Schlüsselwörter
Morbus Crohn - Colitis ulcerosa - Schwangerschaft - Medikamente - Teratogenität
Einleitung
Chronisch-entzündliche Darmerkrankungen (CED) manifestieren sich am häufigsten im
jungen Erwachsenenalter. In dieser Lebensphase wichtiger beruflicher und privater
Entscheidungen stellt die Konfrontation mit einer potenziell langjährigen chronischen
Erkrankung oft eine schwere Belastung dar. Der Wunsch nach einer Schwangerschaft (bzw.
Vaterschaft) ist daher häufig von großer Unsicherheit geprägt und die Angst vieler
Patienten vor einem nicht gesunden Kind ist groß. Eine aktuelle Studie ergab, dass
eine mögliche Vererbung der CED, eventuelle angeborene Abnormalitäten des Kindes und
die befürchtete medikationsbedingte Teratogenität die größten Sorgen der Patienten
sind, die einem Kinderwunsch entgegenstehen. Demgegenüber ist die Angst vor negativen
Auswirkungen der Schwangerschaft auf die eigene Krankheit deutlich geringer [1]. Der folgende Artikel soll Argumentationshilfen für das Gespräch mit den Patientinnen
und ihren Partnern bieten und insbesondere häufig gestellte Fragen um die medikamentösen
Therapiemöglichkeiten während der Schwangerschaft beantworten. Diskutiert werden vor
allem solche Aspekte, deren Bewertungen in den letzten Jahren einen Wandel erfahren
haben.
Kann ich schwanger werden?
Diese Frage kann fast immer mit ja beantwortet werden. Es gibt nur wenige – und zumeist
auch vorübergehende – Situationen, in denen CED- oder therapiespezifische Komplikationen
zur Infertilität führen können. Die häufigsten Ursachen sind:
-
akuter Krankheitsschub
-
die chronische Eisenmangelanämie mit teils jahrelanger Amenorrhö (fast immer reversibel
nach ausreichender Eisensubstitution)
-
ileoanale Pouchanlage (Infertilität in bis zu 60%)
-
selten: Sulfasalazin
-
selten: unbehandelte Abszesse/Fisteln im kleinen Becken
-
selten: Methotrexat-Medikation (relativierende Details siehe unten)
Infertilität ist kein CED-spezifisches Problem. Tatsache ist, dass auch bei kinderlosen
Paaren ohne chronische Krankheit im Alter zwischen 20 und 30 Jahren in 10 – 20% und
bei Paaren zwischen 30 und 40 Jahren in bis zu 50% eine ungewollte Kinderlosigkeit
besteht. Ein wichtiger Grund bei CED-Patienten scheint die sexuelle Hypoaktivität
zu sein. In einer fragebogenbasierten Studie in der vorwiegend Mitglieder der Deutschen
Morbus Crohn/Colitis ulcerosa-Vereinigung (DCCV e. V.) befragt wurden, gaben nur 20%
der Befragten eine mäßige bis hohe sexuelle Aktivität an. Es wurde herausgearbeitet,
dass vor allem psychosoziale Faktoren und eine nicht selten koexistente Depression
mit einer verminderten sexuellen Aktivität assoziiert sind. Krankheitsspezifische
Faktoren wie die CED-Aktivität oder die Medikation waren hingegen – mit der Ausnahme
eines akuten Krankheitsschubes – nicht assoziiert [2]. Es kann daher sinnvoll sein, dieses in der Sprechstunde oft gemiedene Thema anzusprechen
und die betroffenen Paare ggf. an einen Sexualmediziner zu überweisen (www.netzwerk-sexualtherapie.de).
Merke
Die Fertilität von CED-Patienten ist nur in wenigen Fällen medizinisch beeinträchtigt;
niedrige Konzeptionsraten liegen manchmal auch an psychosozialen Faktoren wie einer
geringen sexuellen Aktivität.
Wann ist ein günstiger Zeitpunkt, um schwanger zu werden?
Günstig ist eine Krankheitsphase, in der schon seit einigen Monaten eine spontane
oder medikamentös induzierte und/oder erhaltene Remission besteht. Mehrere Studien
belegen, dass eine hohe Krankheitsaktivität zu Beginn der Schwangerschaft mit einem
unerwünschten Ausgang bzw. perinatalen Komplikationen verbunden ist. Dieses Risiko
ist bei Morbus Crohn höher als bei Colitis ulcerosa. Weitere Konstellationen mit einem
erhöhten Risiko für einen unerwünschten Ausgang der Schwangerschaft sind z. B. die
Erstmanifestation der CED in der Schwangerschaft oder der fortgesetzte Nikotinabusus
von Morbus-Crohn-Patientinnen nach der Konzeption. Bei Notwendigkeit einer Hospitalisierung
in der Schwangerschaft ist lediglich das Risiko einer Frühgeburt erhöht.
