Aktuelle Urol 2017; 48(05): 402-404
DOI: 10.1055/s-0043-110111
Referiert und kommentiert
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Nykturie: Desmopressin reduziert nächtliche Urinausscheidung

Kim JC. et al.
Efficacy and Safety of Desmopressin Add-On Therapy for Men with Persistent Nocturia on α-Blocker Monotherapy for Lower Urinary Tract Symptoms: A Randomized, Double-Blind, Placebo Controlled Study.

J Urol 2017;
197: 459-464
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Publication Date:
30 August 2017 (online)

 

    Bis zu zwei Drittel der Männer im Alter über 40 Jahre leiden unter nächtlichem Harndrang. Alphablocker können diese Beschwerden meist nur unzureichend lindern. Eine südkoreanische Arbeitsgruppe hat untersucht, ob diese Patienten von einer zusätzlichen Behandlung mit dem Vasopressin-Analogon Desmopressin, das die nächtliche Urinproduktion verringert, profitieren.


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    In die randomisierte, doppelblinde Multicenter-Studie wurden 86 Männer (Alter 40 – 65 Jahre) mit Beschwerden der unteren Harnwege (engl. lower urinary tract symptoms; LUTS) und persistierender Nykturie unter mindestens achtwöchiger Alphablocker-Therapie eingeschlossen. 39 Probanden erhielten über einen Zeitraum von acht Wochen ein Placebo und 47 wurden einmal täglich zur Nacht mit 0,2 mg Desmopressin p. o. behandelt. Die Medikation mit dem Alphablocker wurde während der Intervention unverändert weitergeführt. Studienendpunkte waren die mittels Miktionstagebuch dokumentierten Veränderungen der Nykturie-Frequenz und des nächtlichen Urinvolumens. Ferner wurden unter anderem der „Nocturnal Polyuria Index“ (NPI), der „International Prostate Symptom Score“ (I-PSS) sowie der „International Consultation on Incontinence Questionnaire-Nocturia“ (ICIQ-N) erfasst. Auch die Behandlungszufriedenheit ging in die Analyse ein.

    Ergebnisse In beiden Studiengruppen lag die Compliance bei 90 %. Die durchschnittliche Anzahl der nächtlichen Miktionsepisoden nahm unter Desmopressin signifikant stärker ab als unter Placebo (–1,13 ± 0,92 vs. – 0,68 ± 0,79; p = 0,034). Auch hinsichtlich der Veränderungen des nächtlichen Urinvolumens, des NPI, des I-PSS-Gesamtscore sowie des ICIQ-N war die Add-On-Therapie mit Desmopressin der Placebobehandlung signifikant überlegen. Die mittels I-PSS erfasste Lebensqualität, die Patientenzufriedenheit sowie der Anteil der Patienten mit einer mindestens 50 %igen Verringerung der Nykturie-Episoden war hingegen in beiden Gruppen vergleichbar. Allerdings waren signifikant mehr Männer der Desmopressin-Gruppe bereit, die Behandlung fortzuführen. Unerwünschte Nebenwirkungen traten in beiden Studienarmen mit vergleichbarer Häufigkeit auf. Hierbei handelte es sich überwiegend um leichte Veränderungen. Ein Patient der Desmopressin-Gruppe entwickelte eine reversible Hyponatriämie.

    Fazit

    Den Autoren zufolge profitieren Männer im Alter zwischen 40 und 65 Jahren mit LUTS und persistierender Nykturie unter Alphablocker-Therapie von einer zusätzlichen Medikation mit Desmopressin. Die Studienergebnisse, so ihre Schlussfolgerung, belegen die Sicherheit und Verträglichkeit dieses antidiuretischen Therapieregimes. Sie weisen jedoch darauf hin, dass insbesondere ältere Patienten unter Vasopressin-Analoga ein erhöhtes Risiko für schwere Hyponatriämien haben und empfehlen daher die regelmäßige Bestimmung des Serumnatriums während der Behandlung.

