intensiv 2017; 25(04): 170-171
DOI: 10.1055/s-0043-107769
Kolumne
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Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Auch wir bekommen ein Kind!

Tobias Weimer
1   WEIMER I BORK, Kanzlei für Medizin- & Strafrecht, Frielinghausstr. 8; 44803 Bochum, Email: info@kanzlei-weimer-bork.de   URL: www.kanzlei-weimer-bork.de
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Publication Date:
06 July 2017 (online)

Zeit, die wir uns nehmen, ist Zeit, die uns etwas gibt.

(Ernst Ferstl (*1955), österreichischer Schriftsteller)

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(Paavo Blåfield)

Die letzten Wochen waren ganz besondere. Ich hatte unabhängig von der Urlaubsplanung und damit völlig außer der Reihe vier Wochen frei. In unserer Klinik wurde im ganz großen Umfang umgebaut und meine Station war in dieser Zeit „out of order“. Einige Kollegen haben auf anderen Stationen gearbeitet. Andere, so wie ich auch, haben diese Wochen für zusätzliche freie Zeit genutzt. Ich kann mich nicht erinnern, wann ich das letzte Mal vier Wochen einfach nur so zu Hause gewesen bin. Vier Wochen – kein Weckerklingeln, kein Zeitdruck, nicht kaputt sein, keine Dienstplansorgen. Mal nicht nötige Dinge in ein oder zwei freien Tagen schnell abarbeiten – einfach mal ganz entspannt und ausgeruht sein. Da hat es mir auch nichts ausgemacht, dass der Monat März nun nicht gerade der Topurlaubsmonat ist. Ich habe keine großen Pläne gemacht. Ich habe es einfach laufen lassen.

Stundenlang bin ich mit meinem Hund an der Isar gelaufen und habe meinen Gedanken nachgehangen. Gerade bei diesen Spaziergängen denke ich oft über Themen und Inhalte für Kolumnen nach. Und wenn ich mitten in meinem Arbeitstrott bin, sind das dann auch meist Themen aus oder über die Arbeit an sich und im Besonderen. Das war jetzt auf einmal anders.

Da habe ich zum Beispiel zu Anfang dieser Wochen ein Buch gelesen („Denken hilft zwar, nützt aber nichts – Warum wir immer wieder unvernünftige Entscheidungen treffen“ von Dan Ariely). Sehr lehrreich, spannend und unterhaltsam. Da habe ich gedacht, darüber sollte ich mal schreiben. Dann habe ich Freundinnen besucht, die ihr neu gebautes Haus bezogen haben und rundherum glücklich sind. Dazu kam dann auch noch der „Welttag des Glücks“, an dem sogar ein „World Happiness Report“ veröffentlicht wurde, nach dem die Dänen 2016 am glücklichsten waren. Und offensichtlich gehören meine Freundinnen, obwohl Nichtdäninnen, dazu. Wieder hab ich gedacht, darüber könnte ich mal schreiben. Kurz nach diesem Besuch habe ich den Film „Eine unerhörte Frau“ gesehen. Eine unglaubliche und erschreckenderweise wahre Geschichte. Sehr empfehlenswert. Wieder ein mögliches Thema. So ging das fast täglich. Ständig irgendwelche Ereignisse oder Erlebnisse, die es wert gewesen wären, in einer Kolumne festgehalten zu werden, auch aus der Politik. Allein die Herren Erdoğan und Trump sind ja ein unerschöpflicher Fundus. Oder der blasse Auftritt des Herrn Gröhe bei „Hart aber fair“. Man vergisst es ja schnell, weil sehr unscheinbar, aber Herr Gröhe ist unser Gesundheitsminister. Dann war da auch diese noch blassere und schnell verunsichert wirkende Krankenschwester. Thema der Sendung: „Gefahr Krankenhaus – Wenig Personal, aber reichlich Keime?“ Es war alles sehr mühsam, ich genervt und fast geneigt, auch mal meinen Senf dazuzugeben.

Natürlich habe ich es mir in diesen Urlaubswochen auch nicht nehmen lassen, neben den obligatorischen Nachrichten alles, was nur ging, an Tratsch und Klatsch mitzunehmen. Einschlägige Formate wie „Brisant“, „Exclusiv“ („Mein Name ist Frauke Ludowig“) oder „Prominent“ waren vor mir nicht sicher. Ich durfte erfahren, dass Jenny Elvers wieder getrennt und jetzt Ballett ihr Schönstes ist. Oder dass Naddel Leberzirrhose hat. Und übrigens hat Brad Pitt besorgniserregend abgenommen!

