Fakten
Die Moderhinke (Klauenfäule) ist eine ansteckende und schmerzhafte Klauenkrankheit
kleiner Wiederkäuer, die weltweit vorkommt und alle Schafrassen betrifft. Sie ist
die häufigste Ursache für Lahmheit bei Schafen und führt zu erheblichen wirtschaftlichen
Einbußen, wie z. B. Verlusten in der Wollproduktion, verminderter Mastleistung sowie
dem damit einhergehenden Zeitaufwand zur Behandlung der befallenen Tiere.
Die Krankheit wird verursacht durch das Bakterium Dichelobacter nodosus
, das obligat vorhanden sein muss, in Zusammenhang mit dem sekundären ubiquitären Erreger Fusobacterium necrophorum.
Der Einfluss und die Rolle von Fusobacterium necrophorum wird in der Literatur jedoch kontrovers diskutiert. Dichelobacter (D.) nodosus ist ein gramnegatives, obligat anaerobes Bakterium, das vor allem im Klauenhorn überlebt,
durch kleine Läsionen in der Epidermis im Zwischenklauenspalt eindringt und sich dann
unter Luftabschluss vermehren kann.
Dichelobacter nodosus
D. nodosus weist verschiedene Virulenz-Faktoren auf, wie z. B. Proteasen, die ein Auflösen des
Klauenhorns ermöglichen [1], [4]. Die verschiedenen Proteasen werden unter anderem kodiert durch die Gene AprV2,
AprV5 und BprV (für die virulenten Enzyme) und die Gene AprB2, AprB5 und BprB (für
die gutartigen Enzyme). In der Studie von Stäuble et al. 2014 wurde nachgewiesen,
dass die Enzyme AprB2 und AprV2 gut mit der Klinik korrelieren, wobei AprV2 nachweislich
für die virulente klinische Form von Moderhinke verantwortlich ist [1], [7].
Untersuchungen in Australien im Jahr 1941 zeigten, dass der Erreger außerhalb des
Klauenhorns in Mist und Schlamm 7 Tage bis 2 Wochen überleben kann, doch Trockenheit, Hitze und Kälte (< 10 °C) reduzieren die Überlebenszeit des Bakteriums
in der Umwelt erheblich [8]. In neueren Untersuchungen in einem feuchten Gebiet mit regelmäßigen Niederschlägen
(Mitteleuropa) wurde der Erreger auch noch nach 14 Tagen mittels PCR in der Umgebung
nachgewiesen. Da das Experiment nach 14 Tagen endete, bleibt unklar, wie lange der
Erreger bei optimalen Bedingungen noch überleben würde [1].
Mittels PCR kann das Vorhandensein von Genmaterieal von D. nodosus in der Umwelt zwar besser und genauer untersucht werden als bisher, doch wie lange
die maximale Überlebenszeit des Erregers in hiesigen klimatischen Bedingungen tatsächlich
ist, ist nach wie vor unbekannt.
Man geht davon aus, dass D. nodosus in abgeschnittenem Klauenhornmaterial Monate überleben kann.
Aus diesem Grund wird dringend empfohlen, den Klauenschnitt an einem trockenen, befestigten
Platz durchzuführen und nach dem Klauenschnitt alles abgeschnittene Klauenmaterial
zusammenzukehren und zu verbrennen.
Diagnose und Symptome
Die Diagnose der Moderhinke wird vor allem anhand des klinischen Bildes gestellt, da es bis vor kurzem keine geeigneten labordiagnostischen Möglichkeiten
für den Nachweis gab. Das Bakterium mittels einer bakteriologischen Untersuchung anzuzüchten,
ist aufgrund seines anspruchsvollen Wachstumsverhaltens oft schwierig oder gar erfolglos.
Moderhinkescore 0 bis 5
Score 0: gesunde Klaue mit trockenem Zwischenklauenspalt ([Abb. 1])
Score 1: Zwischenklauenspalt (ZKS) feucht, gerötet, mit Haarausfall
Score 2: ausgebreitete Entzündung im ZKS mit schmierigem Belag, leicht geschädigtes Horn am
Rand der inneren Klauenwand
Score 3: deutlich schmierige Beläge im ZKS und verändertes Gewebe unterhalb der inneren Klauenwand
und des Sohlenhorns ([Abb. 2])
Score 4: ausgedehnte Loslösung des Hornes über die Sohle bis zur äußeren Wand der Klaue; das
darunterliegende Gewebe ist stark geschädigt
Score 5: „Ausschuhen“: Loslösen des kompletten Klauenhorns von der Klaue
Abb. 1 Klaue mit Moderhinkescore 0: Eine gesunde Klaue mit trockenem Zwischenklauenspalt.(©
D. Greber)
Das klinische Bild der Krankheit reicht von einer
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benignen Form (ausgelöst durch benigne Stämme mit dem AprB2-Enzym), die sich in einer leichteren
Rötung im Zwischenklauenspalt zeigt, bis zu einer
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schweren virulenten Form (ausgelöst durch virulente Stämme mit dem AprV2-Enzym), bei der es zur kompletten
Unterminierung des Klauenhorns und zum Ausschuhen kommen kann.