Merke
Eine stabile Remissionsphase der CED ist ein günstiger Zeitraum für eine erfolgreiche
Konzeption und einen günstigen Schwangerschaftsverlauf.
Habe ich genug Kraft, die Schwangerschaft durchzustehen?
Komplikationen im Krankheitsverlauf von schwangeren CED-Patientinnen treten nicht
häufiger als außerhalb der Schwangerschaft auf. Eine Untersuchung mit 140 Patientinnen
weist aus, dass in über 50% der Fälle alle krankheitsspezifischen Charakteristika
unverändert bleiben und nur 10% der Patientinnen eine Verschlechterung des Morbus
Crohn oder der Colitis ulcerosa erfahren [3].
Merke
Der Schwangerschaftsverlauf bei Patienten mit chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen
ist meist unkompliziert.
Soll ich lieber abtreiben, weil ich so viele Medikamente nehme?
Wie schon in der Einleitung angesprochen, nehmen Fragen um die medikamentöse Therapie
einen breiten Raum im Diskussionsbedarf der CED-Patientinnen mit Kinderwunsch oder
bereits eingetretener Schwangerschaft ein. Grund ist, dass in den Packungsbeilagen
fast aller Medikamente vor der Einnahme in der Schwangerschaft gewarnt wird und die
weit verbreitete Ansicht besteht, dass chemisch definierte Arzneimittel in der Schwangerschaft
ungünstig sind. Bei jeder 3. CED-Patientin führte daher allein der Wunsch nach einer
Schwangerschaft zu einer Änderung der Medikation; nach Eintritt der Schwangerschaft
besteht jedoch meist eine hohe Compliance bezüglich der verordneten Medikation [4]. Bei Anlage strenger Evidenzkriterien ist die Datenlage jedoch tatsächlich nicht
optimal, weil z. B. prospektive Untersuchungen mit schwangeren CED-Patientinnen kaum
vorliegen. Auf der anderen Seite gibt es jedoch große Fallserien und Registerstudien,
die wichtige Grundlagen für die Beratung der Patientinnen liefern.
Tipp für die Praxis
Prospektive Untersuchungen zur Arzneimittelsicherheit liegen für schwangere CED-Patientinnen
nicht vor. Daher ist mit jeder Patientin ein einzelfallorientiertes Gespräch nötig.
Bis vor wenigen Jahren wurden laut der US-Behörde FDA alle Medikamente in pharmazeutischen
Schwangerschafts-Kategorisierungen (A bis X) eingeteilt, die jedoch vorwiegend auf
Tierversuchsdaten beruhten. Diese Tabelle war jedoch in der Patientenberatung wenig
hilfreich und wird deswegen aktuell überarbeitet. Hintergrund ist, dass laut des „Office
of New Drugs“ innerhalb der FDA
-
die meisten Frauen mindestens ein Medikament während der Schwangerschaft nehmen.
-
sich die Verwendung von 4 oder mehr Medikamenten während der Schwangerschaft in den
letzten 30 Jahren mehr als verdoppelt hat.
-
viele schwangere Frauen vorbestehende chronische Erkrankungen haben [5].
In der täglichen Praxis haben sich die unter der Internetseite www.embryotox.de abrufbaren aktuellen Informationen zur Arzneimittelsicherheit in Schwangerschaft
und Stillzeit bewährt. Dieses Internetportal wird durch das Pharmakovigilanz- und
Beratungszentrum für Embryonaltoxikologie der Charité in Berlin erstellt. Hier handelt
es sich um ein öffentlich gefördertes Institut, welches unabhängige Informationen
zur Verträglichkeit der wichtigsten Arzneimittel und zur Behandlung häufig vorkommender
Krankheiten in Schwangerschaft und Stillzeit anbietet.
Merke
Insgesamt gilt der Grundsatz: Das höhere Risiko für Mutter und Kind ist die Krankheitsaktivität
der CED, nicht die medikamentöse Therapie.
Ziel der ärztlichen Fürsorge bei CED-Patientinnen in der reproduktiven Phase ist eine
Remission oder eine niedrige Krankheitsaktivität vor und während der Schwangerschaft.
Es sinnvoll, dass sich nach dem Bekanntwerden der Schwangerschaft Frauenarzt und Gastroenterologe
z. B. telefonisch absprechen, um einen Konsens bez. der medikamentösen Therapie zu
erzielen. Sehr praktikabel ist aber auch ein „Dreizeiler“ des Gastroenterologen, dass
aus Sicht der CED-Therapie eine Fortsetzung der Medikation auch in der Schwangerschaft
erforderlich ist, um einen akuten Schub mit ggf. negativem Schwangerschaftsausgang
zu verhindern.
