Journal Club AINS 2017; 06(01): 14-15
DOI: 10.1055/s-0043-101899
Journal Club
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Messung der Atemfrequenz: Ergebnisse verschiedener Methoden schwanken stark

Granholm A. et al.
Respiratory rates measured by a standardised clinical approach, ward staff, and a wireless device.

Acta Anaesthesiol Scand 2016;
60: 1444-1452
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Publication History

Publication Date:
04 April 2017 (online)

 

    Eine verminderte Atemfrequenz gehört zu den Frühwarnzeichen für eine Verschlechterung des Zustands eines Patienten und sollte zu entsprechenden Interventionen Anlass geben. Normalerweise wird sie manuell in Ruhe über 1 min gemessen, aber in der täglichen Praxis auf Station kann das schwierig werden. Elektronische Hilfsmittel könnten die Arbeit erleichtern, aber nur, wenn sie zuverlässig messen. Das haben nun dänische Mediziner untersucht.


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    Dazu haben sie 50 Patienten ab dem 18. Lebensjahr in eine prospektive Beobachtungsstudie aufgenommen. Die Teilnehmer waren wegen einer akuten Erkrankung auf eine internistische Allgemeinstation der Universitätsklinik Kopenhagen aufgenommen worden. Bei ihnen bestimmten die Wissenschaftler die Atemfrequenz in Ruhe mit 3 verschiedenen Methoden:

    • Bei der elektronischen Messung registrierten auf den Thorax aufgeklebte Pflaster mit EKG-Elektroden die Atemfrequenz mittels Impedanzpneumografie und übermittelten sie drahtlos an einen Funkempfänger (Methode 1).

    • Bei der standardisierten klinischen Messung zählte einer der Studienärzte die Atemzüge über 1 min aus, wobei der Patient absolut still liegen musste und nicht sprechen durfte (Methode 2).

    • Das Pflegepersonal maß die Atemfrequenz mit der auf der Station üblichen Methode (Methode 3).

    Die Hauptanalyse untersuchte die Übereinstimmung für die Atemfrequenz zwischen Methode 1 und Methode 2, sekundär beurteilten die Untersucher außerdem die Übereinstimmung von Methode 1 mit Methode 3. Dazu wurde in allen Fällen die 95 %-Grenze der Übereinstimmung nach Bland-Altman berechnet.

    Beim Vergleich

    • von Methode 1 und Methode 2 fanden sich

      • ein mittlerer Unterschied von 0,3 Atemzügen/min, aber

      • eine untere bzw. obere 95 %-Grenze der Übereinstimmung von – 11,5 Atemzüge/min bzw. + 12,1 Atemzüge/min.

    Auch wenn 3 stark abweichende Messungen mit Unterschieden ≥ 10 Atemzügen/min vernachlässigt wurden, blieb die Abweichung zu hoch (– 4,2 bis + 4,0 Atemzüge/min).

    Der Vergleich

    • von Methode 1 und Methode 3 zeigte

      • einen mittleren Unterschied von 1,7 Atemzügen/min und

      • eine untere bzw. obere 95 %-Grenze der Übereinstimmung von – 13,3 Atemzügen/min bzw. + 16,8 Atemzüge/min.

    Bei der rein deskriptiven Auswertung fand sich darüber hinaus bei der Messung durch das Pflegepersonal eine Häufung von Atemfrequenzen mit 16, 18 und 20 Atemzügen/min.

    Fazit

    Die hier mittels Bland-Altman-Analyse gefundenen Abweichungen der elektronisch gemessenen Atemfrequenz im Vergleich zur standardisierten klinischem Messung durch einen der Studienautoren sind sehr hoch, fassen Granholm et al. zusammen. Sie liegen deutlich über der Grenze von 3 Atemzügen/min, die als klinisch relevant betrachtet wird. Das Verfahren scheint den Autoren demnach zurzeit noch nicht ausgereift genug, um es in die tägliche Praxis auf Krankenstationen zu integrieren.

    Dr. Elke Ruchalla, Bad Dürrheim

    Kommentar

    Eine ernüchternde Erkenntnis...!


    In unserer technologieorientierten Medizin gibt es und gab es stets Bemühungen analog zur Luftfahrt die „Fehlerquelle“ Mensch auf ein Minimum zu reduzieren. Wir kennen alle die durchaus ambitionierten Versuche technische Devices (Knieroboter, automatisierte EKG Interpretation, Arrhythmiemonitoring etc.) in die klinische Praxis einzuführen und den Menschen somit zu „Entlasten“ bzw. abkömmlich zu machen. Auch die aktuelle Studie zu diesem Thema zeigt wieder einmal:

    1. Es gibt in diesem Bereich keine 100 %-ige Verlässlichkeit und der Mensch ist die Kontrollinstanz.

    2. Auch bei der alleinigen klinischen Messung gibt es eine beachtliche Fehlerquelle.


    Die Gründe liegen zum Einen in der „menschlichen“ Einstellung subjektiv für den Patienten bedrohliche Zustände nicht detailliert zu erfassen bzw. eine ungenaue Dokumentation durchzuführen, um eine gewisse Zeitersparnis im Routinebetrieb zu Gunsten „wichtigerer“ Tätigkeiten zu gewinnen.


    Somit bleibt die Frage, wie wir mit diesem Status quo umgehen? In der klinischen Praxis werden Alarmmeldungen (Intensivmedizin) aufgrund einer beachtlichen Anzahl von Fehlinterpretationen der Devices oftmals nur verzögert Beachtung geschenkt. Somit ist kritisch zu hinterfragen, wenn der Mensch immer noch die Kontrollinstanz ist, ob diese mit Limitationen behaftete technische Aufrüstung nicht zu einer Bagatellisierung bzw. Ignoranz von Alarmmeldungen führt. Hier hätte ein auf die Prävention von kritischen Ereignissen ausgerichtetes Studiendesign mehr Klarheit gebracht. Somit bleibt für den Leser unterm Strich eine unbefriedigende Schlussfolgerung übrig.


    Der Autor

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    PD Dr. med. Martin Zoremba, D.E.A.A., Anästhesie, Intensivmedizin, Notfallmedizin und Schmerztherapie, Klinikum Siegen

    Literatur


    [1] N.A. Mark Estates III, Editorial: Computerized Interpretation of ECG – Supplemental Not a Substitute; Circ Arrythm Electrophysiol 2013; 6: 2 – 4


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    PD Dr. med. Martin Zoremba, D.E.A.A., Anästhesie, Intensivmedizin, Notfallmedizin und Schmerztherapie, Klinikum Siegen