Fallbeschreibung
Anamnese und Befunderhebung
Nach Vorstellung mehrerer älterer Patienten im Stadium fortgeschrittener Demenz mit
unspezifischen, jedoch außergewöhnlich stark juckenden Hautveränderungen an Rumpf
und Extremitäten in der Sprechstunde einer dermatologischen Facharztpraxis verdichtete
sich der klinische Verdacht einer Skabiesinfektion in einem nahe der Praxis gelegenen
Seniorenheim.
Der daraufhin vorgenommene hautfachärztliche Hausbesuch enthüllte in dieser Einrichtung
eine komplette Durchseuchung zweier geschlossener Wohnbereiche bei 35, jeweils an
fortgeschrittener Demenz erkrankten Bewohnern mit Skabies in unterschiedlichsten klinischen
Ausprägungsgraden. 3 Patienten zeigten die typischen Symptome einer Skabies norvegica
(Skabies crustosa), die übrigen Betroffenen wiesen alle klinischen Merkmale fortgeschrittener
Skabies auf oder litten unter Skabies in einem frühen, noch unspezifischen Ekzemstadium.
Durch den visitierenden Hautarzt erfolgte mit sofortiger Wirkung die Errichtung von
Schleusen im Eingangsbereich der betroffenen Wohnbereiche. Zudem wurden alle Mitarbeiter
der betroffenen Wohnbereiche umgehend angewiesen, ab sofort und ohne Ausnahme während
aller Arbeiten am Patienten Schutzbekleidung zu tragen. Dies betraf vor allem die
Benutzung von Einmalschutzkitteln, Einmalkopfhauben und Einmalhandschuhen.
Zu den in diesem Sinne unmittelbar betroffenen Personengruppen zählen unter anderem
das Pflegepersonal, die visitierenden Ärzte, das Reinigungs- und Küchenpersonal, das
Krankentransportpersonal, aber auch die Angehörigen der Bewohner und sämtliche anderen
Besucher mit direktem Kontakt zu den Erkrankten.
Zum Kreis der mittelbar betroffenen Personen zählt das gesamte Pflegepersonal anderer
Wohnbereiche innerhalb der betroffenen Einrichtung sowie weitere Mitarbeiter aus diesem
Umfeld mit möglichem Kontakt zu betroffenen Bewohnern, aber auch die Mitarbeiter der
zuständigen Wäschereien und Reinigungen, alle Angehörigen des Pflegepersonals sowie
grundsätzlich alle Kontaktpersonen zu bereits infizierten Personen.
Es erfolgte eine ausführliche Umgebungsuntersuchung, innerhalb derer jeder Mitarbeiter
des betroffenen Heimes aufgefordert wurde, zum Ausschluss einer Skabiesinfektion einen
Dermatologen aufzusuchen. Ebenso wurden sämtliche Mitarbeiter aufgefordert, ggf. ihre
Angehörigen und Freunde untersuchen zu lassen.
Es stellte sich heraus, dass insgesamt 8 Mitarbeiter des Heimes, ausnahmslos aus dem
Pflegebereich, an Skabies erkrankt waren. 2 dieser Mitarbeiter stammten von anderen
Wohnbereichen dieses Heimes und waren nur zeitweilig als Aushilfen hinzugezogen worden.
Das Enkelkind einer betroffenen Pflegekraft musste mit einer hochfieberhaften, superinfizierten
Skabiesinfektion stationär in einem nahegelegenen Kinderkrankenhaus behandelt werden.
Parallel zur Einrichtung der Schleusen und zur Bereitstellung der Schutzkleidung wurde
die synchronisierte Grundreinigung sämtlicher Räume innerhalb der betroffenen Wohnbereiche
vorbereitet. Der Umfang der Grundreinigung orientierte sich dabei an den üblichen
Vorgaben für Massenausbrüche von Infektionskrankheiten in Gemeinschaftseinrichtungen
dieser Art und schloss die milbentötende Behandlung sämtlicher Kleidung, Decken, Deckchen,
Kissen und Polstermöbel ebenso ein wie die Reinigung von Teppichen, Böden und Möbeln.
