Der Fall
Der Kläger (ein Kfz-Meister) litt im Sommer 2009 unter Beschwerden im rechten Ellenbogen.
Im November 2009 wurde er wegen eines sogenannten „Tennisarms“ krankgeschrieben. Die
Hausärztin des Patienten überwies ihn an das beklagte Krankenhaus. Da konservative
Maßnahmen keinen Erfolg hatten, wurde im März 2010 die Indikation zu einem operativen
Eingriff gestellt. Die empfohlene Operation wurde sodann am 09. März 2010 durchgeführt.
Der Kläger wurde offenbar im Anschluss an die Operation in einem Zimmer neben einem
Patienten untergebracht, der unter einer offenen, eiternden und mit einem Keim infizierten
Wunde im Knie litt. Dieser Patient zeigte sein „offenes Knie“ dem Kläger und allen
anderen Anwesenden bei den verschiedenen Verbandswechseln und klagte darüber, dass
man den Keim nicht „in den Griff“ bekomme. Am 11. März 2015 wurde der Kläger bei reizlosen
Wundverhältnissen entlassen. Aufgrund anhaltender Schmerzen im rechten Ellenbogen
stellte sich der Kläger Mitte April jedoch wieder bei der Beklagten vor. Es wurde
eine deutliche Schwellung über der Ecksensorenplatte festgestellt und eine Revisionsoperation
empfohlen. Aufgrund starker Schmerzen und sichtbarer Eiterbildung wurde die Operation
bereits nach einer Woche durchgeführt. Die alte Wunde wurde eröffnet, der Eiter entleert
und ein Abstrich genommen. Die Wunde wurde ausgiebig gesäubert und ein Debridement
durchgeführt. Wegen der Wundinfektion wurde eine antibiotische Therapie eingeleitet.
Der Abstrich ergab eine Infizierung der Wunde mit dem Staphylococcus aureus. Eine
Nachkontrolle Anfang Mai ergab keine Auffälligkeiten. Die Beschwerdesymptomatik bestand
allerdings weiterhin, weshalb sich der Kläger Ende Juni erneut bei der Beklagten vorstellte
und eine weitere Operation durchgeführt wurde. Ein Keimwachstum wurde nicht mehr festgestellt.
Die Beschwerden des Klägers besserten sich jedoch auch nach der dritten Operation
nicht. Er litt unter einer Bewegungseinschränkung des rechten Ellenbogens und unter
einem Schnappen im lateralen Bereich des Ellenbogens bei körperlicher Belastung. In
einer anderen Klinik wurde eine radiale kollaterale Bandinstabilität festgestellt,
die durch eine Seitenbandplastik durch Entnahme des Bindegewebestreifens aus dem Oberschenkel
durchgeführt wurde. Der Kläger leidet heute noch unter einem Ruhe- und Belastungsschmerz.
Er verklagte das Krankenhaus wegen fehlerhafter ärztlicher Behandlung und unzureichender
Aufklärung auf Schadensersatz und Schmerzensgeld. Seine Klage wurde in erster Instanz
abgewiesen. Auch das Berufungsgericht wies die Berufung zurück und ließ die Revision
nicht zu. Der Patient erhob Nichtzulassungsbeschwerde zum BGH. Der BGH hob auf die
Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers hin das Urteil des Oberlandesgerichts auf und
verwies zur neuen Verhandlung und Entscheidung zurück an das Berufungsgericht.
BGH hebt abweisendes Urteil auf
BGH hebt abweisendes Urteil auf
Nach Auffassung des BGH hat das Berufungsgericht den Prozessstoff nicht vollständig
gewürdigt und wesentliche, für den Kläger günstige, Ausführungen des gerichtlichen
Sachverständigen unberücksichtigt gelassen.
