Aktuelle Dermatologie 2017; 43(08/09): 326-328
DOI: 10.1055/s-0043-113987
State of the Art
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Haar- und Kopfhautprobleme bei Kindern

H. Wolff
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Korrespondenzadresse

Prof. Dr. med. Hans Wolff
Haarsprechstunde
Klinik und Poliklinik für Dermatologie und Allergologie
Ludwig-Maximilians-Universität München
Frauenlobstr. 9 – 11
80337 München

Publication History

Publication Date:
31 August 2017 (online)

 

Haar- und Kopfhauterkrankungen können auch bei Kindern und Jugendlichen auftreten. Diese Störungen können sehr mannigfaltig sein, und reichen von einer banalen Wachstumsanomalie (z. B. kurze Anagenphase) bis zu seltenen Syndromen (genetische Hypotrichosen). Nachfolgend soll eine kleine Auswahl der Störungen des Haarwachstums im Kindesalter besprochen werden.


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Kurze Haare durch kurze Anagenphase

Bei manchen Kindern ist die Anagenphase kürzer als normal, also statt mindestens 36 Monate nur 6 – 24 Monate. Daher können die Haare nicht länger als 6 – 24 cm wachsen [1] [2]. Die Beschwerde der Eltern lautet: „Die Haare wachsen nicht“. Meist verlängert sich das Anagen von selbst mit zunehmendem Lebensalter. In seltenen Ausnahmefällen gibt es ein offensichtlich genetisch festgelegtes kurzes Anagen, bei dem auch Erwachsene nie lange Haare wachsen lassen können [1].


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Lose Anagenhaare

Bei anderen, meist blonden Kindern lassen sich Kopfhaare leicht und schmerzlos ausziehen [3] [4]. Je nach Häufigkeit der Zugbelastung kann daraus eine eher diffuse, oft okzipital gelegene Alopezie resultieren. Im Trichogramm sieht man dysplastische Anagenhaare, bei denen die Wurzelscheide entweder fehlt oder sich wie ein zu loses Kindersöckchen ganz proximal zusammengeknautscht findet. Dieser Befund ist gut vereinbar mit mikroskopischen Untersuchungen, die gezeigt haben, dass die innere Wurzelscheide dem losen Anagenhaarschaft nicht eng und fest anliegt, sondern relativ locker sitzt [3]. Auch diese Anomalie verliert sich mit zunehmendem Lebensalter.


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Androgenetische Alopezie bei Kindern

Manchmal weisen bereits Kinder diffuse Lichtungen im Mittelscheitel auf, wie sie für eine initiale androgenetische Alopezie typisch sind. Tosti beschrieb 12 Mädchen und 8 Jungen zwischen 6 und 10 Jahren mit einem solchen, teils histologisch gesicherten Befund (miniaturisierte Haarfollikel) [5]. Therapeutisch kann im individuellen Heilversuch Minoxidil 2 %-Lösung zum Einsatz kommen, um die weitere Ausprägung der androgenetischen Alopezie zu stoppen.


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Aplasia cutis congenita

Zu sehen ist eine etwa münzgroße, haarlose Stelle im Vertex, klinisch wie Alopecia areata ([Abb. 1]), allerdings seit Geburt bestehend und nach Abfallen der manchmal bestehenden Kruste unverändert. Dies ist der entscheidende Unterschied zur meist dynamischeren Alopecia areata.

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Abb. 1 Aplasia cutis congenita.

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Alopecia areata

Wie der Name andeutet, kommt es zu einem relativ scharf abgegrenzten Haarausfall, der anfangs oft rund ist, sodass im Deutschen auch der Begriff „kreisrunder Haarausfall“ verwendet wird. Bei erstmaligem und örtlich umschriebenem Auftreten besteht eine gute Chance auf Spontanremission innerhalb von 3 – 6 Monaten. Andererseits ist aber vor allem bei diffusem, akutem Beginn auch eine rasche Progression bis zum kompletten Haarausfall möglich (A. areata totalis).

Die Alopecia areata ist eine durch T-Lymphozyten verursachte Autoimmunerkrankung am Haarfollikel [6] [7] [8]. Ursachen und Auslöser sind unbekannt – daher sind auch Laboranalysen jeder Art überflüssig. Das Lebenszeitrisiko, an einer Alopecia areata zu erkranken, beträgt etwa 1 – 2 %. Das Auftreten im Kindesalter ist ein prognostisch ungünstiges Zeichen, ebenso wie die gleichzeitige Anwesenheit von Neurodermitis und Nagelveränderungen (Tüpfel- oder Krümelnägel). Es bestehen lockere Assoziationen mit anderen T-zellulären Autoimmunerkrankungen wie Vitiligo, Hashimoto-Thyreoiditis oder Diabetes mellitus Typ 1.

