Pneumologie 2017; 71(09): 580-586
DOI: 10.1055/s-0043-103137
Originalarbeit
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Alpha-2-Makroglobulin-Serumspiegel bei Patienten mit Alpha-1-Antitrypsin-Mangel

Alpha-2 Macroglobulin Serum Level in Patients with Alpha-1 Antitrypsin Deficiency
V. Kotke
1   Philipps-Universität Marburg, Klinik für Innere Medizin Pneumologie, Marburg
,
S. Wiedmann
1   Philipps-Universität Marburg, Klinik für Innere Medizin Pneumologie, Marburg
,
C. Nell
1   Philipps-Universität Marburg, Klinik für Innere Medizin Pneumologie, Marburg
,
C. Vogelmeier
1   Philipps-Universität Marburg, Klinik für Innere Medizin Pneumologie, Marburg
,
R. Bals
2   Universitätsklinikum des Saarlandes, Innere Medizin V – Pneumologie, Homburg
,
T. Greulich
1   Philipps-Universität Marburg, Klinik für Innere Medizin Pneumologie, Marburg
,
A. Klemmer
1   Philipps-Universität Marburg, Klinik für Innere Medizin Pneumologie, Marburg
› Author Affiliations
Further Information

Korrespondenzadresse

Viktor Kotke
Philipps-Universität Marburg
Klinik für Innere Medizin Pneumologie
Baldingerstraße
35043 Marburg

Publication History

eingereicht28 November 2016

akzeptiert 07 February 2017

Publication Date:
27 April 2017 (online)

 

Zusammenfassung

Hintergrund und Ziele Alpha-2-Makroglobulin (A2 M) ist ein Plasmaprotein mit proteolytischer Wirkung auf viele Proteasen. Bei Patienten mit einem angeborenen Alpha-1-Antitrypsinmangel (AATM) liegt ein funktioneller Protease-Überschuss vor. Ziel dieser Studie war es, die Hypothese zu prüfen, dass bei Patienten mit AATM ein erhöhter A2M-Spiegel nachweisbar ist.

Methoden Patienten mit AATM (Genpolymorphismus Pi*ZZ, Pi*SZ, Pi*MZ und seltene Genvarianten) wie auch Probanden mit einem normwertigen AAT-Spiegel (gesunde Probanden, Pi*MM) wurden der A2M- und AAT-Testung unterzogen. Die Serumkonzentrationen der Proteine wurden mittels Nephelometrie bestimmt. Die Polymorphismen Pi*Z und Pi*S wurden durch Polymerase-Kettenreaktion (PCR) nachgewiesen, seltene Genvarianten wurden durch Sequenzierung ermittelt.

Ergebnisse In unsere Studie wurden insgesamt 291 Individuen eingeschlossen. Es konnte gezeigt werden, dass es bei Vorliegen eines Genpolymorphismus (Pi*ZZ) und einem Alpha-1-Antitrypsin-Serumspiegel < 50 mg/dl zu einem signifikanten Anstieg des A2M-Spiegels im Serum gegenüber den gesunden Probanden kommt.

Schlussfolgerungen In dieser Studie konnte eine inverse Korrelation zwischen den Serumspiegeln von AAT und A2M bei Vorliegen eines Genpolymorphismus (Pi*ZZ) nachgewiesen werden. Weitere Studien sind erforderlich, um zu erfassen, welche klinische Bedeutung erhöhte A2M-Serumpiegel bei Patienten mit einem schweren AAT-Mangel Pi*ZZ und seltenen Genvarianten, deren AAT-Serumspiegel unter 50 mg/dl liegt, haben könnten.


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Abstract

Background and objectives Alpha-2 Macroglobulin (A2M) is a plasma protein with proteolytic effects on many proteases. In patients with an inborn alpha-1 antitrypsin deficiency (AATD) the homeostasis between proteases and antiproteases is disturbed. The aim of this study was to compare the levels of AAT and A2 M in patients and controls. We hypothesized that in patients with AATD A2 M levels are elevated.

