
in der Behandlung der Depression. In den 1970er-Jahren gab es zum Teil sehr scharfe
und polemische Debatten um EKT. Die damalige Kritik an der Durchführung der EKT war
nicht vollständig unberechtigt; so gab es Defizite in der Indikationsstellung und
bei der sachgerechten Durchführung der Elektrokrampftherapie. In Deutschland galt
es bei einem nicht unbeträchtlichen Teil von psychiatrischen Kliniken geradezu als
fortschrittlich, auf EKT zu verzichten, die in Anteilen – wenn auch fälschlich – als
Ausdruck einer „repressiven Psychiatrie“ angesehen wurde. In dieser Zeit entstand
z. B. auch in den USA der Film „Einer flog über das Kuckucksnest“ mit Jack Nicolson.
Letztendlich hat diese Debatte dazu geführt, dass die APA unter Federführung von Max
Fink [2] (New York) Guidelines zur Durchführung der EKT formulierte. Die Zeiten von geradezu
polemischen Debatten um die EKT sind in meiner Wahrnehmung vergangen; dies ändert
aber nichts daran, dass es gleichwohl anhaltend Vorbehalte gegenüber der EKT gibt.
Diese Vorbehalte speisen sich aus mehreren Quellen.
Hierzu gehören zum einen die historischen Wurzeln der EKT; die EKT wurde bis in die
1950er-Jahre häufig ohne Narkose durchgeführt und deshalb war die EKT deutlich nebenwirkungsträchtiger.
Es wurden mit EKT Patienten behandelt, die heutzutage in keinem Fall mit einer EKT
behandelt würden, z. B. Patienten mit chronischen schizophrenen Psychosen [3]. Auch Fragen der Zustimmung („informed consent“) spielten in der ferneren Vergangenheit
bei der Anwendung der EKT keine Rolle; das hat sich allerdings nun schon seit geraumer
Zeit gemäß den üblichen rechtlichen Standards verändert.
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Im Regelfall kommen Patienten zu uns, damit sie EKT bekommen und sie geben nach entsprechender
Aufklärung dafür ihre informierte Zustimmung. Diese Patienten müssen nicht gegen ihren
Willen mit EKT behandelt werden, sondern sie haben sich ausdrücklich für EKT als Option
entschieden. Wir müssen meiner Einschätzung nach alles dafür tun, die bereits deutlich
verbesserte Akzeptanz der Elektrokrampftherapie weiter zu steigern. Die Evolution
der EKT der letzten Jahre ist noch nicht an ihrem Endpunkt angekommen. Dies gilt für
das eigentliche Behandlungsprozedere, die Technik und auch die Narkoseverfahren. Zusätzlich
sollten wir uns als Behandler darum bemühen, es unseren Patienten so leicht wie möglich
zu machen, die Zustimmung zur EKT zu geben. Auch die Anwesenheit von Angehörigen bei
der EKT-Behandlung (!) kann die Akzeptanz verbessern [4]. Seit wenigen Jahren ist die Teilnahme von Angehörigen bei der EKT unter gewissen
Umständen bei uns möglich.
Aus meiner Perspektive müssen gerade wir Psychiater akzeptieren, dass Behandlungen
gegen den ausdrücklichen Wunsch eines Patienten im Regelfall nicht durchgeführt werden
können. Die Psychiatrie steht immer wieder im Verdacht, dass Behandlungen (welcher
Art auch immer) erzwungen würden. Dies schadet unserer Disziplin, aber letztendlich
auch unseren Patienten. Auch wir Psychiater müssen damit leben, dass Patienten sinnvolle
Behandlungen – wie z. B. die EKT – ablehnen.
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Die EKT ist zwar eine sehr verträgliche, erfolgreiche und im Regelfall auch sichere
Behandlungsform; die Häufigkeit von schwerwiegenden Nebenwirkungen beträgt 1:50 000 – 1:75 000
Behandlungen. Durch technische Modifikationen (insbes. Kurzpulstechnik, Ultrakurzpulstechnik)
ist die Häufigkeit von (vorübergehenden) kognitiven Nebenwirkungen zwar reduziert,
aber solche Nebenwirkungen können gleichwohl vorübergehend auftreten. Diese – wenn
auch vorübergehenden – Nebenwirkungen können bei Patienten (und Angehörigen) erhebliche
Ängste auslösen und Vorbehalte in der Umgebung gegenüber der EKT auslösen.
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Die Vorstellung, dass ein Patient, der ausdrücklich EKT ablehnt, womöglich fixiert
und schreiend über den Flur zum EKT-Behandlungsraum gebracht wird, ist für mich höchst
aversiv. Eine solche Situation möchte ich nicht erleben.
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Unter bestimmten Umständen kann auch die Frage auftauchen, inwieweit ein Patient noch
zustimmungsfähig ist. Wenn ein nicht mehr zustimmungsfähiger Patient (z. B. mit wahnhafter
Depression) mit entsprechender Genehmigung durch den gesetzlichen Betreuer eine EKT-Behandlung
bekommen soll und der Patient dies toleriert, ist dies für mich akzeptabel. Sofern
eine Zustimmung zur Behandlung durch den gesetzlichen Betreuer vorliegt und der Patient
aber die Behandlung ausdrücklich ablehnt, würde ich im Regelfall die Durchführung
der EKT ablehnen. Zu Recht erwartet die Gesellschaft von uns Psychiatern, dass wir
mit unseren Patienten (gegebenenfalls unter Einschaltung von Bezugspersonen) vorgesehene
Behandlungsmaßnahmen thematisieren und uns äußerste Mühe geben, eine Zustimmung oder
zumindest Akzeptanz der vorgesehenen Behandlungsmaßnahmen zu erreichen.
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Die EKT ist zwar in vielen Situationen eine höchst sinnvolle Behandlung, aber zumeist
auch nicht alternativlos. Bei den sehr wenigen akut lebensbedrohlichen Situationen
mit einer Notfallindikation zur EKT (z. B. maligne Katatonie [5]) ist der Patient im Regelfall nicht zustimmungsfähig (Genehmigung durch den rechtlichen
Betreuer) und kann auch keine klaren Willensäußerungen abgeben, sodass es sich zwar
um eine Behandlung ohne, aber nicht gegen den Willen handelt.
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Wir sollten auf Zwangsbehandlung mit EKT gegen den ausdrücklich geäußerten Willen
des Patienten verzichten, auch wenn man von Einwilligungsunfähigkeit im juristischen
Sinne ausgehen kann. Eine solche Grundeinstellung steigert letztendlich die Akzeptanz
der EKT.