Aktuelle Urol 2017; 48(05): 384-398
DOI: 10.1055/s-0043-110099
Referiert und kommentiert
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Metastasiertes Nierenzellkarzinom: kein Überlebensvorteil durch Lymphonodektomie

Gershman B. et al.
Lymph Node Dissection is Not Associated with Improved Survival among Patients Undergoing Cytoreductive Nephrectomy for Metastatic Renal Cell Carcinoma: A Propensity Score Based Analysis.

J Urol 2017;
197: 574-579
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Publication Date:
30 August 2017 (online)

 

    Die zytoreduktive Nephrektomie stellt ein etabliertes Verfahren zur operativen Therapie des metastasierten Nierenzellkarzinoms dar. Profitieren diese Patienten von einer zusätzlichen Lymphonodektomie? Dieser Frage sind US-amerikanische Wissenschaftler mit Hilfe einer retrospektiven Untersuchung nachgegangen.


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    Gershman und Kollegen haben die Daten von 305 Patienten, die zwischen 1990 und 2010 aufgrund eines metastasierten Nierenzellkarzinoms mittels zytoreduktiver Nephrektomie behandelt worden waren, ausgewertet. In 188 Fällen (62 %) war eine Lymphonodektomie erfolgt. Die tumorspezifische Mortalität sowie die Gesamtmortalität wurden anhand einer Kohorte von 269 Patienten, darunter 155 (58 %) lymphonodektomierte Patienten, mit Hilfe verschiedener Propensity-Score-Verfahren analysiert. Ferner wurde untersucht, ob Patienten mit erhöhtem Risiko für einen Nodalbefall von einer Lymphknotenentfernung profitieren. Auch der onkologische Nutzen einer ausgedehnten Lymphknotendissektion (Entfernung von mindestens 13 Lymphknoten) wurde analysiert.

    Ergebnisse Bei 74 Patienten (24 %) lag ein metastatischer Lymphknotenbefall vor (pN1). Nach einer medianen Nachbeobachtungszeit von 8,5 Jahren waren 284 Patienten verstorben, davon 274 aufgrund des Nierentumors. Hinsichtlich verschiedener klinischer und pathologischer Charakteristika waren keine signifikanten Unterschiede zwischen den beiden Studienkollektiven – den ausschließlich nephrektomierten bzw. den zusätzlich lymphonodektomierten Patienten – nachweisbar. Im Gesamtkollektiv hatte die Lymphonodektomie keinen Einfluss auf die tumorspezifische oder die Gesamtmortalität. Auch in der Kohorte der Patienten mit erhöhtem Risiko für einen Nodalbefall sowie in der Gruppe der Patienten mit Verdacht auf eine Lymphadenopathie in der präoperativen Bildgebung (cN1) war – unabhängig von der geschätzten Wahrscheinlichkeit für eine Lymphknotenmetastasierung – kein Überlebensvorteil nach Lymphknotendissektion nachweisbar. In der Subgruppe der zwischen 2006 und 2010 mittels „targeted therapy“ behandelten Patienten fand sich ebenfalls kein signifikanter Einfluss der Lymphonodektomie auf das tumorspezifische und das Gesamtüberleben. Auch das Ausmaß der Lymphknotenentfernung war nicht mit einem onkologischen Nutzen assoziiert. Nodal-positive Patienten hatten ein signifikant kürzeres tumorspezifisches Überleben als Patienten ohne bzw. mit unklarem Lymphknotenbefall (pN0/pNx) (8,6 vs. 21,1 Monate; p < 0,001).

    Fazit

    Den Autoren zufolge ist ein Lymphknotenbefall beim metastasierten Nierenzellkarzinom überdurchschnittlich häufig mit einer aggressiven Tumorbiologie assoziiert und geht mit einem hohen Risiko für einen raschen Progress einher. Die zusätzliche Lymphknotenentfernung im Rahmen der zytoreduktiven Nephrektomie, so ihre Schlussfolgerung, führt zu keiner Prognoseverbesserung. Sie weisen jedoch auf die aufgrund des retrospektiven Studiendesigns begrenzte Generalisierbarkeit der Ergebnisse hin.

    Dr. med. Judith Lorenz, Künzell

    Kommentar

    Die Bedeutung der chirurgischen Resektion von auffälligen Lymphknoten beim Nierenzellkarzinom sowohl im nicht-metastasierten als auch im metastasierten Stadium ist aktuell uneinheitlich. Eine randomisierte Studie bei Patienten im nicht-metastasierten Stadium konnte keinen Unterschied im Bezug auf das Überleben im Falle einer Lymphknotenresektion bei klinisch nur geringem Risiko für das Vorliegen von Lymphknotenmetastasen nachweisen [1]. Im Vergleich hierzu zeigten andere retrospektive Daten bei Patienten mit einem klinisch hohen Risiko für das Vorliegen von Lymphknotenmetastasen einen möglichen Vorteil einer Lymphknotenresektion für das Überleben [2 – 4].