Der Patient hatte nämlich auf die gemeinsame Unterbringung mit einem anderen Patienten
mit einer offenen, infizierten Wunde hingewiesen. Grundsätzlich sei dies nach den
Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen bei einem Patienten, der einen unauffälligen
postoperativen Heilverlauf aufweist, nicht zu beanstanden, sofern bestimmte Empfehlungen
der Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention des Robert Koch-Institutes
eingehalten werden:
-
„Prävention postoperativer Infektionen im Operationsgebiet“,
-
„Zur Beherrschbarkeit von Infektionsrisiken primum non nocere“,
-
„Anforderungen der Hygiene bei Operationen und anderen invasiven Eingriffen“
-
„Anforderungen der Hygiene beim ambulanten Operieren im Krankenhaus und Praxis“.
Im konkreten Fall hatte das Oberlandesgericht aufgrund des Sachverständigengutachtens
geurteilt, dem Krankenhaus sei ein Verstoß gegen Hygienestandards nicht vorzuwerfen.
Dem konnte der BGH nicht folgen. Vielmehr habe der Sachverständige angegeben, es entziehe
sich seiner Kenntnis, inwieweit die vom Robert Koch-Institut veröffentlichten Empfehlungen
im Rahmen der damaligen ersten stationären Behandlung des Klägers beachtet worden
seien. Hierzu müsse ggf. eine entsprechende Recherche betrieben werden, z. B. dazu,
ob die Vorschriften zu hygienischen Händedesinfektion und zum Verbandswechsel unter
keimarmen Bedingungen eingehalten worden seien. Dies könne er aus den ihm vorgelegten
Unterlagen nicht ableiten.
Hierbei handelt es sich also um für den Kläger günstige Ausführungen des Sachverständigen,
die das Berufungsgericht nach Auffassung des BGH nicht richtig berücksichtigt habe.
Da nach Auffassung des BGH nicht ausgeschlossen werden könne, dass das Berufungsgericht
bei der gebotenen Berücksichtigung der Angaben des Sachverständigen zu einer anderen
Beurteilung gelangte wäre, war das Urteil aufzuheben und zur weiteren Aufklärung des
Sachverhalts zurückzuverweisen.
Krankenhaus muss Einhaltung der Hygienebestimmungen darlegen
Krankenhaus muss Einhaltung der Hygienebestimmungen darlegen
Nach der zivilgerichtlichen Rechtsprechung gilt der Grundsatz, dass keine Prozesspartei
verpflichtet ist, dem Gegner die für den Prozesssieg benötigten Informationen zu verschaffen.
Daran hält der BGH auch in dieser Entscheidung fest. Zwar müsse grundsätzlich der
Anspruchsteller alle Tatsachen behaupten, aus denen sich sein Anspruch herleitet.
Dieser Grundsatz bedürfe aber einer Einschränkung, wenn die primär darlegungsbelastete
Partei (hier: der Patient) außerhalb des von ihr vorgetragenen Geschehensablaufs stehe
und ihr eine nähere Substantiierung nicht möglich oder nicht zumutbar sei, während
der Prozessgegner (hier: das Krankenhaus) alle wesentlichen Tatsachen kenne oder unschwer
in Erfahrung bringen könne und es ihm zumutbar sei, nähere Angaben zu machen.
In diesem Fall muss das Krankenhaus sozusagen dem beweispflichtigen Patienten eine
prozessordnungsgemäße Darlegung durch nähere Angaben erst einmal ermöglichen, die
Beweislast verbleibt aber dennoch beim Kläger. Nach Auffassung des BGH trifft das
Krankenhaus insoweit die sogenannte sekundäre Darlegungslast hinsichtlich der Maßnahmen,
die sie ergriffen hat, um sicherzustellen, dass die vom Sachverständigen als Voraussetzung
für ein behandlungsfehlerfreies Vorgehen aufgeführten Hygienebestimmungen eingehalten
wurden. Der Kläger habe konkrete Anhaltspunkte für einen Hygieneverstoß vorgetragen,
was eine erweiterte Darlegungslast der Beklagten auslöse, so der BGH. Vom Patienten
könne regelmäßig keine genaue Kenntnis der medizinischen Vorgänge erwartet und gefordert
werden. Zu der Frage, ob die Beklagte den vom Sachverständigen genannten Empfehlungen
nachgekommen sei, könne und müsse der Kläger nicht näher vortragen. Er stünde insoweit
außerhalb des maßgeblichen Geschehensablaufs. Welche Maßnahmen das Krankenhaus getroffen
habe, um eine sachgerechte Organisation der Koordinierung der Behandlungsabläufe und
der Einhaltung der Hygienebestimmungen sicherzustellen (interne Qualitätssicherungsmaßnahmen,
Hygieneplan, Arbeitsanweisungen), entziehe sich seiner Kenntnis.
