Aktuelle Urol 2017; 48(03): 193-195
DOI: 10.1055/s-0043-100526
Referiert und kommentiert
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Transskrotale Orchidopexie ohne Ligatur des Processus vaginalis

Hyuga T. et al.
Long-Term Outcome of Low Scrotal Approach Orchiopexy without Ligation of the Processus Vaginalis.

J Urol 2016;
196: 542-547
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Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
14. Juni 2017 (online)

 

    Bei Hodenhochstand mit tastbarem und mobilisierbarem präskrotalem Hoden kann statt des klassischen Vorgehens nach Shoemaker über einen inguinalen Zugang auch eine skrotale Orchidopexie durchgeführt werden. Japanisch Mediziner beschreiben ihre Technik, bei der sie nicht notwendigerweise – wie sonst üblich – den Processus vaginalis ligieren.


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    Taiju Hyuga und Kollegen schlossen in ihre retrospektive Auswertung 137 Jungen (227 nicht deszendierte Hoden) mit einem durchschnittlichen Alter von knapp 3 Jahren ein. Bei allen Kindern lag ein nicht vollständig deszendierter, präskrotaler Hoden vor, der manuell ins Skrotum mobilisiert werden konnte, aber unmittelbar danach wieder aufstieg (Gleithoden). Daraufhin wurde die Indikation zur Orchidopexie gestellt.

    Zwischen Oktober 2009 und April 2014 erfolgte bei diesen Kindern die Operation in Allgemeinanästhesie. Zunächst wurde über eine tiefe skrotale Inzision ein Dartos-Pouch geschaffen, der Hoden freigelegt und der Samenstrang mobilisiert. Anschließend wurde der Hoden in den Pouch eingebracht und darin fixiert.

    Nach Eröffnung der Tunica vaginalis wurde eine 1,9-mm-Sonde von distal in den Processus vaginalis vorgeführt, um dessen Offenheit zu prüfen. Konnte dabei die Sonde nicht passieren, wurde der Processus vaginalis unverändert belassen. Nur bei weit offenem Processus (problemlose Sondenpassage) erfolgte dessen Ligatur auf Höhe des äußeren Leistenrings, das war in dieser Serie bei insgesamt 10 Hoden der Fall. In 5 Fällen gelang die Ligatur über die skrotale Inzision, in weiteren 5 Fällen wurde ein inguinaler Zugang notwendig.

    Intraoperative Komplikationen traten nicht auf, die durchschnittliche Operationsdauer betrug 20 min, wenn der Processus vaginalis nicht ligiert wurde. Ein medianes Follow-up von 44 Monaten konnte bei 128 von 137 Jungen erhoben werden. In diesem Zeitraum trat eine Wundinfektion auf, die sich unter antibiotischer Behandlung vollständig zurückbildete. Bei 1 weiteren Patienten mit Ligatur des Processus vaginalis über einen inguinalen Zugang kam es zu einer Re-Aszension des Hodens. Leistenhernien wurden bei keinem Patienten gesehen.

    Fazit

    Nach diesen Daten scheint bei Maldescensus testis mit präskrotaler Lage der Hoden eine Ligatur des Processus vaginalis bei der Orchidopexie nicht routinemäßig erforderlich, meinen die Autoren. Nach ihrer Ansicht reicht es, wenn nur ein größerer offener Processus verschlossen wird, hier lag die Grenze bei 1,9 mm. Die Befürchtung, dass der offene Processus das Risiko für Leistenhernie in der Folge erhöht ist, konnte jedenfalls in dieser Serie nicht bestätigt werden, so Hyuga et al. abschließend.

    Dr. Elke Ruchalla, Bad Dürrheim

    Kommentar

    Als 2012 der Vorsitzende des Arbeitskreises Kinderurologie, Professor Raimund Stein, auf dem Jahreskongress der Deutschen Gesellschaft für Urologie die Technik der Korrektur eines Hodenhochstandes über einen skrotalen Zugang vorstellte, war die Reaktion des Auditoriums- ganz der Tradition einer auf langjährigen Erfahrungswerten basierenden Medizin verhaftet – nahezu unisono Ablehnung und vehementer Widerspruch. Eine „richtige“ Orchidopexie (OPx) beim Hodenhochstrand sei von skrotal aus überhaupt nicht möglich, insbesondere, weil ein offener Processus vaginalis peritonei nicht adäquat versorgt werden könne – hohe Rezidivraten wäre unweigerlich die Folge. Außerdem brauche man keine Alternative zum Standardvorgehen, da sie kaum objektivierbare Vorzüge habe.


    4 Jahre später lesen wir in den komplett überarbeiteten Leitlinien der Europäischen Gesellschaft für Urologie folgendes Statement: „Über den skrotalen Zugang lassen sich tief gelegene Hoden ähnlich erfolgreich korrigieren wie über einen inguinalen Zugang“. Worauf stützt sich diese Aussage? Gibt es belastbare Daten zu den Ergebnissen der skrotalen OPx?


    Für Hoden, die in das Skrotum mobilisiert werden können, wurde bereits 1989 von Bianchi und Squire als Alternative zur konventionellen inguinalen Orchidofuniculolyse und -pexie die Technik der skrotalen OPx beschrieben. Worin liegt der potentielle Vorteil zum etablierten und bewährten inguinalen Zugangsweg?


