Orthopädie und Unfallchirurgie up2date 2017; 12(04): 345-349
DOI: 10.1055/s-0043-109037
SOP / Arbeitsablauf
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

SOP Primäre Endoprothetik am Kniegelenk

Jörg Lützner
,
Stephan Kirschner
Weitere Informationen

Korrespondenzadresse

Prof. Dr. med. Jörg Lützner
UniversitätsCentrum für Orthopädie und Unfallchirurgie, Universitätsklinikum Carl Gustav Carus, Dresden
Fetscherstr. 74
01307 Dresden

Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
03. August 2017 (online)

 

Einleitung

Die Gonarthrose ist neben der Koxarthrose ein wesentlicher Faktor für Schmerz und Einschränkung der körperlichen Funktion bei älteren Menschen.

Die Behandlung erfolgt nach einem Stufenschema, bestehend aus

  • Basismaßnahmen (Information und Beratung, Gewichtsreduzierung, Anpassung des Lebensstils, Selbstübungen),

  • konservativer Therapie (NSAR, Analgetika, Physiotherapie, Orthesen, Injektionen, alternative Heilmethoden) und

  • operativer Therapie (Umstellungsosteotomie, Kniegelenkersatz) [2].

Der Kniegelenkersatz gehört mit etwa 150 000 Operationen pro Jahr zu den häufigsten Eingriffen in Deutschland. Ziele sind eine Schmerzreduktion, die Wiederherstellung der Funktion des Kniegelenks und damit eine Verbesserung der Lebensqualität.


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Präoperative Diagnostik und Klassifikation

Anamnese

  • prädisponierende Faktoren (Verletzungen, Voroperationen, Beruf, sportliche Aktivitäten)

  • Dauer und Ausmaß der subjektiven Beschwerden

    • Schmerz (bei Belastung, in Ruhe, nachts, Lokalisation, Stärke, Häufigkeit, Schmerzmitteleinnahme)

    • Gehstrecke, Nutzung von Gehhilfen, Treppensteigen

  • bisherige konservative Behandlung (Physiotherapie, Injektionen, Akupunktur etc.)

  • subjektiver Leidensdruck

  • Erwartung an die OP

  • Allergien (v. a. gegen Implantatmaterialien Kobalt, Chrom, Molybdän, Nickel, Knochenzement)


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Klinische Untersuchung

  • Gangbild

  • orientierende Hüftgelenkbeweglichkeit (Rotationsschmerz?)

  • Beinachse (Fehlstellung korrigierbar?)

  • Beweglichkeit (Streckdefizit)

  • Stabilität (mediolateral, a.–p.)

  • Patellastand (v. a. beim Valgus)

  • Haut und Weichteilstatus (Narben, Ulzera, chronische venöse Insuffizienz etc.)


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Bildgebende Untersuchung

  • Röntgen:

    • p.–a. Aufnahme nach Rosenberg, seitlich, Patella Defilee 30°, Ganzbeinstandaufnahme mit Referenzkugel oder Maßstab

    • Arthrosegrad nach Kellgren und Lawrence

    • Planung der Achskorrektur und Knochenschnitte anhand der Ganzbeinaufnahme


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Indikationsstellung und Verfahrenswahl

Indikationsstellung

Mindestvoraussetzungen, die für die Indikation zur Knie-TEP vorliegen müssen, sind [3]:

  • Knieschmerzen über mindestens 3–6 Monate (mehrfach wöchentlich)

  • Nachweis eines Strukturschadens (Arthrose mit eindeutiger Gelenkspaltverschmälerung, Osteonekrose)

  • nicht ausreichendes Ansprechen auf konservative Therapiemaßnahmen über mindestens 3–6 Monate

  • auf die Kniegelenkerkrankung bezogene Einschränkung der Lebensqualität

  • subjektiver Leidensdruck


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Verfahrenswahl

Je nach Lokalisation und Ausmaß der Gonarthrose kann ein Teilgelenkersatz (medial, lateral, patellofemoral) erfolgen. Dafür sollten folgende Voraussetzungen erfüllt sein:

  • auf ein Kompartiment bezogener belastungsabhängiger Schmerz

  • andere Kompartimente ohne relevante Arthrose

  • keine Fehlstellung oder Streckdefizit über 10°

Ansonsten sollte der Knietotalendoprothese (TEP) der Vorzug gegeben werden. Der zusätzliche Retropatellarersatz ist optional. Es gibt in der Literatur keine Hinweise für ein besseres klinisches Ergebnis bei primärem Retropatellarersatz, lediglich eine etwas geringere Revisionsrate wurde in den Endoprothesenregistern beobachtet.

Als Standardversorgung erfolgt bei stabilen Seitenbändern der Oberflächenersatz ([Abb. 1]), das hintere Kreuzband kann erhalten (CR) oder ersetzt werden (ultrakongruentes Inlay – UC, oder posterior-stabilisierende Knie-TEP – PS). In der Literatur gibt es keine relevanten Unterschiede im Outcome bei beiden Versorgungsoptionen.

