Schlüsselwörter
Knie - Totalendoprothese - Sport - Revision
Key words
knee joint - sports - total knee arthroplasty - revision
Einleitung
Die Implantation einer Knietotalendoprothese (Knie-TEP) gehört zu den häufigsten Operationsverfahren
weltweit und steht mit 127 077 Eingriffen in Deutschland 2013 an 15. Stelle der durchgeführten
stationären Operationen [1]. Die häufigste Indikation stellt die primäre Gonarthrose dar. Aufgrund der längeren
Lebenserwartung und Lebensqualität der Patienten steigt auch der Anspruch an die Prothesenhaltbarkeit
und -funktion. Obwohl die Standzeit der Knie-TEP mit ca. 95 % nach 10 Jahren sehr
gut ist und damit mit der der Hüft-TEP vergleichbar ist [2], ist die Patientenzufriedenheit nach Knie-TEP deutlich schlechter [3]. Als Behandlungsziel geben viele Patienten nicht nur Schmerzfreiheit, sondern auch
die volle Funktionsfähigkeit inklusive Rückerlangen der Sportfähigkeit bzw. den Wunsch
nach sportlicher Aktivität, uneingeschränkter Mobilität und Unabhängigkeit auch in
höherem Lebensalter an. In unserer modernen Gesellschaft ist Sport ein wichtiger Bestandteil
des Lebens, der sich positiv auswirkt auf die Gesundheit, die Lebensqualität, soziale
Kontakte sowie das Selbstwertgefühl. Gerade bei älteren Patienten gewinnt der Sport
zunehmend im Sinne der sozialen Integration an Bedeutung. Verschiedene Arbeitsgruppen
konnten zeigen, dass die sportliche Aktivität nach Implantation einer KTEP zunimmt
[4]. Dies ist in erster Linie der postoperativen Schmerzfreiheit und der damit verbundenen
gesteigerten Patientenzufriedenheit geschuldet. Durch die zunehmende Aktivität scheint
sich auch das funktionelle Ergebnis zu verbessern, was durch EMG-Untersuchungen von
Erler et al. gezeigt werden konnte [5]. Die positiven Auswirkungen sportlicher Aktivität auf die Lebensqualität sind unbestritten,
aber auch die modernsten Implantate halten dauerhaft nicht allen Belastungen stand.
Gerade in den letzten Jahren wird deshalb zunehmend kontrovers diskutiert, inwiefern
sportliche Betätigung und vor allem deren Art und Intensität Einfluss auf die Lebensdauer
einer Knie-TEP hat. Beim Gehen in der Ebene können Kniegelenkskräfte vom 3 – 4fachen,
beim abwärts gehen sogar vom 8fachen des Körpergewichtes auftreten. Beim Joggen steigen
die Belastungen sogar bis auf das 12 fache des Körpergewichtes an. So berichten die
meisten Arbeitsgruppen über einen erhöhten Abrieb und damit verbunden eine gesteigerte
aseptische Lockerungsrate von Kunstgelenken durch vermehrten Aktivitätslevel mit einhergehenden
gesteigerten Bewegungszyklen [6]. In vitro zeigte sich bereits bei alltäglichen Belastungen wie Gehen oder Treppensteigen
eine erhöhte Abriebrate der Inlays von Knie-TEP’s [7].
Auf der anderen Seite wird postuliert, dass regelmäßige sportliche Aktivität mit relativ
geringer bis mittlerer Gelenkbelastung zumindest mittelfristig mit einem Follow-up
von 4 Jahren keinen negativen Einfluss auf die Standzeit von künstlichen Hüftgelenkersatz
zu haben scheint [8]. Empfohlen werden daher vor allem sogenannte Low-impact-Sportarten wie Fahrradfahren,
Wandern oder Schwimmen, um eine möglichst lange Prothesenstandzeit zu erreichen [9]. Neben dem Aktivitätslevel und patientenspezifischen Einflüssen spielt sicherlich
die Implantatwahl, die exakte Positionierung sowie die Operationstechnik eine entscheidende
Rolle. Zusätzlich gilt es zu bedenken, dass allein wegen der in den letzten Jahren
konstant hohen Implantationsrate und der zeitgleich zunehmenden Lebenserwartung das
Revisionsrisiko nach Implantation einer Knie-TEP ansteigt.
