Die Orthopädie und Unfallchirurgie ist ein hervorragendes Weiterbildungsfach. Die
große Bandbreite an verschiedenen operativen und konservativen Disziplinen geben den
Kollegen in der Weiterbildung alle Möglichkeiten, die vorstellbar sind: Sie können
zwischen elektiven, ambulanten operativen Tätigkeiten oder der akuten Notfallversorgung
wählen. Alternativ kann ein Schwerpunkt auf den intensivmedizinischen Bereich der
Mehrfachverletzten oder die auf der Wahlbehandlung basierende Verschleißerkrankung
gelegt werden.
Auch der Weg dorthin zeichnet sich durch viele Entscheidungen aus. Die Ärztekammern
überlassen hier dem Einzelnen einen individuellen Werdegang: Nach dem Common Trunk
mit Tätigkeit in der Rettungsstelle, der Intensivstation und der stationären Betreuung
der Patienten kann ein klinischer Weg mit einem in der Niederlassung kombiniert werden.
Durch die zunehmende Spezialisierung in verschiedene Teams, den Gelenken und Körperregionen
zugeordnet, kann zudem die operative Spezialisierung auch nach dem Facharzt vorangetrieben
werden.
Trotz alledem zeigt sich subjektiv durch die Berufserfahrung im Klinikum und objektiv
durch zahlreiche Erhebungen, dass eine zunehmende Unzufriedenheit unter den Assistenzärzten
in der Weiterbildung entsteht. Themen, die seit geraumer Zeit bekannt sind, werden
durch die Dachverbände teils gut aufgefangen, wie beispielsweise die vor Jahren angeprangerte
fehlende Struktur. Durch die Einführung des Logbuches konnten hier maßgebliche Verbesserungen
umgesetzt werden.
Was ein großes Problem zu sein scheint, sind jedoch die administrativen Tätigkeiten.
Wie in einer aktuellen Umfrage des Marburger Bundes deutlich wird, sehen ca. 70% der
befragten Klinikärzte den Abbau der Bürokratie als eines der wichtigsten Themen neben
einer ausgeglichenen Work-Life-Balance sowie der Aufstockung des Personals zur Verbesserung
des Arbeitsplatzes an [1].
Um einige Beispiele zu nennen: Was vermehrt in den elektiven orthopädischen Häusern
durch die Einführung der Endoprothetikzentren Einzug gehalten hat, ist durch die Zertifizierungsprozesse
von beispielsweise Traumazentren ebenso nicht an den Häusern der Maximalversorgung
in der Unfallchirurgie vorbeigegangen. Als Klinikarzt nimmt die administrative Tätigkeit
einen Großteil des Arbeitsumfangs ein [2] und lässt so manchen an ihrer Notwendigkeit zweifeln. Dabei sollte nicht die Notwendigkeit
infrage gestellt werden, da diese zweifelsohne durch die Steigerung der Qualität indiskutabel
zu sein scheint, sondern vielmehr die Prozessoptimierung im Klinikum.
Ein Durchgang
Der Arbeitstag beginnt meist im Schnitt mit der Durchsicht der Station gegen 07:00 Uhr.
Patienten der Nacht werden neu evaluiert, Einträge müssen mit Unterschriften gegengezeichnet
werden, wobei die wesentliche Arbeit dabei zu kurz kommt: Die Beurteilung des Verunfallten
oder neu Aufgenommenen bzw. die eigentliche Visite.
Nach der unfallchirurgischen Konferenz werden die Anordnungen für zielführende bildgebende
Diagnostik und Behandlungspfade angesprochen, die der ärztliche Kollege notiert und
in den Computer eingibt. Blutentnahmen und das Legen von i. v. Zugängen stehen nun
an. Die Durchsicht der Anordnungen nimmt jedoch soviel Zeit in Anspruch, dass der
Vormittag sich nunmehr dem Ende zuneigt. Telefonate und Fragen der Pflegekräfte über
Transportwege, Anschlussheilbehandlungen sollten nicht unerwähnt bleiben, da dies
den Kollegen bei der Umsetzung der tatsächlichen chirurgischen Fragen nicht behilflich
ist: Welchen Zugang sollte ich wählen? Wieso wurde die Tibiakopffraktur ebenfalls
von dorsal angegangen? Warum wurde hier ein Kurzschaft in der Therapie der Koxarthrose
genutzt? Welche Thromboseprophylaxe macht Sinn?
Trotz der Arbeit am Vormittag stehen weitere administrative Tätigkeiten an: Anträge
für Anschlussheilbehandlungen müssen vom Arzt ausgefüllt werden, auch wenn sie sich
in der O & U bez. der verschiedenen Krankheitsbilder vom Inhalt her sehr ähneln und
sich im Aufbau wiederholen. Schlussendlich folgt die Durchsicht der Röntgenbilder
und zu guter Letzt endet der Tag mit dem Schreiben von Entlassungsbriefen und dem
Organisieren von Angehörigengesprächen.
Weitere Funktionsstellen neben der Station wie der OP werden in einem Worst-Case-Szenario
durch Ober- und Fachärzte ausgefüllt und können dann zwecks notwendiger Assistenz
durch den Arzt in Weiterbildung mitbetreut werden. Falls die schriftliche Aufklärung
der Patienten nicht aus dem stationären Alltag ausgegliedert ist, so warten Aufklärungsgespräche
mit dem Patienten und/oder Angehörigen für operative und nicht operative Therapien.
Im Zuge der Einsparungen des wertvollsten Gutes im Krankenhaus, dem Personal, verschärft
sich die Versorgung der Patienten durch abnehmende Verteilungsmöglichkeiten [1].
