Der Klinikarzt 2017; 46(08): 364-365
DOI: 10.1055/s-0043-116600
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Pulmonale Hypertonie – Eine komplexe Erkrankung mit multiplen Facetten

Stephan Rosenkranz
Klinik III für Innere Medizin, Herzzentrum der Universität zu Köln, Köln
Cologne Cardiovascular Research Center (CCRC), Herzzentrum der Universität zu Köln
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Publication Date:
24 August 2017 (online)

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Die pulmonale Hypertonie (PH) ist eine häufige Erkrankung, deren Prävalenz etwa 1 % der Normalbevölkerung und bis zu 10 % der > 65-Jährigen beträgt [1]. Es handelt sich um eine pathophysiologisch komplexe Erkrankung, bei der die Erhöhung des pulmonal arteriellen Drucks (PAP) die gemeinsame Konsequenz einer Reihe unterschiedlicher Erkrankungen darstellt, welche aufgrund verschiedener, jedoch häufig überlappender Pathomechanismen zu einer Druckerhöhung im kleinen Kreislauf führen [2–7]. Konsequenz ist eine chronische Rechtsherzbelastung, welche – unabhängig von der zugrundeliegenden Ursache der PH – mit einer erheblichen Einschränkung der Lebenserwartung und Lebensqualität einhergeht. Die klinische Klassifikation der PH (ESC/ERS 2016) unterscheidet 5 Hauptgruppen der Erkrankung ([ Tab. 1 ]) [8,] [9]: Pulmonal arterielle Hypertonie (PAH) (Gruppe 1), PH bei Linksherzerkrankungen (Gruppe 2), PH bei chronischen Lungenerkrankungen (Gruppe 3), chronisch-thromboembolische PH (CTEPH, Gruppe 4) und PH aufgrund unklarer und/oder multifaktorieller Mechanismen (Gruppe 5).

Tab. 1

Klinische Klassifikation der pulmonalen Hypertonie nach den ESC/ERS-Leitlinien 2015; aus [8,] [9].

Die 5 Hauptgruppen der Erkrankung

1. Pulmonal arterielle Hypertonie

1.1 Idiopathisch
1.2 Hereditär
1.2.1 BMPR2-Mutationen
1.2.2 Sonstige Mutationen
1.3 Durch Medikamente oder Toxine verursacht
1.4 Assoziiert mit:
1.4.1 Bindegewebserkrankungen
1.4.2 Infektion mit dem Humanen Immundefizienz-Virus (HIV)
1.4.3 Portaler Hypertension
1.4.4 Angeborenen Herzfehlern
1.4.5 Schistosomiasis

1′. Pulmonale veno-okklusive Erkrankung und/oder pulmonale kapilläre Hämangiomatose

1′.1 Idiopathisch
1′.2 Hereditär
1′.2.1 EIF2AK4-Mutation
1′.2.2 Sonstige Mutationen
1′.3 Durch Medikamente, Toxine oder Strahlung verursacht
1′.4 Assoziiert mit:
1′.4.1 Bindegewebserkrankungen
1′.4.2 HIV-Infektion

1″. Persistierende pulmonale Hypertonie des Neugeborenen

2. Pulmonale Hypertonie infolge von Linksherzerkrankungen

2.1 Linksventrikuläre systolische Dysfunktion
2.2 Linksventrikuläre diastolische Dysfunktion
2.3 Klappenerkrankungen
2.4 Angeborene/erworbene Linksherz-Einfluss-/Ausflusstrakt-Obstruktionen und angeborene Kardiomyopathien
2.5 Angeborene/erworbene Pulmonalvenenstenose

3. Pulmonale Hypertonie infolge von Lungenerkrankungen und/oder Hypoxie

3.1 Chronisch obstruktive Lungenerkrankung
3.2 Interstitielle Lungenerkrankungen
3.3 Andere Lungenerkrankungen mit gemischt restriktivem und obstruktivem Muster
3.4 Schlafbezogenen Atemstörungen
3.5 Alveoläre Hypoventilationssyndrome
3.6 Chronischer Aufenthalt in großer Höhe
3.7 Entwicklungsstörung der Lunge (Web Tabelle III)a