Tipp für die Praxis
Invasive Untersuchungen wie Amniozentese, Chorionzottenbiopsie oder Nabelvenenpunktion
sind bei Verdacht auf eine medikamentenassoziierte Embryo-/Fetopathie generell nicht
sinnvoll; die beste Sensitivität hat der hochauflösende Ultraschall durch einen erfahrenen
Pränatalmediziner.
CED-Medikamentengruppen im Einzelnen
Im Folgenden soll zu wichtigen CED-spezifischen Medikamenten Stellung genommen werden.
Mesalazin und Sulfasalazin
Merke
Aminosalizylate sind in der Schwangerschaft sicher.
Sulfasalazin wurde bei schwangeren CED-Patientinnen sehr gut untersucht und ist sicher
einsetzbar [6]. Die Substitution mit 1 mg Folsäure täglich sollte bei Therapie mit dem Folsäureantagonisten
Sulfasalazin während der gesamten Schwangerschaft erfolgen. Auch Mesalazin ist sicher;
es wurde lediglich vor 23 Jahren einmalig ein Fall eines unerwünschten Ereignisses
berichtet: bei einer Tagesdosis von 4 g täglich im 2. Trimester (dann findet die Nierenentwicklung
statt) kam es zur neonatalen interstitiellen Nephritis [7].
Systemische Glukokortikoide
Prednisolon ist plazentagängig, wird von der plazentaren 11-beta-Hydroxylase jedoch
zum größten Teil inaktiviert. Daher ist die Therapie mit Prednisolon in der Schwangerschaft
weitgehend sicher. Im 1. Trimenon zeigte sich bei > 15 mg Prednisolon tgl. ein erhöhtes
Risiko einer Lippen-Gaumen-Spalte, bei > 20 mg steigt das Risiko einer Frühgeburt.
Hier war jedoch bislang nicht zu klären, ob das Frühgeburtsrisiko nicht schon allein
durch die therapiebedingende hohe Krankheitsaktivität anstieg. Bei hoher Krankheitsaktivität
ist auch eine kurzzeitige Therapie mit bis zu 2 mg/kg möglich [8]. Für Dexamethason liegen unzureichende Daten vor; prinzipiell ist von einem ähnlichen
guten Sicherheitsprofil wie bei Prednisolon auszugehen.
Fazit für die Praxis
Niedrigdosierte Glukokortikoide in der Schwangerschaft bei CED-Patientinnen sind sicher,
der Einsatz sollte aber – wie bei allen CED-Patienten – zeitlich begrenzt bleiben.
Budesonid
Auch topische Steroide scheinen in der Schwangerschaft sicher zu sein. In einer aktuellen
retrospektiven Datensammlung wurde der Verlauf bei 8 Patientinnen mit ausschließlichem
Morbus Crohn des Dünndarms dargestellt. Die Dosis betrug 6 – 9 mg tgl. über 1 – 8
Schwangerschaftsmonate hinweg. Die Autoren fanden keine mütterlichen Nebenwirkungen
wie Nebennierenrindensuppression, gestörte Glukosetoleranz oder arterielle Hypertension
und alle Kinder waren gesund [9]. Umfassendere Daten liegen jedoch nicht vor.
Azathioprin und 6-Mercaptopurin
Tierversuche ergaben in hohen Dosen chromosomale Schäden und Malformationen bei Mäusen.
In den in der CED-Therapie üblichen gewichtsadaptierten Dosierungen zwischen 1,5 und
2,5 mg/kg Körpergewicht bestanden diese Schädigungen nicht; es war lediglich das Geburtsgewicht
der Mäuse erniedrigt [10]. Eine Vielzahl von Studien unterschiedlicher Qualität erbrachte keinen Beweis einer
Teratogenität beim Menschen (z. B. [11]) – wenngleich eine geringe transplazentale Übertragung von Thiopurin-Metaboliten
gut belegt ist.
Merke
Azathioprin in therapeutischer Dosierung erwies sich in vielen Studien als nicht teratogen.
Im Alltag kann dem Wunsch vieler Patientinnen folgend überlegt werden, Azathioprin
nach ausreichender Therapiedauer und langanhaltender Remission vor einer geplanten
Schwangerschaft abzusetzen. Meistens tritt die Schwangerschaft jedoch ungeplant ein.
In diesem Fall sollte Azathioprin in unveränderter Dosis während der gesamten Schwangerschaft
weiterverordnet werden (s. Fallbeispiel). Dieses Vorgehen findet man gegenüber der
früheren restriktiveren Sicht mittlerweile auch in der Fachinformation und der Packungsbeilage.
