neuroreha 2017; 09(01): 8
DOI: 10.1055/s-0043-101203
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Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Laufbandtraining in Kombination mit virtueller Realität verringert Stürze

Jan Mehrholz
1   Private Europäische Medizinische Akademie der Klinik Bavaria in Kreischa GmbH, An der Wolfsschlucht 1–2; 01731 Kreischa
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Publication History

Publication Date:
13 March 2017 (online)

Zusammenfassung der Studie

Ziele

Ziel der Studie war es, die Effekte eines Laufbandtrainings in Kombination mit non-immersiver virtueller Realität im Vergleich zu einem reinen Laufbandtraining zur Reduktion von Stürzen bei älteren Menschen zu vergleichen.


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Methodik

Design Multizentrische, randomisierte, kontrollierte und untersucherverblindete Studie.

Ein- und Ausschlusskriterien Eingeschlossen wurden Personen im Alter zwischen 60 und 90 Jahren, die zu Hause oder in Seniorenheimen lebten. Die Teilnehmer mussten für den Einschluss in die Studie mindestens fünf Minuten selbstständig gehen können, eine stabile Medikation aufweisen und in den letzten Monaten mindestens zweimal gestürzt sein. Auch Patienten mit leichter kognitiver Einschränkung und mit Parkinson-Erkrankung im Hoehn-und-Yahr-Stadium II–III wurden eingeschlossen. Ausgeschlossen wurden Personen mit psychiatrischen Erkrankungen (z. B. schwere Depression), Schlaganfall, Schädel-Hirn-Trauma oder anderen neurologische Erkrankungen sowie Personen mit schweren Schmerzen und Neuropathien oder schwerer kognitiver Einschränkung, festgelegt mit einem Mini-Mental-State-Examination-Punktwert (MMSE) von < 21.

Interventionen Randomisierte Zuteilung der Probanden in zwei Gruppen. Erste Gruppe: Laufbandtraining und virtuelle Realität (VR). Zweite Gruppe: Laufbandtraining ohne VR. Die Gruppenzuteilung erfolgte stratifiziert in drei Untergruppen: 1. Gruppe ältere Personen mit Sturzhintergrund, 2. Gruppe leichte kognitive Einschränkungen und 3. Gruppe Personen mit Parkinson-Erkrankung.

Die Teilnehmer sollten dreimal die Woche über insgesamt sechs Wochen üben. Jede Therapiesitzung dauerte 45 Minuten. Die Versuchsgruppen hatten die gleichen Übungsinhalte; einziger Unterschied: Eine Gruppe bekam während des Gehens auf dem Laufband eine VR und damit eine Simulation und Rückmeldung präsentiert.

Die VR beinhaltete ein Kamerasystem mit Bewegungsanalyse und -übertragung (modifizierte Microsoft Kinect für Windows) und eine computergenerierte Hintergrundsimulation. Die Kamera nahm Bewegungen der Füße während des Gehens auf dem Laufband auf. Diese Bilder wurden dem Probanden in Echtzeit über einen Bildschirm rückgemeldet, sodass die Probanden ihre Füße in der Computersimulation sehen konnten. Die virtuelle Umgebung war darauf programmiert, das Sturzrisiko von älteren Menschen zu senken, und beinhaltete Herausforderungen des täglichen Alltags, z. B. das Übersteigen von Hindernissen, verschiedene Gehpfade und ablenkende Objekte (sog. Distraktoren). Die VR Realität schuf eine kognitive Mehrbelastung, u. a. für die Aufmerksamkeit, die Handlungsplanung und die Antwortauswahl sowie für Doppelaufgaben beim Gehen auf dem Laufband.

Messungen Gemessen wurde zu Beginn und sechs Monate nach Ende der Therapie. Gemessen wurde in erster Linie die Sturzrate. Die Teilnehmer führten einen Sturzkalender, der als Papier sowie webbasiert ausgefüllt werden musste, bzw. nutzten ebenso eine Smartphone-App. Weitere Zielparameter wurden eine Woche vor und eine Woche nach dem Training sowie einen Monat und sechs Monate nach dem Training verblindet gemessen und beinhalteten Gehgeschwindigkeit und Gangvariabilität beim Gehen. Die Short Physical Performance Battery (SPPB) wurde zum Messen der Balance und der Mobilität genutzt sowie der „Physical Activity Scale for the Elderly“-Fragebogen, um Alltagsaktivitäten abzufragen. Die Aufmerksamkeit und exekutive Funktionen wurden mit einer neuropsychologischen Testbatterie (NeuroTrax Corp, Medina, Modiin, Israel), die gesundheitsbezogene Lebensqualität mit dem SF-36 und die Krankheitsschwere bei den Probanden mit Parkinson mit der Unified Parkinson’s Disease Rating Scale (UPDRS-III) gemessen.


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Ergebnisse

Zwischen 2013 und 2015 wurden 302 Personen rekrutiert und 148 in die Laufbandgruppe sowie 154 in die Laufbandgruppe plus VR eingeschlossen. Zu Beginn der Untersuchung waren beide Gruppen sehr gut vergleichbar. Das Neuauftreten von Stürzen lag im Mittel bei elf Stürzen innerhalb von sechs Monaten vor Beginn der Intervention. Nach dem Training sank diese Sturzrate signifikant auf sieben Stürze innerhalb von sechs Monaten Beobachtungszeitraum. In der Laufbandgruppe plus VR sank die Sturzrate auf sechs Stürze und in der Laufbandgruppe ohne VR auf acht Stürze innerhalb von sechs Monaten Beobachtungszeitraum. Die Gruppen unterschieden sich dabei statistisch signifikant zugunsten der Laufbandgruppe mit VR. Die meisten sekundären Parameter verbesserten sich in beiden Gruppen, allerdings verbesserten sich bestimmte Parameter – z. B. die Ganggeschwindigkeitsvariabilität, die SPPB Balance und SPPB Gehen, SF-36 – in der kombinierten Gruppe mehr als in der alleinigen Laufbandgruppe. Insbesondere beim Ausweichen von Hindernissen überzeugten die Ergebnisse der Laufbandgruppe mit VR. Selbst sechs Monate nach Trainingsende hielten viele Verbesserungen der sekundären Parameter zugunsten der kombinierten Therapie mit VR noch an.


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Schlussfolgerung

Die Autoren schlussfolgern, dass in einer Gruppe älterer Personen mit hohem Sturzrisiko ein Laufbandtraining mit VR im Vergleich zum alleinigen Laufbandtraining zu einer deutlich verbesserten Sturzrate führt.


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  • Mirelman A, Rochester L, Maidan I. et al. Addition of a non-immersive virtual reality component to treadmill training to reduce fall risk in older adults (V-TIME): A randomised controlled trial. Lancet 2016; 388 (10050) 1170-1182