Methods Patients with AATD (polymorphism Pi*ZZ, Pi*SZ, Pi*MZ and rare gene variants) as well as healthy volunteers (Pi*MM) were tested for A2 M and AAT levels. The concentration of the proteins was measured by nephelometry. The polymorphisms Pi*Z and Pi*S were detected by polymerase chain reaction (PCR), the rare genetic variants were identified by sequencing.

Results In our study, a total of 291 individuals were included. It could be shown that a significant increase in A2 M levels in the serum could be observed in the presence of a gene polymorphism (Pi*ZZ) and an alpha-1 antitrypsin serum level < 50 mg/dl compared to the healthy volunteers.

Conclusions In this study, an inverse correlation between the serum levels of AAT and A2 M was found in the presence of a gene polymorphism (Pi*ZZ). Further studies are necessary to elucidate the clinical significance of increased A2 M serum levels in patients with severe AAT deficiency Pi*ZZ and rare gene variants whose AAT serum level is < 50 mg/dl.


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Einleitung

Das vor allem in der Leber gebildete AAT ist ein 52 kDa großes Protein, dessen wichtigste physiologische Funktion im Schutz des pulmonalen Gewebes vor dem Einfluss einer Reihe von proteolytischen Enzymen liegt. Es sind mehr als 100 verschiedene Allele des Genlokus bekannt, welcher für AAT kodiert (SERPINA1) [1] [2]. Die auf der Proteinebene resultierenden Phänotypen werden nach ihrem Laufverhalten in der isoelektrischen Fokussierung bezeichnet. Fehlt aufgrund von Mutationen dem Organismus AAT als wichtige Antiprotease, so überwiegen proteolytische Einflüsse, die zu einer Schädigung des Lungenparenchyms und somit zum Emphysem führen können. Ein weiterer relevanter Faktor bei der Emphysementwicklung ist Zigarettenrauch, der eine inhibierende Wirkung auf die Funktion von AAT hat. Die meisten Patienten mit einem AATD-bedingten Lungenemphysem sind aktive oder ehemalige Raucher [2] [3].

In der Familie der Serin-Proteasen gibt es andere Proteine, von denen A2 M das bekannteste ist. Der Normwert liegt bei 1,1 – 3,0 g/l. Nach Bindung von A2 M an Proteasen vollzieht das Protein eine Konformationsänderung und hemmt unspezifisch die neutrophile Elastase [4] [5]. Beiden Plasmaproteinen ist also gemein, dass sie eine inhibitorische Wirkung auf die neutrophile Elastase sowohl im Blut als auch im Lungengewebe ausüben [6]. In einigen Publikationen wurden bereits erhöhte A2M-Spiegel bei Trägern des AAT-Genotyps Pi*ZZ und Pi*SZ beschrieben [7]. Allerdings konnte in anderen Studien dieser Zusammenhang nicht nachgewiesen werden [8]. Daten zu seltenen Genotypen fehlen bislang vollständig.

Wir untersuchten beide Parameter (AAT und A2 M) bei Patienten mit unterschiedlichen Schweregraden des AATD. Das Ziel der Studie war, zu zeigen, dass es bei Patienten mit erniedrigtem AAT-Spiegel und Vorliegen eines AAT-Genpolymorphismus (Z-Allel, S-Allel sowie seltene Allele) Abweichungen des A2M-Serumspiegels gegenüber der Kontrollgruppe (Pi*MM) gibt.


