Schlüsselwörter Hypogonadismus - Testosteronmangel - männliche Infertilität - erektile Dysfunktion
Keywords hypogonadism - testosterone deficiency - male infertility - erectile dysfunction
Ein 34-jähriger Patient stellt sich bei positiver Psoriasis-Familienanamnese mit einer
bisher erfolglos mit Vitamin-D-Analoga und UV-B behandelten Psoriasis vulgaris vor.
Er ist 1,75 m groß und wiegt 97 kg. Bei der körperlichen Untersuchung zeigt sich eine
deutliche Adipositas. Es handelt sich um eine chronisch-stationäre Psoriasis mit dicken,
disseminierten Plaques (PASI 15). Mehrere Fingernägel sind betroffen (Tüpfel und Ölflecke).
Das Mittelgelenk des 3. Fingers ist rot, geschwollen und schmerzhaft. Nach den CASPAR-Kriterien
(5 Punkte) liegt eine Psoriasis-Arthritis vor.
Andrologische Störungen
Der typische Patient aus dem Fallbeispiel ist vordergründig ein rein dermatologischer
Patient. Allerdings können potenziell verschiedene andrologische Störungen vorliegen.
Man wird sie aber nur erkennen, wenn man sich dieser Probleme bewusst ist.
Andrologie beschäftigt sich prinzipiell mit den Bereichen:
Infertilität, d. h. dem Ausbleiben einer Schwangerschaft bei der Partnerin trotz regelmäßigem
ungeschützten Geschlechtsverkehr über einen Zeitraum von 1 Jahr sowie Maßnahmen, die
Fertilität zu erhalten, wie Kryokonservierung von Spermien
Hypogonadismus, d. h. die verminderte oder fehlende hormonelle Aktivität des Hodens
und ihre klinischen Folgen
erektile Dysfunktion, d. h. die Unfähigkeit, über einen längeren Zeitraum hinweg in
der Mehrzahl der Versuche eine für ein befriedigendes Sexualleben ausreichende Erektion
zu erzielen oder beizubehalten; dazu gehören auch andere Sexualstörungen wie Libidoverlust
oder Ejakulationsstörungen wie Ejaculatio praecox
alternder Mann, d. h. Symptome eines zunehmenden Androgenmangels, z. B. Abnahme der
Libido, der Vitalität, der Muskelmasse und der Knochendichte, sowie Anämie, depressive
Entwicklung und erektile Dysfunktion
männliche Kontrazeption, d. h. Beratung zur Vasektomie oder zu medikamentösen Maßnahmen
Der geschilderte Patient könnte klinisch relevante Probleme v. a. in den ersten 3
Bereichen aufweisen. Diese lassen sich klinisch über Anamnese und Untersuchung erfassen.
Andrologie beschäftigt sich nicht nur mit Infertilität, sondern auch mit den Problemen
des Hypogonadismus, der erektilen Dysfunktion und der männlichen Kontrazeption.
Verdacht auf Hypogonadismus
Verdacht auf Hypogonadismus
Anamnese
Um andrologische Störungen zu erfassen, ist eine entsprechende Anamnese erforderlich.
Diese bezieht sich auf einen möglichen Testosteronmangel (Infobox 1). Die aufgeführten
Symptome sind dabei nicht spezifisch, sondern können auch andere Ursachen haben. Als
beste Indikatoren für einen Androgenmangel erwiesen sich Fragen nach sexuellen Symptomen:
Bei Testosteronspiegeln unter 11 nmol/l fanden sich signifikant seltener morgendliche
Erektionen, unter 8,5 nmol/l setzte eine erektile Dysfunktion ein und unter 8 nmol/l
nahmen sexuelle Gedanken ab [1 ]. Finden sich Hinweise auf einen möglichen Androgenmangel, sollte dieser Verdacht
durch eine Bestimmung der Testosteron-Konzentration geklärt werden ([Abb. 1 ]).
Abb. 1 Diagnostischer Algorithmus bei V. a. Hypogonadismus (nach [6 ]). T = Testosteron; LH = luteinisierendes Hormon; SHBG = sexualhormonbindendes Globulin;
FSH = follikelstimulierendes Hormon; Dx = Diagnostik; MRT = Kernspintomografie; IHH = idiopathischer
hypogonadotroper Hypogonadismus (Quelle: Zitzmann M. Störungen des endokrinen Systems/Hypogonadismus.