    Noch schwieriger ist die Beantwortung der Frage der Lymphknotenresektion, wenn ein metastasiertes Stadium vorliegt, vor allem vor dem Hintergrund der Kontroverse einer zytoreduktiven Nephrektomie im metastasierten Stadium.


    Zytoreduktive Nephrektomie In den aktuellen Leitlinien wird die zytoreduktive Nephrektomie bei Patienten mit synchron metastasierten Nierenzellkarzinom und gutem Performance Status (ECOG 0 – 1) zur Senkung der Tumorlast empfohlen. Studien hierzu zeigten für die Ära der Immuntherapie einen Überlebensvorteil. Auch Daten im Rahmen der Targeted Therapie zeigen einen Benefit für die zytoreduktive Nephrektomie [5]. Darüber hinaus ist ebenfalls die Resektion von Metastasen beim Nierenzellkarzinom mit einem längeren Überleben durch Reduktion der Tumormasse assoziiert und hat sich als eine mögliche Therapieoption erwiesen [6].


    Zytoreduktive Nephrektomie und Lymphknotendissektion Die Datenlage bezüglich einer Lymphknotenresektion im Rahmen einer zytoreduktiven Nephrektomie im metastasierten Stadium bei präoperativ auffälligem Lymphknotenstatus ist noch limitierter und weist ebenfalls widersprüchliche Ergebnisse auf. Der Nutzen in Bezug auf das onkologische Outcome bleibt bisher widersprüchlich [2, 7, 8]. In den S3-Leitlinien heißt es, dass eine Lymphadenektomie bei Patienten mit vergrößerten Lymphknoten zum lokalen Staging und zur lokalen Kontrolle erfolgen kann. Eine klare Empfehlung gibt es bisher nicht. Das Ausmaß der Resektion bleibt kontrovers [9]. Dies ist durchaus von hoher klinischer Relevanz, da selbst heutzutage bei Erstdiagnose des Nierenzellkarzinoms 30 % der Patienten eine Metastasierung aufweisen. Von diesen haben 50 % der Patienten Fern- und Lymphknotenmetastasen [1, 7, 10, 11].


    Das Vorhandensein einer Lymphadenopathie auch bei Patienten im metastasierten Stadium scheint mit einer schlechteren Prognose einherzugehen [7]. Genau hier scheint in Analogie zur zytoreduktiven Nephrektomie eine Möglichkeit zur Verbesserung der onkologischen Überlebenssituation zu bestehen, was als Ergebnis der diskutierten Studie von Gershman et al. jedoch nicht nachgewiesen werden konnte [12]. Allerdings ist hier anzumerken, dass in dieser Studie die Entscheidung einer chirurgischen Resektion auffälliger Lymphknoten sowie deren Ausmaß alleinig dem Operateur unterlag, also nicht standardisiert ablief. Insgesamt erhielten 62 % der Patienten eine Lymphknotenresektion, davon lag nach pathologischer Auswertung nur in 24 % der Fälle eine N1-Situation vor. Von Bedeutung ist, dass zwischen den Gruppen mit und ohne Lymphknotenresektion kein Unterschied in den klinisch-pathologischen Eigenschaften bestand. Im Gesamtkollektiv sowie in Subgruppenanalysen mit Patienten, die ein erhöhtes Risiko für das Vorliegen von Lymphknotenmetastasen bei beispielsweise radiologisch auffälligem Lymphknotenstatus (cN1) enthielten, war eine Resektion der auffälligen Lymphknoten nicht signifikant mit einem längeren tumor-spezifischen oder Gesamtüberleben assoziiert. Auch eine extendierte Lymphknotenresektion (> 13 Lymphknoten) war nicht mit einem verbesserten onkologischen Outcome assoziiert. Es hat sich zudem herausgestellt, dass das Vorliegen von Lymphknotenmetastasen mit einer aggressiveren Tumorbiologie, einem erhöhten Risiko eines schnelleren Tumorprogresses und einem signifikant kürzerem Tumor-spezifischen Überleben assoziiert war.