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Material und Methodik

Ablauf der Studie

Nach Erteilung eines positiven Ethikkommissionsvotums durch die Ethikkommission des Fachbereiches Medizin der Philipps-Universität Marburg (Az.: 230 /12) wurden entsprechende Studienunterlagen (Patienteneinwilligung zur Studie, Patienteninfo, COPD Assessment Test™ (CAT) und ein Fragebogen zum Raucherstatus, zu Alter und Begleiterkrankungen der Teilnehmer) an 804 Ärzte und 254 Patienten versendet. Insgesamt willigten 436 Patienten zur Teilnahme an der Studie ein. 95 % (n = 414) der Blutproben kamen aus der Bundesrepublik Deutschland, 4,8 % (n = 21) aus Österreich und 0,2 % (n = 1) aus Luxemburg. Hiervon wurden 145 Patienten aufgrund der Ausschlusskriterien (CRP > 5 mg/dl, Patienten unter Substitutionstherapie und Patienten mit fehlenden Blutproben) ausgeschlossen. Die Proben wurden auf Confounder-Einflüsse wie Lipämie oder Hämolyse geprüft. Bei den uns zugesandten Blutproben lag weder eine relevante Hämolyse noch eine Lipämie vor, sodass alle 291 Proben für die Studie verwendet werden konnten. Die Messungen der Parameter AAT, A2 M und CRP erfolgte nephelometrisch mittels eines Nephelometers der Fa. Siemens (Geräte-SN 160653). Die Messrichtigkeit des Nephelometers wurde vom Referenzinstitut für Bioanalytik (RfB) geprüft und bestätigt. Das für die Messung benötigte Equipment (Reagens und Kontrollen) wurde vom Hersteller des Nephelometers (Fa. Siemens Healthcare Diagnostics Products GmbH, Marburg, Germany) bezogen. Die Bestimmung des AAT-Genotyps erfolgte mittels allel-spezifischer Polymerasekettenreaktion (PCR). Bei Vorliegen eines erniedrigten AAT-Spiegels oder bei einem auffälligen PCR-Ergebnis erfolgte zusätzlich die Bestimmung des Phänotyps mittels isoelektrischer Fokussierung (IEF). Zeigten sich hier Hinweise für eine seltene Mutation, erfolgte die Gensequenzierung des SERPINA1-Gens [9].


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Studienpopulation

Die eingeschlossenen Probanden wurden in 7 Kohorten je nach AAT-Genvariante und AAT-Spiegel gegliedert, wovon eine Kohorte die gesunde Kontrollgruppe darstellte. Erstmals wurden auch seltene AAT-Genvarianten je nach AAT-Spiegel in 3 Kohorten gegliedert. ([Tab. 1]). Ferner wurden der Raucherstatus, das Alter und klinische Charakteristika (Vorliegen von COPD, Emphysem, Asthma und/oder Lebererkrankungen) erfasst ([Abb. 1]). Die statistische Auswertung der Daten erfolgte mit Hilfe des GraphPad-Programms. Die Analyse der Verteilung der AAT- und A2M-Werte erfolgte mit dem DʼAgostino & Pearson omnibus normality-Test, dem Shapiro-Wilk normality-Test und dem Kolmogorov-Smirnov-Test. Die Ermittlung des Korrelationskoeffizienten erfolgte mittels der Spearman-Korrelation. Die Auswertung der Daten erfolgte non-parametrisch mittels Mann-Whitney-U-Test für ungepaarte Stichproben. Bei einem p-Wert von < 0,05 wurde von einem signifikanten Unterschied ausgegangen.

Tab. 1

Übersicht der Kohorten, Anzahl der eingeschlossenen Probanden, Charakteristika und COPD Assessment-Test (CAT).

Pi*MM

Pi*ZZ

Pi*SZ

Pi*MZ

selt. Mutation AAT < 50 mg/dl

selt. Mutation AAT > 50 bis < 90 mg/dl

selt. Mutation AAT > 90 mg/dl

∑n

61

50

40

50

24

42

24

Raucher

14

 6

 6

 9

 6

10

 1

Nichtraucher

19

18

16

26

 6

18

 9

Ex-Raucher

20

20

15

12

10

10

10

k. A.[*](Raucherstatus)

 8

 6

 3

 3

 2

 4

 4

Männer/Frauen

32/29

26/24

22/18

25/25

13/11

25/17

10/14

Alter in Jahren [Median]

62

57

51

50

49

53

56

Alter in Jahren [IQR 25 %-75 %]

49,8 – 71,4

51,1 – 65,8

38,4 – 61,9

38,8 – 63,4

32,3 – 54,7

43,4 – 63,8

33,1 – 63,3

COPD Assessment Test

CAT [Median]

14,5

14

8

11

12

13

17

CAT [IQR 25 % – 75 %]

8 – 19

9 – 23

4 – 17,5

6 – 19

4 – 17

7 – 22

7,8 – 22

* keine Angaben


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Abb. 1 Klinische Parameter der Kohorten: Pi*MM, Pi*ZZ, Pi*SZ, Pi*MZ, seltene Genvarianten mit AAT-Spiegel < 50 mg/dl, seltene Genvarianten mit AAT-Spiegel > 50 – < 90 mg/dl, seltene Genvarianten mit AAT-Spiegel > 90 mg/d. In der Kategorie (keine Angaben) wurden klinische Parameter nicht angegeben.