Methotrexat
Die erwiesene Teratogenität von Methotrexat (MTX) kann vor allem dann zum Wirken kommen,
wenn die Patientin noch nichts von ihrer Schwangerschaft weiß: Typische Schäden wie
Neuralrohrdefekte, Schädel- und Skelettanomalien manifestieren sich in der 6. – 8. Schwangerschaftswoche.
Daher wird versucht, MTX bei jungen Frauen nicht einzusetzen. Wenn die klinische Situation
MTX unumgänglich macht, muss auf eine 2-fache Kontrazeption (z. B. Vaginalring plus
Kondom) hingewiesen werden.
Auf www.embryotox.de wird daher aktuell eingeschätzt: „Methotrexat sollte möglichst bei Planung einer
Schwangerschaft auf ein sichereres Antirheumatikum umgesetzt werden. Die gelegentlich
empfohlene 3-monatige Therapiepause vor der Konzeption kann mit den bisher vorliegenden
Daten nicht begründet werden“ (letzter Aufruf am 20.5.2017).
Früher wurde bei erfolgter Konzeption unter MTX generell ein induzierter Abort erwogen.
Diese Empfehlung kann jedoch nicht mehr aufrechterhalten werden: Schon im Jahre 1990
wurde eine erste Fallserie mit 10 schwangeren Patientinnen mit rheumatoider Arthritis
(RA) publiziert, die trotz MTX in der Frühschwangerschaft gesunde Kinder bekamen [12]. Eine größere Übersichtsarbeit aus der Rheumatologie bestätigt diese Befunde und
sah bei 101 RA-Patientinnen (5 – 25 mg MTX wöchentlich in der Frühschwangerschaft)
gegenüber der nichtexponierten Normalbevölkerung kein erhöhtes Risiko einer Malformation
oder Fehlgeburt. Dennoch entschieden sich 18 Patientinnen für einen Schwangerschaftsabbruch
[13]. Auch Untersuchungen des Pharmakovigilanz- und Beratungszentrums für Embryonaltoxikologie
in Berlin haben bei wöchentlichen Dosen zwischen 10 und 25 mg keine Hinweise auf teratogene
Effekte gesehen. Selbst unter Beachtung von Daten aus der onkologischen Therapie mit
deutlich höheren MTX-Dosen liegt das Risiko einer Fehlbildung nur bei etwa 10%.
Auch im Verlauf der Schwangerschaft sollte auf MTX verzichtet werden, wenn das der
klinische Verlauf gestattet ([Tab. 1]).
Fazit für die Praxis
Methotrexat sollte bei prämenopausalen Frauen vermieden werden. Bei einer Konzeption
unter MTX ist die früher generell propagierte Interruptio kein Dogma mehr, sondern
muss in Abhängigkeit vom fetalen Ultraschallbefund und der psychosozialen Situation
der Patientin diskutiert werden.
TNF-Blocker
Die TNF-Antagonisten Adalimumab, Infliximab und Golimumab werden in der Gastroenterologie
häufig bei jüngeren CED-Patienten eingesetzt. Im Mausversuch erwiesen sie sich als
nicht embryotoxisch oder teratogen: Selbst Dosen bis 40 mg Infliximab/kg zeigten keine
Nebenwirkungen – die übliche Erhaltungsdosis bei CED-Patienten liegt hingegen nur
bei 5 – 10 mg/kg alle 8 Wochen. Die Rate an Fehlgeburten, Missbildungen und Frühgeburten
entspricht nach bisherigen Erkenntnissen den Raten von CED-Patientinnen ohne Anti-TNF-Therapie
[14].
In einer aktuellen ersten prospektiven Studie wurde untersucht, ob hohe Konzentrationen
der Anti-TNF-Präparate Infliximab und Adalimumab im Nabelschnurblut mit einer erhöhten
Rate von Entwicklungsstörungen und insbesondere Infektionen im Säuglingsalter assoziiert
sind. An der Studie nahmen 80 Frauen teil, die im Median seit 2,5 Jahren diese Medikation
erhielten. 39 Patientinnen nahmen neben dem TNF-Blocker zusätzlich die Thiopurine
Azathioprin oder 6-Mercaptopurin während ihrer Schwangerschaft ein. Im Nabelschnurblut
fanden sich bei 78 bzw. 100% der exponierten Neugeborenen nachweisbare Adalimumab-
bzw. Infliximab-Medikamentenspiegel ([Abb. 1 a]). Postpartal erfolgte alle 3 Monate neben einer klinischen Untersuchung und Befragung
der Mütter eine Messung der Anti-TNF-Spiegel. Der Zeitraum bis zum fehlenden Nachweis
im Säuglingsblut dauerte 4 bzw. 7,3 Monate für Adalimumab bzw. Infliximab ([Abb. 1 b]). Im Vergleich zu den mütterlichen Serumkonzentrationen ließ sich aus diesen Daten
errechnen, dass die Halbwertszeit der untersuchten TNF-Blocker bei Neugeborenen und
Säuglingen doppelt (Adalimumab) bzw. 3,7-fach (Infliximab) so lange war wie bei ihren
Müttern ([Abb. 1 c]).
