Einleitung
Körperfremde Implantate sind aus dem heutigen chirurgischen Alltag nicht mehr wegzudenken.
Die Anwendung reicht von der Orthopädie/Unfallchirurgie mit Endoprothesen beim künstlichen
Gelenkersatz oder diversen Osteosyntheseplatten im Rahmen der Frakturversorgung, der
Neurochirurgie mit Wirbelsäulenstabilisierungen bis hin zur plastischen Chirurgie
mit künstlichen Brustimplantaten. Für die Wiederherstellung einer möglichst physiologischen,
beschwerdefreien Funktion eines Gelenks oder einer Extremität ist eine komplikationslose
Implantation unerlässlich. Wundinfektionen von der oberflächlichen Hautnekrose bis
hin zu allschichtigen Haut-Weichteil-Defekten mit freiliegendem Fremdmaterial stellen
eine seltene, jedoch gefürchtete Komplikation dar, bei der nicht selten der Erhalt
einer Extremität gefährdet ist. So betrug an der Mayo Clinic (Rochester, Minnesota,
USA) die Inzidenz von operationspflichtigen Wundheilungsstörungen bei 17 000 durchgeführten
Knietotalendoprothesen (Knie-TEP) im Zeitraum von 1981 bis 2004 lediglich 0,33% [1]. Insbesondere bei Implantaten im Bereich der Wirbelsäule kann eine Wundheilungsstörung
bzw. die Explantation von Fremdmaterial jedoch zu schwerwiegenden neurologischen Ausfallserscheinungen
bis hin zur Querschnittssymptomatik führen. Hier gilt es, auch klinisch initial unscheinbare
Symptomatiken frühzeitig zu erkennen, um rasch eine konsequente Therapie einleiten
zu können.
Merke
Die Qualität der Weichteildeckung ist entscheidend für die Infekteradikation und die
Knochenheilung. Insbesondere bei komplizierten Defekten ist ein interdisziplinärer
Ansatz in enger Zusammenarbeit mit der plastischen Chirurgie sinnvoll, um ein individualisiertes
Behandlungskonzept zu erstellen.
Je nach Art des Defekts existiert hier eine Vielzahl von plastisch-chirurgischen Rekonstruktionsverfahren,
die zielführend sein können. Dieser Artikel bietet einen Überblick über die verschiedenen
rekonstruktiven Optionen in der Therapie des infizierten Implantats.
Hauptteil
Risikofaktoren
Die Risikofaktoren für eine Wundheilungsstörung können in 3 Gruppen unterteilt werden
([Tab. 1]) [1], [2], [3], [4]: Patientenabhängige Faktoren, intraoperative Faktoren, postoperative Faktoren.
Tab. 1 Risikofaktoren für eine Wundheilungsstörung.
|
patientenabhängige Faktoren
|
intraoperative Faktoren
|
postoperative Faktoren
|
-
multiple Voroperationen im betroffenen Areal
-
ausgeprägtes Traumamuster
-
Kortisontherapie
-
Immunsuppression
-
Mangelernährung (Albumin < 3,4 g/dl)
-
Rauchen
-
insuffizient eingestellter Diabetes mellitus
-
Adipositas
-
pAVK
-
Z. n. Bestrahlung
|
-
inkorrekte Schnittführung
-
insuffiziente Nahttechnik
-
traumatische Weichteilpräparation
-
mangelnde Sterilität
|
-
subkutanes Hämatom
-
zu frühe Mobilisation
-
zu enge Verbände
|
Insbesondere bei elektiven Eingriffen gilt es, bereits präoperativ das potenzielle
Risiko für eine Wundheilungsstörung zu minimieren. So kann z. B. eine gefäßchirurgische
Intervention i. S. von Gefäßbypässen oder Stentimplantation zu einer verbesserten
Perfusion der betroffenen Extremität und somit zu einer reduzierten Gefahr von Hautnekrosen
durch minderdurchblutete Gewebeareale führen. Bei Revisionseingriffen ist insbesondere
auf den Verlauf alter Operationsnarben zu achten. Um die Gewebeperfusion möglichst
wenig zu beeinträchtigen, sollten alte Narbenverläufe – wenn möglich – genutzt werden
[1]. Darüber hinaus ist eine genaue Kenntnis der Blutversorgung des jeweiligen Areals
unerlässlich, um entsprechende Gefäße sicher zu schonen. Hierbei ist insbesondere
auf eine vorsichtige, gefäßerhaltende Präparation des Haut-Weichteil-Mantels zu achten.
Ein direktes Unterminieren der Haut führt zur Einschränkung der Hautperfusion insbesondere
im Bereich des subkutanen Gefäßplexus und somit zu einer erhöhten Hautnekrosegefahr
[1].