#
#

Ergebnisse

AAT-Genotypen (Pi*MM, Pi*ZZ, Pi*SZ, Pi*MZ)

Patienten mit schwerem AAT-Mangel Pi*ZZ zeigen im Vergleich zu Pi*MM (gesunde Kontrollgruppe) einen signifikant höheren A2M-Spiegel (p = < 0,0001). Patienten der Kohorten Pi*SZ und Pi*MZ zeigen im Vergleich zu Patienten der Kohorte Pi*MM (gesunde Kontrollgruppe) keinen signifikanten Unterschied ([Abb. 2]).

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Abb. 2 Unterschiede der A2M-Spiegel beim Vergleich der Kohorten Pi*ZZ mit Pi*MM (***p = < 0,0001), Kohorten Pi*SZ mit Pi*MM (p = nicht signifikant), Kohorten Pi*MZ mit Pi*MM (p = nicht signifikant).

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Seltene Genvarianten

Seltene AAT-Genvarianten mit dem AAT-Spiegel < 50 mg/dl haben gegenüber den Patienten der Kohorte Pi*MM (gesunde Kontrollgruppe) einen signifikant höheren A2M-Spiegel (p = 0,0034). Patienten mit seltenen AAT-Genvarianten und einem AAT-Spiegel > 90 mg/dl haben einen signifikant höheren A2 M Spiegel als die Kohorte mit Pi*MM (p = 0,0101). ([Abb. 3]).

Zoom Image
Abb. 3 Vergleich der A2M-Spiegel der Kohorten mit den seltenen AAT-Genvarianten und AAT-Spiegel < 50 mg/dl mit Pi*MM (**p = 0,0034), seltenen AAT-Genvarianten und AAT-Spiegel > 50 – < 90 mg/dl mit Pi*MM (p = nicht signifikant), seltenen AAT-Genvarianten und AAT-Spiegel > 90 mg/dl mit Pi*MM (*p = 0,0101).

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A2M- und AAT-Serumspiegel

[Tab. 2]. stellt die unterschiedlichen A2M-Serumspiegel der untersuchten Kohorten entsprechend der Genotypen dar und [Tab. 3] und [Tab. 4] zeigen die AAT-Spiegel in den jeweiligen Kohorten entsprechend der Genotypen.

Tab. 2

A2M-Serummittelwerte und Medianwerte der Kohorten mit den Genotypen Pi*MM, Pi*ZZ, Pi*SZ, Pi*MZ, seltene Mutationen AAT-Spiegel < 50 mg/dl, seltene Mutationen AAT-Spiegel > 50 – < 90 mg/dl, seltene Mutationen AAT-Spiegel > 90 mg/dl.

Pi*MM

Pi*ZZ

Pi*SZ

Pi*MZ

selt. Mutation
AAT < 50 mg/dl

selt. Mutation AAT > 50 bis < 90 mg/dl

selt. Mutation AAT > 90 mg/dl

A2M-Spiegel g/L ± SD

1,97 ± 0,53

2,84 ± 1,04

2,14 ± 0,76

2,27 ± 0,76

2,48 ± 0,83

2,25 ± 0,89

2,55 ± 0,95

A2 M [Median] g/L

1,89

2,60

1,98

2,05

2,26

1,89

2,23

Tab. 3

Alpha-1-Antitrypsin-Spiegel in den jeweiligen Kohorten.

Kohorte

Pi*MM

Pi*ZZ

Pi*SZ

Pi*MZ

Median [mg/dl]

148

27

61,8

88,3

IQR mg/dl [25 % – 75 %]

131 – 159

22 – 29

55,6 – 66,7

79,5 – 95,1

Tab. 4

Alpha-1-Antitrypsin-Spiegel in den jeweiligen Kohorten.