In: Krause W, Weidner W, Sperling H, Diemer T, Hrsg. Andrologie. Krankheiten der männlichen
Geschlechtsorgane. 4. Aufl. Stuttgart: Thieme; 2011).
Fragen nach sexuellen Symptomen (morgendliche Erektion, sexuelle Gedanken und Erektionsstörungen)
lassen einen Hypogonadismus am ehesten erkennen.
Hinweise für einen männlichen Hypogonadismus
Klinisches und biochemisches Syndrom [1 ]
[3 ]
Anamnese
reduzierte Libido
Abnahme spontaner Erektionen (nächtlich, morgendlich)
erektile Dysfunktion
verzögerte Ejakulation
Hitzewallungen
selten Galaktorrhö
Knochenbrüche nach geringfügigem Trauma
Körpergrößenverlust
reduzierte Körperbehaarung (Rasurfrequenz)
reduzierte Muskelmasse
reduzierter Antrieb (Energie, Motivation)
Erschöpfung
depressive Gedanken
Klinische Untersuchung
Technische Untersuchung (Dexa-Scan)
Falls man sich scheut, diese Fragen direkt zu stellen, kann auch ein Fragebogen zur
Lebensqualität verwendet werden, wie der DLQI (http://sites.cardiff.ac.uk/dermatology/quality-of-life/dermatology-quality-of-life-index-dlqi/ ). Bspw. bietet die Frage 9 des DLQI einen guten Einstieg in diese Thematik: „Wie
sehr hat Ihre Hauterkrankung in den vergangenen 7 Tagen Ihr Liebesleben beeinträchtigt?“
(überhaupt nicht = 0 Punkte, ein bisschen = 1 Punkt, ziemlich = 2 Punkte, sehr = 3
Punkte).
Wenn man die Sexualanamnese genauer erfassen will, kann dann gezielter nachgefragt
werden. Sexualität umfasst die Dimensionen:
Lust (Lustgewinn durch sexuelles Erleben)
Fortpflanzung (Reproduktion)
Beziehung (Bedeutung der Sexualität für die Befriedigung grundlegender biopsychosozialer
Bedürfnisse nach Akzeptanz, Nähe, Sicherheit und Geborgenheit durch sexuelle Kommunikation
in Beziehungen) [2 ]
Die in Infobox 2 aufgeführten Screening-Fragen erlauben es, diese Dimensionen bzw.
ihre möglichen Störungen zu erfassen. Ärzte scheuen sich vor diesen Fragen, obwohl
gerade Patienten mit Psoriasis in hohem Maße von Sexualstörungen betroffen sind. Nur
9 % der Patienten waren mit der diesbezüglichen Betreuung durch ihre Ärzte zufrieden
[2 ].
Patienten sind unzufrieden mit der Betreuung bez. ihrer Sexualstörungen. Screening-Fragen
erlauben einen einfachen Zugang.
Screening-Fragen zu Sexualstörungen bzw. Partnerschaftsproblemen
Sexualstörungen:
„Haben Sie Veränderungen Ihrer Sexualität bemerkt, z. B. was Ihr sexuelles Verlangen
oder die Erregungs- und Orgasmusfähigkeit betrifft?“
„Leiden Sie darunter?“
„Möchten Sie daran etwas ändern?“
Falls bei 1. positive Antworten: formale Ausprägung
Partnerschaft:
„Leben Sie in einer festen Beziehung?“
„Wie fühlen Sie sich aufgehoben? Lieben Sie sich?“
„Hat Ihr/e Partner/in gesundheitliche oder sexuelle Probleme?“
„Was bedeutet Ihnen Intimität mit Ihrem Partner/Ihrer Partnerin?“
„Haben Sie Kinder oder besteht Kinderwunsch?“
Der Patient zeigt eine Adipositas, weibliche Fettverteilung, beidseits vergrößerte
Brüste, eine verminderte Körperbehaarung. Die Anamnese ergibt eine verminderte Libido,
Abnahme der morgendlichen Erektionen und etwa bei jedem 2. Versuch eine erektile Dysfunktion,
die auch schon zu Störungen in der Partnerschaft führte.