In Regionen, in denen die Moderhinke endemisch vorkommt, fressen befallene Schafe oft charakteristischerweise zur Entlastung auf den Carpi, da die damit einhergehenden entzündlichen Veränderungen an den Klauen zu massiven
Schmerzen führen. Mit zunehmendem Bewusstsein und Aufklärung der Bevölkerung in Hinblick
auf Tierwohl und Tierschutz wächst der Druck auf die Tierhalter, denn inzwischen ist
vielen bewusst, dass „kniend“ grasende Schafe nicht niedlich sind, sondern dass sie
ihre Klauen entlasten, weil sie Schmerzen haben.
Abb. 2 Klaue mit Moderhinkescore 3: Deutliche schmierige Beläge im Klauenzwischenbereich
und loslösen des Klauenhorns der Innenwand.(© D. Greber)
Management
Es ist seit über 60 Jahren bekannt, dass Herdensanierungen bei einem Moderhinkebefall möglich sind. Die Bekämpfung der Klinik von Moderhinke
auf Herdenebene wurde mittels Vakzinen, Antibiotika, desinfizierenden Klauenbädern und anderen Methoden schon erfolgreich durchgeführt. Oft sind erfolgreiche klinische
Herdensanierungen jedoch überschattet von Reinfektionen resp. Wiederaufflammen der
klinischen Symptome. Dies führt über eine längere Zeit dazu, dass sich Schafhalter
mit der Krankheit arrangieren und lediglich versuchen, den Schaden in Grenzen zu halten.
Sanierungen müssen konsequent durchgeführt werden, wobei es auf das Zusammenspiel verschiedener Maßnahmen als „Paket“ ankommt:
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Alle Tiere müssen durch ein Klauenbad laufen ([Abb. 3]).
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Der Stall muss gereinigt werden, um Neuinfektionen zu vermeiden.
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Die Tiere sind auf eine neue Weide zu führen.
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Alle Tiere einer Herde sollen behandelt werden, auch solche, die vermeintlich gesunde
Klauen haben. Gerade diese Schafe können subklinische Träger sein und später für Reinfektionen
sorgen [2], [4].
Abb. 3 Aufbau eines Wartebereichs vor dem Klauenbad. Die gesamte Behandlung wird auf befestigtem
Boden durchgeführt, da sich dieser besser reinigen lässt. Das gesamte infizierte Klauenmaterial
muss anschließend im Abfall entsorgt werden.(© D. Greber)
Schweizer Forschung
In der Schweiz wurde in den letzten 10 Jahren vermehrt zum Thema Moderhinke geforscht
und in verschiedenen Projektgruppen wurden mehrere Themen wissenschaftlich erarbeitet.
Die Ergebnisse dienten als Grundlage für eine im Frühjahr 2014 an das Schweizer Parlament
gestellte Motion (Beauftragung des Schweizer Bundesrats, innerhalb von 2 Jahren einen
Entwurf für ein Gesetz oder einen Beschluss vorzulegen oder eine Maßnahme zu treffen)
für eine staatlich vorgeschriebene schweizweite Bekämpfung der Moderhinke beim Schaf.
Bisher wurde in der Schweiz ein Sanierungsschema durchgeführt, das auf einer Herdentrennung anhand des klinischen Zustands der Klauen basierte. Dabei wurde die Herde in eine gesunde und eine kranke Gruppe aufgeteilt
und die kranke Gruppe wöchentlich mit einem Klauenbad in Zinksulfat, Kupfersulfat
oder Formaldehyd behandelt. Die gesunde Gruppe wurde getrennt von der kranken gehalten
und alle 2 Wochen gebadet. Wenn die Tiere in der kranken Gruppe klinisch gesund waren,
wurden sie in die gesunde Gruppe verbracht. Hierbei gab es immer wieder Rückschläge
und durch die subjektive Beurteilung der Klauen auch unterschiedliche Meinungen, ob
es sich um ein beginnendes Stadium der Moderhinke handelt oder doch nur um eine leichte
Entzündung anderer Genese.
