Fortschr Neurol Psychiatr 2017; 85(04): 193
DOI: 10.1055/s-0043-104710
Editorial
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Arbeit und psychische Erkrankungen – machen uns Digitalisierung und Globalisierung krank?

Working and mental illness – Do digitalisation and globalisation make us ill?
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Publication Date:
24 April 2017 (online)

Der aktuelle Wahlkampf für die Bundestagswahl 2017 zeigt wie auch andere politische Entwicklungen, dass die wirtschaftliche Entwicklung in den letzten zwei Jahrzehnten Gewinner und Verlierer hat. Auf der Gewinnerseite stehen flexible junge Leute, die gut gebildet ihren Lebensweg gehen und teilweise Gehälter verdienen, von denen sie nie zu träumen gewagt hätten. Auf der anderen Seite stehen viele, ebenfalls junge Leute, durchaus gebildet, ambitioniert und auch dazu bereit, viel zu arbeiten, die sich jedoch einer fragmentierten Arbeitswelt, Arbeitsverträgen mit befristeten Zeiträumen oder aber einer Tätigkeit als Freelancer gegenübersehen. Seit vielen Jahren wissen wir durchaus, dass eine instabile psychosoziale Situation entscheidend das Risiko für die Entstehung psychischer Erkrankungen steigert. Dabei ist insbesondere der Arbeitsplatz von größter Bedeutung, da wir nicht nur einen substanziellen Teil unserer Tageszeit mit Arbeit verbringen, sondern Arbeit schon immer eine strukturierende und sinngebende Wirkung im Gesellschaftsrahmen hatte. Nicht zu arbeiten oder keiner regelmäßigen Arbeit nachzugehen führt nicht nur zu finanziellen Problemen, sondern auch zu sozialer Isolierung, Prestigeverlust und letztlich zu genau der Mischung von Umständen, auf deren Nährboden sich psychische Erkrankungen gut entwickeln und gedeihen können. Hier sind insbesondere affektive Erkrankungen, aber auch Suchterkrankungen zu nennen, bei denen neben der vieldiskutierten Vulnerabilität auch Umweltfaktoren wesentlich für die Entstehung sind.

Betrachtet man nun die Entwicklung des Arbeitsmarktes, der nicht nur durch Globalisierung, sondern auch entscheidend durch Digitalisierung geprägt ist, so muss man u. a. die Forderung von Bill Gates sehr ernst nehmen, eine Steuer auf Roboter zu verankern, wobei diese Forderung nicht wirklich neu ist, da während der Industrialisierung wellenweise immer wieder Maschinen die Arbeitsplätze von Menschen gefährdet haben. Digitalisierung tut dies genauso, allerdings auf eine recht subtile Art und Weise. Nutzen und genießen wir nicht alle die Vorteile der Digitalisierung in Form von besserer Kommunikation, besserer Datenübertragung, besserer Erreichbarkeit? Sind wir zugleich nicht alle Opfer dieser vermeintlich besseren Erreichbarkeit, der Auflösung der Grenzen zwischen Freizeit und Arbeitszeit und einer immer höheren Verdichtung, die uns als Notwendigkeit für ein besseren Lebens verkauft wird?

Solange man mit dieser Entwicklung Schritt halten kann, kann man die Vorteile der Digitalisierung genießen. Ist man vielleicht weniger gut ausgebildet, weniger flexibel oder hat nicht den notwendigen Zugang zu digitalen Kommunikationsformen, dann ist man schnell abgekoppelt und gehört zu dem Teil der Gesellschaft, der die Früchte der Digitalisierung nicht voll genießen kann. Insofern ist es Aufgabe sowohl der Politik als auch der Psychiatrie, sich darüber Gedanken zu machen, wie man bei Beibehaltung der Vorteile der Digitalisierung sinnvolle Maßnahmen ergreifen kann, diese Menschen nicht nur davor zu bewahren, zu sogenannten „Verlierern“ dieser schnelllebigen Entwicklung zu werden, sondern gleichzeitig einen Anstieg ihrer Zahl zu verhindern.

Meines Erachtens müssen sowohl Freelancer als auch die sogenannten prekären Arbeitsplätze wie Zeit-, Frist- oder Minijobs rechtlich abgesichert werden, damit man auch in diesen Arbeitsbereichen sowohl mit einer Krankenversicherung als auch mit einer Versorgung im Alter rechnen kann. Wenn diese Maßnahmen nicht finanzierbar erscheinen, dann muss zum einen über eine Steuer für die Innovationen der Digitalisierung (z. B. Roboter) nachgedacht werden und zum anderen auch eine sinnvolle Diskussion zum Thema eines gesetzlichen Grundeinkommens geführt werden.

Mit freundlichen kollegialen Grüßen,

Ihr Peter Falkai

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Prof. Dr. Peter Falkai