Es stellt sich also die Frage, ob eine vermehrte mechanische Belastung einer Prothese
durch sportliche Aktivität zu einer höheren Revisionsrate führt. Wie sich die sportliche
Aktivität nach Jahren im Langzeitverlauf in Bezug auf Abrieb, Lockerung oder mechanische
Komplikation der Knie-TEP auswirkt, ist nach wie vor nicht vollständig geklärt.
Daher war es Ziel dieser Arbeit mit einem Langzeit-Follow-up von 12 Jahren zu untersuchen,
welchen Einfluss sportliche Aktivität auf die Standzeit und damit Revisionsrate der
Knie-TEP hat.
Patienten/Material und Methoden
Patienten/Material und Methoden
In unserer retrospektiven Studie wurden im Jahr 2005 130 Patienten (68 männlich und
62 weiblich) mit einem Durchschnittsalter von 69,2 Jahren mittels standardisiertem
Fragebogen zu Ihrer sportlichen Aktivität vor und nach Knie-TEP-Implantation befragt.
Zu diesem Zeitpunkt lag die Implantation einer zementierten, ungekoppelten, bikondylären
Knie-TEP ohne Patellarückflächenersatz durchschnittlich 22 Monate zurück. Patienten
mit bereits postoperativ aufgetretenen Komplikationen wie persistierende Schmerzen
von größer 2 auf der NRS, Folgeoperationen oder Funktionseinschränkungen wie Extensionsdefizit
oder Flexionsfähigkeit von weniger als 100 Grad am betroffenen Kniegelenk wurden von
der Studie ausgeschlossen.
Die Patienten wurden entsprechend den Ergebnissen im Fragebogen in eine Sportgruppe
(= Gruppe A) und in eine No-Sportgruppe (= Gruppe B) unterteilt. Gruppe A gab an,
regelmäßig sportlich aktiv zu sein. Gruppe B hingegen übte 22 Monate nach Endoprothesenimplantation
keinerlei Sport aus.
2010, durchschnittlich 7 Jahre nach Knie-TEP Implantation, wurden die gleichen 130
Patienten erneut telefonisch befragt, ob sie weiterhin regelmäßig sportlich aktiv
waren, welche Sportarten sie ausführten und ob es zu Komplikationen im Sinne von Revisionsoperationen
gekommen ist. Nur bei gleichbleibender sportlichen Aktivität 2005 und 2010 wurden
die Patienten in den Gruppen A (Sport) bzw. B (No-Sport) weitergeführt.
Sowohl 2005 wie auch 2010 wurde nach Befragung der Patienten der Hospital for Special
Surgery Knee Score (HSS Score) entsprechend der Gruppenzugehörigkeit bestimmt.
2015, durchschnittlich 12 Jahre nach Knie-TEP Implantation, wurden die 2005 und 2010
befragten Patienten erneut telefonisch interviewt. Diesmal wurden etwaig stattgehabte
Revisionsoperationen in Abhängigkeit der Gruppenzugehörigkeit 2005 und 2010 berücksichtigt.
Nur Patienten, die sowohl 2005 wie auch 2010 der gleichen Gruppe zugeordnet werden
konnten, kamen 2015 in die Auswertung.
Ergebnisse
Bei den 2005 befragten Patienten waren die fünf häufigsten präoperativ durchgeführten
Sportarten Radfahren, Schwimmen, Wandern im Flachen, Bergwandern und Ski Alpin. Circa
22 Monate nach KTEP-Implantation gaben 88 Patienten (66,7 %) an, regelmäßig Sport
zu betreiben (Gruppe A-Sport), während 42 Patienten (32,3 %) keinerlei Sport betrieben
(Gruppe B-No-Sport). Es handelte sich dabei nahezu ausschließlich um Sportarten mit
geringer und mittlerer Gelenkbelastung ([Table 1]). Mehrfachnennungen waren möglich. 2010 antworteten 87 der 130 im Jahre 2005 befragten
Patienten. Dies entspricht einer Rücklaufquote von 66,9 %. 60 Patienten der Gruppe
A trieben weiterhin regelmäßig Sport. 27 Patienten der Gruppe B gaben an, weiterhin
keinerlei Sport zu betreiben. Auch 2010, 7 Jahre nach Knie-TEP Implantation wurden
mit nahezu gleicher Häufigkeit die entsprechenden Sportarten durchgeführt ([Table 1]).