Eine sicher wirksame Therapie gibt es bei Alopecia areata leider nicht. Ein zeitlich auf 3 Monate limitierter Versuch mit Zinktabletten und topischen Kortikosteroiden der Wirkklassen II-III (z. B. Mometason- oder Prednicarbat-Lösung) sind zu rechtfertigen. Topisch aufgebrachte Calcineurin-Inhibitoren wie Tacrolimus oder Pimecrolimus sind wirkungslos. Die topische Immuntherapie mit dem Kontaktsensibilisator Diphencyprone (DCP) kann etwa ab dem 12. Lebensjahr erwogen werden [7].

Bei sehr ausgeprägten Formen, wie einer Alopecia areata totalis oder universalis, beschränkt sich die Behandlung auf regelmäßige Beratungen und Verhaltensvorschläge, einschließlich des Hinweises auf die Selbsthilfegruppe Alopecia areata Deutschland e. V. und ihrer Verbandszeitschrift „Köpfchen“. Perücken empfehlen wir bei Kindern nicht; praktischer sind Kopftücher oder Baseball-Kappen.


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Trichotillomanie

Die Trichotillomanie wird zunächst gerne als Alopecia areata fehlgedeutet. Bei beiden Erkrankungen sieht man manchmal bemerkenswert scharf begrenzte Alopezieherde [9]. Der entscheidende Unterschied: Bei der Alopecia areata ist die Alopezie meist haarlos und glatt, während bei der Trichotillomanie der alopezische Haarboden durch die abgebrochenen und nachwachsenden Haare stoppelig ist ([Abb. 2]). Die Tatsache, dass die Haarlosigkeit durch Rupfen, Ziehen oder Scheuern verursacht wurde, wird von den Kindern und Eltern meist abgelehnt. Nicht selten ist die Konstellation, dass das betroffene ältere Kind ein kleines Geschwisterchen bekommen hat, das jetzt die vorher exklusive Aufmerksamkeit der Eltern für sich in Anspruch nimmt. Als Varianten gibt es die Trichotemnomanie (Abschneiden der Haare, meist ältere Kinder) und die Trichoteiromanie, bei der die Haare nicht ausgezogen, sondern durch Scheuern abgebrochen werden [10]. Zum Glück verschwindet die Störung bei Kindern unter 10 Jahren in den folgenden Monaten meist von selbst wieder.

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Abb. 2 Trichotillomanie: Typisch ist der stoppelige Haarboden.

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Tinea capitis

Zu den leider häufigsten und manchmal desaströsesten Fehldiagnosen einer Alopezie gehört das Verkennen einer Tinea capitis. Sie wird immer durch Dermatophyten wie z. B. Trichophyton verrucosum (Übertragung v. a. durch Kälber), Trichophyton tonsurans oder Microsporum canis ausgelöst [11] [12]. Paradoxerweise wird M. canis aber nicht von Hunden (canis), sondern meist von jungen Kätzchen übertragen – es müsste also eigentlich M. felis heißen. In der Regel kommt es nur zu umschriebener trockener Schuppung der Kopfhaut mit Abbrechen der Haare. Eine Mikrosporie lässt sich innerhalb einer Minute sichern, denn nur M. canis zeigt im sogenannten Wood-Licht (UV-A-Handlampe) eine kräftig gelb-grünliche Fluoreszenz. Darüber hinaus sollte die Diagnostik mittels „Nativpräparat“ (Auflösung von Hautschuppen in 15 %iger Kalilauge mit Tinte) und Pilzkultur erfolgen.

Wesentlich stärkere Entzündungen als M. canis induzieren Trichophyten wie T. rubrum oder T. verrucosum ([Abb. 3]). Hier ist die Gefahr einer Zerstörung der Haarfollikel, und damit einer narbigen Alopezie, besonders groß.

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Abb. 3 Tinea capitis.

Um die bedrohten Haarfollikel zu schützen, sollten Pilzerkrankungen der Kopfhaut topisch und systemisch behandelt werden. Topisch können verschiedene antimykotisch wirksame Lösungen oder Cremes eingesetzt werden. Zur systemischen Therapie ist primär Griseofulvin in einer Dosierung von 20 – 25 mg/kg KG einzusetzen. Alternativ wirken auch Fluconazol, Itraconazol oder Terbinafin gut oder besser – je nach Lebensalter ggf. auch im „individuellen Heilversuch“ [11]. Nach etwa 3-monatiger systemischer Therapie ist die Pilzerkrankung meist komplett abgeheilt, die Haare sprießen wieder.


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Fazit

Auch bei Kindern kann eine Vielzahl verschiedener Haarerkrankungen vorliegen. Deutlich häufiger als bei Erwachsenen sind aufgrund noch fehlender Immunität Mykosen der Kopfhaut, denen aufgrund der follikelzerstörenden Eigenschaften besondere Aufmerksamkeit gelten sollte.


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Erstveröffentlichung

Dieser Beitrag wurde erstveröffentlicht in: Kompendium Dermatologie 2017; 13: 11 – 14.