Abb. 1 Vergleich des Nabelschnurblut-Nachweises (a) und des Abbaus (b) der bei CED am häufigsten eingesetzten TNF-Blocker Adalimumab und Infliximab und
Vergleich der Halbwertszeiten von Mutter und Kind (c) [15].
Trotz dieser deutlich verlängerten neonatalen Antikörper-Clearance zeigte sich zum
1. Geburtstag der Kinder eine völlig unbeeinträchtigte Entwicklung von Grob- und Feinmotorik,
Sehen, Sprache/Sprechen, Hören, Kommunikation und sozialer Entwicklung. Ein besonderes
Augenmerk galt dem Risiko viraler und bakterieller Infektionen. Bei 5 bzw. 20% der
Kinder kam es binnen des 1. Lebensjahrs zu einer bakteriellen bzw. viralen Infektion.
Alle Infektionen waren von einer Restitutio ad integrum gefolgt. Die Anti-TNF-Konzentration
im Nabelschnurblut sowie eine mütterliche Anti-TNF-Antikörper-Applikation jenseits
der 30. SSW hatten keinen Einfluss auf dieses Risiko. Die weitere Analyse zeigte jedoch,
dass eine Komedikation des TNF-Blockers mit einem Thiopurin das eben genannte Risiko
um das etwa 1,5-Fache erhöht (RR 2,7, 95%-KI 1,09 – 6,78) [15]. Fazit dieser sehr wichtigen Studie ist, dass die Messung von TNF-Blocker-Spiegelkonzentrationen
im Nabelschnurblut ohne Konsequenz für die Entwicklung im 1. Lebensjahr ist und insbesondere
nicht in Korrelation zum Risiko viraler oder bakterieller Infektionen steht. Wenngleich
alle in dieser Untersuchung aufgetretenen Infektionen von einer Restitutio ad integrum
gefolgt waren, erhöht die Kombination von Anti-TNF und Thiopurinen das Infektionsrisiko.
Darauf sollten die betroffenen Eltern hingewiesen werden. Die Ergebnisse dieser Studie
unterstützen aber das zuvor publizierte „Toronto Consensus Statement“, dass TNF-Blocker
bei Schwangerschaftswunsch nicht abgesetzt werden müssen und eine Weiterführung in
der Schwangerschaft (und auch der Stillzeit) möglich und zur Vermeidung akuter Krankheitsschübe
während der Schwangerschaft sinnvoll ist [16].
Merke
Die bisherigen Erfahrungen zum Einsatz von TNF-Antagonisten in der Schwangerschaft
ergaben keinen Anhalt für ein substanzspezifisches Risiko.
Neue Biologika: Vedolizumab und Ustekinumab
Vedolizumab ist ein darmselektiver Integrin-Antagonist und wurde 2014 zur Behandlung
des MC und der CU zugelassen. Ustekinumab ist ein Anti-IL12- und Anti-IL-23-Antikörper
und wurde 2016 zur Behandlung des Morbus Crohn zugelassen, wird aber schon seit 2013
für die Psoriasisarthritis eingesetzt. Für beide Substanzen gibt es bislang nur limitierte
Berichte über schwanger gewordene Patientinnen. Bei 27 Schwangerschaften bei Müttern
mit Vedolizumab-Therapie und 19 Schwangerschaften bei Vätern mit Vedolizumab-Therapie
sind die Ergebnisse zusammenfasst: Es fanden sich u. a. 4 bzw. 2 spontane Aborte [17].
In einer 2016 auf dem amerikanischen Dermatologenkongress vorgestellten Registerstudie
zu 87 Schwangerschaftsverläufen unter Ustekinumab wurde außer 5 Frühgeburten kein
weiteres Risiko für Mutter und Kind beschrieben; die Fachinformation empfiehlt jedoch
eine 15-monatige Pause zwischen letzter Gabe und Konzeption. Eine ausreichende Einschätzung
der Sicherheit von Vedolizumab bzw. Ustekinumab in der Schwangerschaft ist aufgrund
dieser bislang sehr kleinen Fallserien noch nicht möglich [18].