Neues Sanierungsschema
Nun wurde von Greber et al. (2016) ein neues Sanierungsschema getestet, bestehend aus gezieltem Klauenschnitt, wöchentlichem Klauenbad, Kontrollen,
die auf PCR-Diagnostik basierten, und der Ausmerzung von latent infizierten Tiere
[2].
Dies gelang, weil in der Schweiz in den letzten Jahren an der Wiederkäuerklinik und
dem Institut für Veterinärbakteriologie der Vetsuisse-Fakultät der Universität Bern
eine PCR etabliert wurde, die in der Lage ist, zwischen virulenten und benignen Stämmen anhand der obengenannten Enzyme AprV2 und AprB2 von D. nodosus zu unterscheiden
[7]. Somit kann objektiv unterschieden werden, ob die Rötung im Zwischenklauenspalt
von einer beginnenden Moderhinke-Infektion kommt oder evtl. andere harmlose Ursachen
hat. Zusätzlich können auf diesem Wege symptomfreie Träger von D. nodosus identifiziert werden.
Es wurde bei diesem neuen Sanierungsschema bewusst auf den Einsatz von Antibiotika verzichtet, da der Einsatz von Antibiotika in der Veterinärmedizin aufgrund der Resistenzproblematik
heute sehr kritisch beurteilt wird. Auch auf eine Impfung wurde verzichtet, da sie nicht alle Stämme abdeckt und zudem nur zu einer geringen vorübergehenden
klinischen Besserung führt, den Erreger jedoch nicht abtötet. In der an der Wiederkäuerklinik
der Vetsuisse-Fakultät der Universität Bern durchgeführten Sanierungsstudie von Greber
et al. (2016) wurden insgesamt 28 Schafherden erfolgreich saniert [2]. Die klinischen Untersuchungen wurden von Herbst 2014 bis Frühling 2015 durchgeführt.
Durchführung
Das neue Sanierungsschema basiert auf dem wöchentlichen Klauenbad in einer Zinksulfat-Lösung, Kontrolle durch PCR, vorsichtigem Klauenschnitt und Ausmerzung oder Isolation von
therapieresistenten und somit latent infizierten Schafen.
Dabei wurde folgendermaßen vorgegangen:
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Beim 1. Besuch in Woche 1 wurden alle Tiere überprüft und von jedem Schaf ein Klauenscoring
nach BGK (Beratung und Gesundheitsdienst Kleinwiederkäuer Schweiz; Tabelle 1: Score
1 – 5) durchgeführt.
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Von maximal 5 Tieren wurde ein Tupfer entnommen, um zu verifizieren, dass es sich
um den virulenten Stamm des D. nodosus handelt.
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Anschließend wurde ein sorgfältiger Klauenschnitt durchgeführt.
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Nach der Kontrolle wurden alle Tiere für 10 Minuten in ein Zinksulfat Klauenbad verbracht.
Danach wurde pro Woche ein 10-minütiges Klauenbad durch die Besitzer durchgeführt.
Cave: Die Anwendung von Zinksulfat-Lösungen für Klauenbäder in Deutschland ist zumeist
nur bei einem Therapienotstand möglich. Vor der Verwendung sollte das zuständige Veterinäramt
dazu kontaktiert werden.
Die Besitzer wurden vor dem Beginn der Studie mit einem Informationsschreiben versorgt
und auf die wichtigsten Hygienemaßnahmen hingewiesen.
In Woche 4 fand ein 2. Kontrollbesuch statt. Dabei wurden alle Tiere, bei denen in der ersten
Kontrolle ein Klauenscore > 2 festgestellt wurde, nochmals kontrolliert und ein erneuter
Klauenscore durchgeführt. Der Kontrollbesuch diente als Motivationsstütze für die
Tierhalter und als Kontrolle, ob die Klauenbäder korrekt durchgeführt wurden.
In Woche 7 wurde ein Kontrollbesuch mit Scoring, Tupferprobennahme und PCR durchgeführt. Bei
Herden, in denen mindestens ein Tier einen Klauenscore von > 2 und somit deutliche
klinische Veränderungen hatte, wurden maximal 5 Tupfer ausgewertet, um zu überprüfen,
ob es sich immer noch um den virulenten Stamm mit dem AprV2-Gen des D. nodosus handelte. Bei den Herden ohne klinisch positive Tiere wurden alle Tupferproben ausgewertet.
Falls alle Proben aprV2-negativ waren, wurde die Gruppe als erfolgreich saniert betrachtet.