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Interessenkonflikt

Der Autor gibt an, dass kein Interessenkonflikt besteht.

  • Literatur

  • 1 Barraud-Klenovsek MM, Trueb RM. Congenital hypotrichosis due to short anagen. Br J Dermatol 2000; 143: 612-617
  • 2 Antaya RJ, Sideridou E, Olsen EA. Short anagen syndrome. J Am Acad Dermatol 2005; 53: S130-134
  • 3 Nödl F, Zaun H, Zinn KH. Gesteigerte Epilierbarkeit von Anagenhaaren bei Kindern als Folge eines Reifungsdefekts der Follikel mit gestörter Verhaftung von Haarschaft und Wurzelscheiden. Das Phänomen der leicht ausziehbaren Haare. Akt Dermatol 1986; 12: 55-57
  • 4 Hamm H, Traupe H. Loose anagen hair of childhood: The phenomenon of easily pluckable hair. J Am Acad Dermatol 1989; 20: 242-248
  • 5 Tosti A, Iorizzo M, Piraccini BM. Androgenetic alopecia in children: report of 20 cases. Br J Dermatol 2005; 152: 556-559
  • 6 van der Stehen P. et al. Alopecia areata. Klinik, Pathogenese und topische Immuntherapie. Dt Ärztebl 1995; 92: 831-836
  • 7 Freyschmidt-Paul P, Happle R, Hoffmann R. Alopecia areata. Klinik, Pathogenese und rationale Therapie einer T-Zell-vermittelten Autoimmunerkrankung. Hautarzt 2003; 54: 713-722
  • 8 Gilhar A, Etzioni A, Paus R. Alopecia areata. N Engl J Med 2012; 366: 1515-1525
  • 9 Hautmann G, Hercegova J, Lotti T. Trichotillomania. J Am Acad Dermatol 2002; 46: 807-821
  • 10 Freyschmidt-Paul P, Hoffmann R, Happle R. Trichoteiromania. Eur J Dermatol 2001; 11: 369-371
  • 11 Elewski BE. Tinea capitis: a current perspective. J Am Acad Dermatol 2000; 42: 1-20
  • 12 Manz BB, Haustein U-F, Nenoff P. Tinea capitis – ein aktueller Überblick. Akt Dermatol 2001; 27: 295-305

Korrespondenzadresse

Prof. Dr. med. Hans Wolff
Haarsprechstunde
Klinik und Poliklinik für Dermatologie und Allergologie
Ludwig-Maximilians-Universität München
Frauenlobstr. 9 – 11
80337 München

  • Literatur

  • 1 Barraud-Klenovsek MM, Trueb RM. Congenital hypotrichosis due to short anagen. Br J Dermatol 2000; 143: 612-617
  • 2 Antaya RJ, Sideridou E, Olsen EA. Short anagen syndrome. J Am Acad Dermatol 2005; 53: S130-134
  • 3 Nödl F, Zaun H, Zinn KH. Gesteigerte Epilierbarkeit von Anagenhaaren bei Kindern als Folge eines Reifungsdefekts der Follikel mit gestörter Verhaftung von Haarschaft und Wurzelscheiden. Das Phänomen der leicht ausziehbaren Haare. Akt Dermatol 1986; 12: 55-57
  • 4 Hamm H, Traupe H. Loose anagen hair of childhood: The phenomenon of easily pluckable hair. J Am Acad Dermatol 1989; 20: 242-248
  • 5 Tosti A, Iorizzo M, Piraccini BM. Androgenetic alopecia in children: report of 20 cases. Br J Dermatol 2005; 152: 556-559
  • 6 van der Stehen P. et al. Alopecia areata. Klinik, Pathogenese und topische Immuntherapie. Dt Ärztebl 1995; 92: 831-836
  • 7 Freyschmidt-Paul P, Happle R, Hoffmann R. Alopecia areata. Klinik, Pathogenese und rationale Therapie einer T-Zell-vermittelten Autoimmunerkrankung. Hautarzt 2003; 54: 713-722
  • 8 Gilhar A, Etzioni A, Paus R. Alopecia areata. N Engl J Med 2012; 366: 1515-1525
  • 9 Hautmann G, Hercegova J, Lotti T. Trichotillomania. J Am Acad Dermatol 2002; 46: 807-821
  • 10 Freyschmidt-Paul P, Hoffmann R, Happle R. Trichoteiromania. Eur J Dermatol 2001; 11: 369-371
  • 11 Elewski BE. Tinea capitis: a current perspective. J Am Acad Dermatol 2000; 42: 1-20
  • 12 Manz BB, Haustein U-F, Nenoff P. Tinea capitis – ein aktueller Überblick. Akt Dermatol 2001; 27: 295-305

Zoom Image
Abb. 1 Aplasia cutis congenita.
Zoom Image
Abb. 2 Trichotillomanie: Typisch ist der stoppelige Haarboden.
Zoom Image
Abb. 3 Tinea capitis.