Körperliche Untersuchung
Wenn bereits vor der Pubertät Störungen bei der Testosteron-Produktion einsetzen,
bleibt die Pubertät aus. Die Wachstumsfugen werden nicht geschlossen und es resultiert
ein Hochwuchs. Je nach Ausprägung des Mangels bleiben das Wachstum des Kehlkopfs und
damit der Stimmbruch aus, die Stimme bleibt hoch. Es findet sich eine horizontale
Begrenzung der Schambehaarung und fehlender Bartwuchs.
Durch das Missverhältnis zwischen Östrogenen und Testosteron kann eine Gynäkomastie
entstehen.
Bei adipösen oder älteren Männern entsteht eine Brustvergrößerung meist durch Vermehrung
von Fettgewebe (Lipomastie). Eine echte Brustvergrößerung kann am besten in Rückenlage
mit nach oben gelagerten Armen festgestellt werden. Der Drüsenkörper tastet sich in
der Areolarregion als feste/gummiartige Masse, Neoplasien meist als harte Masse außerhalb
davon. Details zum diagnostischen und therapeutischen Vorgehen bei Gynäkomastie sind
kürzlich ausführlich beschrieben worden [3 ].
Bei V. a. präpubertär entstandenen Hypogonadismus muss der Hoden palpiert werden:
Bei Klinefelter-Syndrom (XXY; 1 – 2/1000 männliche Neugeborene) oder idiopathischem
hypogonadotropen Hypogonadismus sind die Hoden klein (< 5 ml). Da die Patienten die
Wirkung von Testosteron nie erlebt haben, klagen sie nicht über die in der Infobox
1 beschriebenen Beschwerden.
Testosteronmangel nach der Pubertät zeigt sich bei der Untersuchung ggf. durch:
Auch bei dem geschilderten Patienten müssen die Hoden untersucht werden: Hodenkrebs
ist bei Männern zwischen 15 und 44 der häufigste Tumor (Inzidenz Westeuropa ca. 7,8 %,
Tendenz steigend) [4 ]. Hodentumoren tasten sich als steinharte Strukturen im sonst prallelastischen Hoden.
Bei Kinderwunsch schließt sich zudem die Inspektion und Palpation einer evtl. vorliegenden
Varikozele, der Nebenhoden und der Samenleiter an.
Hodentumoren haben bei Männern zwischen 15 und 44 die höchste Inzidenz und lassen
sich sehr oft mittels Palpation der Hoden erkennen.
Laboruntersuchungen
Bei V. a. Hypogonadismus sollten folgende Hormone untersucht werden ([Abb. 1 ]):
Aufgrund der Tagesrhythmik muss die Blutentnahme zwischen 7 und 11 Uhr erfolgen. Spätere
Bestimmungen können zu falsch niedrigen Werten führen. Prinzipiell sollten die Ergebnisse,
insbesondere bei grenzwertigen Befunden, durch eine 2. Laboruntersuchung bestätigt
werden. Dies liegt v. a. an biologischen Schwankungen bzw. Einflüssen akuter Erkrankungen.
Die Ergebnisse der Testosteron-Konzentration werden teils in nmol/l, teils in mg/dl
mitgeteilt. Anhand folgender Formeln lassen sich die jeweiligen Werte umrechnen:
1 nmol/l entspricht 0,288 ng/ml
1 ng/ml entspricht 3,47 nmol/l
Im Internet finden sich zudem entsprechende Hilfen zum Umrechnen (z. B. http://unitslab.com/de/node/136 ).
Testosteron wird im Blut an das SHBG gebunden. Nur das freie, ungebundene Testosteron
vermittelt die biologischen Effekte. Für die Routine genügt die Messung des Gesamt-Testosterons.
Die in der Infobox 1 aufgeführten Beschwerden können auch bei normalen Testosteron-Konzentrationen
auftreten. Als Grenze zwischen normalen und möglicherweise mit einem Testosteron-Mangel
assoziierten Beschwerden werden 12,1 nmol/l (Gesamt-Testosteron) bzw. 243 pmol/l (freies
Testosteron) angegeben [5 ].
Bei V. a. Hypogonadismus ist die erste diagnostische Maßnahme die Bestimmung des morgendlichen
Gesamt-Testosterons und des SHBG.
