osteopathisch Zeitschrift für Osteopathen 2017; 01(02): 57
DOI: 10.1055/s-0043-111651
Editorial
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

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Publication Date:
11 August 2017 (online)

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ein Prinzip der Osteopathie schaffte es neulich in die Medien: die Selbstheilungskräfte des Körpers. Diese wurden in einem Artikel mit der Überschrift „Abwarten ist oft die beste Medizin“ bei Spiegel Online als Teil einer neuen Revolution angepriesen. Die Revolution: Nichts zu tun anstatt zum Arzt zu gehen. Wir sollten uns freuen, einen der Stars der osteopathischen Maximen so publikumswirksam dargestellt zu sehen.

Bevor wir uns aber zu sehr freuen, lesen wir weiter: Als Paradebeispiel des Abwartens wird in dem Artikel der unkomplizierte Rückenschmerz genannt. Hier seien die meisten bildgebenden Verfahren und auch sonstige Heilungsversuche der Medizin unnötig, eine Verschwendung der Zeit von Patient und Arzt und zudem der Finanzen des Gesundheitssystems.

Es drängt sich die Frage auf, ob wir, die manualmedizinisch Arbeitenden, wohl dazugehören. Sollten Patienten lieber auch öfters mal nichts tun und abwarten statt uns aufzusuchen? Reflexartig wehren wir uns: Gerade Rückenbeschwerden sind unsere Spezialität! Wie auch sonst fast alles, was Patienten so haben. Und unsere klinische Erfahrung beweist ja, dass wir Recht haben. Patienten danken uns und bezahlen…, und wir machen weiter.

Wir sollten uns aber nicht zu schnell ablenken lassen von dem Thema Selbstheilungskräfte des Körpers. Glauben wir wirklich daran? Oder wenden wir das Prinzip hauptsächlich da an, wo wir nicht mehr weiterwissen und unsere Hände keine weiteren Veränderungen erreichen können? Fast schon als Ausrede, als Beruhigung unseres therapeutischen Gewissens? „So, für heute sind wir fertig, jetzt lassen wir die Selbstheilungskräfte wirken!“

Vertrauen wir noch wirklich diesen Selbstheilungskräften, oder glauben wir mehr an Methoden? Brauchen wir immerzu mehr und neue Techniken, den neuesten Trick zur Überlistung des Körpers mit Gesundheit, da er sich doch oft nicht so schnell bessern möchte wie wir das wollen? Sind wir nur auf der Suche danach, uns selbst zu bestätigen, dass wir helfen? Oder begeben wir uns auf die Suche nach den Selbstheilungskräften und nehmen in Kauf, dass Patienten – natürlich nachdem wir die Situation klinisch abgeklärt haben – nicht weiter zu uns kommen, uns nicht weiter bezahlen, eben weil wir die Selbstheilungskräfte ihre Aufgabe machen lassen?

Wir sollten in die Kommunikation treten miteinander, so wie es auch die Initiative „Choosing Wisely“ des American Board of Internal Medicine vorschlägt. Darüber beraten, was notwendig ist und sinnvoll. Darüber was Geld- und Zeitverschwendung ist.

Wenn wir uns nicht selbst darüber Gedanken machen, werden es andere für uns tun. Dies dann vielleicht sogar aufgrund all der Studien, die wir selbst erstellt hatten. Oft in der vergeblichen Bemühung zu beweisen, was unsere Methode leisten kann. Anstatt weiter danach zu suchen, wie die Selbstheilungskräfte unterstützt oder stimuliert werden, oder eben auch wann wir die Hände vom Patienten nehmen sollten, um diese Kräfte endlich in Ruhe arbeiten zu lassen.

Wir verlangen von der sog. klassischen Medizin, nicht zu viel und nichts Unnötiges zu unternehmen. Wir sollten uns demselben Anspruch stellen.

Ihr Tobias K. Dobler