Tab. 1
Prozentuale Darstellung der ausgeübten Sportarten mit Knie-TEP 2 Jahre (2005) und
7 Jahre (2010) postoperativ.
Sportart
|
Häufigkeit %
2005
|
Häufigkeit %
2010
|
Wandern
|
48,3 %
|
42,5 %
|
Radsport
|
43,4 %
|
37,5 %
|
Schwimmen
|
42,9 %
|
35,0 %
|
Golfen
|
18,3 %
|
15,0 %
|
Nordic walking
|
16,9 %
|
12,5 %
|
Skilanglauf
|
13,7 %
|
15,0 %
|
Ski alpin
|
12,3 %
|
10,0 %
|
Der HSS-Score der Patienten stieg sowohl in Gruppe A-Sport wie auch in Gruppe B-No-Sport
im Jahre 2010 leicht an. Die sportlich aktiven Patienten zeigten sowohl 2005 wie auch
2010 einen besseren HSS Score verglichen mit den inaktiven Patienten ([Table 2]).
Tab. 2
HSS-Score 2005 und 2010: Gruppe A (Sport), Gruppe B (No-Sport) MW ± SEM.
HSS-Score
|
Gruppe A-Sport
|
Gruppe B-No-Sport
|
2005
|
83,44 ± 13,04
|
72,6 ± 16,18
|
2010
|
85,38 ± 9
|
74,22 ± 14,95
|
2015 konnten von den 87 Patienten, die 2010 befragt wurden, immerhin noch 67 Patienten
kontaktiert werden. Davon konnten 46 Patienten der Gruppe A und 21 Patienten der Gruppe
B zugeordnet werden. Dies entspricht einer Rücklaufquote von 77 % ([Table 3]).
In Gruppe A kam es 12 Jahre postoperativ bei 7 von 46 Patienten (15,2 %) zu Revisionsoperationen.
In der Gruppe B gaben 5 von 21 (23,8 %) Patienten Revisionsoperationen im Sinne von
Wechseloperationen in den letzten Jahren an.
Tab. 3
Gruppenzugehörigkeit 2005 – 2015 (n = Anzahl der Patienten).
|
Gruppe A-Sport
|
Gruppe B-No-Sport
|
2005
|
88
|
42
|
2010
|
60
|
27
|
2015
|
46
|
21
|
Diskussion
Die Anzahl Sport treibender Personen in unserer Gesellschaft steigt aufgrund des sozialen
Wandels mit geändertem Freizeitverhalten und geändertem Körperbewusstsein kontinuierlich
an [10]. Aufgrund des demografischen Wandels wird Sport auch zunehmend in höherem Alter
ausgeübt, weshalb die Frage nach sportlicher Aktivität nach künstlichem Gelenkersatz
auch immer mehr in den Vordergrund rückt.
Ob und mit welcher Intensität Sport nach künstlichem Gelenkersatz ausgeübt werden
kann oder sollte, ist nach wie vor nicht abschließend beantwortet und wird in der
aktuellen Literatur kontrovers diskutiert [11]
[12]. Es gibt Arbeiten, die eine reduzierte sportliche Aktivität nach künstlichem Gelenkersatz
[11], andere wiederum ein gesteigertes Aktivitätslevel postoperativ zeigen [13]. Sicherlich ist dies auch abhängig vom präoperativen Aktivitätslevel [14]. Die derzeitigen Patientenempfehlungen orientieren sich lediglich an Konsensusaussagen
oder Befragungen der Operateure [15].
Bei sportlich aktiven Patienten wirken deutlich höhere Krafteinwirkungen und Scherkräfte
auf die Implantate. Des Weiteren zeigen sich ein verstärkter oberflächlicher Gelenkabrieb
sowie ein erhöhtes Risiko traumatischer Verletzungen des Kniegelenkes, die zu gehäuftem
Auftreten von Osteolysen und Prothesenversagen führen können, verglichen mit nicht
aktiven Patienten [16]
[17]
[18]
[19].
So konnte Kilgus et al. eine deutlich gesteigerte Revisionsrate nach Hüft-TEP Implantation
von 28 % bei sportlich aktiven Patienten im Vergleich zu 6 % bei nicht aktiven Patienten
nachweisen, wobei die Revisionsrate erst nach 10 Jahren signifikant anstieg [20]. Somit könnte Sport einen negativen Effekt auf die Haltbarkeit der Prothesenkomponenten
haben und damit zu vermehrten Abrieb führen, der als ursächlich für die aseptische
Lockerung angesehen wird.
Im Gegensatz dazu zeigten andere Arbeitsgruppen einen positiven Effekt sportlicher
Aktivität auf das Knochenwachstum und die Osteointegrität von Prothesenkomponenten
[21]. Es besteht Einigung darüber, dass verbesserte Knochenqualität die Prothesenfixation
verbessert und damit die Lockerungsrate senkt [22]
[23].