Keine Beweislastumkehr wegen vollbeherrschbarem Risiko
Keine Beweislastumkehr wegen vollbeherrschbarem Risiko
Neben den Grundsätzen der sekundären Darlegungslast bei Hygienemängeln setzt sich
der BGH noch einmal sehr lehrbuchartig mit den Grundsätzen über das vollbeherrschbare
Risiko auseinander. Danach müsse die Behandlungsseite, wenn sich ein Risiko verwirkliche,
das von der Behandlungsseite voll hätte beherrscht werden können und müssen, darlegen
und beweisen, dass sie alle erforderlichen organisatorischen und technischen Vorkehrungen
ergriffen habe, um das Risiko zu vermeiden.
Vollbeherrschbare Risiken sind dadurch gekennzeichnet, dass sie durch den Klinik-
oder Praxisbetrieb gesetzt werden und durch dessen ordnungsgemäße Gestaltung ausgeschlossen
werden können und müssen, so der BGH.
Demgegenüber stehen Gefahren, die aus den Unwägbarkeiten des menschlichen Organismus
bzw. den Besonderheiten des Eingriffs in diesen Organismus erwachsen und der Patientensphäre
zuzurechnen sind. Denn die Vorgänge im lebenden Organismus können auch vom besten
Arzt nicht immer so beherrscht werden, dass schon der ausbleibende Erfolg oder auch
ein Fehlschlag auf eine fehlerhafte Behandlung hindeuten würden.
Vollbeherrschbarer Bereich
Vollbeherrschbarer Bereich
Diesem Bereich seien beispielsweise
-
die Reinheit des benutzten Desinfektionsmittel,
-
die Sterilität der verabreichten Infusionsflüssigkeit sowie
-
die vermeidbare Keimübertragung
durch andere beteiligten Personen hinzuzurechnen. All diesen Fällen sei gemeinsam,
dass objektiv eine Gefahr bestünde, deren Quelle jeweils festgestellt, und die deshalb
mit Sicherheit ausgeschlossen werden könne.
Keine Umkehr der Beweislast bei ungeklärter Infektionsquelle
Keine Umkehr der Beweislast bei ungeklärter Infektionsquelle
Bei ungeklärter Infektionsquelle, käme eine Umkehr der Darlegungs- und Beweislast
nach den Grundsätzen über das vollbeherrschbare Risiko dagegen nicht in Betracht.
Sie träte vielmehr nur dann ein, wenn feststünde, dass der Gesundheitsschaden aus
der von der Behandlungsseite vollbeherrschbaren Sphäre hervorgeht. Dies sei im konkreten
Fall nicht gegeben. Es stehe nicht fest, wo und wann sich der Kläger infiziert hatte.
Der bei ihm nachgewiesene Erreger sei ein physiologischer Hautkeim, der bei jedem
Menschen vorzufinden sei. Es sei möglich, dass der Kläger selbst Träger des Keims
gewesen war und dieser in die Wunde gewandert sei oder der Keim durch einen Besucher
übertragen worden sei.
Fazit
Durch den Beschluss versucht der BGH letztlich den Interessen beider Parteien gerecht
zu werden. Einerseits gesteht er den Kliniken zu, dass nicht jedes Hygienethema unter
das Stichwort „vollbeherrschbares Risiko“ zu fassen ist. Andererseits legt er den
Kliniken eine sogenannte „sekundäre Darlegungslast“ bezüglich der Einhaltung bestimmter
Hygieneempfehlungen auf, da sich dieses Wissen dem Patienten entzieht.
Wieder einmal mehr wird deutlich, dass auch im Bereich der Hygiene Dokumentation sowie
die penible Überwachung interner Qualitätssicherungsmaßnahmen, regelmäßige Anpassung
von Arbeitsanweisungen etc. nicht an Bedeutung verloren haben.