Passen die Symptome nicht zum gemessenen Serumspiegel, wie z. B. bei adipösen Patienten,
ist die Bestimmung des freien Testosterons sinnvoll. Da die verfügbaren Testsysteme
für freies Testosteron sehr unzuverlässig sind, wird empfohlen, diesen Wert anhand
spezieller Formeln aus dem Gesamt-Testosteron und der SHBG-Konzentration zu berechnen.
Ein entsprechender Rechner findet sich z. B. unter: http://issam.ch/freetesto.htm .
Im nächsten Schritt wird untersucht, worum es sich handelt ([Tab. 1 ]):
Tab. 1
Hauptursachen des Hypogonadismus beim Mann (Quelle: Zitzmann M. Pathophysiologie.
In: Krause W, Weidner W, Sperling H, Diemer T, Hrsg. Andrologie. Krankheiten der männlichen
Geschlechtsorgane. 4. Aufl. Stuttgart: Thieme; 2011: 61).
Primärer Hypogonadismus
Sekundärer Hypogonadismus
Androgenresistenz
Anorchie, Maldescensus testis
Zustand nach Orchitis
Klinefelter-Syndrom, 47,XXY
XX-Mann-Syndrom
(Z. n.) Hodentumor
Z. n. Hodenverletzungen
Z. n. Hodenbestrahlung
Z. n. Chemotherapie
idiopathischer hypogonadotroper Hypogonadismus (IHH)
Kallmann-Syndrom
Hypophysenadenome
chronische Krankheiten
Hämochromatose
zentrale Ischämie
zerebrales Trauma
Radiatio zentraler Strukturen
Kachexie
Opioidmedikation oder -abusus
GnRH-Rezeptormutationen
Gemischter primärer und sekundärer Hypogonadismus: Altershypogonadismus
primärer Hypogonadismus (Fehlfunktion im Hoden)
sekundärer Hypogonadismus (Fehlfunktion in Hypothalamus/Hypophyse)
Altershypogonadismus (kombinierte Störung)
Dazu dienen weitere Tests und Untersuchungsverfahren ([Abb. 1 ]).
Komorbiditäten
Ein symptomatischer Hypogonadismus soll eine Prävalenz von 5,5 – 12 % haben [7 ] (= Serum-Testosteron < 2 ng/ml [7 nmol/l] bzw. freies Testosteron < 89 pg/ml [308 pmol/l]
plus je nach Alter 3 klinische Symptome).
Hypogonadismus ist mit dem metabolischen Syndrom und anderen Systemkrankheiten assoziiert
[8 ].
Da Psoriasispatienten signifikant häufiger an arterieller Hypertonie, Adipositas,
Diabetes mellitus Typ II und einem metabolischen Syndrom leiden, ist mit einem häufigeren
Auftreten von Hypogonadismus und erektiler Dysfunktion zu rechnen. Wurde der Hypogonadismus
mit Testosteron behandelt, besserte sich auch die Psoriasis [2 ]. Deshalb hat das Erkennen eines Hypogonadismus auch für Dermatologen und deren Patienten
therapeutische Konsequenzen.
Erektile Dysfunktion
Die Prävalenz der erektilen Dysfunktion (ED) nimmt mit dem Alter zu. In großen Studien
lag sie zwischen 17 und 52 %. Damit ist die ED nach der Ejaculatio praecox die zweithäufigste
sexuelle Funktionsstörung des Mannes.
Ursachen
Organische Erkrankungen, psychologische Faktoren, Medikamente sowie Drogen können
zu einer ED führen ([Tab. 2 ]). Zu den organischen Ursachen gehören v. a. Durchblutungsstörungen bei Herz-Kreislauf-
oder Stoffwechselerkrankungen sowie Nervenschäden. Seltener liegt ein Hypogonadismus
vor. Eine ED wurde aber auch bei folgenden Hauterkrankungen beschrieben [9 ]:
Tab. 2
Häufige Ursachen erektiler Dysfunktion.