Die zeitlich und inhaltlich synchronisierte Behandlung beider Wohnbereiche erforderte
die zeitgleiche Bereitstellung aller erforderlichen Grundreinigungs- und milbentötenden
Reinigungsmittel für alle Räume ebenso wie die Bereitstellung allen abkömmlichen Personals
zur Durchführung dieser Maßnahmen.
Die synchronisierte Grundreinigung musste zeitgleich mit der milbentötenden Behandlung
sämtlicher Bewohner koordiniert werden.
Therapie
Die äußerliche Behandlung sämtlicher Bewohner innerhalb der der betroffenen Wohnbereiche
erfolgte mit Permethrin 5 %-haltigen Externa und wurde nach 8 Tagen bei allen Betroffenen
wiederholt. In 10 Fällen erfolgte 1 Woche später noch eine 3. Behandlung. Die Behandlung
des postskabiösen Ekzems erfolgte mit Clobetasol 0,05 %-haltigen Externa.
In 3 Fällen mit Skabies crustosa wurde zusätzlich zur topischen Permethrin-Behandlung
2-mal, jeweils im Abstand von 7 Tagen, systemisch mit Ivermectin behandelt (Dosierung:
einmalige Gabe von 200 Mikrogramm Ivermectin pro Kilogramm Körpergewicht, Wiederholung
nach 7 Tagen).
Innerhalb von 8 Wochen nach erstmaliger Diagnosestellung wiesen das betroffene Pflegeheim
und seine unmittelbare Umgebung keine weiteren Skabies-Infektionen mehr auf.
Diskussion
Das Ausmaß des hier beschriebenen Umfangs einer Skabies-Infektion innerhalb einer
Gemeinschaftseinrichtung erscheint für eine regelmäßig ärztlich betreute Einrichtung
dieser Art zunächst ungewöhnlich.
Der umfangreiche Einsatz von Kurzzeit-Pflegekräften, vermittelt von Zeitarbeitsfirmen,
und der damit verbundene häufige Personalwechsel trugen jedoch zu der im vorliegenden
Fall diskontinuierlichen Betreuung ebenso bei wie die äußerst seltene, nur auf gelegentliche
Anforderung erfolgte Betreuung durch einen dermatologischen Facharzt.
Die an Skabies erkrankten Bewohner beider Wohnbereiche litten zudem ausnahmslos an
fortgeschrittener Demenz. Wenngleich diese Wohnbereiche grundsätzlich von innen nach
außen als geschlossene Einrichtung geführt werden, so ist doch die räumliche Isolierung
infizierter Demenzkranker innerhalb dieser Wohnbereiche nicht umsetzbar. Als Folge
des unter alten, gebrechlichen und zudem demenzkranken Menschen zumeist deutlich reduzierten
allgemeinen Gesundheitszustandes ist eine oft kurzfristige Verlegung in die ambulante
oder stationäre Versorgung von Praxen oder Krankenhäusern oft unumgänglich. Wird eine
Skabies-Infektion aber auch dort nicht rechtzeitig erkannt, führt dies zu einer weiteren,
rasch unkontrollierbaren Ausbreitung. Erschwerend kommt hinzu, dass gerade auch in
Pflegeeinrichtungen unter den in ihrer immunologischen Abwehr üblicherweise deutlich
eingeschränkten Bewohnern vermehrt mit schwereren Verlaufsformen infektiöser Erkrankungen
zu rechnen ist. So ist insbesondere in Altenpflegeheimen der Anteil von Skabies crustosa
bzw. Skabies norvegica deutlich höher als in der Durchschnittsbevölkerung. Innerhalb
der Mitarbeiter von Altenpflegeheimen ist zudem die Infektionsrate unter den Pflegekräften
deutlich höher als unter den anderen Mitarbeitern [1].
