Balint Journal 2017; 18(01): 21-22
DOI: 10.1055/s-0043-103722
Fallbericht
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Kasuistik einer hilfreichen Arzt-Arzt(Patienten) Intervention

Helmut Schaaf
1   Gleichgewichtsinstitut Hessen in der Tinnitus-Klinik Dr. Hesse, Stadtkrankenhaus, Arolsen
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Publication Date:
19 May 2017 (online)

Wahrscheinlich gibt es noch keine evidenzbasierte Untersuchung zu der Frage, ob Ärzte, die an Balintgruppen teilnehmen, wirksamer sind als andere Organmediziner. Deswegen möchte ich ein persönliches Einzelbeispiel sowohl als Dank wie als Ermutigung schildern, die Balintarbeit nicht nur – manchmal ausbildungs-pflichtgemäß – zu beginnen, sondern auch weiter wertzuschätzen und zu pflegen.

Konkret erwischte mich in einer anhaltend – mich anstrengenden Phase – eine deutliche einseitige Sehbeeinträchtigung. Ohne Brille – die ich verloren hatte, konnte ich in einer fremden Stadt nicht mehr gut sehen, was ich der verlorenen Brille anlastete. Wieder zu Hause mit dem Wunsch nach einem schnellen Ersatz kam vom Optiker der Hinweis: „Sie haben nur noch einen Visus von 0,6, das können wir nicht 100% ausgleichen. Bitte gehen Sie erst zum Augenarzt“.

Der Augenarzt sah nichts … und stellte ebenso wahr wie trostlos fest, dass wir alle alt werden (ich damals 57), und es nichts Schlimmes sein könne und das andere Auge o.k. ist. Also dann: eine neue Brille und „das Ganze im Auge behalten…“. Da ich nach einem rechtsseitigen M. Menière schon einseitig taub bin, blieb meine Sorge, eines alten Tages nicht nur schlecht bis gar nicht hören zu können, sondern auch noch das Sehen zu verlieren und das eine nicht durch das andere kompensieren zu können.

Als ich 6 Monate später den Nachfolger des Augenarztkollegen aufsuchte, fand dieser doch etwas Auffälliges an der Netzhaut. Jetzt folgte, in der nächst kompetenten Klinik, eine sog. Optische Kohärenz Tomografie (vergleichbar mit einem MRT der Augenschichten) und eine Fluoreszenz-Angiografie. Danach bekam das Geschehen einen Namen: Chorio-Retinopathia serosa chronica.

Dabei sammelt sich letztlich Flüssigkeit (ein Ödem) zwischen der Netzhaut und der sie versorgenden Aderhaut. Dies steht dem Sehen im Weg. Dabei bleibt die Ursachenklärung im Wahrscheinlichen. Als Risikofaktoren scheinen exogene Glucocorticosteroide, auch bei längerfristiger Benutzung von Kortison-Präparaten z. B. als Asthma-Spray, gesichert. Angenommen werden aber auch „Stress“ und Depressionen – wenn sie mit einem erhöhten körpereigenen Cortisol-Spiegel einhergehen.

Angeraten wurde ein „optimistisches Abwarten“ – was auch meinen Vorstellungen entsprach – und „Stress“ abzubauen. Dabei fühlte es sich für mich erst mal nicht besser an, von den ansonsten wenig empathisch empfundenen Kollegen auf den psychosomatischen Zusammenhang gestoßen zu werden. Dennoch wusste ich auch, was an Baustellen schon lange im Argen lag und auch was sich in der letzten Zeit zugespitzt hatte. Ich hatte nur keine Idee, was ich davon ändern könnte. Also wollte ich mich damit abfinden und blieb bei: „Wenn es stabil bleibt, kann ich mich weiter daran gewöhnen“.

Ein Jahr später griff ich in der Frühblüher Zeit wegen ausgeprägter Atembeschwerden trotz vorangegangener Desensibilisierung auf ein Cortison Spray zurück – hinsichtlich der Atembeschwerden mit guter Wirksamkeit. Aber im nächsten OCT zeigte sich, passend zu meinem Empfinden, dass das Ödem hinter der Netzhaut zugenommen und sich der Visus verschlechtert hatte. Meine zwischenzeitliche besänftigte Verzweiflung nahm zu und wurde durch einen „man kann mal dies und das versuchen, aber man weiß nicht“ Pragmatismus des wieder aufgesuchten Kollegen nicht besser.

Ich arbeitete mich also wieder intensiv durch die Literatur, wobei es tatsächlich auch Kollegen unter den wenigen Experten mit konkreten Erfahrungen gab, die auf meine an sich bei per mail gestellten Fragen antworten. Dabei erweisen sich vor allem die invasiven und teilweise extrem teuren Vorschläge auf einem Evidenzniveau von IV, also dem Eminenz Niveau und sind durchaus mit dem Gefährdungspotential einer nachhaltigen Sehverschlechterung verbunden. Die nicht invasiven Maßnahmen erscheinen eher als Placebos. Auch wegen dieser Unsicherheit nahmen meine Verzweiflung und meine depressive Verarbeitung zu.

In dieser Situation stellte „mein Balintgruppenleiter“ den Kontakt zu einer Augenarzt Kollegin her, die er aus einer anderen Balintgruppenarbeit kannte. Auch wenn das für mich von Dorf zu Dorf eine Tagesreise bedeutete, war meine Verzweiflung und Not groß genug, um den Schritt zu wagen.

 
  • Literatur

  • 1 Daruich A, Matet A, Dirani A, Bousquet , Zhao M, Farman N, Jaisser F, Behar-Cohen 2015; Central serous chorioretinopathy: Recent findings and new physiopathology hypothesis. Progress in Retinal and Eye Research Dieser ist frei einsehbar unter http://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S1350946215000336
  • 2 Liegl R, Ulbig MW. 2014; Central Serous Chorioretinopathy. Ophthalmologica 2014; 232: 65-76