Der Klinikarzt 2017; 46(04): 118-119
DOI: 10.1055/s-0043-105950
Medizin & Management
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Kultur und Technik für mehr Patientensicherheit - Der Blick des Risikomanagements auf ePA und eGK

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Publication Date:
24 April 2017 (online)

 

    Dr. Ruth Hecker, stellvertretende Vorsitzende des Aktionsbündnisses Patientensicherheit (APS), hat sich nach ihrer Facharztausbildung zur Anästhesistin auf das klinische Management spezialisiert. Unter anderem baute sie bei der Ärztekammer Westfalen-Lippe den Bereich Patienteninformation auf. Anschließend leitete sie das Qualitäts- und Medizinprozessmanagement des Diakoniewerks in Gelsenkirchen und Wattenscheid, einem Klinikverbund mit MVZ und sozial-pflegerischen Einrichtungen. Seit 2011 hat sie die Leitung der Stabsstelle Qualitäts- und Risikomanagements des Universitätsklinikums Essen inne. Die meisten Kliniken, Institute und Funktionsbereiche des Uniklinikums sind nach ISO 9001:2008 zertifiziert. Im September 2017 steht das Audit für eine Gesamtzertifizierung an. Die Zentrale Informationstechnik wird von Prof. Dr. Michael Forstinger, Medizinischer Direktor, und Dipl. Physiker Armin de Greiff, Technischer Direktor, geleitet. Anfang des Jahres startete der Roll-out der elektronischen Patientenakte (ePA), die zuvor in einigen Klinikbereichen erprobt wurde. Den Grundstock bildet ein digitales Archiv.


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    Wie ist Ihre Stabsstelle in den Digitalisierungsprozess eingebunden, Frau Dr. Hecker?

    Wir begleiten die klinikweite Umsetzung der ePA und sind damit neben der Pflegedirektion und 5 Chefärzten einer der Partner im Gesamtprojekt. Die fachliche Leitung und Koordination des Roll-outs obliegt der Stabsstelle für Zentrale Informationstechnik. Der Bereich ist bewusst mit einer Doppelspitze aus Medizin und Technik besetzt worden, um eben solche Projekte, die in den Tagesablauf der klinisch tätigen Mitarbeiter eingreifen, bestmöglich umzusetzen. Dort sind auch die IT-gestützten Workflows und Ausfallkonzepte entwickelt worden, die zuvor in den Pilotkliniken erprobt wurden und nun übertragen werden sollen.

    Worin bestehen Ihre Aufgaben?

    Die IT hat das technische Gerüst für die ePA entwickelt. Aus Sicht des Risikomanagements prüfen wir nun, welche Auffälligkeiten in der täglichen Anwendung auftreten können, analysieren deren Ursache, ob es sich um ein individuelles oder ein systemisches Problem handelt, und leiten mit allen Beteiligten Maßnahmen zur Verbesserung ab. Ein Risiko für die Patientensicherheit wäre zum Beispiel, wenn die Dokumentation unvollständig ist. Die Ursache dafür könnte zum Beispiel beim Anwender liegen, sodass eine Schulung notwendig wird. Ein anderes Risiko stellen Übertragungsfehler bei der Medikamentenverordnung dar, da diese noch handschriftlich erfolgt. Eine systemische Lösung, das heißt die Umstellung auf einen elektronischen Medikamentenplan, wird im Zuge des Roll-Outs der ePA als Teilprojekt bearbeitet.

    Welche Position vertritt das Aktionsbündnis Patientensicherheit zur internen Digitalisierung?

    Positiv für die Patientensicherheit ist sicherlich, dass sich der Kommunikationsfluss im Versorgungsprozess verbessert. Denn durch die digitalen Prozesse gelangen die Konsile, Medikationspläne und Arztbriefe schneller an die jeweils behandelnden Stellen. Außerdem verbessert sich die Qualität der Dokumentation. Bei einer papiergeführten Akte kann es durchaus vorkommen, dass einzelne Unterlagen nicht mehr auffindbar sind oder nachträgliche Korrekturen nicht als solche kenntlich gemacht worden sind. Da die Dokumentation bei der ePA vollständig erhalten bleibt, kann zurückverfolgt werden, wer was wann eingetragen, geändert oder gelöscht hat. Dies wird auch zu mehr Klarheit bei Behandlungsfehlerverfahren führen. Zugleich steigen die Anforderungen an die IT-Sicherheit. Das APS plant hierzu eine eigene Arbeitsgruppe.

    Was verspricht sich das APS von den geplanten neuen Funktionalitäten der elektronischen Gesundheitskarte (eGK), die bis Mitte 2018 verfügbar sein sollen?