Bereich
Ursache
organische Ursachen
Herz-Kreislauf-Erkrankungen (z. B. Durchblutungsstörungen, Bluthochdruck)
Stoffwechselerkrankungen (z. B. Diabetes mellitus)
hormonelle Störungen (z. B. Mangel an Testosteron, Hyperprolaktinämie)
Erkrankungen oder Schädigungen von Nerven, Rückenmark oder Hirnbereichen (z. B. Querschnittslähmung,
Schlaganfall)
Nierenerkrankungen, Lebererkrankungen
psychologische Ursachen
Medikamente
Drogen
Psychogene Faktoren haben ebenfalls einen wichtigen Einfluss. Sie allein können eine
ED auslösen, wie bei Vitiligo, Neurodermitis, Amyloidose und HIV-Infektion. Meist
wird eine organisch bedingte ED zusätzlich durch psychogene Faktoren verstärkt, z. B.
eingeschränktes Selbstwertgefühl.
Stress und Angst können erektionshemmend wirken.
Ergänzende Anamnese
Haben die in Infobox 2 aufgeführten Fragen Hinweise für eine erektile Dysfunktion
ergeben, sind weitere Fragen hilfreich, um mögliche Ursachen näher einzugrenzen [10 ]. Stellt man diese konkreten Fragen, zeigt das Kompetenz und vermeidet Unsicherheit.
Zudem erlauben die Antworten festzulegen, wohin der Patient am besten überwiesen werden
sollte.
„Wann fand der letzte zufriedenstellende Geschlechtsverkehr statt, bei dem die Erektion
bis zum Samenerguss durchgehalten werden konnte und auch die Partnerin etwas davon
hatte?“ Dies klärt die Dauer und Intensität des Problems.
„Hat sich das Verlangen nach Sex (= Libido) deutlich vermindert oder nicht?“ Dies
grenzt Libido-Störungen von einer reinen ED ab.
„Können Sie nicht mehr in die Scheide Ihrer Partnerin eindringen, weil das Glied nicht
mehr richtig steif wird oder weil es zu verbogen ist?“ Dies differenziert eine Induratio
penis plastica von einer ED.
„Dauert der Geschlechtsverkehr zu kurz, weil der Samenerguss bereits bald nach dem
Einführen in die Scheide stattfindet oder bricht die Erektion vor dem Orgasmus ab?“
Dies differenziert eine ED von einer Ejaculatio praecox bzw. kann Hinweise auf ein
venöses Leck geben.
„Wie sieht Ihre Partnerin das Problem? Ist sie dadurch beeinträchtigt oder interessiert
sie das Sexuelle nur noch am Rande bzw. gar nicht? Haben Sie mit Ihrer Partnerin darüber
gesprochen und ist Ihre Partnerin an einer Verbesserung der Situation interessiert
oder ist es ihr mehr oder weniger egal?“ Dies klärt die Auswirkung auf das Paar und
mögliche weitere Schritte.
Primär organische Störungen bestehen schon immer oder haben sich allmählich in den
letzten Jahren entwickelt. Die ED ist dann meist unabhängig von Partner, Praktiken
(z. B. auch vorhanden bei der Masturbation) und der Situation (z. B. Fehlen nächtlicher/morgendlicher
Erektionen). Dann sollten mögliche Risikofaktoren, relevante Vorerkrankungen und deren
Schwere sowie die Medikamente/Noxen erfasst werden ([Tab. 2 ]). Eher psychogene Störungen treten teils abrupt, in wechselnder Intensität abhängig
von Partner, Praktiken oder der Situation auf.
Ergänzende Diagnostik
Die weitere Diagnostik führt dann i. d. R. der weiterbehandelnde Arzt durch. Dies
umfasst Blutuntersuchungen zur Erkennung von Risikofaktoren (Leber, Niere, Blutzucker,
Lipide, ggf. Testosteron). Die Durchblutungssituation der Schwellkörper wird mit dem
Schwellkörper-Injektions-Test (SKIT; Injektion von z. B. Alprostadil [Prostaglandin
E1] und Duplexuntersuchung der Gefäße) erfasst.
Behandlungsmöglichkeiten
Die Therapie kann durch Urologen und Dermatologen eingeleitet werden. Positiv wirken
sich körperliche Bewegung, Gewichtsabnahme, Verzicht auf Rauchen und weniger Alkohol
aus. Ist ein dermatologisches Präparat, wie Finasterid, verantwortlich, dann sollte
dieses abgesetzt werden [11 ].
Primär sollte eine gesündere Lebensweise empfohlen werden, was nicht nur die Erektionsprobleme
bessern kann.