Plastisch-chirurgische Deckungsoptionen
Besonders nach Implantation von Fremdmaterial gilt höchste Aufmerksamkeit. Erste klinische
wie auch laborchemische Entzündungsparameter müssen richtig gedeutet werden, um ggf.
frühzeitig eine konsequente Therapie einzuleiten. Gerade bei Fremdmaterial ist eine
Biofilmbildung durch Bakterienbesiedelung unbedingt zu vermeiden. Letztere unterhält
den Entzündungsprozess und kann dadurch eine Ausheilung unmöglich machen. Auch ein
ausgiebiges Débridement verläuft hier oft frustran, sodass häufig eine Implantatexplantation
erforderlich ist [5], [6], [7]. Kommt es zu einer Wundheilungsstörung mit begleitendem Implantatinfekt, stehen
multiple plastisch-chirurgische Deckungsoptionen zur Verfügung. Vor einer jeden abschließenden
Defektdeckung ist jedoch ein ausgiebiges Débridement mit Resektion sämtlicher avitaler
Gewebeanteile evtl. mit nachfolgender Vakuumverbandtherapie und – im Falle eines Wundinfekts
– eine antibiogrammgerechte Antibiose durchzuführen. Darüber hinaus gilt es, alle
beeinflussbaren o. g. Risikofaktoren ([Tab. 1]) zu reduzieren, sodass eine abschließende plastisch-chirurgische Versorgung komplikationslos
erfolgen kann. Der plastische Chirurg muss dann aus verschiedenen Deckungsoptionen
die jeweils beste Therapie wählen ([Abb. 1]) [8]. Hierbei sind insbesondere die anatomische Lokalisation des Defekts, mögliche Gefäßanschlüsse,
die lokale und allgemeine Gefäßsituation, der umgebende Weichteilmantel und das potenzielle
Spenderareal mit einer eventuell verbleibenden Hebedefektmorbidität zu beachten.
Abb. 1 Auswahl der geeigneten Deckungsoption anhand des „rekonstruktiven Rades“ (nach [8]).
Weiterhin ist eine enge interdisziplinäre Absprache zwischen Unfallchirurg und plastischem
Chirurgen bezüglich der Weiterbehandlung erforderlich. Insbesondere weitere potenzielle
Weichteilverluste durch notwendige Folge- und Revisionsoperationen sind bei einer
Defektdeckung mit zu berücksichtigen. So kann ein initialer Weichteilüberschuss durch
eine großzügig gewählte Lappenplastik im weiteren Behandlungsverlauf durchaus segensreich
sein, verhindert er doch in manchen Fällen eine weitere erforderliche Lappenplastik.
Je nach Defektausmaß kann unter Berücksichtigung des „rekonstruktiven Rades“ eine
Deckungsoption gewählt werden ([Abb. 1]).
Hauttransplantation und lokale Lappenplastik
Bei Spalthauttransplantaten handelt es sich um dünne, avaskuläre Hauttransplantate,
die mittels Dermatom von einem Spenderareal, z. B. dem Oberschenkel, gehoben werden
können und auf ein wohlperfundiertes Empfängerareal transplantiert werden. Je nach
Dicke des Dermisanteils werden hierbei Vollhauttransplantate (Epidermis + gesamte
Dermis) von Spalthauttransplantaten (Epidermis + unterschiedlich dicke Dermisanteile)
unterschieden [9], [10]. Im Falle größerer Defekte oder falls ein leichter Abfluss von Wundsekret nötig
ist, stellen gemeshte Spalthauttransplantate eine passende chirurgische Option dar.
Voraussetzung für den Einsatz von Hauttransplantaten ist eine saubere, gut durchblutete,
granulierende Wundoberfläche mit intakter Weichteildeckung des Implantats [9], [10]. Darüber hinaus sind Spalthauttransplantate zur Deckung von Muskellappenplastiken
indiziert. Ein Vorteil der Hauttransplantate besteht darin, dass diese sich durch
ihre dünne Anatomie sehr gut an konkave bzw. konvexe Oberflächen anpassen. Im Vergleich
zu anderen rekonstruktiven Ansätzen ist darüber hinaus der Hebedefekt vernachlässigbar.
Narbenkontrakturen sowie eine vergleichsweise hohe Fragilität, insbesondere bei starker
mechanischer Belastung, limitieren jedoch den Einsatz von Spalthauttransplantaten.