Positive Restbestände
Wenn jedoch immer noch aprV2-positive Tiere darin waren, wurde die ganze Herde wöchentlich
weitergebadet und nach 3 – 4 Wochen nochmals kontrolliert, bis alle Tiere aprV2-negativ
waren. Falls es sich um Einzeltiere handelte, die noch positiv waren, wurde den Tierhaltern
geraten, diese Schafe auszumerzen oder zu isolieren und nur noch die isolierten Tiere
weiter zu baden und kontrollieren zu lassen. Bei allen Betrieben wurde im darauffolgenden
Frühling eine Nachkontrolle durchgeführt. Bei der Nachkontrolle wurden alle Klauen
aller Schafe kontrolliert und von jedem Tier eine Tupfer-Probe für die PCR-Untersuchung
entnommen.
Erfolgreiche Sanierung
Es wurde in insgesamt 33 Herden (im Schnitt 56 Tiere) mit der Sanierung angefangen,
wobei 2 Herden ausgeschlossen wurden, weil sie keine Schafe mit klinischen Zeichen
von Moderhinke hatten. Weitere 3 Herden wurden nach 3, 6 und 8 Wochen ausgeschlossen,
weil die Halter nicht dem vorgegebenen Sanierungsschema gefolgt waren. Die Herden
umfassten im Schnitt 56 Tiere, wobei der kleinste Betrieb 11 und der größte Betrieb
111 Tiere umfasste.
Beim ersten Kontrollbesuch in Woche 7 waren 7 Betriebe erfolgreich saniert, das heißt, es waren alle Klauentupfer aprV2- negativ. Wenn der Erfolg nur anhand
der klinischen Beurteilung gemessen worden wäre, wären in Woche 7 16 der 28 Betriebe
als klinisch saniert klassifiziert worden. Somit wiesen 9 der 16 Betriebe Schafe auf,
die klinisch gesund waren, jedoch immer noch DNA-Material vom D. nodosus aufwiesen und eventuell potenzielle Reinfektionsquellen wären.
In Woche 9 waren 14 von 29 Betrieben erfolgreich saniert. Beim ersten Besuch variierte die klinische Prävalenz von Moderhinke zwischen 6,3 – 79,6%
(median = 38,9%). Der Wert des durchschnittlichen Klauenscores innerhalb der Herde
korrelierte stark mit der Anzahl Klauenbäder, die bis zu einer erfolgreichen Sanierung
durchgeführt werden mussten. Zwischen der Herdengröße und der Dauer der Sanierung
wurde kein Zusammenhang gefunden.
Bei den Frühlingskontrollen waren alle 28 Betriebe klinisch und aprV2-negativ. Einer der 28 Betriebe hatte jedoch Tiere, die aprB2-positiv getestet wurden. Dies
liegt vermutlich daran, dass der Betrieb die Schafe über den Winter in einem gemeinsamen
Auslauf mit Hochlandrindern hielt. In der Literatur wurde schon mehrmals nachgewiesen,
dass Rinder Träger des benignen Enzyms AprB2 sein können.
Take Home: Herdensanierung bei Moderhinke
Die Schlussfolgerung aus der Studie Greber et al. (2016) ist, dass eine Herdensanierung
in Form einer vollständigen Elimination des virulenten Erregers D. nodosus aus den Klauen der Schafe mit konsequenter und regelmäßiger Durchführung von desinfizierenden
Klauenbädern, vorsichtigem Klauenschnitt und Ausmerzung oder strikter Isolation von
Einzeltieren, die ungenügend auf die Behandlung ansprechen, möglich ist.
Nationales Konzept
In der Schweiz wird nun eine Informationskampagne geführt, im Zuge derer im Jahr 2017 mehrere Artikel in verschiedenen Fachzeitschriften
erscheinen, um die Tierhalter und die Bevölkerung für die Moderhinke zu sensibilisieren.
Gleichzeitig wird in mehreren Arbeitsgruppen, bestehend aus Expertinnen und Experten verschiedener Fachgebiete und Schafhaltenden
ein nationales Bekämpfungskonzept entwickelt.
Eine der großen Herausforderungen eines nationalen Bekämpfungskonzeptes ist es, die
unterschiedlichen Ausgangslagen von verschiedenen Haltungsformen zu berücksichtigen
und den hohen Tierverkehr von Schafen in der Schweiz unter Kontrolle zu bekommen.
Der Beginn einer nationalen Bekämpfung der Moderhinke wird nicht vor 2019 erwartet
[6]. Gleichzeitig laufen an der Vetsuisse-Fakultät der Universität Bern noch weitere
wissenschaftliche Studien zum Erreger D. nodosus. Es wird unter anderem die Überlebensfähigkeit von D. nodosus auf verschiedenen Vektoren untersucht, wie Klauenmesser, Kleider, Transporter etc.,
um das Übertragungspotenzial bei der Klauenpflege und Klauenschur besser beurteilen
zu können.