Die Standardtherapie der ED sind Phosphodiesterase-5-Hemmer (PDE-5-Hemmer) [12 ]. Sie sind gut geeignet, wenn die Veränderungen der Blutgefäße noch nicht sehr ausgeprägt
sind. Bei V. a. eine organische ED kann die Vorstellung bei einem Internisten helfen,
kardiale Durchblutungsstörungen frühzeitig zu erkennen. Eine Erektion entsteht nur
bei gleichzeitiger sexueller Stimulation. Typische Nebenwirkungen sind Kopfschmerzen,
Flush, Dyspepsie und verstopfte Nase. Die einzelnen PDE-5-Hemmer unterscheiden sich
bez. Dosis, der Zeit bis zum Wirkungseintritt und der Wirkdauer ([Tab. 3 ]). Sildenafil und Vardenafil sollten nüchtern eingenommen werden.
Tab. 3
Übersicht über orale Phosphodiesterase-5-Hemmer (PDE-5-Hemmer) zur Behandlung der
erektilen Dysfunktion.
Orale PDE-5-Hemmer
Dosis (mg)
Wirkungseintritt (min)
Halbwertzeit (Std)
Wirkungsdauer (Std)
Avanafil
50 – 200 bei Bedarf
15
6 – 17
6
Sildenafil
25 – 100 bei Bedarf
30 – 60
4
4 – 8
Tadalafil
5 täglich oder 10 – 20 bei Bedarf
45
17,5
24 – 36
Vardenafil
10 – 20 bei Bedarf
25 – 40
4 – 5
6
Die gleichzeitige Einnahme von Nitraten ist bei allen PDE-5-Hemmern absolut kontraindiziert.
Alternativen zu PDE-5-Hemmern sind das medikamentöse urethrale System zur Erektion
(MUSE), Schwellkörper-Autoinjektions-Therapien (SKAT), Vakuum-Erektionshilfe und Schwellkörperimplantate
[13 ].
Die Labordiagnostik zeigt einen Testosteronwert von 11 nmol/l. Die weitere Anamnese
ergibt, dass bei dem Patienten Kinderwunsch besteht. Deshalb wurde vor 1 Jahr die
Verhütung beendet.
Hauterkrankungen und männliche Infertilität
Hauterkrankungen und männliche Infertilität
Nicht nur Organerkrankungen wie chronische Niereninsuffizienz, sondern auch Hauterkrankungen
können mit männlicher Infertilität assoziiert sein (Literatur bei [14 ]). So können Genodermatosen die Haut betreffen, aber auch zu Störungen anderer Organe
inkl. der Hodenfunktion führen. Oft findet sich dann in der Anamnese ein Kryptorchismus
(angeborener Hodenhochstand) bzw. später ein Hypogonadismus. Ein Hodenhochstand geht
mit einem erhöhten Risiko für einen Hodentumor im späteren Leben einher. Entsprechende
Kontrollen sollten dem Patienten empfohlen werden. Es handelt sich dabei um:
Syndrome mit Störungen der Pigmentierung, z. B. Dyskeratosis congenita
bestimmte Ichthyosiserkrankungen, z. B. Rud-Syndrom
andere Syndrome, z. B. Gorlin-Goltz-Syndrom
Störungen der Hodenfunktion können im Rahmen von Infektionen (Lepra, Syphilis, Tuberkulose,
HIV), Psoriasis [15 ], granulomatösen Erkrankungen (Sarkoidose), Autoimmunerkrankungen (Polyarteriitis
nodosa, systemischer Lupus erythematodes), bei Zinkmangel oder durch medikamentöse
Therapie von Dermatosen auftreten (Finasterid, Dutasterid, Spironolacton) [14 ].
Manche Hauterkrankungen können zu einer Störung der Hodenfunktion führen. Bei der
Behandlung von Dermatosen sind mögliche Wirkungen der Medikamente auf die Hormonachsen
und Hoden zu berücksichtigen.
Kinderwunsch bei dermatologischen Erkrankungen
Kinderwunsch bei dermatologischen Erkrankungen
Relevanz für die Behandlung
Wird beim geschilderten Patienten der Testosteron-Mangel reflexartig mit Testosteron
behandelt, werden die Gonadotropine FSH und LH durch die negative Rückkopplung auf
der Ebene Hypothalamus/Hypophyse nicht mehr ausgeschüttet. Die reine Testosteron-Substitution
ist in diesem Kontext daher kontraindiziert [1 ].