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Abb. 1 Knie-TEP. Verfahrenswahl. CR: Erhalt des hinteren Kreuzbands; UC: ultrakongruentes Inlay; PS: posterior-stabilisierend.

Bei Insuffizienz des hinteren Kreuzbands muss dieses substituiert werden. Bei Insuffizienz der Seitenbänder ist ein höherer Kopplungsgrad erforderlich, bei milder Instabilität ist eine Varus-Valgus-stabilisierende Knie-TEP ausreichend, bei ausgeprägter Instabilität eine gekoppelte Knie-TEP. Auch bei ausgeprägter und kontrakter Fehlstellung (insbesondere Valgus) oder ausgeprägtem Streckdefizit kann primär eine gekoppelte Knie-TEP erforderlich sein.

Bei Knochendefekten (z. B. nach Tibiakopffrakturen oder Osteonekrosen) ist zur Augmentation der Knochendefekte ein entsprechendes modulares System erforderlich. Der Kopplungsgrad richtet sich dabei nach der Stabilität der Seitenbänder.


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Endoprothesenplanung

Für die Planung der Operation ist es erforderlich, die Beinachse, den femoralen Valguswinkel, den tibialen Slope sowie den Patellahöhenstand und den Patellalauf im tangentialen Bild zu kennen und bei der Implantation einer Endoprothese zu berücksichtigen ([Abb. 2]).

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Abb. 2 Planung einer Knie-TEP. Analyse der Deformität und des femoralen Valguswinkels, Festlegung der Knochenresektionen, Planung der Implantate unter Beachtung des posterioren Offset femoral und des Tibia-Slope.

Die Größe der femoralen Komponente richtet sich nach dem sagittalen Durchmesser der distalen Femurkondylen im seitlichen Bild. Hierbei ist es für eine gute Funktion wichtig, den posterioren Offset nicht zu verringern. Die tibiale Komponente wird nach der mediolateralen Größe der Tibia in der a.–p. Projektion gewählt. Die Gelenklinie soll durch die Knieendoprothese nicht verändert werden.

Bei Patella baja sollte keine Versorgung mit einem UC-Inlay erfolgen, da es durch die hohe anteriore Lippe zum Impingement zwischen Inlay und Patella kommen kann ([Abb. 3]).

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Abb. 3 Patella baja. Impingement zwischen Patella und ultrakongruentem Inlay.

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Aufklärung

Die Implantation einer Knieprothese stellt eine zuverlässige und sichere Behandlung der fortgeschrittenen Arthrose dar. Auch bei optimaler Vorbereitung und sorgfältiger Durchführung der Operation kommt es bei einem geringen Anteil der Patienten zu unerwünschten Behandlungsfolgen [1].

Neben den allgemeinen Operationsrisiken (Nachblutung, Hämatom, Gefäßverletzung, Thrombose und Lungenembolie, Wundheilungsstörung, Folgeoperation) sind insbesondere folgende mögliche spezifische Komplikationen mit dem Patienten zu besprechen:

  • periprothetischer Infekt

  • Knochenbruch

  • Verletzungen des Streckapparats

  • Nervenschäden

  • Bewegungseinschränkungen und Arthrofibrosen

  • Polyethylenabrieb

  • aseptische Prothesenlockerung


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Präoperative Checkliste

Neben den allgemeinen präoperativen Vorbereitungen sind folgende Punkte zu beachten:

  • präoperative Patientenschulung (Krankheitsverlauf, Ablauf-OP und Nachbehandlung)

  • Röntgenaufnahmen (Ganzbeinstandaufnahme, Knie seitlich, Patella-Defilee 30°)

  • Planung der Operation zur zuverlässigen Einschätzung der Knochenresektionen und Implantatgrößen

  • Probleme im Vorfeld erkennen

    • sehr kleine/sehr große Patienten – Standardimplantate ausreichend?

    • extraartikuläre Fehlstellung – ggf. Korrektur

    • ausgeprägte Fehlstellung – höherer Kopplungsgrad erforderlich?

    • Knochendefekte – modulares System erforderlich?

    • Patella baja – schwierige Darstellung

  • Allergie gegen Implantatmaterialien – Verwendung eines hypoallergenen Implantats bzw. Aufklärung und Standardimplantat

  • Narben von Voroperationen beachten

  • Begleiterkrankungen beachten (Herzschrittmacher, Antikoagulation etc.)