Nun soll der zugegebenermaßen dramatisch dargestellte Alltag der Weiterbildung nicht
die Fähigkeiten des Arztes schmälern, sondern vielmehr die Sinnhaftigkeit infrage
stellen: Können wir dies nicht optimieren und unseren Berufsalltag besser organisieren?
Eines sollte dabei nicht missverstanden werden:
Von großer Bedeutung sollte weiterhin die Wichtigkeit der stationär administrativen
Tätigkeit bleiben: Sie gehört zum essenziellen Bindeglied des Patienten mit der Zufriedenheit
seiner Behandlung, jedoch ist keine absolute Notwendigkeit gegeben, diese nicht auch
delegieren zu können. Ein Studium der Humanmedizin benötigt ein hohes Maß an Selbstdisziplin,
Organisation und Fleiß, sodass die Zusammenhänge auf einer Station „gemanagt“ werden
sollen, d. h. den Assistenzarzt in eine Position zu hieven, in der er oder sie Führung
übernimmt, Personal- und Prozessplanung betreibt und die Arbeit in Supervision durchführen
lässt. Doch wer soll nun die Arbeit ausführen?
Eine pflegerische Supervision ist sinnlos, ist doch die Berufsgruppe der Pflege mit
ihren eigenen Arbeitsfeldern genügend ausgelastet und perfekt organisiert.
Falls die Arbeitsabläufe wie bisher gehandhabt werden, birgt dies ein großes Risiko
der Unattraktivität unseres Berufes. Auf der anderen Seite kämpfen wir um die Anwerbung
und Haltung von Nachwuchs in unserem Fach.
Blickt man nun in den englischsprachigen Raum, wird man auf der Suche nach einer Antwort
auf die Frage, wer diese Tätigkeiten übernehmen soll, schnell fündig: die flächendeckende
Einführung eines Arztassistenten [3], [4], [5].
Ein Arztassistent oder auch Physician Assistant (PA), den es in Deutschland seit 2005
noch mit einer Gesamtzahl von 300 gibt, kann den ärztlichen Kollegen im Alltagsgeschäft
entlasten.
Nach Ausbildung in einem gesundheitlichen Berufszweig ist die Nähe zur Medizin gegeben,
sodass eine zusätzliche Qualifikation, wie sie bspw. in Form eines Bachelor of Science
(B. Sc.) momentan durchgeführt wird, gewonnen werden kann. Dieser Berufszweig ist
als zusätzliche Kraft in den Klinikalltag zu integrieren.
Prämisse sollte dabei sein, dass die ärztlichen Mitarbeiter sich auf das wesentliche
Kerngeschäft ärztlichen Handelns konzentrieren können: der Chirurgie, Orthopädie und
konservativen Therapie. Der Führung in der Behandlung am Patienten. Dem Ansammeln
von Wissen und dem Tatendrang, diese in praktische Arbeit umzusetzen.
Unter Berücksichtigung des angesprochenen Tagesablaufes ergeben sich viele Möglichkeiten
der Umstrukturierung im Sinne der Zusammenarbeit und Vertiefung von Wissen. Die Visite
wird begleitet durch einen schreibenden PA, der Anordnungen direkt umsetzt. Dadurch
kann sich der Arzt mehr dem Patienten zuwenden und Gespräche intensivieren und Informationen
weitergeben. Für seine Arbeit kann der PA auch Zeitfenster wie beispielsweise die
ärztliche Frühbesprechung nutzen und so auch zu einem verbessertem Zeitmanagement
beitragen. Wesentlich ist die Besetzung der Funktionsstellen im weiteren Tagesablauf:
Während der Arzt sich um die Begleitung und/oder Durchführung der Operationen oder
Betreuung der Rettungsstelle kümmert, kann die oben genannte administrative Arbeit
vom Arztassistenten übernommen werden. Ebenfalls anstehende Blutentnahmen und das
Legen von i. v. Zugängen, Verbandswechsel und Rücksprachen mit dem hausinternen Sozialdienst
können, während der Arzt an der qualitativen Verbesserung seiner chirurgischen und
ärztlichen Fähigkeiten arbeitet, abgegeben werden.
Kommunikation steht dabei als ganz große Fähigkeit im Zentrum ärztlichen Handelns:
mit dem PA, mit der Pflege, mit den Angehörigen und Vorgesetzten. So kann ein Team
effektiv zusammenarbeiten und Prozesse werden optimiert.
Nun ist die Thematik nicht neu. Mehrere Kliniken haben seit 2010 in Zusammenarbeit
mit verschiedenen Instituten eine PA-Ausbildung vorangetrieben, die die Arbeit der
Ärzte erleichtert und die besprochenen Punkte umsetzt.
Eine bundesweite zentralisierte Umsetzung würde ein Zeichen setzen und den Kliniken
die Einführung des PA erleichtern. Hilfreich ist schlussendlich auch die Verständigung
auf einheitliche Vorgaben durch die Bundesärztekammern, der Kassenärztlichen Bundesvereinigung,
der Deutschen Gesellschaft für Physician Assistants und den Hochschulen.
Bis hin zu der Übernahme von therapeutischen Eingriffen am Patienten ist es noch ein
weiter Weg, jedoch können wir den heranwachsenden ärztlichen Kollegen in Weiterbildung
ein deutliches Signal geben:
Die Lücke in O & U, welche für viele erst auf den zweiten Blick als hervorragende
ärztliche Weiterbildung erscheint, wird durch den Arztassistent geschlossen und steigert
die Attraktivität der Weiterbildung und löst langfristig das flächendeckende Problem
des Mangels an Fachkräften.