4. Chronisch thromboembolische pulmonale Hypertonie und andere Pulmonalarterien-Obstruktionen

4.1 Chronisch thromboembolische pulmonale Hypertonie
4.2 Andere Pulmonalarterien-Obstruktionen
4.2.1 Angiosarkom
4.2.2 Andere intravaskuläre Tumore
4.2.3 Arteriitis
4.2.4 Angeborene Pulmonalarterienstenose
4.2.5 Parasiten (Hydatidose)

5. Pulmonale Hypertonie mit unklarem und/oder multifaktoriellem Mechanismus

5.1 Hämatologische Erkrankungen: chronische hämolytische Anämie, myeloproliferative Erkrankungen, Splenektomie
5.2 Systemische Erkrankungen, Sarkoidose, pulmonale Langerhans-Zell-Histiozytose, Lymphangioleiomyomatose
5.3 Metabolische Störungen: Glykogenspeicherkrankheiten, M. Gaucher, Schilddrüsenerkrankungen
5.4 Andere: pulmonale tumorbedingte thrombotische Mikroangiopathie, fibrosierende Mediastinitis, chronisches Nierenversagen (mit/ohne Dialyse), segmentale pulmonale Hypertonie

Die weitaus häufigsten zugrundeliegenden Erkrankungen der PH sind chronische Linksherzerkrankungen (z. B. systolische oder diastolische Herzinsuffizienz, linksseitige Klappenvitien) [2–4] und/oder Lungenerkrankungen (z. B. COPD, interstitielle Lungenerkrankungen) [5,] [6], diese Formen der PH treten meist bei älteren Patienten auf [1]. Demgegenüber ist die PAH eine relativ seltene Erkrankung der kleinen pulmonalen Widerstandsgefäße, die in jedem Lebensalter (jedoch insbesondere auch in jüngeren Jahren) auftreten kann, und für deren Behandlung gezielte medikamentöse Therapien zugelassen sind [8–10]. Jedoch kann eine PAH sowohl bei jüngeren Patienten ohne relevante Komorbiditäten als auch bei älteren Patienten mit multiplen kardialen oder pulmonalen Begleiterkrankungen auftreten, weshalb kürzlich die Begriffe „typische PAH“ und „atypische PAH“ geprägt wurden [11]. In diesem Zusammenhang mag es auch „Mischformen“ geben, bei denen mehrere Mechanismen im Sinne eines „pathophysiologischen Kontinuums“ zur Erhöhung des PAP beitragen [12]. Schließlich sind stattgehabte Lungenembolien (anamnestisch bekannt oder eben auch nicht bekannt) eine häufig übersehene Ursache für eine chronische PH und Rechtsherzbelastung [13,] [14]. Hinsichtlich therapeutischer Konsequenzen ist die korrekte Zuordnung anhand der klinischen Klassifikation – welche häufig eine große diagnostische Herausforderung darstellt – von erheblicher Bedeutung, da sich die gezielte Therapie der PAH grundlegend von der anderer PH-Formen unterscheidet [2–14].

Aktuelle Standards zu diesen komplexen Erkrankungen basieren auf den Ergebnissen des „5th World Symposium on Pulmonary Hypertension“ 2013 [15], den Europäischen Leitlinien zur Diagnostik und Therapie der PH (ESC/ERS) 2015 [8,] [9], sowie den Empfehlungen der „Kölner Konsensus-Konferenz“ 2016 [16], die von den Arbeitsgruppen PH der Deutschen Gesellschaften für Kardiologie (DGK), Pneumologie (DGP) und Pädiatrische Kardiologie (DGPK) organisiert wurde. In dieser Ausgabe des klinikarzt wird der aktuelle Wissensstand zu verschiedenen Aspekten der PH unter klinischen Gesichtspunkten zusammengefasst. Die 5 Arbeiten wurden jeweils von namhaften Experten erstellt und befassen sich mit der Differenzialdiagnostik der pulmonalen Hypertonie [17], der Therapie der PAH [18], der PH bei Linksherzerkrankungen [19], der PH bei Lungenerkrankungen [20] und der CTEPH [21]. Unter Berücksichtigung der aktuellsten Erkenntnisse bieten sie dem Leser einen kompetenten und fokussierten Überblick über das differenzialdiagnostische Vorgehen sowie die Besonderheiten bei den jeweiligen Unterformen der PH.