Kohorte

Pi*MM

selt. Mutation AAT (< 50 mg/dl)

selt. Mutation AAT (> 50 – < 90 mg/dl)

selt. Mutation AAT (> 90 mg/dl)

Median [mg/dl]

148

21,7

69,3

118,5

IQR mg/dl [25 % – 75 %]

131 – 159

20,4 – 24,4

63,7 – 75,4

103 – 129


#

Korrelation zwischen AAT- und A2M-Spiegel innerhalb der untersuchten Kohorten

Wir überprüften die gemessenen AAT- und A2M-Wert auf ihre Verteilung. Es zeigte sich, dass die Werte nicht normal verteilt sind. Die [Abb. 4 a]. zeigt die Kohorten Pi*MM, Pi*ZZ, Pi*SZ, Pi*MZ und die Korrelation der Parameter A2 M zu AAT. Bei den Kohorten des Typs Pi*ZZ und Pi*MM zeigten sich positive Zusammenhänge r = 0,60; p = < 0,0001 sowie r = 0,43; p = 0,0005. Folgende Gruppenvergleiche zeigten keinen statistisch nachweisbaren Zusammenhang: Pi*SZ, Pi*MZ sowie die AAT-Genvarianten mit seltenen Mutationen (< 50 mg/dl, > 50 – < 90 mg/dl und > 90 mg/dl) ([Abb. 4 b]).

Zoom Image
Abb. 4 Korrelation zwischen den Serumspiegeln von AAT und A2 M innerhalb der einzelnen Gruppen. a Kohorten Pi*MM, Pi*ZZ, Pi*SZ, Pi*MZ b Kohorten mit seltenen Genotypen unterschiedlicher Serumspiegel.

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#

Diskussion

In unserer Studie haben wir zwei Proteine (A2 M und AAT) von Patienten mit unterschiedlichem Schweregrad eines AATD quantifiziert. Die Ergebnisse zeigen, dass bei Patienten mit schwerem AATD (Pi*ZZ) erhöhte A2M-Werte im Serum gemessen werden konnten.

Dieses Ergebnis stützt die Aussagen von Sveger et al., wobei unsere Zahl an Probanden in der Kohorte Pi*ZZ (n = 50) größer gewesen ist. Gegenteiliges konnten wir bei der Kohorte Pi*SZ (n = 40) erkennen. Diese zeigt im Vergleich zur gesunden Gruppe keine signifikanten Abweichungen; Sveger et al. beschrieben in der Gruppe Pi*SZ (n = 22) einen signifikanten Unterschied [7]. Der Vergleich der Kohorte heterozygot Pi*MZ und heterozygot Pi*SZ zu der Kohorte homozygot Pi*ZZ (schwerer AAT-Mangel) zeigt, dass mit einem erhöhten A2M-Spiegel im Zusammenhang eines erniedrigten AAT-Spiegel < 50 mg/dl gerechnet werden kann.

Die Besonderheit unserer Studie liegt darin, dass auch Patienten mit Kombinationen aus einem Z- oder S-Allel und selteneren Allelen wie auch homozygot seltene Genvarianten (über 100 seltene AAT-Genvarianten sind bekannt, einige hiervon werden in der Publikation von Herr beschrieben [10]) in die Studie eingeschlossen wurden. Bei allen Probanden mit seltenen Genvarianten wurde das SERPINA1-Gen sequenziert. Die Kohorte „seltene Genvariante mit einem AAT-Spiegel < 50 mg/dl“ ist mit der Kohorte Pi*ZZ auf der Ebene des AAT-Spiegels vergleichbar. Hier bestätigt sich die Annahme, dass ein AAT-Spiegel < 50 mg/dl zu erhöhten A2M-Spiegeln im Serum führt. Bei der Kohorte „seltene Genvariante mit einem AAT-Spiegel > 50 – < 90 mg/dl“, dessen AAT-Spiegel mit der Kohorte Pi*SZ vergleichbar ist, zeigte sich kein signifikanter Unterschied. Dieses Ergebnis stützt unsere Daten im Vergleich zwischen den Kohorten Pi*SZ zu Pi*MM. Überraschenderweise zeigte sich beim Vergleich der Kohorten „seltene Genvariante mit einem AAT-Spiegel > 90 mg/dl“ mit der Kohorte Pi*MM eine signifikante Abweichung (p = 0,0101). Eine schlüssige Erklärung für die erhöhten A2M-Spiegel in dieser Gruppe können wir nicht geben, evtl. könnte dies auf die relativ niedrige Fallzahl zurückzuführen sein.

