Rehabilitation (Stuttg) 2017; 56(04): 272-285
DOI: 10.1055/s-0043-112071
CME-Fortbildung
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Frührehabilitation ist erstes Glied einer nahtlosen Rehabilitationskette

Acute Care Rehabilitation is the First Link in a Chain of Rehabilitation Interventions
Joachim Beyer
1   Abteilung Frührehabilitation und Altersmedizin, Krankenhaus Ludmillenstift, Meppen
,
Egbert J. Seidel
2   Zentrum für Physikalische und Rehabilitative Medizin des Sophien- und Hufeland-Klinikums Weimar
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Publication Date:
24 August 2017 (online)

Zusammenfassung

Eine frühe, intensive rehabilitative Therapie beschleunigt die Wiederherstellung von Funktionen schwerbetroffener Patienten. Sie trägt zu einer Verminderung der Komplikationsrate sowie zu einer Verbesserung der körperlichen und sozialen Funktionsfähigkeit bzw. Teilhabe im Langzeit-Follow-up bei. Die Frührehabilitation muss aufbauend auf den bestehenden Strukturen gestärkt werden: Schaffung und Erhaltung adäquat qualifizierter Frührehabilitationseinrichtungen mindestens in Krankenhäusern mit Schwerpunkt- und Maximalversorgungsaufträgen. Die Patienten mit Langzeitintensivbehandlung und Polytrauma müssen frühestmöglich rehabilitativ erreicht werden (intensivmedizinische Rehabilitation).

Fachärzte für Physikalische und Rehabilitative Medizin, rehabilitativ arbeitende Geriater, Neurologen, Orthopäden und Unfallchirurgen und andere Gebietsärzte müssen zielgerichtet zusammenwirken. Ausschlusskriterien über entsprechende OPS-Codes müssen aufgehoben werden. Weitere Gebietsärzte (Anästhesisten und Intensivmediziner, Allgemeinmediziner, Unfall- und Thoraxchirurgen, Internisten) müssen für die Bedeutung der Frührehabilitation sensibilisiert werden.

In den länderspezifischen Bettenbedarfsplänen sollten 5 % der Krankenhausbetten (ca. 25 000 von ca. 500 000) als alters- und diagnoseunabhängige Frührehabilitationsbetten ausgewiesen sein. Eine kostendeckende Finanzierung der zweifelsfrei personal- und kostenintensiven Frührehabilitation muss gewährleistet sein. Ein Phasenmodell, analog dem Modell der BAR zur neurologischen-neurochirurgischen Frührehabilitation sollte für weitere Krankheitsentitäten geschaffen werden.

Um den Rehabilitationsprozess möglichst erfolgreich zu gestalten, müssen medizinische (Akut-)Behandlung, medizinische Rehabilitation, berufliche Eingliederung und soziale Integration als ganzheitliches Geschehen verstanden werden und wirksam ineinandergreifen, als kontinuierlicher, die gesamte Krankheit phasenhaft begleitender Prozess. Hierzu ist ein kontinuierliches Case Management bzw. eine Reha-Begleitung zu etablieren.

Frührehabilitation ist die frühestmöglich einsetzende Kombination aus akut- und rehabilitationsmedizinischer Behandlung von Krankenhauspatienten verschiedener Fachgebiete mit einer akuten Gesundheitsstörung und relevanter Beeinträchtigung von Körperfunktionen, Strukturen, Aktivitäten sowie Partizipation gemäß ICF. Sie erfolgt interdisziplinär unter fachärztlicher Leitung mit Beteiligung verschiedener (pflege-)therapeutischer Berufsgruppen.

Abstract

An early, intensive rehabilitative therapy accelerates the recovery of the functions of patients. It contributes to a reduction in the complication rate as well as an improvement in physical and social functioning/participation in the long-term follow-up. Early rehabilitation must be strengthened on the basis of the existing structures: the creation and maintenance of adequately qualified early-stage rehabilitation facilities, at least in hospitals with priority and maximum supply contracts. Patients with long-term intensive care and polytrauma must be rehabilitated as soon as possible (intensive medical rehabilitation).

Specialists in physical and rehabilitative medicine, rehabilitative geriatrists, neurologists, orthopaedists and accident surgeons and other regional physicians must cooperate in a targeted manner. Exclusion criteria using corresponding OPS codes must be canceled. Additional specialist physician groups (anesthetists and intensive care physicians, general practitioners, accident and thoracic surgeons, internists) must be sensitized to the importance of early rehabilitation.

In the case of more than 500,000 hospital beds, 25,000 beds should be identified as age- and diagnosis-independent early-care beds in the country-specific bed-care plans. A cost-covering financing of the different, personal and cost-intensive early rehabilitation must be ensured. A phase model similar to the BAR guidelines for neurological-neurosurgical early rehabilitation is to be considered for other disease entities.

In order to make the rehabilitation process as successful as possible, medical (acute) treatment, medical rehabilitation, occupational integration and social integration have to be understood as a holistic event and are effectively interrelated, as a continuous process which accompanies the entire disease phase-wise. For this purpose, a continuous case management or a rehabilitation guidance has to be established.

Kernaussagen
  • Eine frühe, intensive rehabilitative Therapie beschleunigt die Wiederherstellung von Funktionen schwerbetroffener Patienten. Sie trägt zu einer Verminderung der Komplikationsrate sowie zu einer Verbesserung der körperlichen und sozialen Funktionsfähigkeit bzw. Teilhabe im Langzeit-Follow-up bei.

  • Die Frührehabilitation muss aufbauend auf den bestehenden Strukturen gestärkt werden: Schaffung und Erhaltung adäquat qualifizierter Frührehabilitationseinrichtungen mindestens in Krankenhäusern mit Schwerpunkt- und Maximalversorgungsaufträgen.

  • Die Patienten mit Langzeitintensivbehandlung und Polytrauma müssen frühestmöglich rehabilitativ erreicht werden (intensivmedizinische Rehabilitation).

  • Fachärzte für Physikalische und Rehabilitative Medizin, rehabilitativ arbeitende Geriater, Neurologen, Orthopäden und Unfallchirurgen und andere Gebietsärzte müssen zielgerichtet zusammenwirken.

  • Ausschlusskriterien über entsprechende OPS-Codes müssen aufgehoben werden.

  • In den länderspezifischen Bettenbedarfsplänen sollten 5 % der Krankenhausbetten als alters- und diagnoseunabhängige Frührehabilitationsbetten ausgewiesen sein. Eine kostendeckende Finanzierung der zweifelsfrei personal- und kostenintensiven Frührehabilitation muss gewährleistet sein.

  • Um den Rehabilitationsprozess möglichst erfolgreich zu gestalten, müssen medizinische (Akut-)Behandlung, medizinische Rehabilitation, berufliche Eingliederung und soziale Integration als ganzheitliches Geschehen verstanden werden und wirksam ineinandergreifen, als kontinuierlicher, die gesamte Krankheit phasenhaft begleitender Prozess. Hierzu ist ein kontinuierliches Case Management bzw. eine Reha-Begleitung zu etablieren.

 
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