    Dr. med. Judith Lorenz, Künzell

    Kommentar

    In einer prospektiv-randomisierten Studie (RCT) wurde die Wirkung von Desmopressin gegen Placebo getestet, bei Männern mit LUTS, die unter einer medikamentösen Therapie mit einem Alpha-Blocker an einer persistierenden Nykturie litten. Primärer Endpunkt war die Verringerung der Anzahl der Nykturie-Episoden. Die Autoren fanden eine Überlegenheit von Desmopressin gegen Plazebo bezüglich des primären Endpunktes (– 1,13 ± 0,92 vs. – 0,68 ± 0,79, p = 0,034). Auch verringerte sich das nachts produzierte Urinvolumen und die Scores zur subjektiven Symptomatik, u. a. IPSS. Die Autoren schlussfolgern, dass Desmopressin bei Männern im Alter von 40 bis 65 Jahren, die wegen LUTS mit einer Alpha-Blocker-Monotherapie behandelt werden, und deren Nykturie unter der Therapie persistiert, mit Zugabe von Desmopressin effektiv und sicher behandelt werden können [1].


    Wie bereits eine frühere RCT bei Patienten mit BPH [2] und eine case-control-Studie bei Patienten mit LUTS [3] ist auch die o. g. Studie [1] nicht ausgelegt, nur Patienten mit nächtlicher Polyurie einzuschließen. Vielmehr werden aus einem differentialdiagnostisch nicht abgeklärten Patientenkollektiv mit LUTS diejenigen Patienten zusätzlich mit Desmopressin behandelt, deren Nykturie unter Tamsulosin-Medikation persistierte. Mit der Kombination von Tamsulosin und Desmopressin verabreichen die Autoren ihrem Studienkollektiv zwar zwei Medikamente, die jeweils die Häufigkeit der Nykturie verringern können, die jedoch bei unterschiedlicher Indikation wirken. Tamsulosin ist aufgrund der Blockade der Alpha-Rezeptoren indiziert zur symptomatischen Therapie des benignen Prostatasyndroms (BPS) bzw. „LUTS suggestive of BPH“, Tamsulosin adressiert die nächtliche Pollakisurie. Desmopressin hat aufgrund seines antidiuretischen Effekts eine deutliche Wirkung auf die Nykturie und ist indiziert bei nächtlicher Polyurie [4].


    Natürlich ist es möglich, dass sich aus einem Kollektiv mit LUTS durch Beseitigung bzw. Persistenz der Nykturie aufgrund der Gabe von Tamsulosin diejenigen Patienten identifizieren lassen, bei denen die Nykturie durch eine nächtliche Polyurie verursacht wird, auch wenn ein Miktionsprotokoll dies zweifelsfreier zu leisten vermöchte. Andererseits gibt es wahrscheinlich viele Patienten ohne nächtliche Polyurie, deren nächtliche Pollakisurie auf Tamsulosin nicht ausreichend anspricht. Da diese Patienten von Desmopressin nicht profitieren können, ist die Medikation nicht indiziert.


    Der Schlussfolgerung der Studie kann nicht widersprochen werden, eine Interpretation dahingehend, dass bei BPS-bedingten LUTS mit unzureichender Wirkung von Tamsulosin auf die Nykturie die Kombination mit Desmopressin indiziert sei, jedoch nicht statthaft.


    Der Autor

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    Prof. Dr. Dr. med. Rolf Muschter, Urologisches Zentrum Lübeck

    Literatur


    [1] Kim JC, Cho KJ, Lee JG, et al. Efficacy and Safety of Desmopressin Add-On Therapy for Men with Persistant Nocturia on α-Blocker Monotherapy for Lower Urinary Tract Symptoms: A Randomized, Double-Blind, Placebo Controlled Study. J Urol 2017; 197: 459 – 464


    [2] Bae WJ, Bae JH, Kim SW et al. Desmopressin Add-On Therapy for Refractory Nocturia in Men Receiving α-Blockers for Lower Urinary Tract Symptoms. J Urol 2013; 190: 180 – 186


    [3] Wang CJ, Lin YN, Huang SW et al. Low Dose Oral Desmopressin for Nocturnal Polyuria in Patients with Benign Prostatic Hyperplasia: A Double-Blind, Placebo Controlled, Randomized Study. J Urol 2011; 185: 219 – 223


    [4] Cvetkovic RS, Plosker GL: Desmopressin in Adults with Nocturia. Drugs 65 (2005) 99 – 107


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    Prof. Dr. Dr. med. Rolf Muschter, Urologisches Zentrum Lübeck