    Die eGK fördert die einrichtungsübergreifende und intersektorale Zusammenarbeit, was das Aktionsbündnis grundsätzlich begrüßt. Ebenso positiv ist, dass die Patienten auf die sie betreffenden Informationen zugreifen und noch einmal nachzulesen können. Die digitalen Informationen sind wesentlich umfangreicher als der Arztbrief, der den Patienten bislang in Papierform mitgegeben wird. Diese Transparenz ebnet den Weg zu einem mündigen Patienten, der gemeinsam mit dem Arzt nach einer geeigneten Behandlungsstrategie sucht und eine hohe Adhärenz zeigt. Allerdings wird den Patienten dabei sehr viel abverlangt, was nicht alle leisten können oder auch wollen. Beispielsweise bedeutet die Hoheit des Patienten über seine Daten, dass der Patient ähnlich wie bei Facebook ein Rechtekonzept erstellen muss, worin er festlegt, wer auf welche Informationen zugreifen darf. Ungewiss ist, ob Patienten ihr Rechtekonzept tatsächlich immer wieder aktualisieren werden, wenn es zu einem Arztwechsel gekommen ist. Hier besteht erheblicher Schulungsbedarf. Dies gilt auch für den Umgang mit den Informationen. Nicht jeder Patient wird im besten Sinne „mündig“, es kann zur Überforderung kommen, die die Arzt-Patienten-Interaktion erschweren wird.

    Sind die Patientenvertreter genügend eingebunden?

    Ich denke schon. Die Patienteninteressen wurden im Beirat der Gematik über die Bundesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe für Menschen mit Behinderung und chronischer Erkrankung und ihren Angehörigen, den Bundesverband der Verbraucherzentralen und den Sozialverband eingebracht. Des Weiteren hat unser Aktionsbündnis Positionspapiere zur eGK erstellt, die Gehör fanden. Hier im Uniklinikum arbeiten wir ebenfalls eng mit der Selbsthilfe zusammen. Unter anderem kooperieren wir mit dem Selbsthilfebüro der Stadt Essen, und im 8-köpfigen Direktorium des Westdeutschen Tumorzentrums ist ein Patientenvertreter ebenfalls vertreten.

    Wo sehen Sie Handlungsbedarf, um die Digitalisierung zur Anwendung zur bringen?

    Der Schulungsbedarf erstreckt sich nicht alleine auf Patienten. Die digitalen Möglichkeiten stellen auch die Ärzte vor neue Herausforderungen. Es geht um ganz praktische Fragen. Wie kann ich die Karte anwenden und einlesen? Was muss ich bei der Dokumentation beachten? Wie finde ich mich in den Systemen zurecht? Eine Befragung unter niedergelassenen Ärzten im vergangenen Jahr hat gezeigt, dass 55 % der Ärzte der eGK skeptisch bis negativ gegenüber stehen, 45 % positiv.

    Welche Möglichkeiten haben Sie aus dem Qualitäts- und Risikomanagement heraus den Widerständen zu begegnen?

    Geduld, sehr viel Geduld. Das sehen wir auch beim Roll-out der ePA. Sowohl bei den Mitarbeitern der Pflege als auch bei den ärztlichen Mitarbeitern gibt es immer noch eine gewisse Skepsis gegenüber der elektronischen Dokumentation. Viele befürchten einen erhöhten Dokumentationsaufwand und dass sie sich im System nicht zurechtfinden könnten. Erfahrene Ärzte haben die wesentlichen Informationen in einem Arztbrief schnell erfasst. Aber wie wird das in einem elektronischen System sein? Der Nutzen muss den potenziellen Anwendern erst klar gemacht werden. Der Umstellungsprozess erfordert zunächst einen höheren Zeitaufwand, bevor sich die Vorteile abzeichnen. Wir bieten Schulungen, um Handlungssicherheit zu geben und beginnen in den Kliniken, die dem Vorhaben aufgeschlossen gegenüber sind. Außerdem haben wir die notwendige Unterstützung im Vorstand, ohne die ein solches Großvorhaben nicht zu realisieren wäre.

    Wo setzen Sie Akzente, um mehr Sicherheit und Transparenz für Patienten am Uniklinikum zu schaffen?

    Wir setzen auf eine einheitliche Regelkultur, wie Patienten behandelt werden sollen. Die Umstellung auf digitale Prozesse ist ein Schritt in diese Richtung. Wenn neue Verfahren eingeführt werden, müssen wir die Risiken identifizieren, die damit einhergehen können, und gegebenenfalls einen Risikomanagementprozess einleiten. Das Wichtigste für mehr Patientensicherheit ist aber sicherlich eine gute Kultur der Zusammenarbeit weg von Partikularinteressen einzelner Personen oder Einrichtungen. Wenn wir uns über die Diagnostik austauschen und zu gemeinsamen Entscheidungen für eine Behandlungsempfehlung mit ihren Vor- und Nachteilen kommen, haben wir viel im Sinne der Patienten und deren Sicherheit erreicht.

    Vielen Dank für das Gespräch,
    Frau Dr. Hecker!

    Das Interview führte Dr. Adelheid Weßling, freie Journalistin, Düsseldorf

    ZUR PERSON

    Dr. med. Ruth Hecker, Fachärztin für Anästhesie, leitet seit 2011 die Stabsstelle für Qualitäts- und Risikomanagement am Universitätsklinikum Essen. 2016 wurde sie zur stellvertretenden Vorsitzenden des Aktionsbündnisses Patientensicherheit e.V. gewählt. Das Bündnis wurde 2005 gegründet und wird vom Bundesgesundheitsministerium unterstützt.

    Kontakt: ruth.hecker@uk-essen.de


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