Gesundheitswesen 2017; 79(08/09): 592-593
DOI: 10.1055/s-0043-115336
Editorial
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Gemeinsam forschen – gemeinsam handeln

Gemeinsame Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Epidemiologie e. V. (DGEpi), der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Soziologie e. V. (DGMS) und der Deutschen Gesellschaft für Sozialmedizin und Prävention e. V. (DGSMP)
Alexander Katalinic
1   Tagungspräsident und Direktor des Instituts für Sozialmedizin und Epidemiologie, Lübeck
,
Gérard Krause
2   Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Epidemiologie
,
Siegfried Geyer
3   Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Soziologie
,
Susanne Moebus
4   Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Sozialmedizin und Prävention
› Author Affiliations
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Korrespondenzadresse

Prof. Dr. Alexander Katalinic
Institut für Sozialmedizin und Epidemiologie
Ratzeburger Allee
23538 Lübeck

Publication History

Publication Date:
01 September 2017 (online)

 

Im „Dictionary of Epidemiology“, herausgegeben von der International Epidemiological Association (IEA), wird Epidemiologie wie folgt definiert: „Epidemiology – The study of the occurrence and distribution of health-related events, states, and processes in specified populations, including the study of the determinants influencing such processes, and the application of this knowledge to control relevant health problems” [1].


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Prof. Dr. Gérard Krause
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Prof. Dr. Siegfried Geyer
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Prof. Dr. Susanne Moebus

Der wesentlichste Bestandteil der Definition ist der letzte Halbsatz, in dem das eigentliche Ziel epidemiologischer Forschung kurz und prägnant beschrieben wird: Wissen und Evidenz, welche sich aus Forschungsaktivitäten ergeben, müssen dazu angewendet werden, relevante Gesundheitsprobleme in den Griff zu bekommen. Diese Aussage gilt selbstverständlich nicht nur für die Epidemiologie, sondern lässt sich gleichermaßen auf die Medizinische Soziologie und die Sozialmedizin übertragen. Die entsprechenden Fachgesellschaften verbindet auf besondere Weise, dass sie sich mit ähnlich gelagerten Herausforderungen konfrontiert sehen und versuchen, durch wissenschaftlich fundiertes Handeln im Gesundheitswesen Phänomene, Zusammenhänge und Prozesse zu analysieren und transparent zu machen, um Schlussfolgerungen und Handlungen für die Akteure und Entscheidungsträger zu erleichtern. DGEpi, DGMS und DGSMP verfolgen dabei ein gemeinsames Ziel, indem sie durch unterschiedliche Schwerpunktsetzung ihrer fachlichen Perspektiven eine Verbesserung der zukünftigen medizinischen Versorgung anstreben.

Erstmals treffen sich in Lübeck die 3 wissenschaftlichen Fachgesellschaften zu einem gemeinsamen Kongress, um in Anlehnung an das Tagungsmotto 2017 gemeinsam zu forschen und gemeinsam zu handeln. In der Planung der Tagung wurde bewusst auf eine streng inhaltliche Trennung oder Gliederung nach den Fachgesellschaften verzichtet. Ziel war es, themengeleitet Beiträge von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus den verschiedenen Fachgesellschaften in gemeinsamen Sitzungen zu platzieren. Gerade weil jede Fachgesellschaft ihre eigenen spezifischen Sichtweisen auf Krankheit, Risikofaktoren, Outcome-Parameter, Gesundheitsversorgung usw. hat, ist ein gemeinsamer Blick auf aktuelle Problemlagen in unserem Gesundheitssystem erfolgversprechend. Die Veranstaltung untergliedert sich in etwa 25 Themenblöcke, die mit ca. 500 Beiträgen in über 90 Vortrags- und Postersitzungen gemeinsam diskutiert werden.

In der Vorbereitung zur Jahrestagung hat das Programmkomitee, dem auch die Vorsitzenden der Fachgesellschaften angehören, 2 aktuelle gesellschafts- und gesundheitspolitische Problemlagen als „Hot Topics“ in den Vordergrund gestellt, und zwar „Gesundheitliche Aspekte von Migration und Flucht“ und „Auswirkungen von sozialer und ökonomischer Ungleichheit auf die Gesundheit“.

Folgt man dem Migrationsatlas des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge, haben etwa 16 Millionen Menschen in Deutschland einen Migrationshintergrund, davon sind etwa 9 Millionen ausländische Staatsangehörige [2]. Die genaue Zahl derjenigen, die als Flüchtlinge nach Deutschland gekommen sind, ist unklar. Aber allein in den Jahren 2015 und 2016 wurden in Deutschland etwa 1,2 Millionen Asylerstanträge gestellt [3]. Diese Zahlen verdeutlichen die außerordentlichen Herausforderungen an das deutsche Gesundheitssystem. Hierzu gehören die großen sprachlichen und kulturellen Barrieren in der Gesundheitsversorgung. Viele Menschen sind psychisch durch Krieg, Verfolgung oder Flucht und Trennung traumatisiert und benötigen geeignete psychosoziale Zuwendung. Die Probleme einer bedarfsgerechten Gesundheitsversorgung von Migranten und Flüchtlingen stellen daher einen großen Themenblock während der Jahrestagung dar, der in sechs Sitzungen mit etwa 30 Beiträgen diskutiert wird.