Antazida, H2-Blocker, PPI, MCP und Butylscopolamin
Während der Schwangerschaft treten häufig nicht eindeutig der CED zuzuordnende abdominelle
Symptome auf, die eine Therapie mit Protonenpumpeninhibitoren, H2-Blockern oder Metoclopramid nahelegen. Auch neuere Untersuchungen belegen an sehr
großen Patientenkollektiven, dass diese Medikamente wohl nicht mit einem erhöhten
Risiko für die Schwangere und ihr Kind verbunden sind [19], [20], [21]. Calcium- und Magnesiumcarbonat (Generika, Rennie®) können problemlos eingesetzt werden. Magaldrat (Riopan®), Almasilat (Megalac®, Simagel®), und Hydrotalcid (Talcid®) enthalten Aluminium und sollten generell nur kurzfristig eingesetzt werden. Schwangerschaftsspezifische
Nebenwirkungen sind jedoch nicht bekannt. Auch für das vielen Patientinnen bekannte
Butylscopolamin liegen bislang bis auf einzelne Fallberichte keine Daten über relevante
schwangerschaftsassoziierte Nebenwirkungen vor.
Merke
Protonenpumpeninhibitoren, H2-Blocker, Metoclopramid, Antazida und Butylscopolamin können in der Schwangerschaft
eingesetzt werden.
Paracetamol und nichtsteroidale Antirheumatika
Klassische NSAR wie Ibuprofen, Naproxen und Diclofenac sollten wegen der möglichen
Auslösung eines akuten Schubs generell nicht bei CED-Patientinnen eingesetzt werden.
Dennoch gibt es in der Schwangerschaft Situationen, die eine wirkungsvolle Analgesie
erfordern. Beispiele sind Schmerzen im Bereich der Ileosakralgelenke oder auch die
akute Analfissur. Wenn in solchen Fällen eine orale Schmerztherapie nötig ist, sollte
immer ein Therapieversuch mit 1 – 4 g Paracetamol täglich erfolgen. Paracetamol kann
bis zur Geburt verabreicht werden und ist das Analgetikum der 1. Wahl für schwangere
CED-Patientinnen.
Cave
Opiate zeigten eine Reihe eher seltener teratogener Effekte und sollten insbesondere
im 3. Trimenon mit großer Vorsicht eingesetzt werden.
Therapieintensivierung in der Schwangerschaft – was ist möglich?
Besondere Erfahrung erfordert die Bewertung von Symptomen, die während der Schwangerschaft
neu auftreten, aber nicht eindeutig einer erhöhten Krankheitsaktivität zuzuordnen
sind. Beispiele sind der rechtsseitige Unterbauchschmerz bei Morbus-Crohn-Patientinnen
(z. B. Differenzialdiagnose Zug des wachsenden Uterus am Lig. latum) oder die Hämorrhoidalblutung
bei Colitis-ulcerosa-Patientinnen. Der Schwerpunkt einer Entscheidungsfindung liegt
hier auf einer genauen Anamnese der hinzugetretenen Beschwerden. Eine symptombezogene
körperliche Untersuchung und die hochauflösende Sonografie durch den Gynäkologen und
den Gastroenterologen sind die nächsten Schritte. Nur im Einzelfall einer schweren
Symptomatik und therapeutischer Unsicherheit sollten andere bildgebende Verfahren
oder eine endoskopische Untersuchung erfolgen.
Fallbeispiel
Therapieintensivierung in der Schwangerschaft
Eine damals 29-jährige Patientin (167 cm, 50 kg) entwickelte Anfang 2007 eine Proctitis
ulcerosa, die sich binnen eines Jahres zu einer Pankolitis ausdehnte. Zum Zeitpunkt
der Konzeption im Mai 2008 nahm die Patientin täglich 125 mg Azathioprin und 4,5 g
Mesalazin-Granulat ein und war darunter in Remission. In der 13. SSW traten Schmerzen
im linken Unterbauch und täglich bis zu 7 Durchfälle auf, die etwa jedes 2. Mal blutig
tingiert waren. Die mikrobiologische Untersuchung des Stuhls war unauffällig. Mesalazin-Rektalschaum
zur Nacht führte zur klinischen Remission nach 3 Tagen und wurde nach einer Woche
Therapiedauer nur noch intermittierend eingesetzt. In der 22. SSW war wieder eine
tägliche Therapie nötig, weil erneut bis zu 4 blutige Stühle auftraten. Da keine vollständige
Remission erzielbar war, wurden zudem Mesalazin-Zäpfchen 2 × tgl. 500 mg verordnet.
Damit waren nur noch etwa jeden 2. Tag kleine Blutmengen im Stuhl erkennbar.
