Viele kritisch kranke Patienten entwickeln als Folge einer prolongierten schweren
Infektion oder Inflammation eine Atrophie ihrer Skelettmuskulatur bzw. eine muskuläre
Schwäche. Eine effektive Prophylaxe dieser Veränderungen ist nur durch die kausale
Therapie der auslösenden Grunderkrankung (z. B. Peritonitis, hämorrhagischer Schock)
möglich. Die Ernährungstherapie kann als adjuvante Therapie helfen, entsprechende
Veränderungen abzumildern.
Kritisch kranke Patienten benötigen im Rahmen ihrer Ernährungstherapie eine regelmäßige
Kalorienzufuhr. In der Vergangenheit wurde aus verschiedenen pathophysiologischen
Überlegungen heraus empfohlen, eine enterale (gastrale/jejunale) Ernährung gegenüber
der parenteralen (i. d. R. zentralvenösen Ernährung) zu bevorzugen [1], [2], [3]. Aus klinischer und tierexperimenteller Sicht beruhte diese Empfehlung darauf, dass
im Vergleich zur parenteralen Ernährung eine enterale Ernährung mit einer geringeren
Infektionsrate, einer verbesserten Integrität der Darmmukosa und mit mutmaßlich geringeren
Kosten verbunden war [4]. Kritikpunkt war jedoch bisher, dass die Nachteile einer parenteralen Ernährung
möglicherweise nicht auf dem Zugangsweg an sich beruhten, sondern speziell darauf,
dass dieser Weg der Nahrungszufuhr häufig mit einer Überernährung (v. a. einer exzessiven
Zufuhr von Glukose) verbunden war. Bis vor Kurzem gab es keine Studie, die bei vergleichbarer
Zufuhr von Kalorien (speziell Kohlenhydrate) und bei einer vergleichbaren Funktion
des Gastrointestinaltrakts ausschließlich die verschiedenen Wege der Nahrungszufuhr
(enteral vs. parenteral) miteinander verglichen hätte. Diese Lücke wurde jetzt durch
die CALORIES-Studie geschlossen [5].
In dieser großen multizentrischen prospektiven randomisierten Studie wurden 2400 erwachsene
kritisch kranke Patienten, die sowohl enteral wie auch parenteral hätten ernährt werden
können, hinsichtlich dieser beiden Wege der Nahrungszufuhr randomisiert. Die Kalorien-
und Eiweißzufuhr war dabei in beiden Studienarmen miteinander vergleichbar. Zentrales
Ergebnis der Studie war, dass der Zugangsweg ohne Auswirkung auf die 30-Tages-Letalität
war. Auch sekundäre Endpunkte (Häufigkeit von Infektionen, Ausmaß des Organversagens)
blieben – mit Ausnahme von mehr Erbrechen unter enteraler Ernährung – unbeeinflusst.
Diese Ergebnisse decken sich mit den Resultaten einer kürzlich publizierten Metaanalyse
[6], die vergleichende Studien zur enteralen/parenteralen Ernährung auswertete. Unabhängig
von der Höhe der Kalorienzufuhr bestand hinsichtlich der Letalität kein Unterschied
zwischen enteraler und parenteraler Ernährung. Eine erhöhte Morbidität (vermehrte
Rate an Infektionen) konnte nur dann beobachtet werden, wenn die Patienten unter parenteraler
Ernährung auch gleichzeitig mehr Kalorien bekommen hatten. Die für die parenterale
Ernährung ungünstigen Ergebnisse waren darüber hinaus nur bei Studien zu beobachten,
die älter als 20 Jahre waren und eine ungenügende Kontrolle der Blutzuckerkonzentration
aufwiesen. Zusätzlich bestand ein substanzieller Publikations-Bias.
Somit scheint es unter Zufuhr von gleichen Mengen an Kalorien und Stickstoff in der
klinischen Praxis keine relevanten Unterschiede zwischen enteraler und parenteraler
Ernährung zu geben. Eine Kosten-Nutzen-Analyse der CALORIES-Studie konnte jedoch eine
deutliche Kostenersparnis unter enteraler Ernährung zeigen [7]. Somit sollte – sofern keine Kontraindikationen bestehen – die enterale Ernährung
bevorzugt werden, wobei jedoch kein Zwang zur aggressiven Implementierung dieses Weges
der Nahrungszufuhr besteht.