Lokale Lappenplastiken stellen eine geeignete chirurgische Option vor allem bei kleineren
Defekten mit nicht traumatisiertem Umgebungsgewebe dar. Hierbei ist das Spenderareal
direkt neben der Defektzone gelegen. Zu den Vorteilen der lokalen Lappenplastik zählen
eine intakte Sensibilität, ähnliche Hauteigenschaften sowie ein geringer Hebedefekt.
Letzterer ist jedoch neben dem Hauptdefektareal gelegen, was insbesondere bei schwer
traumatisierten oder multimorbiden Patienten limitierend sein kann. Zudem sind lokale
Lappenplastiken nur in bestimmten anatomischen Lokalisationen erfolgversprechend.
Hier ist eine gründliche präoperative Evaluation des gesamten Operationsareals sowie
der Spenderareale unerlässlich [9].
Gestielte Lappenplastiken
Gestielte Lappenplastiken kommen zum Einsatz, wenn die Möglichkeiten einer Defektdeckung
durch eine lokale Lappenplastik limitiert sind. Dies kann z. B. bei schwersttraumatisiertem
Umgebungsgewebe oder bei insuffizienter Hautelastizität der Fall sein. Hier bieten
gestielte Lappenplastiken mit ihrer autonomen Blutzufuhr die Möglichkeit, wohlperfundiertes,
unbeschädigtes Gewebe in die Defektzone einzubringen, wodurch ein zuverlässiger Defektverschluss
erzielt werden kann. Bei (chronischer) Infektsituation ist insbesondere eine Deckung
durch ein suffizient durchblutetes Gewebe notwendig, um einen signifikanten Vorteil
bei der lokalen Infektbekämpfung zu erzielen. Daher eignen sich für größere Defekte
mit frei liegendem Fremdmaterial vor allem gestielte Muskellappenplastiken oder myokutane
Lappenplastiken. Insbesondere bei Defekten nach Knieendoprothesenimplantation nimmt
die gestielte M.-gastrocnemius-Lappenplastik, die 1978 von Feldman et al. erstmals
beschrieben wurde, eine wichtige Rolle ein [11], [12], [13], [14], [15] ([Abb. 2]).
Abb. 2 Mediale M.-gastrocnemius-Lappenplastik. a Allschichtiger Haut-Weichteil-Defekt mit freiliegender Knieendoprothese. b Röntgen a.–p. Aufnahme: Kniearthrodese links nach Ausbau der Knieendoprothese. c Klinischer Befund 10 Tage nach Ausbau der Knieendoprothese, temporärer Vancomycin-Spacer-Arthrodese
und Defektdeckung durch mediale M.-gastrocnemius-Lappenplastik.
Zu den Vorteilen dieser Lappenplastik gehören eine sichere Gefäßversorgung und eine
vergleichsweise einfache intraoperative Präparation. Im Gegensatz zum lateralen Anteil
des M. gastrocnemius ist der mediale Anteil länger und besitzt einen längeren Gefäßstiel
und somit einen größeren Rotationsradius.
Bei kleineren Defekten kann eine gestielte Perforatorlappenplastik eine geeignete
Option darstellen ([Abb. 3]). Hierbei handelt es sich um individuell geformte fasziokutane Lappenplastiken,
die an einem sog. Perforatorgefäß gestielt werden [11], [16], [17]. Letztere sind kleine Gefäße, die aus einem tiefer gelegenen Gefäß entspringen und
durch Muskelsepten oder Muskeln laufen, diese also perforieren, um an der Hautoberfläche
umschriebene Hautareale mit Blut zu versorgen. Nachdem Lage und Durchmesser der Perforatoren
interindividuell stark schwanken, ist eine präoperative Farb-Doppler-Ultraschalluntersuchung,
bestenfalls mit einem Power-Doppler-Gerät, notwendig. Der Vorteil dieser relativ jungen
Operationstechnik ist die meist dünne Anatomie der Lappenplastik, ohne dass hierfür
zentrale Gefäße geopfert werden müssten, was ggf. eine weitere Verschlechterung der
lokalen Durchblutungssituation zur Folge hätte. Die Perforatoren werden bis zum Hauptgefäßstamm
präpariert, sodass ein geeigneter Gefäßstiel resultiert. Der entsprechende fasziokutane
Lappen kann dann um bis zu 180° in den Defekt rotiert werden. Zu den häufigsten Komplikationen
zählt hierbei eine venöse Abflussstörung, auf die postoperativ besonderes Augenmerk
gelegt werden sollte [16].
Abb. 3 Gestielte Propellerperforatorlappenplastik zur Defektdeckung einer Osteosyntheseplatte
am Malleolus medialis. a Defektausmaß vor plastisch-chirurgischer Deckung mit eingezeichnetem Perforator (x)
und geplanter Lappenplastik. b Umschnittene Propellerperforatorlappenplastik vor Rotation in den Defekt. c Propellerperforatorlappenplastik nach Rotation in den Defekt. d Klinischer Befund 1 Monat postoperativ.