Wenngleich eine Reihe an Medikamenten auch in der Schwangerschaft neu eingesetzt werden
darf ([Tab. 1]), können seltenere Nebenwirkungen im Einzelfall zu einem ungünstigen Ausgang der
Schwangerschaft beitragen. Daher sollten vor dem Neubeginn mit einem bislang nicht
verwandten Medikament zunächst die Dosierungen bereits eingesetzter Medikamente an
das zunehmende Körpergewicht bzw. die erhöhte Krankheitsaktivität angepasst werden.
In zweiter Linie können Glukokortikoide verordnet werden (siehe Fallbeispiel). Im
schwer verlaufenden Einzelfall kann aber auch eine rasche Eskalation der immunsuppressiven
Therapie oder eine Operation die Rettung für Mutter und Kind sein. Über Fälle einer
in der Schwangerschaft aufgetretenen Azathioprin-induzierten akuten Pankreatitis wurde
bislang nicht berichtet; es liegen allerdings auch keine Daten über die Neuverordnungshäufigkeit
von Azathioprin in der Schwangerschaft vor.
Fallbeispiel
Weiterer Verlauf
Weil einzelne Wehen auftraten, die in fraglichem zeitlichen Zusammenhang mit der Applikation
des Schaums standen, wurde zu Beginn des 3. Trimenons der Rektalschaum abgesetzt.
In der 29. SSW waren die abgesetzten Blutmengen wieder deutlich größer und teils koagelhaltig.
Der Hämoglobinwert sank allmählich an die Untergrenze des Normalbereichs. Die Patientin
applizierte jetzt bis 8 × täglich 500-mg-Mesalazin-Zäpfchen, wenngleich diese einen
Defäkationsdrang induzierten. Aufgrund dieser Entwicklung und weil das Kind im Ultraschall
als zu klein beurteilt wurde, begannen wir nun eine Therapie mit Prednisolon 10 mg
morgens. Darunter verringerten sich die Blutbeimengungen deutlich (maximal 3 × tgl.
blutig tingiert) und die Patientin reduzierte bis zur Geburt die Zäpfchenzahl auf
4 × tgl. 500 mg. Die Therapie mit Mesalazin p. o. und Azathioprin wurde während der
gesamten Schwangerschaft unverändert beibehalten.
Am 24.01.09 kam auf vaginalem Wege eine gesunde Tochter (3440 g, 50 cm) zur Welt.
Direkt postpartal passten wir Azathioprin an das erhöhte Körpergewicht (jetzt 150 mg/60 kg)
an. Etwa 2 Wochen später kam es dennoch zu einem erneuten schweren Schub; endoskopisch
zeigte sich eine ausgeprägte Pankolitis. Unter zunächst überlappender Prednisolon-Therapie
erfolgt seitdem die Therapie mit Infliximab; die zu einer steroidfreien Remission
nach 10 Wochen führte. Sechs Monate später wurde Azathioprin abgesetzt und die weitere
Therapie erfolgte ausschließlich mit Infliximab.
Im Jahr 2014 wurde die Patientin erneut schwanger. IFX wurde während der gesamten
Schwangerschaft fortgesetzt. Bei stabiler Remission der CU erfolgte eine unkomplizierte
vaginale Entbindung in der 40.+2 SSW (3900 g, 53 cm).
Fazit
Tab. 1 Möglichkeiten der Therapieintensivierung in der Schwangerschaft (unsere Präferenz
ist fett hervorgehoben).
möglich
|
nicht gefahrlos
|
unbekannt
|
Mesalazin
|
MTX im 1. Trimenon
|
Ustekinumab
|
Prednisolon < 20 mg
|
Prednisolon > 20 mg
|
Vedolizumab
|
Budesonid
|
Azathioprin, 6-Mercaptopurin (Risiko akute Pankreatitis v. a. bei Raucherinnen)
|
|
TNF-Antagonisten
|
|
|
Ciclosporin (keine Zulassung bei CED)
|
|
|
Im schwerwiegenden Einzelfall können fast alle CED-Medikamente auch in der Schwangerschaft
eingesetzt werden. Mesalazin und Prednisolon haben dabei das niedrigste kurzfristige
Nebenwirkungspotenzial.
Fallbeispiel
Wichtige Punkte bei der Beratung von CED-Patientinnen
Eine aktuell publizierte Kasuistik unterstreicht mehrere der in unserer Übersicht
diskutierten Probleme und fokussiert auf mögliche Beratungsfehler. Berichtet wurde
von einer 31-jährigen Patientin, die unter kombinierter Therapie mit MTX und Infliximab
nach langjährigem schwer verlaufendem Morbus Crohn in klinische Remission kam und
schwanger wurde (Punkt 1: Eine Konzeption tritt zumeist in einer Phase der klinischen
Remission ein). Nachfolgend wurden aus Angst vor der Teratogenität von MTX und Infliximab
beide Medikamente abgesetzt. Der MC erreichte wieder seine ursprüngliche schwere Krankheitsaktivität
und in der 30. SSW musste aufgrund der schweren mütterlichen Erkrankung die Sectio
erfolgen (Punkt 2: Nach eingetretener Schwangerschaft sollte insbesondere bei schwerem
Krankheitsverlauf möglichst keine Dosisreduktion der immunsuppressiven Therapie erfolgen).