Es ist bekannt, dass AAT-Moleküle bei Vorliegen der Z-Mutation im Zytoplasma und endoplasmatischem Retikulum von Hepatozyten Polymere bilden können und dann in ihrer inhibierenden Wirkung auf die neutrophile Elastase eingeschränkt sind. Das AAT ist dann zwar im Serum in normwertiger Konzentration messbar, jedoch fehlt die physiologische Inhibierung der neutrophilen Elastase [11]. Somit kann trotz eines normwertigen AAT-Spiegels ein Einfluss auf die Entwicklung von Erkrankungen vorliegen, da mit dem Spiegel lediglich die Menge des Enzyms und nicht die Aktivität bestimmt wird.

Unsere Studienprobanden litten alle an Erkrankungen wie COPD, Emphysem sowie z. T. auch an Lebererkrankungen. Es zeigt sich, dass die Probanden der Gruppe mit Pi*MM, obwohl manifeste Erkrankungen vorlagen, einen normwertigen A2M-Spiegel hatten. Hieraus schließen wir, dass der höhere A2M-Spiegel in den entsprechenden Kohorten tatsächlich vom AAT-Genotyp und AAT-Serumspiegel (und nicht von klinischen Charakteristika) abhängig zu sein scheint.

Wir führten eine Korrelationsanalyse durch; diese zeigte bei der Gruppe Pi*ZZ einen Zusammenhang. Diese Beobachtung untermauert die These, dass es abhängig vom AAT-Genotyp und dem Vorliegen eines niedrigen AAT-Spiegels (< 50 mg/dl) zu einer Erhöhung des A2M-Spiegels im Serum kommt. Überraschenderweise zeigte sich beim Korrelationsvergleich der Kohorten Pi*MM ebenso ein Zusammenhang (r = 0,43; p = 0,0005), wobei bei der Gruppe Pi*ZZ eine wesentlich deutlichere Korrelation zu sehen ist. Eine schlüssige Erklärung für den geringen numerischen Zusammenhang in der Gruppe Pi*MM können wir nicht geben. In allen anderen Gruppen konnte kein Zusammenhang gezeigt werden. Die These, dass bei der Kohorte „seltene Mutationen mit einem AAT-Spiegel < 50 mg/dl“ eine Korrelation besteht, konnte nicht bestätigt werden.

Es stellt sich die Frage, ob tatsächlich der AAT-Spiegel im Serum zu erhöhten A2M-Werten im Serum führt oder ob bestimmte Genotypen eine wichtigere Rolle spielen. Bei der Vielzahl der vorkommenden AAT-Mutationen ist die Proteinfaltung divergent. Dies führt dazu, dass je nach Schweregrad der Mutation die Proteine teilweise in der Leber verbleiben. Bekannt ist, dass die AAT-Genvariante Pi*ZZ zu einer ungünstigen Protein-Tertiärstruktur führt, sodass der größte Teil des AATs in der Leber verbleibt. Bei der Kohorte der seltenen Mutationen, deren AAT-Spiegel bei < 50 mg/dl liegt, waren unterschiedliche Allel-Konstellationen (heterozygote/homozygote mit Mangelallelen „S- und Z-Allel“ bzw. gesunden Allelen „M“ und unbekannte Mutationen) inkludiert. Die Probandenzahl in dieser Kohorte ist mit n = 24 für eine fundierte Aussage zu gering. Dies könnte die Ursache für die fehlende Korrelation in der Kohorte „seltene Mutationen AAT-Spiegel < 50 mg/dl“ sein.

