Frühgeburten sind ein großes Problem in der modernen Geburtshilfe, da sie zu einer
hohen perinatalen Morbidität und Mortalität führen. Im Jahr 2015 lag die Frühgeburtenrate
in Deutschland bei 8,55 Prozent [1]. Bei kurzer Zervix und/oder vorzeitiger Wehentätigkeit wird den Schwangeren als
flankierende Maßnahme häufig Bettruhe verordnet. Diese Praxis basiert auf der Beobachtung,
dass starke physische Anstrengung zu vorzeitiger Wehentätigkeit führen können. Körperliche
Schonung und Bettruhe sind deshalb die am häufigsten getroffenen Anordnungen in der
Geburtshilfe. Fast alle Frauenärzte haben sie ihren Patientinnen bereits empfohlen
[2]. Ungefähr 18% der Schwangeren erhalten im Verlauf ihrer Gravidität den Hinweis,
sich körperlich zu schonen [3]. Während sich Bettruhe für eine Vielzahl von Indikationen, wie vaginale Blutungen,
vorzeitiger Blasensprung, fetale Wachstumsrestriktion und schwangerschaftsbedingte
Hypertonie anbieten kann, soll im Folgenden nur der Stellenwert von Bettruhe bei drohender
Frühgeburt kritisch betrachtet werden.
Ende der 2000er-Jahre gab es 2 Befragungen von Geburtshelfern in Nordamerika zum Thema
Bettruhe bei verkürzter Zervixlänge. In Kanada verordneten Geburtshelfer, Allgemeinärzte
und Hebammen in jeweils 72,3, 77,2 und 67,1% der Fälle von drohender Frühgeburt körperliche
Schonung [4]. Bei einer entsprechenden Umfrage unter den Mitgliedern der SMFM (Society of Maternal-Fetal
Medicine, USA) gaben mehr als 80% der Geburtshelfer und Perinatalmediziner an, Bettruhe
als therapeutische Maßnahme einzusetzen [5]. Viele Hebammen und Frauenärzte glauben weiterhin, dass körperliche Inaktivität
ohne negative Folgen für ihre Patientinnen bleibt und dass im Umkehrschluss körperliche
Aktivität zu uteriner Kontraktilität, Verkürzung der Zervix und Erweiterung des inneren
Muttermunds führt.
Leider gibt es bisher keine standardisierte Definition von Bettruhe. Diese ist je
nach Quelle definiert als Bettruhe 3-mal täglich für 1 Stunde [6], Bettruhe für 22 – 23 Stunden am Tag [5] und kontinuierliche Bettruhe für 24 Stunden mit Ausnahme von Toilettengängen [7]. Diese Inkonsistenzen erschweren den Vergleich mehrerer Studien miteinander. Sciscione
schlug als Lösung die Einteilung in leichte, moderate und strikte körperliche Schonung
vor ([Tab. 1]), um für zukünftige Untersuchungen eine reproduzierbare Einteilung der körperlichen
Schonung zu schaffen [2].
Tab. 1 Einschränkung der körperlichen Aktivität nach [2].
Definition
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Art der Aktivitätsrestriktion
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leicht
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1 h oder weniger kontinuierliche Ruhe im Bett oder in sitzender Position während des
Tages. Kein Heben von Gewicht von mehr als 4,5 kg.
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moderat
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Mehr als 1 h, aber weniger als 8 h kontinuierliche Ruhe während des Tages, keine Haushaltsaufgaben
und kein Heben von Gewichten. Besuche beim Arzt sind erlaubt.
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streng
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Aufenthalt im Haus außer zu Arztbesuchen. Kontinuierliche Ruhe im Sitzen oder im Liegen
während des Tages. Keine Haushaltsaufgaben und kein Heben von Gewichten.
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Bettruhe bei Einlingsschwangerschaft mit drohender Frühgeburt
Eine Cochrane-Übersicht aus dem Jahr 2015 fand nur 2 Publikationen, welche die Einschlusskriterien
einer guten wissenschaftlichen Untersuchung erfüllten [6], [7], [8]. Für die Metaanalyse kamen nur die Ergebnisse von Hobel et al. in Betracht, da die
andere Studie von Elliott et al. auch eine kleine Anzahl von Mehrlingen mit einbezog
[8]. Hobel et al. führten eine randomisierte Studie an 8 Krankenhäusern in der Region
von Los Angeles durch. Studienteilnehmerinnen waren Hochrisikoschwangere, die nach
einem Risiko-Score evaluiert wurden. Die Interventionsgruppe umfasste 1774, die Kontrollgruppe
880 Schwangere. 432 Schwangeren wurde Bettruhe zu Hause verordnet, 834 Schwangere
erhielten entweder ein Placebo (n = 412) oder keine Intervention (n = 422). Die Frühgeburtenrate
unterhalb von 37 Schwangerschaftswochen war in beiden Gruppen ähnlich (7,9% in der
Interventions-, 8,5% in der Kontrollgruppe, relatives Risiko 0,92, 95%-KI 0,62 – 1,37)
und damit statistisch nicht signifikant verschieden [8].
Bettruhe bei Mehrlingsschwangerschaft mit drohender Frühgeburt
Crowther und Han führten eine Metaanalyse von 7 randomisierten Studien an Schwangeren
mit Mehrlingen durch [9]. Die Probandinnen erhielten entweder Bettruhe im Krankenhaus oder wurden erst bei
Eintritt von Komplikationen dorthin überwiesen. Routinemäßige Bettruhe senkte weder
das Risiko einer Frühgeburt noch die perinatale Mortalität. Während in beiden Studienarmen
das Risiko von sehr niedrigem kindlichen Geburtsgewicht (< 1500 g) gleich war, gab
es in der Gruppe der hospitalisierten Schwangeren einen Trend zu einer niedrigeren
Anzahl von Neugeborenen mit einem Gewicht von < 2500 g (relatives Risiko 0,92, 95%-KI
0,85 – 1,00). Alle anderen maternalen und neonatalen Outcome-Parameter waren gleich
[9].
Negative Auswirkungen von prolongierter Bettruhe
Obwohl evidenzbasierte Daten Fehlanzeige sind, gibt es eine Reihe von negativen körperlichen
und psychologischen Auswirkungen, die eine prolongierte Bettruhe während der Schwangerschaft
nach sich ziehen kann. Neben dem Verlust an Knochen- und Muskelmasse und einer erhöhten
Rate an Thromboembolien sind weitere Risiken in der Infobox beschrieben [10], [11], [12], [13], [14].
Körperliche und psychologische Auswirkung von Bettruhe in der Schwangerschaft nach
[14]
Es gibt keine Daten, die für eine Bettruhe zu Hause/im Krankenhaus sprechen. Auch
wenn Bettruhe sehr oft verordnet wird, fehlt jede Evidenz, dass diese Maßnahme von
Nutzen ist. Die betreuenden Frauenärzte sollten vor dem Hintergrund der potenziellen
Nachteile einer Bettruhe für die schwangere Mutter und der Kosten für das Gesundheitssystem
das Für und Wider einer Bettruhe mit der Schwangeren erörtern. Gut konzipierte Studien
sind notwendig, um den Stellenwert einer Bettruhe zur Vermeidung einer Frühgeburt
prospektiv zu untersuchen. Erst wenn die Vorteile einer Bettruhe belegt sind, sollte
diese routinemäßig empfohlen werden. Denn auch hier gilt der Grundsatz: Primum non
nocere.