DO - Deutsche Zeitschrift für Osteopathie 2017; 15(04): 1-2
DOI: 10.1055/s-0043-114772
Editorial
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Editorial

Dennis Ehrlich
,
Peter Jacob Lamersdorf
Weitere Informationen

Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
22. September 2017 (online)

 

Liebe Leserin, lieber Leser,

auf dem Titelblatt dieser Ausgabe lesen Sie ein Zitat von A. T. Still: „Das Leben ist eine Substanz, die den Raum des gesamten Universums erfüllt.“ Das ist starker Tobak! Still hat damals intuitiv erfasst, was uns die moderne Wissenschaft heute immer genauer zu erklären vermag. Sei es in der Mathematik oder Physik, in der Philosophie oder in der Psychologie – die Definition und das Verständnis von Raum sind nicht einfach und haben sich im Lauf der Zeit immer wieder verändert und erweitert. Seit Albert Einstein vor nunmehr über 100 Jahren den 3 Raumdimensionen die Zeit als 4. Dimension hinzufügte und so ein Raum-Zeit-Kontinuum definierte, ist für die meisten von uns eine Vorstellung von Raum, ein kognitives Verständnis gar, so gut wie unmöglich geworden.


#

Wir können in unserer osteopathischen Arbeit Erfahrungen machen, die durch ein tieferes Verständnis von Raum besser erklärbar werden. Neben der Befriedigung, welche das für unseren Verstand mit sich bringt, ermöglicht uns dies eine leichtere Kommunikation mit unseren Kollegen aus allen Nachbarwissenschaften. Durch diesen Austausch können wir immer mehr darüber lernen, was unseren empirischen Erfahrungen zugrunde liegt und wir werden in unserem Tun bestärkt. Gleichzeitig entsteht eine größere Akzeptanz der Osteopathie in wissenschaftlichen Kreisen, da sie leichter nachvollziehbar wird.

Die Autoren dieser Ausgabe schreiben aus verschiedenen Blickwinkeln, welche Bedeutung Raum innerhalb der Osteopathie hat und haben könnte. Interessanterweise tauchen viele Zitate von A. T. Still, W. G. Sutherland und auch R. Becker auf: Alle 3 Osteopathen haben in ihren Zitaten über den Begriff Raum versucht, das Wesen und die Wirkungsweise des primären Atemmechanismus zu beschreiben. Alle 3 haben auch immer wieder darauf hingewiesen, dass das Einbeziehen von Raum in die Wahrnehmung während der Behandlung den anatomisch-funktionellen Selbstregulationsprozess verändert. Plötzlich werden Dinge möglich, die ohne den Bezug auf Raum anscheinend nicht passieren können.

Andrew Goldmann lässt uns in dem Gespräch, das wir mit ihm geführt haben, daran teilhaben, wie ihn das Konzept des Raums während seiner Ausbildung immer wieder begleitet hat und welches Verständnis er heute davon hat.

Claudia Wallbrecht hat sehr spannende Fakten aufbereitet und versucht, Licht in das immer noch ungelöste Rätsel der Menschheitsgeschichte – das Thema Raum – zu bringen, der, wie sie formuliert, weit mehr zu sein scheint als das Nichts zwischen den Dingen. Sie fasst zudem die Kernaussagen der Quantenphysik zusammen, die uns Erklärungsmodelle für vielerlei Erfahrungen liefern können, die wir täglich in der Praxis machen.

Alison Brown, die sich neben ihrer Praxis seit vielen Jahren intensiv mit der Weiterentwicklung der Ausbildung von Osteopathen beschäftigt, schreibt sehr persönlich, wie das Einbeziehen von Raum sowohl Lernen als auch Lehren unterstützend beeinflusst. Besonders interessant ist zu erkennen, wie sich Lernen, Lehren und Behandeln ähneln.

Dr. Christina Steele beschreibt A. T. Stills und W. G. Sutherlands Aussagen zum Thema Raum und diskutiert anhand zweier Fälle das therapeutische Potenzial von Raum in der Praxis.

Auf eine Tour durch die Hohlräume des Viszerokraniums nimmt uns Marianne Meyer-Logemann mit und gibt sehr originelle Denkanstöße, die einladen, die bekannte Anatomie aus einem neuen Blickwinkel zu betrachten.

Von Michael Harris erfahren wir, wie Raum als Sinneswahrnehmung einen sicheren und hilfreichen Zugang zu traumatisierten Patienten ermöglichen kann.

Jan Koop gibt uns ein Beispiel aus seinem Erfahrungsschatz, wie der Blick auf den Raum die osteopathische Behandlung beeinflussen kann.

Christine Storm erzählt, wie Raum auch in anderen Körperarbeiten, wie z. B. im Yoga, ebenfalls eine entscheidende Rolle spielt.

Und last but not least sei etwas profaner auch an einen Raum erinnert, in dem sich praktizierende Osteopathen bewegen – den, wenn man es so ausdrücken möchte, „Rechtsraum“. Welche Fallstricke es für Osteopathen gibt, sei es, dass sie als Selbstständige in eigener Praxis arbeiten oder als Angestellte tätig sind, stellt Dr. Sylke Wagner-Burkard in ihrem Artikel vor.

Wir wünschen Ihnen viel Freude und Inspiration beim Lesen.

Dennis Ehrlich und Peter Jacob Lamersdorf


#