Sozialer Status und soziale Ungleichheit beeinflussen die Gesundheit. Vergleicht man Personen in der niedrigsten Einkommensgruppe mit Personen in der höchsten, so liegen die in Gesundheit verbrachten Lebensjahre bei Männern um 14 Jahre, bei Frauen um 10 Jahre niedriger [4]. Zahlreiche Studien belegen inzwischen, dass sozial benachteiligte Bevölkerungsgruppen nicht nur häufiger an chronischen Erkrankungen leiden, sondern auch ihre gesundheitsbezogene Lebensqualität schlechter einschätzen, als besser gestellte Bevölkerungsgruppen. Der Kongress widmet sich dieser Problematik mit zwei großen Themenblöcken. Fünf Sessions mit etwa 25 Beiträgen sind dem Bereich „Auswirkungen sozialer und ökonomischer Ungleichheit auf die Gesundheit“ zugeordnet, weitere 48 Beiträge dem Themenblock Gesundheitssystem-, Versorgungsforschung und Gesundheitsökonomie.

Neben den beiden großen Themenblöcken sind die Themenbereiche „Gesundheit von Kindern und Jugendlichen“, „Prävention“ und „Krebsepidemiologie“ stark vertreten. Flankiert werden die wissenschaftlichen Sessions von einer Vielzahl an Workshops, AG- oder Projektgruppentreffen, im Wesentlichen durch die Fachgruppen der Gesellschaften geplant und ausgerichtet. Natürlich fehlen auch diverse Preisverleihungen nicht, neben Poster- oder Nachwuchspreisen der Fachgesellschaften verleiht beispielsweise die DGSMP wieder die Salomon-Neumann-Medaille oder die DGEpi den Stephan-Weiland-Preis.

Besonders begrüßen dürfen wir im Rahmen der Tagung unsere vier hervorragenden „Key Note Speakers“: Prof. Dr. Ingo Bode aus Kassel spricht über „Strukturwandel und Ökonomisierung im Krankenhaus“ und Prof. Dr. Lisa Berkman, Harvard, über „Work, family and health: a comparison of the American and European experiences“. Dr. Chikwe Ihekweazu berichtet aus dem „Nigeria Centre for Disease Control“ und Prof. Dr. Willy Sauerbrei informiert über „The STRATOS initiative“.

Dem lokalen Organisationsteam am Institut für Sozialmedizin und Epidemiologie der Universität zu Lübeck ist es eine große Freude, die gemeinsame Jahrestagung ausrichten zu dürfen. Die Tagung findet direkt im universitären Umfeld auf dem Campus der Lübecker Universität statt. Hier bieten sich ausgezeichnete Möglichkeiten zum fachübergreifenden wissenschaftlichen Austausch, sei es im Audimax in den wissenschaftlichen Sessions, bei den Postersitzungen, dem „Marktplatz“ oder einfach in den Kaffeepausen oder in der Mensa beim studentischen Mittagstisch.

Die Hansestadt Lübeck ist ein attraktiver Rahmen für das wissenschaftliche Programm. Die Altstadt der „Königin der Hanse“ mit ihren verwinkelten Gassen und Gängen, alten Kaufmannshäusern, dem weltberühmten Holstentor und ihren 7 Türmen ist UNESCO-Weltkulturerbe. Die Teilnahme an einer der angebotenen Stadtführungen lohnt sich auf jeden Fall. Wer noch etwas Zeit mitbringt, dem sei ein Besuch im neu errichteten Hansemuseum oder einfach ein ausgedehnter Spaziergang am Brodtener Ufer an der Ostsee empfohlen.

Wir freuen uns auf einen interdisziplinären Austausch und wünschen allen Teilnehmern einen schönen und interessanten Kongress und Aufenthalt in Lübeck.


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  • Literatur

  • 1 Porta M. A dictionary of epidemiology. 6. Auflage, ed. Oxford New York: Oxford University Press, Inc; 2014
  • 2 Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Atlas über Migration, Integration und Asyl, 7. Ausgabe, Nürnberg. 2016
  • 3 Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Aktuelle Zahlen zu Asyl, Ausgabe Juni 2017. www.bamf.de 2017
  • 4 Lampert T, Hoebel J, Kuntz B. et al. Gesundheitliche Ungleichheit in verschiedenen Lebensphasen. Berlin: Robert Koch-Institut; 2017

Korrespondenzadresse

Prof. Dr. Alexander Katalinic
Institut für Sozialmedizin und Epidemiologie
Ratzeburger Allee
23538 Lübeck

  • Literatur

  • 1 Porta M. A dictionary of epidemiology. 6. Auflage, ed. Oxford New York: Oxford University Press, Inc; 2014
  • 2 Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Atlas über Migration, Integration und Asyl, 7. Ausgabe, Nürnberg. 2016
  • 3 Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Aktuelle Zahlen zu Asyl, Ausgabe Juni 2017. www.bamf.de 2017
  • 4 Lampert T, Hoebel J, Kuntz B. et al. Gesundheitliche Ungleichheit in verschiedenen Lebensphasen. Berlin: Robert Koch-Institut; 2017

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