  • ggf. internistische Vorstellung

  • blutsparende Maßnahmen prüfen

  • antiseptische Waschung (nach Klinikstandard)


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Perioperative Maßnahmen

  • Intubationsnarkose, Spinal- oder Regionalanästhesie

  • Rückenlagerung mit Seitenstütze und Keil (OP überwiegend in Kniebeugung)

  • Blutsperre am Oberschenkel (250 – 300 mmHg so kurz wie möglich)

  • Desinfektion mit Chlorhexidin (längere Wirkung)

  • steriles Abdecken, sodass Unterschenkelachse für extramedulläre Tibiaausrichtung eingeschätzt werden kann

  • Tranexamsäure i. v. oder intraartikulär (hohe Evidenz zur Verringerung Blutverlust, aber Off-Label-Use)

  • Grundinstrumentarium

  • Instrumentarium des Kniesystems

  • vollständiger Implantatesatz inkl. UC oder PS bei evtl. Insuffizienz/Verletzung des hinteren Kreuzbands vorrätig

  • Vakuumzementmischung

  • Jet-Lavage

  • Bildwandler

  • evtl. Drainagen

  • periartikuläre Infiltration von Lokalanästhetikum (ggf. Mix) bzw. intraartikulärer Katheter zur postoperativen Applikation von Lokalanästhetikum


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Postoperative Maßnahmen und Nachsorge

  • Bildwandlerdokumentation der Implantatlage

  • Lagerung unmittelbar postoperativ in leichter Beugung zur Verringerung des Blutverlusts

  • Drainagen 2 Stunden postoperativ geschlossen, dann auf Sog

  • standardisierte Schmerztherapie

  • medikamentöse Thromboseprophylaxe

  • motorisierte Bewegungsschiene täglich

  • Mobilisation so früh wie möglich unter Vollbelastung

  • insbesondere bei präoperativem Streckdefizit auf freie Streckung achten

  • Verbandswechsel und Entfernung evtl. Drainagen am 2. postoperativen Tag

  • Sozialdienst: ambulante/stationäre Reha anmelden und weiteren Versorgungsbedarf planen

  • Röntgenkontrolle vor Entlassung

  • Entlassung bei reizlosen Wundverhältnissen, Beugefähigkeit 90° und ausreichender Mobilisation

  • Kontrolluntersuchung nach 3 und 12 Monaten

  • Röntgenkontrolle nach zwölf Monaten

  • Bis zur Erreichung des Endergebnisses muss mit 9 bis 12 Monaten gerechnet werden.


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Erstveröffentlichung

Dieser Beitrag ist Teil des in Vorbereitung befindlichen Werkes von Günther KP, Hoffmann R. „SOPs Orthopädie Unfallchirurgie“.


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Über die Autoren

Prof. Dr. med. Jörg Lützner

UniversitätsCentrum für Orthopädie und Unfallchirurgie, Universitätsklinikum Carl Gustav Carus, Dresden

PD Dr. med. Stephan Kirschner, MBA

Orthopädische Klinik, St. Vincentius-Kliniken Karlsruhe

Interessenkonflikt

Die Autoren haben Forschungsunterstützung erhalten durch Arthrosehilfe, Aesculap, Mathys, Smith Nephew und Zimmer sowie Vortragshonorare von Aesculap, Link und Mathys.

  • Literatur

  • 1 Kirschner S, Lützner J. Primäre Knieendoprothetik. Orthopädie und Unfallchirurgie up2date 2008; 3: 177
  • 2 Lohmander LS, Roos EM. Clinical update: treating osteoarthritis. Lancet 2007; 370 (9605): 2082
  • 3 Lützner J, Schmitt J, Lange T. et al. Evidenz- und konsensbasierte Indikationskriterien zur Knietotalendoprothese: Wann ist der Ersatz angebracht?. Dtsch Arztebl 2016; 113: A1983-A1985

Korrespondenzadresse

Prof. Dr. med. Jörg Lützner
UniversitätsCentrum für Orthopädie und Unfallchirurgie, Universitätsklinikum Carl Gustav Carus, Dresden
Fetscherstr. 74
01307 Dresden

  • Literatur

  • 1 Kirschner S, Lützner J. Primäre Knieendoprothetik. Orthopädie und Unfallchirurgie up2date 2008; 3: 177
  • 2 Lohmander LS, Roos EM. Clinical update: treating osteoarthritis. Lancet 2007; 370 (9605): 2082
  • 3 Lützner J, Schmitt J, Lange T. et al. Evidenz- und konsensbasierte Indikationskriterien zur Knietotalendoprothese: Wann ist der Ersatz angebracht?. Dtsch Arztebl 2016; 113: A1983-A1985

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Abb. 1 Knie-TEP. Verfahrenswahl. CR: Erhalt des hinteren Kreuzbands; UC: ultrakongruentes Inlay; PS: posterior-stabilisierend.
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Abb. 2 Planung einer Knie-TEP. Analyse der Deformität und des femoralen Valguswinkels, Festlegung der Knochenresektionen, Planung der Implantate unter Beachtung des posterioren Offset femoral und des Tibia-Slope.
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Abb. 3 Patella baja. Impingement zwischen Patella und ultrakongruentem Inlay.