Die Wirkung von Ivermectin als systemischer Form der Skabies-Behandlung wurde 1994
erstmals beschrieben [2]. In Deutschland erfolgte die Zulassung durch das Bundesinstitut für Arzneimittel
und Medizinprodukte (BfArM) im Februar 2016. Zur Behandlung eines Skabies-Massenanfalls
bietet diese systemische Form der Therapie auf den ersten Blick zahlreiche Vorteile
und scheint auch aus arbeitsökonomischer Sicht der effektivste Weg zu sein.
Dennoch mahnen die bisher bekannt gewordenen Resistenzbildungen von Sarcoptes scabiei
gegen Ivermectin [3]
[4] zum sorgsamen Einsatz dieses Medikamentes als Antiskabiosum. So empfiehlt auch die
Leitlinie zur Skabies [5] den Gebrauch von Ivermectin als „Second Line“-Medikament und als Ausweichmittel
in allen Fällen, die den üblichen topischen Therapien mit Permethrin, Benzylbenzoat,
Crotamiton u. a. nicht zugänglich sind.
Als wirksamste Behandlung auch hartnäckiger und gegenüber den üblichen Therapien unzugänglicher
Formen der Skabies hat sich die Kombination aus topischem Permethrin 5 % und systemischem
Ivermectin bewährt [6].
Im Zentrum der Skabies-Erkennung und -Behandlung steht das geschulte dermatologische
Auge, das auch bei allen Formen unklarer Ekzeme mit ungewöhnlich starkem, zum Befundbild
oft nicht recht passendem Juckreiz stets die Differenzialdiagnose einer Skabies in
Erwägung ziehen sollte. Nur durch frühzeitiges Erkennen und Behandeln, auch bereits
im Verdachtsfall, durch die umfassende Aufklärung der Betroffenen und ihrer Umgebung,
verbunden mit konsequenten Follow-up-Untersuchungen der behandelten Betroffenen bis
zur deren nachweislicher, vollständiger Genesung, kann ein wirksames Eindämmen der
in allen Bundesländern gegenwärtig deutlich zunehmenden Skabies-Fälle zuverlässig
sichergestellt werden.
Die seit wenigen Jahren zumindest regional deutlich spürbare Zunahme an Skabies-Infektionen
in Deutschland ist bisher weder in klinischen Studien noch in relevanten Statistiken
ausreichend erfasst. Soweit aus eigenen Beobachtungen jedoch bisher erkennbar, ist
das derzeitige Phänomen regionaler Massenanfälle von Skabies-Infektionen kein ausschließliches
Problem des Flüchtlingszustroms. Diese Zunahme findet ihre Ursachen auch im Verhalten
der eigenen Bevölkerung. Ungeachtet dessen bindet der beschriebene Anstieg an Skabies-Infektionen
in den dermatologischen Praxen der betroffenen Regionen mehr und mehr Arbeitszeit
und Arbeitskraft. Die Erhebung aussagefähiger Morbiditätsstatistiken zur Skabies mit
dem Ziel der Optimierung strategischer Abwehrmaßnahmen und zur Bündelung von Synergien
wird darüber hinaus durch den Umstand erschwert, dass Skabies keine meldepflichtige
Erkrankung im ärztlichen Zuständigkeitsbereich ist. Die Meldung von Skabiesfällen
gegenüber dem Gesundheitsamt erfolgt bisher ausschließlich im Falle infizierter Bewohner
oder Mitarbeiter betroffener Pflegeheime. Zuständig ist in diesen Fällen die jeweilige
Heimleitung. Nur die von dieser Seite gemeldeten Erkrankungen werden zahlenmäßig überhaupt
erfasst, sieht man einmal von den innerhalb der Berufsgenossenschaften geführten Statistiken
über Skabies-infizierte Heimmitarbeiter ab. Alle übrigen, in Praxen und Krankenhausambulanzen
erfassten Skabiesfälle entgehen somit der Statistik. Hilfreich wären in der aktuellen
Situation deshalb Studien zur tatsächlichen Prävalenz und Inzidenz, um anhand wissenschaftlich
verwertbarer Zahlen noch wirksamer als bisher dem gegenwärtigen Skabies-Aufkommen
begegnen zu können.