Das Mädchen wog nur 1225 g, zeigte aber keine erkennbare Erkrankung (Punkt 3: Die
initial befürchtete Teratogenität trat nicht ein, die Therapiedeeskalation führte
aber zur Frühgeburt). Die schwerkranke Wöchnerin „musste das zunächst erlaubte Stillen
beenden“ und kam erst nach erneuter Infliximab-Infusion in Remission. Der weitere
klinische Verlauf von Mutter und Kind war glücklicherweise unauffällig [22].
Ist die Entwicklung meines Kindes gefährdet?
Die Neugeborenen von MC-Patientinnen sind nicht selten kleiner, leichter und werden
wenige Wochen zu früh geboren. Eine skandinavische Fallkontrollstudie ergab, dass
die Risiken einer Fehl- oder Frühgeburt, untergewichtiger Neugeborener oder eines
Kaiserschnitts bei Erstgebärenden mit Colitis ulcerosa gegenüber der gesunden Vergleichspopulation
erhöht sind – jeweils in klarer Korrelation zur Krankheitsaktivität. Angeborene Fehlbildungen
traten hingegen nicht gehäuft auf [3].
Die Vererbbarkeit der chronisch-entzündlichen Darmerkrankung ist eine häufige Sorge
der Patientinnen und Patienten mit Kinderwunsch. In einer der größten Studien zu dieser
Frage fand sich bei weniger als 10% der Patienten auch bei den Eltern ein Morbus Crohn.
Die Erkrankung begann allerdings in der Kindergeneration zeitiger und verlief schwerer;
insbesondere, wenn die Vererbung vom Vater erfolgte [23]. Es gibt nur wenige Untersuchungen zur langfristigen medizinischen und psychosozialen
Entwicklung der Kinder von CED-Patientinnen. Das stellt eine Diskrepanz zum hohen
Informationsbedürfnis zu diesem Themenkomplex dar. Eine bislang nur als Poster vorgestellte
israelische Studie mit 146 Kindern von Müttern mit CED ergab, dass das Risiko einer
CED des Kindes gegenüber der gleichaltrigen Bevölkerung gering erhöht ist (3 vs. 0%).
Ebenso fanden sich gering erhöhte Raten von Lernschwierigkeiten und dem Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätssyndrom
– die Prävalenz überschritt jedoch in keinem Falle 5%. Kein Unterschied fand sich
hingegen bei der atopischen Dermatitis, der Lese-Rechtschreib-Schwäche, dem Autismus
oder dem Auftreten von Bauchschmerzen [24]. Vergleichbare deutsche Untersuchungen existieren bislang nicht. Ein einfaches Rechenbeispiel
verdeutlich die Situation: Die Prävalenz für eine CED in Deutschland beträgt 0,3%;
wenn das Risiko für Verwandte 1. Grades (also z. B. Kinder) um den Faktor 10 erhöht
ist, würde sich bei Kindern von Eltern, bei denen mindestens einer an einer CED erkrankt
ist, eine Prävalenz von 3% ergeben. 97% der Kinder entwickeln in ihrem Leben daher
keine CED.
Kernaussagen
Das Bekanntwerden einer Schwangerschaft bei einer Patientin mit Morbus Crohn oder
Colitis ulcerosa sollte von den beteiligten Ärzten positiv reflektiert werden, weil
sowohl das krankheitsspezifische als auch das therapieassoziierte Schwangerschaftsrisiko
gering sind. Ziel ist daher vor allem eine Remission oder eine niedrige Krankheitsaktivität
vor und während der Schwangerschaft. Denn im Vergleich stellt die Krankheitsaktivität
der Mutter ein höheres Risiko dar als die eingesetzten Medikamente. Die Schwangerschaft
verläuft bei CED-Patientinnen in der Regel unkompliziert und erhöht auch nicht in
wesentlichem Ausmaß die krankheitsspezifischen Charakterisika.
Wissenschaftlich verantwortlich gemäß Zertifizierungsbestimmungen
Wissenschaftlich verantwortlich gemäß Zertifizierungsbestimmungen für diesen Beitrag
ist PD Dr. med. Niels Teich, Leipzig.