    In einem systematischen Review von Novaes et al aus dem Jahr 2013 konnten nachfolgende Vorzüge der skrotalen Alternative herausgearbeitet werden: Durchführung über eine einzige anstelle von zwei Inzisionen, signifikant kürzere Operations-/Narkosezeit, im Vergleich zum inguinalen Vorgehen technisch einfachere Funiculolyse, kürzerer Heilungsprozess, weniger Schmerzmittelbedarf, sowie eine sichere ambulante Durchführung. Von insgesamt 1558 analysierten skrotalen OPx war in 3,5 % eine Konversion zu einem inguinalen Zugang notwendig, ein Rezidiv einer erneuten Fehllage trat in 1,43 %, eine Hodenatrophie/-hypotrophie in 0,3 % auf. Ein offener Processus vaginalis wurde in durchschnittlich 29 % (20 – 72 %) der analysierten Fallserien dokumentiert. Die Autoren des Reviews schlussfolgern, daß die Orchidopexie von einem skrotalen Zugang für auf Höhe des äußeren Leistenringes lokalisierte Hoden eine effektive und sichere Alternative zum inguinalen Standardzugang darstellt. 2 neue Publikationen aus dem Jahr 2016 bestätigen die Sicherheit und Effektivität des Verfahrens. Die zu kommentierende Arbeit von Hyuga et al aus Japan wirft allerdings folgende Fragen auf. Erstens: inkludiert wurden 227 Hoden mit „prescrotal cryptorchidism“. Diese Angabe ist meines Erachtens nach nicht zweifelsfrei objektivierbar, zumal der Versuch der Autoren der Abgrenzung des Leistenhodens vom „retractile testis“ (Gleithoden) nicht eindeutig gelingt. Eine Klarstellung ist jedoch für die Bewertung bzw Leistungsfähigkeit der Methode wichtig. Womöglich wurden – entgegen den Ausführungen – überwiegend Gleithoden operiert. Zweitens: das Handling eines (offenen) Processus vaginalis (PV). Hier wurde anhand der intraoperativen Möglichkeit, eine 1,9 mm messende Sonde von skrotal über den inneren Leistenring in das Abdomen einzuführen, zwischen einem „not widely patent“und einem „widely patent“ PV unterschieden. Letzterer lag in 10 Fällen vor, wovon 5 vom skrotalen Zugangsweg abpräpariert und ligiert werden konnten; in 5 Fällen war dies nicht möglich, hier war ein zusätzlicher inguinaler Zugang erforderlich. 217 PV wurden als „not widely patent“ klassifiziert, hier erfolgte kein Verschluss. Die hohe Quote nicht abgetragener PV verwundert. Die von den Autoren getroffene oben genannte Unterscheidung „widely versus non-widely patent“ ist aus meiner Sicht mit gebotener Zurückhaltung zu bewerten. Gerade die Problematik der einschränkten Versorgungsmöglichkeit eines offenen PV vom Skrotum ausgehend wird von den Kritikern der Methode immer wieder als Argument ins Feld geführt. Es gibt 2 (scheinbar) wichtige Gründe, einen offenen PV lege artis zu versorgen: 1. Erst durch das Abpräparieren des PV von den Samenstrangsgebilden kann oftmals eine ausreichende Länge des Funiculus für eine spannungs- und rezidivfreie Verlagerung des Hodens in das Skrotum erzielt werden. 2. Der Verschluss eines offenen PV ist eine präventive Maßnahme zur Verhinderung sekundärer Inguinalhernien. Es erscheint nachvollziehbar, dass die Abpräparation und das Ligieren eines OPV von skrotal aus limitiert ist. Unabhängig von der Einschätzung, ob ein klinisch relevanter OPV vorliegt, ob und wie dieser letzlich technisch versorgt wird, bescheinigen die publizierten Ergebnisse der SOPx der inguinalen Standardmethode jedoch äquivalente Ergbnisse, d. h. weder höhere Rezidivraten, noch ein vermehrtes Auftreten von Leistenhernien. Das Argument „Processus vaginalis“ gegen die skrotale OPx ist insofern womöglich doch von untergeordneter Bedeutung. Interessanterweise wird die Notwendigkeit der Ligatur eines offenen PV in der Literatur kontrovers diskutiert. So zeigt eine Arbeit aus dem Jahr 2014, dass nach laparoskopischer Orchidopexie ohne Verschluss des offenen PV im Verlauf keine Leistenhernien auftraten. Weitere Publikation kommen ebenfalls zur Schlussfolgerung, dass ein OPV hinsichtlich sekundärer Hernien nicht zwingend verschlossen werden muss.


    Zusammenfassend läßt sich schlussfolgern, dass die Alternative eines skrotalen Vorgehens zur Hodenlagekorrektur in bestimmten Fällen erwägenswert ist. Für Gleithoden, ist sie – nach eigenen Erfahrungen und im Kontext der publizierten Daten – eine mögliche und sinnvolle Alternative. Stellt sich während einer skrotalen Funiculolyse heraus, dass keine ausreichende Mobilität des Funiculus spermaticus für eine spannungsfreie Pexie erzielt werden kann, ist ohne Nachteil eine zusätzliche inguinale Inzision möglich. Gleiches gilt für einen offenen PV, der sich nicht adäquat versorgen läßt. Für einen nach Narkoseeinleitung nicht problemlos in das Skrotum mobilisierbaren Hoden ist der skrotale Zugang meines Erachtens nach keine gute Alternative. Letzten Endes muss bzw. kann jeder Operateur für sich selbst entscheiden, welche Methode er im individuellen Fall anwendet.


    Der Autor

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    PD Dr. Peter Rubenwolf FEAPU, FEBU, MSc, Facharztzentrum Hochstrasse, Vitalicum Urologie Alte Oper, Frankfurt

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    PD Dr. Peter Rubenwolf FEAPU, FEBU, MSc, Facharztzentrum Hochstrasse, Vitalicum Urologie Alte Oper, Frankfurt