Aktuelle Dermatologie 2017; 43(03): 109
DOI: 10.1055/s-0043-102547
Von den Wurzeln unseres Fachs
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Abseits ausgetretener Pfade: Deutsche Mediziner im kolonialen Indonesien

Albert Neisser, Dermatologe und Venerologe, Breslau (22. 1. 1855 – 30. 7. 1916)
Emil Kraepelin, Psychiater, München (15. 2. 1856 – 7. 10. 1926)
C. Bendick
Department of Dermatology, Preah Kossamak-Hospital
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Korrespondenzadresse

Dr. Christoph Bendick
Senior Advisor
Department of Dermatology
Preah Kossamak-Hospital
Phnom Penh, Cambodia

Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
31. März 2017 (online)

 

    1904 /05 reisten Neisser und Kraepelin unabhängig voneinander, jedoch mit ähnlicher Intention, nach Java (Indonesien). Beider Ziel war es, eine Reihe von Fragen und Problemen zu klären, welche in Zusammenhang mit der damals ätiologisch noch nicht geklärten, im wissenschaftlichen und klinischen Alltag jedoch allgegenwärtigen Syphilis standen.

    Neisser war alarmiert über die Zunahme von Syphilis-Patienten in Deutschland. Er beabsichtigte daher, eingehende Versuche zur Übertragbarkeit der Syphilis auf Affen mit nachfolgenden Arbeiten zum Verlauf der Erkrankung, zu Seroreaktionen, Immunität, Infektiosität, Methoden der Impfung und schließlich prophylaktischen und therapeutischen Maßnahmen auf Java durchzuführen.

    Kraepelin war beunruhigt über die außerordentlich hohen Zahlen von Patienten mit Progressiver Paralyse, der Spätform der Syphilis des ZNS, im Krankengut deutscher Nervenkliniken und er versuchte zu ergründen, ob Angehörige von Naturvölkern in ähnlichem Maße für die Entwicklung dieser Komplikation anfällig waren wie Europäer.

    Kraepelin reiste Anfang 1904 für vier Monate nach Java und untersuchte 225 Einheimische und Patienten im Kolonialdienst in der unter holländischer Leitung stehenden Irrenanstalt Buitenzorg (heute Bogor). Als einziger führender Psychiater seiner Zeit, der Interesse an einer Untersuchung transkultureller Phänomene in der Psychiatrie hatte, wollte er zum einen herausfinden, „ob gewisse, bei uns geradezu den Hauptinhalt unserer Anstalten bildende Formen des Irrsinns auch unter ganz anderen Lebensbedingungen und bei ganz anderen Volksstämmen in gleicher Weise und in gleicher Häufigkeit auftreten wie bei uns“. Zum anderen sagte er voraus, dass „Häufigkeit und Formen des Irreseins dereinst eine reiche Fundgrube für das tiefere Verständnis der Eigenart eines Volkes bilden werden.“ Kraepelin, der der Thematik ein Leben lang verhaftet blieb, kann insofern als der Begründer der Transkulturellen Psychiatrie bezeichnet werden.

    Neisser hielt sich 1905 und 1906 jeweils für mehrere Monate auf einer von ihm selbst errichteten Forschungsstation in Batavia (heute Jakarta) auf. Er und seine Assistenten führten hier medizinische Versuche an Hunderten von Orang-Utans durch. Die Ergebnisse dieser Studien legte Neisser 1911 in dem monumentalen „Bericht ... zur Erforschung der Syphilis“ vor. Allerdings war die Zeit – zunächst mit Schaudinns Entdeckung von Treponema pallidum, sodann mit Wassermanns Arbeiten zur Serodiagnostik und schließlich mit Ehrlichs Entwicklung des Salvarsan – mit vielen Aspekten über seine Untersuchungen hinweggegangen. Was war letztendlich das Ergebnis der aufwendigen, teuren und (aus heutiger Sicht) ethisch kaum vertretbaren Untersuchungen? Zum einen ersparte Neisser wohl durch seine sorgfältig erarbeiteten und experimentell belegten Ergebnisse anderen Forschern viel Arbeit. Zum anderen erkannte er, dass lediglich solche Affen auf Inokulation infektiösen Materials nicht mit der Ausbildung eines Primäraffektes reagierten, die noch Träger von Treponemen waren. Jene Tiere hingegen, die erregerfrei geworden waren, konnten erneut infiziert werden, d. h. eine langfristige Immunität gegen Treponema pallidum entwickelte sich nicht.


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    Senior Advisor
    Department of Dermatology
    Preah Kossamak-Hospital
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