Eine Schlagzeile hielt sich in diesen Wochen besonders hartnäckig: Sensation! Sensation!! Caroline Beil bekommt ein Kind!!! Angekündigt wurde sie in diversen Sendungen als Sängerin, Schauspielerin und Moderatorin. Ihr bevorstehendes Mutterglück wurde in fast allen nur möglichen Formaten des deutschen Fernsehens – „Tagesschau“ und „Heute“ ausgenommen, gewundert hätte es mich aber nicht – lang und breit besprochen. Mir war bis zu dem Zeitpunkt Frau Beil mehr oder weniger unbekannt. Ich konnte mich nur schwach an ihren Auftritt im „Dschungelcamp“ erinnern. Bei Wikipedia gab es nachzulesen, dass sie in diversen Spielfilmen, Daily Soaps und sogar in vier Theaterstücken mitgewirkt hat. Gut so, aber offensichtlich ist das ja auch ihr Job. Die eigentliche Sensation war oder ist, dass Frau Beil schon 50 Jahre alt ist. Da kann ich mich mit meiner „Schlagzeile“ ja eigentlich nur verstecken: Meine Kollegin Maria (links auf dem Foto) bekommt ein Kind. Ich musste nirgendwo nachlesen, um zu wissen, dass Maria 31 Jahre alt ist, zuerst die Ausbildung zur Krankenschwester gemacht hat und unmittelbar danach und mittlerweile schon seit mehr als zehn Jahren auf meiner Station im Dreischichtsystem arbeitet. Zwischendurch und ganz bestimmt nicht nebenbei hat sie eine zweite Berufsausbildung zur Diätassistentin erfolgreich abgeschlossen. Seit Jahresbeginn arbeitet sie nun zu 50 Prozent bei uns auf Station und zu 50 Prozent in der Küche unseres Hauses als Diätassistentin. Maria ist durch und durch Bayerin. Sie liebt ihre Familie, die Natur und die Berge, ist eine sehr gute Kollegin und noch bessere Freundin. Gut, sie kann nicht singen oder schauspielern oder hat es zumindest bisher erfolgreich vor uns versteckt.

Trotzdem finde ich, sie ist wie alle anderen „normalen“ Frauen eine Schlagzeile wert. Frauen, die in unserem Beruf mit all seinen Höhen und Tiefen (und für das relativ geringe Gehalt) arbeiten und Kinder bekommen. Die es schaffen, Schwangerschaften durchzustehen und Familien zu gründen und dennoch arbeiten gehen.

Aber auch alle anderen Kollegen, die es mit Kollegialität, Einsatz und auch der Freude für diese Frauen möglich machen, dass der Stationsbetrieb reibungslos weitergeht. Denn es ist doch so und niemand muss sich da etwas vormachen: Eine schwangere Frau und der Arbeitsalltag auf einer ganz normalen Station sind mit dem Mutterschutzgesetz sehr schwer zu vereinbaren. Und alternative Arbeitsbereiche, um allen gerecht zu werden, sind in einem Krankenhaus schwer zu finden.

Diese Sorge habe ich zum Glück mit meiner Kollegin Maria nicht. Alle freuen sich für sie und auf das Kind. So strahlt mit ihrer Schwangerschaft ein bisschen Glück auf uns alle. Wir wünschen ihr und ihrer Familie nur das Beste und das schönste und gesündeste Kind. Übrigens, ich persönlich schwelge in Erinnerungen. Denn die Schwangerschaft und die Geburt meines Sohnes empfinde ich heute immer noch als die glücklichste Zeit meines Lebens – und so sollte es auch sein.

In diesem Sinne, Ihre

Heidi Günther

hguenther@schoen-kliniken.de

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Anforderungen an Bestimmtheit von Patientenverfügungen

Erneut hat der Bundesgerichtshof festgestellt, dass eine Patientenverfügung nur bindend ist, wenn der Patient konkrete Entscheidungen zu bestimmten ärztlichen Maßnahmen trifft. Der Wunsch auf „lebenserhaltende Maßnahmen“ verzichten zu wollen, sei grundsätzlich nicht ausreichend. Allerdings dürften die Anforderungen an die Bestimmtheit nicht überspannt werden. Die erforderliche Konkretisierung könne sich im Einzelfall auch bei einer weniger detaillierten Benennung bestimmter ärztlicher Maßnahmen durch die Bezugnahme auf ausreichend spezifizierte Krankheiten oder Behandlungssituationen ergeben. Ob in solchen Fällen eine hinreichend konkrete Patientenverfügung vorliege, sei durch Auslegung der in der Patientenverfügung enthaltenen Erklärungen zu ermitteln. Der Bundesgerichtshof hat die Angelegenheit an das Beschwerdegericht zurückverwiesen, um aufklären zu lassen, ob der derzeitige Gesundheitszustand der Betroffenen im Wachkoma auf diese konkret bezeichnete Behandlungssituation zutrifft.

BGH, Beschluss v. 08.02.2017 – XII ZB 604/15

Haftung eines Hüftprothesen-Herstellers

Eine Patientin hat nach jahrelangem Rechtsstreit ein Schmerzensgeld und Schadensersatz wegen einer bei ihr implantierten fehlerhaften Großkopf-Hüftprothese erstritten. Ferner hat der Hersteller für Folgeschäden zu haften. Dabei ging das Landgericht Freiburg von einem Produktfehler aus. Mehr als 100 weitere Verfahren sind beim Landgericht Freiburg zurzeit anhängig. Das Gericht stellt fest, dass der Fehler sowohl nach dem Stand der Wissenschaft und Technik im Jahr 2003, als das Produkt erstmals auf den Markt kam, als auch im Jahr 2005, in dem das rechte, und im Jahr 2006, in dem das linke Prothesensystem im Sinne des Produkthaftungsgesetzes in Verkehr gebracht wurden, erkennbar war. Im Hinblick auf die Tatsache, dass das Produkt ein neues System war, sei der Hersteller gehalten gewesen, in der Wissenschaft schon geäußerte Bedenken zu berücksichtigen.

Landgericht Freiburg, Urteil v. 24.02.2017 – 6 O 359/10