    Allerdings liegen auch Daten aus einer anderen Studie vor, in der das Outcome bei Patienten mit präoperativ nachweisbarer Lymphadenopathie nach kompletter Resektion der Lymphknotenmetastasen im Rahmen der zytoreduktiven Nephrektomie vergleichbar war zu einer N0M1-Situation [7], womit sich zeigt, dass Ergebnisse retrospektiver Untersuchungen einem Bias unterliegen können. Vor diesem Hintergrund erfolgte in der vorgestellten Studie zur Reduktion eines potentiellen Bias ein sog. Propensity Score Matching, womit die Ergebnisse aus statistischer Sicht im Vergleich zu reinen retrospektiven Untersuchungen als valider eingestuft werden dürften.


    Fazit Die Studiendaten dieser vorgestellten Studie weisen darauf hin, dass eine chirurgische Resektion von auffälligen Lymphknoten im Rahmen einer zytoreduktiven Nephrektomie aus onkologischer Sicht nicht generell empfohlen ist. In der Studie erfolgte jedoch bei 34 % der Patienten eine nachfolgende Metastasektomie zur Erzielung eines klinischen M0 Stadiums, so dass bei der Entscheidung für oder gegen eine Lympknotendissektion im Rahmen der zytoreduktiven Nephrektomie zusätzlich an eine spätere potentielle Resektabilität von Fernmetastasen gedacht werden sollte, um insgesamt ein cM0 Stadium zu erzielen. Ist jedoch aufgrund der Metastasenlast der schnelle Beginn einer Systemtherapie notwendig, sollte das operative Trauma im Rahmen der zytoreduktiven Nephrektomie nicht noch um eine zusätzliche Lymphknotendissektion erhöht werden.

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    Viktoria Stühler, Klinik für Urologie, Universität Tübingen
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    Prof. Dr. med. Jens Bedke, Klinik für Urologie, Universität Tübingen

    Der Autor


    Literatur


    [1] Blom, JHM et al. Radical Nephrectomy with and without Lymph-Node Dissection: Final Results of European Organization for Research and Treatment of Cancer (EORTC) Randomized Phase 3 Trial 30881. European Urology, 2009; 55: 28 – 34


    [2] Pantuck AJ et al. Renal Cell Carcinoma With Retroperitoneal Lymph Nodes: Role of Lymph Node Dissection. The Journal of Urology 2003; 169: 2076 – 2083


    [3] Schafhauser W et al. Lymph node involvement in renal cell carcinoma and survival chance by systematic lymphadenectomy. Anticancer Res 1999 Mar–Apr; 19 ((2C)): 1573 – 1578


    [4] Herrlinger A, Schrott KM, Schott G. What are the benefits of extended dissection of the regional renal lymph nodes in the therapy of renal cell carcinoma. J Urol 1991; 146 (1224)


    [5] Heng DY et al. Cytoreductive nephrectomy in patients with synchronous metastases from renal cell carcinoma: results from the International Metastatic Renal Cell Carcinoma Database Consortium. Eur Urol 2014; 66: 704 – 710


    [6] Alt, AL et al. Survival after complete surgical resection of multiple metastases from renal cell carcinoma. Cancer. 2011; 117: 2873 – 2882


    [7] Vasselli JR et al. Lack of retroperitoneal lymphadenopathy predicts survival of patients with metastatic renal cell carcinoma. The Journal of Urology 2001 166: 68 – 72


    [8] Feuerstein MA et al. Lymph node dissection during cytoreductive nephrectomy: A retrospective analysis. International journal of urology: official journal of the Japanese Urological Association 2014; 21: 874 – 879


    [9] apitanio U et al. Lymph Node Dissection in Renal Cell Carcinoma. European Urology 2011; 60: 1212 – 1220


    [10] Canfield SE et al. Renal Cell Carcinoma With Nodal Metastases in the Absence of Distant Metastatic Disease (Clinical Stage TxN1 – 2M0): The Impact of Aggressive Surgical Resection on Patient Outcome. The Journal of Urology 2006; 175: 864 – 869.


    [11] Minervini A, et al. Regional lymph node dissection in the treatment of renal cell carcinoma: is it useful in patients with no suspected adenopathy before or during surgery? BJU International 2001; 88: 169 – 172


    [12] Gershman B, et al. Lymph Node Dissection is Not Associated with Improved Survival among Patients Undergoing Cytoreductive Nephrectomy for Metastatic Renal Cell Carcinoma: A Propensity Score Based Analysis. J Urol 2017; 197 (3 Pt 1): 574 – 579


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    Viktoria Stühler, Klinik für Urologie, Universität Tübingen
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    Prof. Dr. med. Jens Bedke, Klinik für Urologie, Universität Tübingen