Andererseits können dermatologische Systemtherapeutika die exkretorische Hodenfunktion
schädigen oder für die Keimzellen mutagen sein. Deshalb muss der Aspekt „Kinderwunsch“
bei Patienten im reproduktiven Alter (20 – 45 Jahren) bei der Wahl einer geeigneten
Therapie immer berücksichtigt werden.
Leider ist derzeit für viele Medikamente unbekannt, ob und welche Hodenschäden sie
verursachen können.
Eine kürzlich publizierte Übersicht stellt den diesbezüglichen aktuellen Wissensstand
zusammen [16 ]. Bei Einnahme potenziell mutagener Substanzen ([Tab. 4 ]) sollte eine Kontrazeption empfohlen werden. Bei der Behandlung mit Stoffen, die
die Stammzellen direkt bzw. potenziell irreversibel schädigen können, müssen die Patienten
über diese Tatsache und die Möglichkeit einer Spermien-Kryokonservierung aufgeklärt
werden ([Tab. 4 ]). Manche Substanzen können die Fertilität indirekt und meist reversibel beeinflussen:
Tab. 4
Potenziell schädigende Medikamente aus der dermatologischen Praxis [16 ].
Wirkstoff
Effekt
Empfehlung
Azathioprin
Cyclophosphamid
Dacarbazin
Methotrexat
Mycophenolat-Mofetil
potenziell mutagen
Kontrazeption
Cyclophosphamid
Dacarbazin
Dabrafenib (sehr limitierte Datenlage)
Imatinib
Vemurafenib (sehr limitierte Datenlage)
Vismodegib
potenziell irreversible Schädigung der Stammzellen
Kryokonservierung anbieten
Azathioprin
Ipilimumab
Methotrexat
potenziell reversible Schädigung der Hodenfunktion
Kryokonservierung diskutieren
Azathioprin, MTX, Dacarbazin, Interferon-α, Imatinib
Cyclophosphamid
Vismodegib
embryo-/fetotoxisch
Exposition Schwangerer vermeiden (Kondom)
Methotrexat (reversible Oligozoospermie und Flagellumschaden)
Azathioprin (tierexperimentell vermehrt Spontanaborte)
Ipilimumab (Autoimmunhypophysitis)
Hier ist der Aspekt der Kryokonservierung ebenfalls zu diskutieren.
Ist eine Schwangerschaft eingetreten, dann sollte die Exposition schwangerer Frauen
gegenüber Ejakulat bei Einnahme von embryo-/fetotoxischen Medikamenten vermieden werden
([Tab. 4 ]).
Bei Kinderwunsch und Einsatz immunmodulatorischer Medikamente sollte über eine Kryokonservierung
diskutiert werden.
Anamnese
Unerfüllter Kinderwunsch liegt bei regelmäßigem Geschlechtsverkehr über 1 Jahr und
ausbleibender Schwangerschaft vor. Folgende Faktoren sind für die prognostische Beurteilung
relevant:
Alter der Partnerin
Im Vergleich zu einer 25-jährigen Frau ist die reproduktive Funktion mit 35 auf 50 %,
mit 38 auf 25 % und bei über 40-Jährigen auf weniger als 5 % vermindert [17 ].
Dauer des Kinderwunschs
Nach 1 Jahr konzipieren in unausgewählten Partnerschaften ca. 80 % der Frauen spontan.
In den beiden folgenden Jahren tritt in jeweils der Hälfte der Paare noch spontan
eine Schwangerschaft ein. Je länger also der Kinderwunsch besteht, umso unwahrscheinlicher
wird eine spontane Schwangerschaft [18 ].
Häufigkeit der Sexualkontakte
Bei 2 × wöchentlichen Kohabitationen ohne Beachtung der fruchtbaren Tage besteht nach
einem halben Jahr statistisch nur einmal die Chance auf eine Befruchtung.
Vorerkrankungen/medikamentöse Therapien
Kryptorchismus, Allgemeinerkrankungen oder medikamentöse Therapien können die Hodenfunktion
schädigen.
Körperliche Untersuchung
Bei der Untersuchung ist u. a. auf Zeichen eines Hypogonadismus (s. o.) und Veränderungen
an den Genitalorganen (u. a. Hodengröße und -konsistenz, Varikozele) zu achten.
