Pneumologie 2017; 71(03): 164-165
DOI: 10.1055/s-0043-101244
Historisches Kaleidoskop
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

„Tuberkulose-Strümpfe“

Tuberculous Socks
Robert Kropp
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Korrespondenzadresse

Dr. Robert Kropp
Sturmiusstraße 8
36037 Fulda

Publication History

Publication Date:
20 March 2017 (online)

 

    Dem Deutschen Tuberkulose-Archiv wurden vor Jahren „Tuberkulose-Strümpfe“ vermacht[1] ([Abb. 1]). Mit dieser Gabe eines Kollegen wussten wir zunächst wenig anzufangen; sein begleitender Brief gab gewissen Aufschluss und soll im Folgenden hier veröffentlicht werden:

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    Abb. 1 Tuberkulose-Strümpfe, leer (rechts) und gefüllt.

    „Bei Tuberkulose-Patienten mit großen Oberlappen-Kavernen, die wegen Verwachsungen für einen Pneumothorax ungeeignet waren und die wegen ästhetischer Bedenken einer Thorakoplastik abweisend gegenüberstanden, wurde durch einen kleinen axillären Schnitt intra- oder extrapleural die Kaverne durch Bildung einer Höhle zum vollständigen Kollabieren gebracht. Dann wurde der mit etwas grober Perlonwatte gefüllte Strumpf eingeführt. Dieser wurde dann durch Einführung weiterer Wattebällchen prall gefüllt. Die entstandene Höhle war dann dauerhaft ausgefüllt. Die medikamentöse Behandlung lief dazu parallel.

    1974 wurden alle Plomben nachuntersucht. Unterlagen gab es noch von 1949 bis zur letzten Plombe 1967 (!). Von den 260 operierten Patienten konnten etwa 160 nachuntersucht werden. Sie waren alle soweit ohne Nachweis von Tuberkulosebakterien und in einem guten Zustand. 1984 wurden diese Patienten ein weiteres Mal untersucht. Zwischenzeitlich gab es zwei Spätinfektionen und eine maligne Entartung. Die Entfernung dieser infizierten Plombe war sehr eindrucksvoll, Fachjargon: ‚Seegras rupfen‘. Es sah aus, als ob man aus einem mit Seegras gepolsterten Stuhl die Polsterung herausziehe. Der Strumpf war nicht mehr auffindbar, aber der Inhalt eindrucksvoll faserig-braun.

    Da damals nur ganz junge Leute operiert wurden, sollte es noch bis zum Jahre 2020 Plombenträger unter uns geben. Ein weiterer Nachuntersuchungsversuch 1994 scheiterte am ‚Datenschutz‘, der uns mit der Einheit beschert wurde.“

    Die uns überlassenen leeren „Tuberkulose-Strümpfe“ wurden gereinigt, einige wurden mit „Perlonwatte“ gefüllt. Außerdem fand sich im Tuberkulose-Archiv ein Röntgenbild ([Abb. 2]) der Thoraxorgane mit einem „Tuberkulose-Strumpf“. Dies alles ist jetzt im Museum des Tuberkulose-Archivs ausgestellt[2].

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    Abb. 2 Röntgenthorax-Aufnahme mit Tuberkulose-Strumpf über dem rechten Lungenoberlappen.

    Natürlich wird heutzutage jemand, der mit solchen „Tuberkulose-Strümpfen“ oder mit solch einem Röntgenbild konfrontiert wird, die Bedeutung dieses Befundes nicht kennen. Diese Überlegung hat den Ausschlag gegeben, hierüber im Historischen Kaleidoskop zu berichten. „Tuberkulose-Strümpfe“ sind ein weiterer Beleg dafür, zu welch außergewöhnlichen, ja abenteuerlichen und verzweifelten Behandlungsversuchen die Phthisiologen in der Vor-Tuberkulostatika-Ära gegriffen hatten.


    #

    1 Wir sind Herrn Dr. med. Günter Elsner, Weinböhla, für die Überlassung der „Tuberkulose-Strümpfe“ sehr dankbar.


    2 Ich danke Frau Renate Schulz und Herrn Professor Dr. Volker Schulz, Heidelberg, für ihre große Hilfe.
    Die Abbildungen wurden dankenswerterweise vom Deutschen Tuberkulose-Archiv überlassen.



    Korrespondenzadresse

    Dr. Robert Kropp
    Sturmiusstraße 8
    36037 Fulda


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    Abb. 1 Tuberkulose-Strümpfe, leer (rechts) und gefüllt.
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    Abb. 2 Röntgenthorax-Aufnahme mit Tuberkulose-Strumpf über dem rechten Lungenoberlappen.