2016 hat die Bundesregierung das „Gesetz zur Weiterentwicklung der Versorgung und der Vergütung für psychiatrische
und psychosomatische Leistungen“ (PsychVVG) beschlossen [1].
Zur Förderung der sektorenübergreifenden Versorgung wurde der § 39 Absatz 1 des Fünften
Buches Sozialgesetzbuch (SGB V) geändert: „Die Krankenhausbehandlung wird vollstationär, stationsäquivalent, teilstationär,
vor- und nachstationär sowie ambulant erbracht.“
Die stationsäquivalente Behandlung umfasst „… eine psychiatrische Behandlung im häuslichen Umfeld durch mobile ärztlich geleitete
multiprofessionelle Behandlungsteams. Sie entspricht hinsichtlich der Inhalte sowie
der Flexibilität und Komplexität der Behandlung einer vollstationären Behandlung.“
Im neuen § 115d wurde die stationsäquivalente Behandlung genauer definiert: „Psychiatrische Krankenhäuser mit regionaler Versorgungsverpflichtung sowie Allgemeinkrankenhäuser
mit selbstständigen, fachärztlich geleiteten psychiatrischen Abteilungen mit regionaler
Versorgungsverpflichtung können in medizinisch geeigneten Fällen, wenn eine Indikation
für eine stationäre psychiatrische Behandlung vorliegt, anstelle einer vollstationären
Behandlung eine stationsäquivalente psychiatrische Behandlung im häuslichen Umfeld
erbringen.“ Weiter heißt es: „… kann das Krankenhaus an der ambulanten psychiatrischen Versorgung teilnehmende
Leistungserbringer oder ein anderes Krankenhaus mit der Durchführung von Teilen der
Behandlung beauftragen.“
Bis 30. Juni 2017 sind 4 Punkte zu klären: „die Anforderungen an Dokumentation, Qualität der Leistungserbringung, Beauftragung teilnehmender Leistungserbringer
und Grundsätze für den Abbau nicht mehr erforderlicher Betten“.
Mit den §§ 39 und 115d wurden die gesetzlichen Grundlagen für eine stationsäquivalente
Behandlung im häuslichen Umfeld geschaffen. Diese kann in „medizinisch geeigneten Fällen, wenn eine Indikation für eine stationäre psychiatrische
Behandlung vorliegt …“ angewendet werden. Diese Kriterien verdeutlichen, dass es sich im Kern um eine stationsäquivalente
Akutbehandlung im häuslichen Umfeld handelt.
Im Sinne der evidenzbasierten Medizin stellt sich damit die Frage, welches Behandlungsmodell zur Akutbehandlung im häuslichen Umfeld die größte Evidenz
aufweist. Diese Frage ist von zentraler Bedeutung, weil
-
ein evidentes Behandlungsmodell eine größtmögliche Effektivität und zumeist auch Effizienz
aufweist,
-
es über etablierte Qualitätsindikatoren verfügt, die eine qualitätsgesicherte Implementierung,
Zertifizierung, Auditierung, Leistungsdokumentation und Begutachtung erlauben,
-
es im Bereich der Akutbehandlung im häuslichen die größtmögliche Sicherheit von Klienten,
Angehörigen und anderen Bezugspersonen sowie Behandlern gewährleistet.
Das Behandlungsmodell, welches eine stationsäquivalente Akutbehandlung im häuslichen
Umfeld umfasst, wird am ehesten als Crisis Resolution (Team) (CRT) oder Crisis Resolution and Home Treatment (Team) (CRHTT) [2]
[3]
[4]
[5]
[6] bezeichnet. Nachfolgend wird der Begriff Crisis Resolution Team (CRT) verwendet.
Die Definition von CRT ist ein fachärztlich geleitetes, multiprofessionelles Team
mit der Aufgabe einer zeitlich begrenzten Akutbehandlung im häuslichen Umfeld für
Klienten in akuten Krankheitsphasen einer psychischen Erkrankung [2]
[3]
[6]
[7].
Die Kernelemente von CRTs sind [3]
[4]
[6]
[8]:
-
sie arbeiten multiprofessionell,
-
sie haben nur die Aufgabe der häuslichen Krisenintervention,
-
sie sind einfach erreichbar, reagieren schnell auf Überweisungen und akzeptieren Überweisungen
von allen Ressourcen,
-
sie stehen 24 Stunden täglich an 7 Tagen der Woche zur Krisenintervention bereit,
-
sie haben eine „Gatekeeping“-Funktion für alle stationären Akutaufnahmen,
-
sie behandeln Klienten unabhängig von Diagnose, Erkrankungsphase und Behandlungsstatus,
-
sie bieten eine intensive Krisenintervention über einen kurzen Zeitraum,
-
sie stehen in engem Kontakt mit den Klienten und anderen Bezugspersonen (etwa 1-mal
pro Schicht),
-
sie bieten pharmakologische, psychologische, soziale, somatische Behandlungen bzw.
koordinieren diese,
-
sie behandeln solange bis die Krise beendet und eine adäquate Weiterbehandlung organisiert
ist,
-
sie sichern die Weiterbehandlung der Klienten und
-
sie stehen für erneute Kriseninterventionen bereit.