Labordiagnostik
Ein Spermiogramm gibt Hinweise auf die Funktion der Sexualorgane. Dieses Spermiogramm
muss nach den Vorgaben des WHO-Laborhandbuchs für die Untersuchung menschlichen Ejakulats
(5. Aufl.) angefertigt worden sein.
Weiterhin sind vom durchführenden Labor regelmäßige Qualitätssicherungsmaßnahmen einzuhalten,
wie u. a. die 2 × jährliche Teilnahme an externen Ringversuchen. Diese werden bspw.
von QuaDeGA (Qualitätskontrolle der Deutschen Gesellschaft für Andrologie; http://www.quadega.de/ ) angeboten. Die Parameter, die hier enthalten sein müssen, sowie die Referenzwerte
sind in [Tab. 5 ] zusammengefasst.
Tab. 5
Variablen eines Spermiogramms und die unteren Referenzwerte.
Variable
Vorgabe/unterer Referenzwert
Karenzzeit
3 – 5 Tage
Zeit Abgabe bis Untersuchung
1 Stunde
makroskopische Parameter
Volumen
> 1,5 ml
Verflüssigungszeit
< 60 min
Konsistenz (Viskosität)
Probentropf von der Pipette < 2 cm
Aussehen
homogen, grau-opal
pH-Wert
≥ 7,2
mikroskopische Parameter
Spermienkonzentration
≥ 15 Mio./ml
Spermiengesamtzahl (Konzentration × Volumen)
≥ 39 Mio.
Gesamtmotilität (progressiv motil + am Platz motil)
≥ 40 %
Progressivmotilität
≥ 32 %
Morphologie: Normalformen
≥ 4 %
Vitalität
≥ 58 %
Spermienantikörper
< 50 %
Peroxidase-positive Zellen
< 1 Mio./ml
Bei pathologischen Parametern sind weitere Tests, wie die Bestimmung von FSH, hilfreich.
Die Interpretation eines Spermiogramms wird an anderer Stelle ausführlich dargestellt
[19 ].
Das Spermiogramm muss nach WHO-Richtlinien angefertigt werden und unterliegt einer
2 × jährlich durchzuführenden externen Qualitätskontrolle.
Relevanz des Andrologen
Bei der Kinderwunschbehandlung müssen sowohl die Aspekte des weiblichen als auch des
männlichen Partners berücksichtigt werden. Deshalb kann eine Therapieentscheidung
zur künstlichen Befruchtung nicht allein anhand der Ejakulatparameter erfolgen.
Die Indikationsstellung zur künstlichen Befruchtung verlangt eine interdisziplinäre
Abstimmung zwischen Andrologen und Reproduktionsmediziner unter Berücksichtigung von
Anamnese und Klinik von Mann und Frau.
Seit dem 2. 6. 2017 wird dies durch die „Richtlinien über künstliche Befruchtung“
des Gemeinsamen Bundesausschuss gefordert (https://www.g-ba.de/informationen/richtlinien/1/ ).
Zur Erkennung des Hypogonadismus sind v. a. Fragen nach sexuellen Symptomen (morgendliche
Erektionen, sexuelle Gedanken und Erektionsstörungen) hilfreich. Patienten wünschen
sich das Eingehen auf diese Aspekte.
Hypogonadismus findet sich u. a. häufiger beim metabolischen Syndrom, aber auch bei
anderen dermatologischen Erkrankungen. Zur Diagnostik ist die Bestimmung von Gesamt-Testosteron
und SHBG geeignet.
Hautkrankheiten als Ursache einer erektilen Dysfunktion sind ungewöhnlich. PDE-5-Hemmer
sind die primäre Therapie.
Hauterkrankungen oder ihre medikamentöse Behandlung können die männliche Fertilität
beeinträchtigen. Daher sollten Patienten nach einem evtl. vorhandenen Kinderwunsch
gefragt und dies bei der Therapieentscheidung berücksichtigt werden.
Im Zweifelsfall ist vor Behandlungsbeginn eine Kryokonservierung von Spermien anzubieten.
Die Diagnostik der Infertilität umfasst nicht nur die Untersuchung eines Spermiogramms,
sondern auch klinische Aspekte.
Das Spermiogramm muss qualitätsgesichert angefertigt werden.