Des Weiteren stellt sich die Frage, ob der tendenziell höhere A2M-Serumspiegel einen relevanten Einfluss auf die neutrophile Elastase in der Lunge hat, sodass ein gewisser Anteil des Protease-Antiprotease-Ungleichgewichts dadurch abgemildert wird. 14 – 20 % der Patienten mit schwerem AATD (Pi*ZZ) zeigen keine typische Symptomatik für COPD und Emphysem, was bislang nicht eindeutig verstanden ist (Stoller et al. 2005/2012 [2] [12]). Bekannt ist auch, dass das im Chromosom 12 lokalisierte A2 M zahlreiche Genpolymorphismen aufweist [13]. Hier stellt sich die Frage, ob der tendenziell höhere A2M-Serumspiegel in Kombination mit evtl. vorliegenden A2M-Genpolymorphismen eine beschleunigte Wirkung auf Demenzerkrankungen vom Alzheimer-Typ (AD) hat. Es besteht eine Assoziation zwischen Polymorphismen des A2 M und der Alzheimer-Krankheit, wobei die genauen Mechanismen unklar sind [14]. A2M-Genpolymorphismen und deren beschleunigte Wirkung auf AD werden in zahlreichen Publikationen beschrieben [13] [15]. Scacchi et al. konnten keinen Zusammenhang zwischen dem A2M-Spiegel und dem Vorliegen einer Alzheimer-Erkrankung nachweisen [16]. Andere Studien zeigen, dass auch anhaltende Entzündungsreaktionen (wie sie bei Pat. mit COPD und Emphysem oftmals nachweisbar sind) zur Entstehung von Demenz und AD beitragen könnten [17] [18].

Hier könnten weitere Studien hilfreich sein, z. B. die statistische Ermittlung der A2M-Genpolymorphismen bei Patienten mit unterschiedlichen AAT-Genotypen sowie eine genauere klinische Charakterisierung dieser Patienten inklusive Tests zur Früherkennung einer Demenz.

Zusammenfassend konnten wir zeigen, dass bei Patienten mit schwerem AAT-Mangel ein Anstieg des A2M-Serumspiegels beobachtet werden kann. Bislang ist unklar, ob die beobachteten Zusammenhänge auch von klinischer Bedeutung sind, sodass weitere Untersuchungen an Probanden und Patienten, welche klinisch genauer charakterisiert sind, notwendig sind.


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Interessenkonflikt

V. Kotke, S. Wiedmann, C. Nell, C. Vogelmeier, R. Bals, T. Greulich und A. Klemmer geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Dieser Beitrag beinhaltet keine von den Autoren durchgeführten Studien an Tieren.

Danksagung

Herrn Dr. Christian Michel danke ich für die Hilfestellung bei einzelnen Fragen.
Großen Dank an den Stiftungsrat des Fachbereichs Medizin der Philipps-Universität Marburg.

  • Literatur

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Korrespondenzadresse

Viktor Kotke
Philipps-Universität Marburg
Klinik für Innere Medizin Pneumologie
Baldingerstraße
35043 Marburg

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Abb. 1 Klinische Parameter der Kohorten: Pi*MM, Pi*ZZ, Pi*SZ, Pi*MZ, seltene Genvarianten mit AAT-Spiegel < 50 mg/dl, seltene Genvarianten mit AAT-Spiegel > 50 – < 90 mg/dl, seltene Genvarianten mit AAT-Spiegel > 90 mg/d. In der Kategorie (keine Angaben) wurden klinische Parameter nicht angegeben.
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Abb. 2 Unterschiede der A2M-Spiegel beim Vergleich der Kohorten Pi*ZZ mit Pi*MM (***p = < 0,0001), Kohorten Pi*SZ mit Pi*MM (p = nicht signifikant), Kohorten Pi*MZ mit Pi*MM (p = nicht signifikant).
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Abb. 3 Vergleich der A2M-Spiegel der Kohorten mit den seltenen AAT-Genvarianten und AAT-Spiegel < 50 mg/dl mit Pi*MM (**p = 0,0034), seltenen AAT-Genvarianten und AAT-Spiegel > 50 – < 90 mg/dl mit Pi*MM (p = nicht signifikant), seltenen AAT-Genvarianten und AAT-Spiegel > 90 mg/dl mit Pi*MM (*p = 0,0101).
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Abb. 4 Korrelation zwischen den Serumspiegeln von AAT und A2 M innerhalb der einzelnen Gruppen. a Kohorten Pi*MM, Pi*ZZ, Pi*SZ, Pi*MZ b Kohorten mit seltenen Genotypen unterschiedlicher Serumspiegel.