Freie Lappenplastiken
Merke
Die Transplantation von Axial-Pattern- oder Perforatorlappenplastiken als freie mikrovaskuläre
Transplantate ermöglicht es, gesundes, gut durchblutetes Gewebe aus einem nicht traumatisierten
oder entzündlich veränderten Körperareal in die Defektzone zu transferieren.
Insbesondere bei großen Defekten mit freiliegendem Fremdmaterial oder schwersttraumatisierter
Weichteilumgebung, z. B. nach einer fulminanten Quetschverletzung oder nach Bestrahlung,
sind lokale Lösungen kaum sinnvoll. Hier bieten freie Lappenplastiken oftmals die
letzte Chance, ein Gelenk bzw. eine Extremität zu erhalten. Die freie M.-latissimus-dorsi-Lappenplastik
als Muskellappen bzw. myokutane Lappenplastik nimmt bei der Defektsanierung eine Schlüsselrolle
ein [11], [18], [19], [20], [21]. Der M. latissimus dorsi gehört zu den größten Muskeln im Körper und eignet sich
bei relativ geringer Hebedefektmorbidität gut zur Versorgung großer Defekte ([Abb. 4]).
Abb. 4 Defektdeckung durch freie M.-latissimus-dorsi-Lappenplastik im Rahmen eines Protheseninfekts
am rechten Knie eines 71-jährigen Patienten. a Gelenk-Spacer nach Knie-TEP-Explantation im Rahmen der Infektsanierung bei Protheseninfekt.
b Allschichtiger Haut-Weichteil-Defekt nach Spacer-Explantation vor plastisch-chirurgischer
Defektdeckung und Spacer-Wechsel. c Freie M.-latissimus-dorsi-Lappenplastik 4 Monate postoperativ. d Erfolgreiche Spacer-Explantation und Implantation einer gekoppelten, zementierten
Knie-TEP 83 Tage nach plastisch-chirurgischer Defektdeckung.
In Kombination mit der Paraskapularlappenplastik oder dem M. serratus anterior kann
der M. latissimus dorsi auch als sogenannter Chimeric Flap erweitert werden, um noch
größere Defekte sicher zu schließen. Eine weitere Muskellappenplastik ist die freie
M.-gracilis-Lappenplastik [22]. Diese eignet sich insbesondere für schmale, längliche Defekte. Gestielt wird der
M. gracilis, der zur Adduktorengruppe gehört, an der A. circumflexa femoris medialis.
Zu den Vorteilen dieser robusten Lappenplastik gehört ein geringer Hebedefekt an einer
unauffälligen Körperregion. Aber auch andere freie Lappenplastiken, wie der freie
M. rectus femoris, oder fasziokutane Lappenplastiken wie der Paraskapularlappen oder
der ALT-Lappen (ALT: Antero-lateral Thigh Flap) bieten sich sehr gut zur Defektrekonstruktion
an.
In ausgewählten Einzelfällen wird auch der Einsatz einer „prophylaktischen“ freien
Lappenplastik erwähnt [23]. Ziel ist es, das Risiko einer postoperativen Wundheilungsstörung bei Hochrisikopatienten
bereits vor deren Eintreten abzufangen. So soll z. B. vor elektiver Implantation einer
Knie-TEP bei zugleich dünnem, minderperfundiertem Haut-Weichteil-Mantel wohl perfundiertes,
robustes Gewebe in Form einer freien Lappenplastik an den potenziellen Risikoort transferiert
werden. Erst in einem 2. Schritt wird dann die entsprechende Knie-TEP implantiert.
Hier gilt es sicherlich, die operativen Risiken einer freien Lappenplastik mit der
potenziellen Gefahr einer Wundheilungsstörung abzuwägen.
Schlussfolgerung
Implantierte Fremdmaterialien sind im chirurgischen Alltag nicht mehr wegzudenken.
Eine seltene, jedoch gefürchtete Komplikation stellt ein infiziertes Implantat dar.
Nach Reduzierung sämtlicher Risikofaktoren und ausgiebigem Débridement gilt es, den
Defekt sicher mit ausreichendem, gut durchblutetem Gewebe zu decken. Angefangen vom
Spalthauttransplantat bis zum freien Chimeric Flap gibt es eine Vielzahl von plastisch-chirurgischen
Behandlungsoptionen. Diese müssen individuell in einem interdisziplinären Ansatz abgestimmt
werden, um das Gelenk bzw. die entsprechende Extremität erfolgreich zu erhalten.