CRTs sind klinisch effektiv und effizient mit den wissenschaftlich erwiesenen Vorteilen einer Verhinderung und Verkürzung stationärer
Behandlungen und einer größeren Zufriedenheit bei Klienten und Angehörigen gegenüber
der stationären Akutbehandlung [5]
[6]. Aus der klinischen Erfahrung sind zahlreiche weitere Vorteile bekannt [2]
[3], u. a. (1) Engagement und Krisenintervention von unbehandelten Klienten, bei denen
keine Eigen- oder Fremdgefährdung besteht; (2) größere Flexibilität der Interventionen
(v. a. Ort und Zeit); (3) besseres Verständnis von Symptomen, Funktionsniveau, sozialen
Problemen, Kultur und Bedürfnisse durch Behandlung im häuslichen Umfeld; (4) regelhafte
Unterstützung, Beratung und Psychoedukation von im häuslichen Umfeld lebenden Personen
(Angehörige, Partner, Kinder etc.); (5) Verminderung von Stigmatisierung durch Krisenbewältigung
im eigenen Lebensumfeld; (6) Größere Stärkung der Krisenbewältigungsfähigkeiten des
Klienten; (7) Reduktion von Behandlungsabbruch und Zwangseinweisungen.
Die Indikationen und Kontraindikationen hängen u. a. von der Ausgestaltung der CRTs ab. Wichtige Indikationen umfassen das
Bestehen einer psychischen Erkrankung und das Vorliegen einer psychischen Krise [6]. Kontraindikationen sind zumeist relativ und beziehen sich v. a. auf die initiale
Akutbehandlung, z. B. Eigen- oder Fremdgefährdungen bzw. psychiatrische Notfälle,
die eine sofortige Sicherung notwendig machen oder somatische Erkrankungen, die im
Krankenhaus behandelt werden müssen.
Implementierung, Zertifizierung und Auditierung von CRTs können u. a. anhand von Qualitätsindikatoren erfolgen. Diesbezüglich hat
das National Institute for Health Research (NIHR) in England kürzlich die CORE Crisis Resolution Team Fidelity Scale Version 2 publiziert [6]
[8].
Die Qualitätsindikatoren der CORE-Skala basieren auf 3 Quellen: (1) einem systematischen
Review von quantitativen und qualitativen Studien und Leitlinien zur Implementierung
von CRTs [4], (2) einem nationalen Survey bei CRT-Managern in England mit Befragungen zu Organisation
und Servicestrukturen sowie deren Meinung zu prioritären Komponenten einer effektiven
CRT-Behandlung und (3) von über 100 Interviews und Fokusgruppen mit CRT-„Stakeholdern“
u. a. inklusive Klienten, Angehörige und andere Bezugspersonen und Kliniker [8]. Die Skala ist für die Auditierung schon implementierter CRTs konzipiert. Entsprechend gehören hierzu ein Review von Patientenakten und Interviews
mit CRT-Managern, Teammitgliedern, Klienten und Angehörigen sowie Verantwortliche
von anderen Behandlungsinstitutionen.
Die CORE-Skala hat 4 Cluster mit 39 Items, die jeweils anhand von skalierten Qualitätskriterien
bewertet werden. Die 4 Cluster umfassen:
-
Überweisung und Zugang (Item 1 – 10),
-
Inhalt und Bereitstellung der Behandlung (Item 11 – 26),
-
Personal und Teamprozesse (Item 27 – 36),
-
Zeit und Ort der Behandlung (Item 37 – 39).
Die Items der CORE-Skala stellen gewissermaßen die Kernkomponenten von CRTs dar. Darüber hinaus sind aber auch noch andere Komponenten zu berücksichtigen
[2]
[3].
Die besondere Herausforderung ist nun, dass einige dieser Komponenten strukturelle und prozessuale Implikationen für das gesamte Versorgungssystem haben. Hierzu gehören beispielsweise die Verankerung von CRTs als Akutbehandlungsinstitution
mit Gatekeeping-Funktion für alle stationären Akutaufnahmen im Versorgungssektor oder
Zusammenarbeit und Schnittstellenmanagement zu bestehenden Versorgungsinstitutionen.
Hinzu kommt, dass andere evidenzbasierte ambulante Behandlungsmodelle, mit denen CRTs
regelhaft zusammenarbeiten, in Deutschland noch nicht flächendeckend implementiert
sind. Hierzu gehören im Bereich schwerer psychischer Erkrankungen – welche die Hauptklientel von CRTs darstellen – vor allem sog. Early Intervention Services (EIS) zur Früherkennung und
Frühbehandlung oder Assertive Community Treatment (ACT) zu deren langfristiger Behandlung
[9]. Auch die Mitarbeit von Peers (= geschulte Gesundheitsbegleiter) in CRTs ist noch
nicht verankert [9].
Zusammenfassend wurde mit den Gesetzen zur stationsäquivalenten Behandlung im häuslichen Umfeld in Deutschland wesentliche Voraussetzungen zur Verbesserung der evidenzbasierten
Behandlung von Menschen mit psychischen Erkrankungen geschaffen. Damit besteht erstmals
die Möglichkeit, einige zentrale Forderungen der Agenda 2020 des Bundesverbands der
Angehörigen psychisch Kranker flächendeckend umzusetzen [10]. Aus Sicht der Autoren sind für die erfolgreiche Implementierung von CRTs folgende
Aspekte von zentraler Bedeutung: (1) Berücksichtigung von etablierten Qualitätsindikatoren,
(2) Umsetzung in enger Zusammenarbeit sektoraler und interdisziplinärer Leistungserbringer
und (3) Implementierung einer Finanzierung, welche die Umsetzung von etablierten Qualitätsindikatoren
ermöglicht. Langfristig ist darüber hinaus die konsequente Weiterentwicklung evidenzbasierter
langfristiger ambulanter Behandlungsmodelle notwendig.