Dubs et al. untersuchten 110 Patienten [24] 5,8 Jahre nach Hüft-TEP-Implantation. Die häufigsten postoperativ durchgeführten
Sportarten waren vergleichbar mit denen aus unserer Studie: Wandern (41 %), Schwimmen
(35 %), Jogging (17 %) und Fahrradfahren (10 %). In dieser Untersuchung fand sich
eine signifikant niedrigere Revisionsrate knapp 6 Jahre postoperativ von 1,6 % in
der Sportgruppe verglichen mit der No-Sportgruppe von 14,3 %. Inwiefern diese Ergebnisse
auch im Langzeitverlauf zutreffen und auf künstliche Kniegelenke übertragbar sind,
ist bisher nicht geklärt.
In der Literatur finden sich sehr wenige prospektive Studien mit sehr kurzem Follow-up. Auch
der Follow-up der publizierten retrospektiven Studien zu Sport nach künstlicher Knie-TEP
reicht zur Beantwortung der Frage nach Haltbarkeit bzw. Revisionsrate nicht aus.
Unsere Ergebnisse 12 Jahre nach Knie-TEP Implantation zeigen eine Revisionsrate von
23,8 % in der nicht aktiven Gruppe und von 15,2 % in der sportlich aktiven Gruppe.
Ob der niedrigere HSS-Score in der nicht aktiven Gruppe ursächlich ist für die sportliche
Inaktivität oder die fehlende sportliche Aktivität zu einem niedrigeren HSS-Score
führte, bleibt letztendlich unbeantwortet. Inaktivität kann zu Osteoporose führen
[25]. Inwiefern im Umkehrschluss sportliche Aktivität die Knochendichte und damit die
Verankerung der Prothese verbessert und somit Frühlockerungen entgegenwirken könnte,
lässt sich anhand der Ergebnisse der vorliegenden Arbeiten nur vermuten, allerdings
nicht abschließend beantworten.
Unser gewähltes, retrospektives Studiendesign ist einem prospektiven Untersuchungsansatz
sicherlich unterlegen und führt daher auch zu einem insgesamt relativ hohen Drop-out,
der sich allerdings aufgrund des gewählten Alterskollektivs mit einem Follow-up von
12 Jahren wiederum relativiert. Die Umstände, die zum Drop-out oder zur Revision führten,
sind meist nicht klar erfasst aufgrund z. T. fehlender Erreichbarkeit der Patienten
oder/und nicht vollständig ausgefüllter Fragebogen. Ein weiterer Schwachpunkt ist
sicherlich die Inhomogenität der Probanden. So wurden nicht alle Patienten vom gleichen
Operateur und auch nicht mit dem gleichen Implantat versorgt. Die von den Patienten
gewählten Sportarten prä- und postoperativ entsprechen zum Teil der alpennahen Wohngegend
und können ggf. nicht auf andere Patienten übertragen werden. Nach unserer Auffassung
spiegelt das gewählte Studiendesign ebenso wie das Patientenkollektiv, trotz der aufgeführten
Schwächen, dennoch die Realität des klinischen Alltags wieder und bietet daher möglicherweise
eine hilfreiche Antwort auf die Fragen vieler Patienten, ob sportliche Aktivität auch
über 10 Jahre hinaus der Haltbarkeit von künstlichen Kniegelenken schadet oder nicht.
Schlussfolgerung
Es konnte gezeigt werden, dass 12 Jahre nach Primärimplantation einer Knie-TEP die
Revisionsrate in der Gruppe der sportlich aktiven Patienten verglichen mit den inaktiven
deutlich reduziert war. Daher lässt sich schlussfolgern, dass moderate sportliche
Aktivität nach künstlichem Kniegelenkersatz keinen negativen Einfluss auf die Standzeit
der Knieprothese hat und im Gegenteil sogar möglicherweise zu verbesserter Osteointegration
und damit zu weniger osteolytischen Reaktionen mit daraus resultierender aseptischer
Prothesenlockerung führen könnte. Sportartspezifische Empfehlungen nach künstlichem
Kniegelenkersatz sind sicherlich von verschiedenen Faktoren abhängig und müssen unter
anderem das Alter des Patienten, den Prothesentyp, Komorbiditäten, sportliche Vorerfahrungen
und den Rehabilitationsverlauf sowie das funktionelle Ergebnis berücksichtigen.